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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 696/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 300
StPO § 464 Abs. 1
StPO § 464 Abs. 2
StPO § 464 Abs. 3 Satz 1
StPO § 464b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Ws 696/03

In der Strafsache

wegen Körperverletzung im Amt

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 26. Februar 2004 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen gegen den Kostenbeschluß des Landgerichts Berlin vom 23. September 2003 wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das erweiterte Schöffengericht Tiergarten hat die Beschwerdeführerin am 16. Mai 2002 vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt freigesprochen und die auf sie entfallenden Kosten des Verfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt. Die Staatsanwaltschaft hat Berufung eingelegt, die sie in der Berufungshauptverhandlung am 23. September 2003 zurückgenommen hat. Daraufhin hat die Strafkammer beschlossen und in der Hauptverhandlung verkündet, daß die Kosten der Berufung der Landeskasse zur Last fallen. Eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin im Berufungsrechtszug hat sie nicht getroffen.

Mit einem am 24. September 2003 eingegangenen Kostenfestsetzungsantrag ihres Verteidigers hat die Beschwerdeführerin für die Berufungsverhandlung eine Anwaltsgebühr in Höhe von 700,00 Euro geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Tiergarten hat in ihrem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Oktober 2003 eine Zuerkennung dieser Gebühr unter Hinweis darauf abgelehnt, daß der Beschluß des Landgerichts vom 23. September 2003 keine Auslagenentscheidung enthalte. Mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2003 hat der Verteidiger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß sofortige Beschwerde eingelegt und im übrigen beantragt, die offenbar versehentlich unterbliebene Entscheidung hinsichtlich der Auslagen der Beschwerdeführerin im Berufungsrechtszug nachzuholen. Hilfsweise hat er die Berichtigung des Beschlusses des Landgerichts vom 23. September 2003 beantragt und höchst vorsorglich gegen den Beschluß Beschwerde eingelegt.

Die von dem Landgericht zu treffende Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Freigesprochenen gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Oktober 2003 hängt davon ab, ob der Kostenbeschluß der Strafkammer vom 23. September 2003 dahin ausgelegt werden kann, daß in ihm auch die der Freigesprochenen im Berufungsrechtszug entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegt worden sind oder ob der Beschluß insoweit ergänzt bzw. berichtigt oder auf die Beschwerde der Freigesprochenen abgeändert werden kann. Das ist zu verneinen.

1. Nach inzwischen fast einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum setzt die Erstattung der notwendigen Auslagen eines freigesprochenen Angeklagten eine ausdrückliche Entscheidung in dem das Verfahren abschließenden Urteil oder Beschluß voraus. Da § 464 Abs. 1 und 2 StPO zwischen den Verfahrenskosten einerseits und den Auslagen andererseits unterscheidet, kann die Überbürdung der Verfahrenskosten auf die Landeskasse nicht dahin ausgelegt werden, daß damit auch die notwendigen Auslagen der Landeskasse angelastet werden (vgl. Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 464 Rdn. 24, 25; Franke in KK, StPO 5. Aufl., § 464 Rdnrn. 4 und 6; Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 464 Rdn. 12, alle m. Rsprnachw.; a.A. OLG Naumburg NStZ-RR 2001, 189). Das Gericht, das eine unvollständige Kostenentscheidung getroffen hat, darf sie selbst weder ergänzen noch berichtigen. Eine Korrektur ist allein auf eine nach § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO ordnungsgemäß erhobene sofortige Beschwerde hin möglich (vgl. Hilger aaO., § 464 Rdn. 29; Franke aaO., § 464 Rdn. 4).

Die von der Strafkammer in dem Beschluß vom 23. September 2003 getroffene Entscheidung bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut allein auf die Verfahrenskosten, so daß Abhilfe hinsichtlich der Auslagen der Freigesprochenen nur auf eine sofortige Beschwerde hin erfolgen kann.

2. Da der Beschluß vom 23. September 2003 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin verkündet worden ist, lief die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde am 30. September 2003 ab (§§ 35 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 StPO). Innerhalb dieser Frist ist bei Gericht nur der von dem Verteidiger gestellte Kostenfestsetzungsantrag eingegangen. Er kann nicht als sofortige Beschwerde gegen das Fehlen der Auslagenentscheidung in dem Beschluß vom 23. September 2003 behandelt werden.

Ob ein innerhalb der Beschwerdefrist eingegangener Kostenfestsetzungsantrag als sofortige Beschwerde gegen eine unterbliebene Auslagenentscheidung auszulegen ist, ist umstritten. Die Rechtsprechung bejaht die Frage zum Teil (vgl. OLG Düsseldorf GA 1990, 267, 268; OLG Stuttgart StV 1993, 651; KG, 4. Strafsenat, Beschlüsse vom 25. September 1995 - 4 Ws 190/95 - und 27. März 2002 - 4 Ws 56/02 -). Zur Begründung wird in den Entscheidungen darauf hingewiesen, daß der Freigesprochene mit seinem Kostenfestsetzungsantrag das Ziel verfolge, die ihm nach dem Kostenrecht zustehenden Auslagen zu erhalten. Da er sein Begehren erfolgreich nur mit dem Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen die unterlassene Auslagenentscheidung durchsetzen könne, sei der Antrag gemäß § 300 StPO als sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß auszulegen.

Der Senat ist dieser Auffassung bereits in seinem Beschluß vom 13. Juni 2000 - 5 Ws 408/00 - nicht gefolgt. Sie überzeugt ihn auch weiterhin nicht. Richtig ist, daß § 300 StPO über seinen Wortlaut hinaus für alle in einem Strafverfahren gestellten Anträge und Erklärungen gilt. Als Rechtsmittel kann eine Erklärung aber nur dann ausgelegt werden, wenn aus ihr ein Anfechtungswille hervorgeht, also deutlich wird, daß sich der Erklärende mit einer ihn beschwerenden gerichtlichen Entscheidung nicht abfinden will. Maßgebend für die Auslegung ist der Sinngehalt, der sich aus der Gesamtheit der innerhalb der Anfechtungsfrist eingehenden Erklärungen ergibt (vgl. Ruß in KK, StPO 5. Aufl., § 300 Rdnrn. 1 und 2; Meyer-Goßner, § 300 Rdn. 3). Für die Auslegung des Anfechtungswillens ist im übrigen die Person des Erklärenden von Bedeutung. Bei Rechtskundigen ist eher als bei Rechtsunkundigen auf den gewählten Wortlaut abzuheben (vgl. Ruß aaO., § 300 Rdn. 2). Einem Rechtsanwalt, der in Strafsachen tätig wird, ist aber regelmäßig bekannt, daß das Festsetzungsverfahren nach § 464b StPO allein die Aufgabe hat, die Höhe der notwendigen Auslagen zu bestimmen, bezüglich deren eine rechtskräftige gerichtliche Grundentscheidung vorliegt, und daß dieses Verfahren nicht dem Zweck dient, unvollständige Grundentscheidungen des erkennenden Gerichts zu korrigieren (vgl. Hilger aaO., § 464 Rdn. 29).

Nach diesen Grundsätzen erscheint es nicht gerechtfertigt, ohne Hinzutreten weiterer Umstände einen Kostenfestsetzungsantrag als sofortige Beschwerde gegen die unvollständige oder sonst fehlerhafte Kostengrundentscheidung zu behandeln. § 300 StPO bietet keine Handhabe dafür, einen Rechtsanwalt, der übersehen oder verkannt hat, daß die Einlegung eines Rechtsmittels geboten war, aus Billigkeitsgründen von den Folgen dieses Versäumnisses freizustellen. Eine sofortige Beschwerde kann in dem Kostenfestsetzungsantrag mithin nur dann gesehen werden, wenn der Antragsteller in irgend einer Weise zugleich die Kostengrundentscheidung beanstandet hat, so etwa mit dem Antrag, die notwendigen Auslagen der Landeskasse aufzuerlegen (vgl. OLG Hamm NStE Nr. 6 zu § 300 StPO; im Ergebnis so auch OLG Düsseldorf NStE Nr. 4 zu § 300 StPO; Franke a.a.O., § 464 Rdn. 10; Meyer-Goßner, § 300 Rdn. 2 und § 464 Rdn. 12).

In der vorliegenden Sache fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, daß der Verteidiger der Beschwerdeführerin das Fehlen der Auslagenentscheidung in dem Kostenbeschluß vom 23. September 2003 bemerkt hat, bevor er in dem Kostenfestsetzungsbeschluß vom 22. Oktober 2003 darauf hingewiesen worden ist. Sein Kostenfestsetzungsantrag kann daher mangels Anfechtungswillens nicht als sofortige Beschwerde behandelt werden. Ob die Beschwerdeführerin wegen der Versäumung der Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß vom 23. September 2003 Wiedereinsetzung hätte beantragen können, weil der Beschluß ohne Rechtsmittelbelehrung ergangen ist (vgl. hierzu OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 157), kann dahinstehen, da die Frist für die Einreichung eines derartigen Antrags jedenfalls längst abgelaufen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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