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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 506/05
Rechtsgebiete: RVG VV


Vorschriften:

RVG VV Nr. 4112
RVG VV Nr. 4118
Ein Rechtsanwalt ist für seine Tätigkeit als Zeugenbeistand zwar entsprechend einem Verteidiger zu vergüten; die Verfahrensgebühr steht im insoweit jedoch nicht zu.
Geschäftsnummer: 5 Ws 506/05

In der Strafsache gegen

wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 15. März 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Die Anhörungsrüge des Zeugenbeistands, Rechtsanwalt F..., gegen den Beschluß des Senats vom 1. Februar 2006 wird als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Anhörungsrüge werden nicht erhoben.

Gründe:

Rechtsanwalt F... wurde dem Zeugen D... in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin am 5. April 2005 gemäß § 68b StPO als Beistand beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 6. April 2005 beantragte Rechtsanwalt F..., für seine Tätigkeit die Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) wie folgt festzusetzen:

 Grundgebühr gemäß VV 4100132,00 Euro
Verfahrensgebühr gemäß VV 4112124,00 Euro
Terminsgebühr gemäß VV 4114216,00 Euro
16 % Umsatzsteuer gemäß VV 700875,52 Euro
 547,52 Euro.

Mit dem Beschluß vom 1. Februar 2006 hat der Senat auf die sofortige Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landgerichts die Zubilligung einer Verfahrensgebühr abgelehnt und die vom Landgericht zunächst antragsgemäß festgesetzte Vergütung wie folgt bemessen:

Grundgebühr gemäß VV RVG 4100| 132,00 Euro Terminsgebühr gemäß VV RVG 4114| 216,00 Euro Auslagenpauschale gemäß VV RVG 7002 20,00 Euro 16 % Umsatzsteuer gemäß VV RVG 7008 | 58,88 Euro |426,88 Euro.

Mit der als Gegenvorstellung bezeichneten Anhörungsrüge (§ 311a, 300 StPO) beanstandet der Beschwerdegegner, daß ihm die Einlegung des Rechtsmittels durch die Bezirksrevisorin und deren Begründungsschriften nicht mitgeteilt worden sind. In der Sache verfolgt er seinen ursprünglichen Antrag weiter.

1. Der Antrag ist zulässig. Obwohl der Senat im Verfahren über die Gebührenforderung des Rechtsanwalts dessen Schriftsätze zur Kenntnis genommen hat, ist das rechtliche Gehör des Beschwerdegegners nicht in dem gebotenen Umfang gewahrt worden, weil er entgegen § 308 Abs. 1 Satz 1 StPO zu der sofortigen Beschwerde der Bezirksrevisorin des Landgerichts nicht erneut gehört worden ist. Der gesetzlich zur Heilung dieses Mangels vorgesehene Rechtsbehelf ist die Anhörungsrüge (§ 311a StPO).

2. Der Rechtsbehelf hat keinen Erfolg. Der Senat ist in Übereinstimmung mit seinem Beschluß vom 1. Februar 2006, auf den er Bezug nimmt, weiterhin der Auffassung, daß dem Zeugenbeistand die Verfahrensgebühr nicht zuerkannt werden kann.

Für die hier streitgegenständlichen Fragen sind folgende veröffentlichte Auffassungen hervorgetreten:

a) Die Beiordnung des Zeugenbeistandes werde - entweder ausdrücklich oder der Natur der Sache nach - ausschließlich für den Zeitpunkt der Vernehmung dieses Zeugen ausgesprochen. Es handele sich deshalb um eine Einzeltätigkeit, die nach VV 4301 Nr. 4 zu vergüten sei (vgl. OLG Oldenburg, Beschluß vom 20. Dezember 2005 - 1 Ws 600/05 -; AG Lingen, Beschluß vom 20. Oktober 2005 - 10 AR 266/05 -, veröffentlicht jeweils in www.burhoff.de).

b) Der Zeugenbeistand sei uneingeschränkt wie ein Verteidiger zu bezahlen. Ihm stünden - außer im Wiederaufnahmeverfahren (vgl. OLG Köln, Beschluß vom 6. Januar 2006 - 2 Ws 9/06 -, www.burhoff.de) die Grundgebühr (VV 4100), die Verfahrensgebühr (VV 4112 bzw. 4118) und die Terminsgebühr (VV 4114 bzw. 4120) zu (vgl. OLG Koblenz, Beschluß vom 11. Juli 2005 - 1 Ws 435/05 -; KG - 3. Strafsenat - NStZ-RR 2005, 358 = RPfl 2005, 694 = StraFO 2005, 439; Burhoff RVG report 2004, 458).

c) Der Zeugenbeistand sei zwar entsprechend einem Verteidiger zu vergüten; die Verfahrensgebühr sei aber nicht verdient (vgl. KG - 4. Strafsenat - Beschluß vom 4. November 2005 - 4 Ws 61/05 - sowie die angefochtene Entscheidung des beschließenden Senats).

3. Die unter a) wiedergegebene Auffassung hat für sich, daß sie den gegenüber den Rechtsvertretern anderer Verfahrensbeteiligter - wie des Angeklagten oder des Nebenklägers - jedenfalls in der Regel zeitlich und inhaltlich geringeren Arbeitsaufwand am sinnfälligsten und auch am gerechtesten widerspiegelt. Sie entspricht aber nicht dem Gesetz. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich angeordnet - und in den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 15/1971, S. 220) zudem darauf hingewiesen - daß auf die in Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zum Teil 4 Strafsachen genannten Personen die Vorschriften des für den Verteidiger geltenden Abschnitts entsprechend anzuwenden seien. Das schließt den Rückgriff auf Gebührenpositionen aus, zu deren Voraussetzungen es nach Abs. 1 der amtlichen Vorbemerkung zum Abschnitt 4.3 gerade gehört, daß der tätig Gewordene nicht Verteidiger war.

Die unter b) genannte verbreitete Ansicht kann für sich in Anspruch nehmen, daß in den Gesetzgebungsmaterialien (aaO) die Anordnung, die für den Verteidiger geltenden Vorschriften auf Beistände entsprechend anzuwenden, u.a. damit begründet worden ist, der Rechtsanwalt solle nicht mehr die halben, sondern die "gleichen" Gebühren erhalten wie ein Verteidiger. Im Gesetzeswortlaut ist das Wort "gleich" indes nicht enthalten. Verlangt wird eine entsprechende Anwendung, so daß der Wortsinn nicht ausdrücklich für die Auslegung streitet, die Gebühren müßten identisch sein. Eine "entsprechende Anwendung" besteht nicht in einer unterschiedslosen Übertragung sämtlicher Tatbestandsmerkmale - hier: sämtlicher Gebührenpositionen - auf den vollständigen in Abs. 1 der Vorbemerkung zum Teil 4 genannten Personenkreis unter Ausblendung der tatsächlich von dem jeweiligen Berufsträger individuell erwarteten und geleisteten Tätigkeit, sondern in einer sinngemäßen Übertragung. Sieht das Gesetz eine entsprechende Anwendung vor, so findet diese ihre Grenze dort, wo Sinn und Zweck der Heranziehung der anderen Bestimmung entgegensteht (vgl. BGH NJW 1959, 347). So ist es hier.

Abs. 2 der genannten Vorbemerkung bestimmt, daß die Verfahrensgebühr für das "Betreiben des Geschäfts" einschließlich der Information entsteht. Das "Geschäft", dessen Betreiben die Verfahrensgebühr abdeckt, ist das gerichtliche Strafverfahren. An dessen Ergebnis wirkt der Zeugenbeistand nicht gestaltend mit. Seine Rechtsstellung leitet sich aus der des Zeugen ab. Er hat keine Rechte als Verfahrensbeteiligter (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 68b Rdn. 5 mit Nachw.). Die Frage der Einführung eigener Beweismittel in die Hauptverhandlung und ähnliches stellt sich für ihn nicht, weil ihm dazu die Berechtigung fehlt. Das unterscheidet ihn von anderen in Abs. 1 der Vorbemerkung genannten Personen wie z. B. dem Beistand des Nebenklägers (vgl. Senat NStZ-RR 2005, 327).

Die allgemeine Einarbeitung in den Fall und die Vorbereitung auf die Hauptverhandlung ist durch die Grundgebühr abgedeckt. Das Absprechen einer allgemeinen Verteidigungsstrategie mag auch für denjenigen Zeugenbeistand in Betracht kommen, der einen in einem anderen Verfahren verdächtigen oder beschuldigten Mandanten vertritt. Das betrifft aber seine Tätigkeit in dem gegen diesen gerichteten Verfahren und darf sich nicht zu Lasten des Angeklagten auswirken, der im Falle der Verurteilung die Kosten zu tragen hat (§§ 465 Abs. 1, 464 Abs. 1 StPO). Zu diesen Kosten zählen nach § 464a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 StPO die Auslagen der Staatskasse für die Gebühren eines Rechtsanwalts, so auch des für den Zeugen tätigen Beistands (vgl. Meyer-Goßner, § 464a StPO Rdn. 7).

Den von dem Beschwerdegegner beklagten Umstand, daß verschiedene Senate desselben Gerichts zur Frage der Verhandlungsgebühr unterschiedlich entscheiden, kann der Senat nicht ändern; denn er hat ihn - wie aus der vorstehenden Aufstellung hervorgeht, nicht ausgelöst, sondern vorgefunden.

4. Nach § 465 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Nr. 3900 der Anlage 1 zum GKG (Kostenverzeichnis) hätte der Zeugenbeistand die Kosten dieser Entscheidung zu tragen (vgl. OLG Köln NStZ 2006, 181, 182; Hartmann, Kostengesetze 35. Aufl., GKG KV 3900, Vorbemerkung 4.1 Rdn. 1). Der Senat macht aber von seiner (§ 21 Abs. 2 Satz 1 GKG) Befugnis Gebrauch anzuordnen, daß die Kosten nicht erhoben werden (§ 21 Abs. 1 Satz 1 GKG). Denn sie wären ohne das Versehen des Senats nicht entstanden.

Ende der Entscheidung

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