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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.04.2006
Aktenzeichen: 5 Ws 70/06 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG, StPO


Vorschriften:

StVollzG § 10
StVollzG § 14 Abs. 2
StVollzG § 122
StPO § 112 Abs. 2 Nr. 2
1. Wird gegen den Gefangenen ein auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl erlassen und daraufhin Überhaft notiert, so entfällt die Eignung für den offenen Vollzug. Der Haftbefehl führt zu einer Reduzierung des den Vollzugsbehörden zustehenden Beurteilungsspielraums auf Null mit der Folge, dass diese entsprechend der im Haftbefehl getroffenen Prognose von bestehender Fluchtgefahr auszugehen haben. Denn die in § 10 Abs. 1 StVollzG genannte Befürchtung, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen, ist bedeutungsgleich mit der in § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO beschriebenen Fluchtgefahr.

2. § 122 StVollzG enthält keine abschließende Regelung dahingehend, dass dem Strafgefangenen nur die zur Wahrung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlichen Beschränkungen auferlegt werden dürften, die der Haftrichter angeordnet hat.


KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 5 Ws 70/06 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Rückverlegung in den offenen Vollzug und Wiedererlangung des Arbeitsplatzes

hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 15. Dezember 2005 wird verworfen.

Der Gefangene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt zur Zeit eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Dort war er - zunächst auf der Grundlage einer Verurteilung durch das Landgericht Berlin vom 7. Oktober 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren wegen mehrerer Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (insgesamt 104 Kilogramm Haschisch) - entsprechend dem Vollzugsplan vom 2. Februar 2005 seit dem 30. März 2005 im offenen Vollzug (Haus 1) untergebracht und hatte einen Arbeitsplatz in der Küche erhalten. Am 16. Juni 2005 erließ das Amtsgericht Tiergarten in Berlin gegen den Gefangenen nach vorheriger Vernehmung einen auf Flucht- und Verdunkelungsgefahr gestützten Haftbefehl wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nämlich ca. 20 Kilogramm Haschisch mittlerer Art und Güte (Tatzeitraum: Anfang Januar 2001 bis 1. Januar 2002). Der Ermittlungsrichter fertigte ein entsprechendes Aufnahmeersuchen, das keine Sicherungsverfügung enthielt und den "Verbleib in Plötzensee (bzw. außerhalb der Justizvollzugsanstalt Moabit)" für unbedenklich erklärte. Daraufhin veranlaßte der Anstaltsleiter die Überhaftnotierung und am 17. Juni 2005 die Verlegung des Gefangenen in den geschlossenen Vollzug im Haus 3 (Lehrter Straße) der Justizvollzugsanstalt Plötzensee und seine Ablösung aus dem Küchendienst im Haus 1. Am 12. Juli 2005 wurde der Gefangene wegen des Tatvorwurfes, der dem Haftbefehl vom 16. Juni 2005 zugrundelag, unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Oktober 2004 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; das Urteil wurde sogleich rechtskräftig. Nachdem zunächst der Verfahrensbevollmächtigte und damalige Verteidiger des Gefangenen und sodann auch der Strafkammervorsitzende den Anstaltsleiter davon in Kenntnis gesetzt hatten, daß der Haftbefehl vom 16. Juni 2005 mit der Rechtskraft des Urteils vom 12. Juli 2005 gegenstandslos geworden war, veranlaßte der Anstaltsleiter die Löschung der Überhaftnotierung sowie am 28. Juli 2005 die Rückverlegung des Gefangenen in den offenen Vollzug des Hauses 1 und seinen erneuten Einsatz im Küchendienst ab 1. August 2005.

Der Gefangene hat zunächst - mit Schriftsatz vom 17. Juni 2005 - beantragt, den Leiter der Justizvollzugsanstalt Plötzensee im Wege des Eilverfahrens zu seiner Rückverlegung in den offenen Vollzug und Ermöglichung der Wiederaufnahme einer Arbeit zu verpflichten. Nachdem sich dieser Antrag durch die Rückverlegung des Gefangenen und seine Einsetzung am früheren Arbeitsplatz erledigt hatte, hat der Gefangene mit Schriftsatz vom 2. August 2005 seinen Eilantrag für erledigt erklärt und beantragt festzustellen, daß die Verlegung in den geschlossenen Vollzug und die damit verbundene Ablösung vom Arbeitsplatz rechtswidrig waren. Diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluß als unbegründet verworfen.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

I. Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen.

Zwar kann die Aufklärungsrüge die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde nicht begründen, weil durch zahlreiche obergerichtliche Entscheidungen ausreichend geklärt ist, in welchem Umfang und nach welchen Rechtsgrundsätzen die Strafvollstreckungskammern in Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz den Sachverhalt zu ermitteln haben (vgl. Senat, Beschluß vom 1. März 2004 - 5 Ws 83/04 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl. § 115 Rdn. 3 und 4 mit weiteren Nachweisen). Zudem entspricht die Rüge nicht den in § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bestimmten Formerfordernissen. Die Rechtsbeschwerde teilt nicht mit, mit welchen Beweismitteln die Strafvollstreckungskammer die von dem Beschwerdeführer als entscheidungserheblich bezeichneten Tatsachen hätte aufklären sollen.

Jedoch wirft die Sachrüge die Rechtsfrage auf, ob eine Überhaftnotierung aufgrund eines auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls zwingend zur Verlegung des Gefangenen vom offenen in den geschlossenen Vollzug Veranlassung gibt. Diese Rechtsfrage ist bislang - soweit ersichtlich - obergerichtlich nicht entschieden und bedarf daher der Klärung.

Das Oberlandesgericht Köln hat in seinem Beschluß vom 15. Mai 1991 (NStZ 1991, 605, 606) zu dieser Frage nicht Stellung genommen, sondern lediglich ausgeführt, daß das Haftgericht den Haftgrund der Fluchtgefahr allein aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens ohne Rücksicht auf in anderen Verfahren angeordnete freiheitsentziehende Maßnahmen zu beurteilen habe; denn allein das Haftgericht sei in der Lage, die Frage der Fluchtgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände verläßlich zu klären, während der Anstaltsleiter nicht beurteilen könne, ob und inwieweit aufgrund von Erkenntnissen in schwebenden Strafverfahren die Gefahr einer Flucht naheliege.

Auch das OLG Hamm hat in seinem Beschluß vom 18. Juni 1971 (NJW 1971, 1956) zu der dargelegten Rechtsfrage nicht ausdrücklich Stellung genommen, vielmehr nur zur Begründung seiner Entscheidung angenommen, daß der Erlaß eines Haftbefehls notwendig sei, um etwa die Gewährung von Urlaub an den - Strafhaft in anderer Sache verbüßenden - Beschuldigten auszuschließen.

II. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat den von dem Gefangenen gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag zutreffend als zulässig behandelt, ihn jedoch rechtsfehlerfrei als unbegründet verworfen.

1. Die Verlegung des Beschwerdeführers in den geschlossenen Vollzug war nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zulässig, da der für ihn erstellte Vollzugsplan noch die Unterbringung im offenen Vollzug vorsah. Die Vollzugsbehörde geht mit der Erstellung des Vollzugsplans, der als Programm und Konzept für die Behandlung des Gefangenen und die Gestaltung seiner Lebensverhältnisse während des Strafvollzuges dienen soll, eine Bindung ein, die zur Folge hat, daß sie eine in den Plan aufgenommene konkrete, den Gefangenen begünstigende Maßnahme nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 StVollzG widerrufen bzw. zurücknehmen darf (vgl. OLG Celle ZfStrVo 1989, 116; KG NStZ 1997, 207; 1993, 100, 102; Senat, Beschluß vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -).

Der Gefangene erwirbt damit eine auf Vertrauensschutz beruhende Rechtsstellung, die es fortan verbietet, ihn bei der Bestimmung der Vollzugsform und der Gewährung von Lockerungen so zu behandeln, als würde darüber erstmals befunden. An diesen Grundlagen hat sich das weitere Vorgehen auszurichten. Demgemäß darf die Behörde die Ablehnung in dem Plan vorgesehener Maßnahmen grundsätzlich nicht nur auf Umstände stützen, die im Zeitpunkt der Erstellung des Plans schon vorgelegen haben und ihr bekannt gewesen sind. Die veränderte Wertung dieser Umstände allein gibt ihr ebenfalls nicht das Recht, zum Nachteil des Gefangenen vom Plan abzuweichen, es sei denn, es gilt eine offensichtliche Fehlentscheidung zu korrigieren, welche die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit mißachtet (vgl. OLG Hamm NStZ 1989, 390; Senat, Beschluß vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -).

Erst bei der auf neuen Tatsachen aufbauenden Einschätzung, ob der Gefangene weiterhin für den offenen Vollzug geeignet ist oder ob die Eignung aufgrund Flucht- oder Mißbrauchsgefahr entfallen ist, steht der Vollzugsbehörde ein Beurteilungsspielraum zu, dessen Einhaltung gerichtlich nur nach den Maßstäben des § 115 Abs. 5 StVollzG überprüfbar ist (vgl. BGHSt 30, 320, 324, 327; OLG Frankfurt a.M. ZfStrVo 2003, 243; ZfStrVo 2001, 52, 53; NStZ-RR 1998, 91; OLG Zweibrücken ZfStrVo 1998, 179, 180; OLG Karlsruhe ZfStrVo 1985, 245; Justiz 1984, 437; OLG Celle ZfStrVo 1983, 301; KG NStZ 1993, 100, 102; Senat, Beschlüsse vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -, 26. November 1996 - 5 Ws 607/96 Vollz - und 15. Dezember 1994 - 5 Ws 468/94 Vollz -; Arloth in Arloth/Lückemann § 10 StVollzG Rdn. 7). Hiernach haben sich die Gerichte auf die Prüfung zu beschränken, ob der Anstaltsleiter von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BGHSt 30, 320, 327; Senat, Beschlüsse vom 10. Februar 1999 - 5 Ws 52/99 Vollz - und vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -), ob er seiner Entscheidung den richtigen Begriff der Versagungsgründe zugrunde gelegt hat und ob seine Beurteilung des Gefangenen vertretbar ist.

Diese Rechtsgrundsätze hat die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluß beachtet.

2. Die Verlegung des Gefangenen in den geschlossenen Vollzug war trotz der abweichenden Festlegung im Vollzugsplan zulässig; denn die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVollzG waren vorliegend erfüllt. Der Vollzugsplan konnte hinsichtlich der festgestellten Eignung für den offenen Vollzug geändert werden, da nachträglich ein Versagungsgrund eingetreten war, der den Ausschluß vom offenen Vollzug begründete (vgl. Senat, Beschluß vom 21. Februar 2002 - 5 Ws 1/02 Vollz -), nämlich der Erlaß eines auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls. Dieser führte dazu, daß die Eignung des Gefangenen für den offenen Vollzug gemäß § 10 Abs. 1 StVollzG entfiel.

3. Die Strafvollstreckungskammer hat bei Überprüfung der Entscheidung des Anstaltsleiters hinsichtlich der Eignung des Gefangenen für den offenen Vollzug die unter 1. dargelegten Rechtsgrundsätze zum Prüfungsumfang eingehalten und ihre Prüfung zwar nicht explizit, aber der Sache nach am Maßstab des § 115 Abs. 5 StVollzG ausgerichtet. Dabei ist sie rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß die Überhaftnotierung aufgrund des auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls für den Anstaltsleiter die zwingende rechtliche Folge hatte, den Gefangenen aus dem offenen Strafvollzug abzulösen und in den geschlossenen Vollzug zu verlegen.

Der Auffassung des Gefangenen, § 122 StVollzG enthalte eine abschließende Regelung dahingehend, daß einem Strafgefangenen bei Überhaftnotierung aufgrund eines Untersuchungshaftbefehls nur diejenigen - zur Wahrung des Zwecks der Untersuchungshaft erforderlichen - Beschränkungen auferlegt werden dürften, die der Haftrichter angeordnet habe, kann nicht gefolgt werden.

a) Aus dem Gesetz ergibt sich, daß der Strafgefangene, gegen den in anderer Sache - zum Zwecke der Strafvollstreckung unterbrochene - Untersuchungshaft angeordnet war oder Untersuchungshaft angeordnet wird, über die in § 4 Abs. 2 StVollzG genannten Beschränkungen hinaus auch denjenigen Freiheitsbeschränkungen unterliegt, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert (§ 122 Abs. 1 Satz 1 StVollzG); die notwendigen Maßnahmen werden durch den nach § 126 StPO zuständigen Richter angeordnet (§ 122 Abs. 1 Satz 2 StVollzG). Die Vorschrift zwingt den Anstaltsleiter, diese Anordnung zu befolgen. Diese Regelung ist jedoch nicht in dem Sinne als abschließend zu verstehen, daß es dem Anstaltsleiter verwehrt wäre, seinerseits aus der Überhaftnotierung gesetzlich gebotene Konsequenzen zu ziehen und diejenigen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen anzuordnen, die der Zweck der Untersuchungshaft erfordert.

b) Obergerichtlich geklärt ist zunächst, daß § 122 Abs. 1 StVollzG dem Haftrichter nur ergänzende Eingriffsmöglichkeiten zur Sicherung des Verfahrens gewährt und im übrigen die Zuständigkeit der Vollzugsbehörden - insbesondere für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit der Anstalt und für die Gestaltung des Strafvollzuges - unberührt läßt (vgl. OLG Hamburg ZfStrVo 1993, 315; OLG Hamm NStZ 1985, 93; KG StV 1996, 326, 327 und Beschlüsse vom 5. Februar 2001 - 3 Ws 72/01 -, 12. Dezember 2000 - 4 Ws 222/00 -, 25. August 2000 - 4 Ws 162 und 163/00 - und vom 5. Februar 1999 - 4 Ws 19-21/99 -; Lückemann in Arloth/Lückemann, § 122 StVollzG Rdn. 5; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 119 Rdn. 34).

Zu den zentralen Fragen der Vollzugsgestaltung aber, die in die Zuständigkeit der Vollzugsbehörden fallen, gehört die Entscheidung über die Unterbringung des Gefangenen im offenen oder geschlossenen Vollzug. Danach war die vorliegend durch den Haftrichter erteilte uneingeschränkte - und damit auch den offenen Vollzug umfassende - Zustimmung zum Verbleib des Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee für den Anstaltsleiter unbeachtlich; denn dieser hat nur die nach § 122 Abs. 1 Satz 1 und 2 StVollzG getroffenen verfahrenssichernden Anordnungen des Haftrichters - an denen es vorliegend fehlte - umzusetzen; er ist jedoch nicht an darüber hinausgehende, den Gefangenen begünstigende Vorgaben gebunden. Vielmehr hatte der Anstaltsleiter in eigener Zuständigkeit zu entscheiden, ob der Gefangene nach Erlaß des auf Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls mit entsprechendem Aufnahmeersuchen und daraus folgender Überhaftnotierung weiterhin für eine Unterbringung im offenen Vollzug geeignet war.

c) Dies setzt voraus, daß der Gefangene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, daß er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten mißbrauchen werde (§ 10 Abs. 1 StVollzG).

Vorliegend hat sich der Anstaltsleiter an die Feststellung der Fluchtgefahr in dem Haftbefehl gebunden gesehen und deshalb den Gefangenen aufgrund mangelnder Eignung aus dem offenen Vollzug abgelöst. Das Landgericht hat diese Maßnahme in dem angefochtenen Beschluß zutreffend für rechtmäßig erachtet. Seine Rechtsauffassung, die Überhaftnotierung habe für den Anstaltsleiter die zwingende rechtliche Folge gehabt, den Gefangenen aus dem offenen in den geschlossenen Vollzug zu verlegen, ist frei von Rechtsfehlern. Wird - wie im vorliegenden Fall - gegen den Gefangenen ein (auch) auf Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl erlassen und daraufhin Überhaft notiert, so führt dies zu einer Reduzierung des den Vollzugsbehörden zustehenden Beurteilungsspielraums auf Null mit der Folge, daß diese entsprechend der in dem Haftbefehl getroffenen Prognose von bestehender Fluchtgefahr auszugehen haben. Denn die in § 10 Abs. 1 StVollzG genannte Befürchtung, der Gefangene werde sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen ist bedeutungsgleich mit der in § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO beschriebenen Fluchtgefahr.

Der Erlaß eines Haftbefehls wegen Fluchtgefahr setzt voraus, daß aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem gegen ihn geführten Strafverfahren und der anschließenden Vollstreckung (vgl. Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl., § 112 Rdn. 4) entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen (vgl. OLG Köln StV 1997, 642; OLG Karlsruhe StV 2001, 118, 119; OLG Koblenz StV 2002, 313, 314; Senat, Beschluß vom 21. Dezember 2005 - 5 Ws 595/05 -). Diese Voraussetzungen sind durch den Haftrichter zu prüfen, wobei dieser eine Gesamtwürdigung aller entscheidungserheblichen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen hat (vgl. Boujong in KK, StPO 5. Aufl., § 112 Rdn. 15). Hat die danach gebotene umfassende Prüfung aber zu dem Ergebnis geführt, daß Fluchtgefahr anzunehmen ist, und der für diese Entscheidung zuständige Haftrichter deshalb einen auf diesen Haftgrund gestützten Haftbefehl erlassen, so ist es folgerichtig und vom Zweck der Untersuchungshaft geboten, daß die Vollzugsbehörden im Falle der Überhaftnotierung an diese Einschätzung gebunden sind und die Vollzugsgestaltung hieran ausrichten. Die gegenteilige Rechtsauffassung hätte zur Folge, daß die Vollzugsbehörden bei abweichender Beurteilung der Fluchtgefahr durch ihre Vollzugsgestaltung - insbesondere die Gewährung von Lockerungen oder Urlaub aus der Haft - den Zweck der Untersuchungshaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens, unterlaufen könnten.

Ein eigener Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Fluchtgefahr ist dem Anstaltsleiter auch nicht etwa aufgrund überlegenen Tatsachenwissens einzuräumen. Der Anstaltsleiter verfügt zwar vielfach - insbesondere bei bereits länger andauernder Strafhaft - über Erkenntnisse zu Vollzugsverhalten und Persönlichkeit des Gefangenen. Ihm fehlen jedoch die Erkenntnisquellen des laufenden Strafverfahrens, auf die sich der Erlaß des Haftbefehls stützt, da ihm insbesondere die Strafakten nicht vorliegen und er die - für die Annahme von Fluchtgefahr häufig maßgebliche - Straferwartung nicht hinreichend zuverlässig zu beurteilen vermag (vgl. OLG Köln NStZ 1991, 605, 606).

d) Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, daß die Annahme von Fluchtgefahr im vorliegenden Fall aufgrund der Gesamtumstände keineswegs zwingend war. Insbesondere wäre die Frage, ob der Gefangene in dem seinerzeit laufenden Strafverfahren wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer fluchtanreizbietenden Freiheitsstrafe zu rechnen hatte, auch einer anderen Beurteilung durch den Haftrichter zugänglich gewesen. Denn die neue Straftat, die sich auf etwa 20 Kilogramm Haschisch mittlerer Art und Güte bezog, konnte nur zu einer relativ geringfügigen Erhöhung der bereits rechtskräftigen Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren aus dem - gesamtstrafenfähigen - Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Oktober 2004 führen, das bereits einen Fall des Handeltreibens mit 64 Kilogramm Haschisch (Tatzeit: Juli 2002) und - aus einer einbezogenen Verurteilung durch das Landgericht Kleve vom 1. April 2004 - einen weiteren Fall des Handeltreibens mit 40 Kilogramm Haschisch (Tatzeit: Juni 2002) zum Gegenstand hatte. Zudem hatte sich der Beschuldigte bereits bei Eröffnung des Tatvorwurfs im Ermittlungsverfahren geständig eingelassen. Diese Umstände des Einzelfalls ändern jedoch für das Rechtsverhältnis zwischen der Vollzugsbehörde und dem Strafgefangenen nichts daran, daß die Beurteilung der Fluchtgefahr bei dem Erlaß des Haftbefehls dem Haftrichter vorbehalten ist und sich der Anstaltsleiter aus den dargelegten Gründen nicht über dessen Einschätzung hinwegsetzen, sondern sich auf die in dem Haftbefehl getroffene Prognose hinsichtlich der Fluchtgefahr verlassen darf.

e) Bei - wie hier - im Haftbefehl festgeschriebener Fluchtgefahr aber folgt - unabhängig von den allgemein auf die Anordnung von Untersuchungshaft abstellenden Verwaltungsvorschriften zu § 10 StVollzG (Nr. 1 Abs. 1 b der VV zu § 10) - bereits unmittelbar aus § 10 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVollzG, daß die Voraussetzungen für eine Unterbringung im offenen Vollzug nicht (mehr) gegeben sind und die Ablösung aus dem offenen und Verlegung in den geschlossenen Vollzug zu erfolgen hat.

4. Die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses zur Rechtmäßigkeit der Ablösung des Gefangenen von seinem kilometerweit entfernten Arbeitsplatz sind frei von Rechtsfehlern und werfen keine Rechtsfragen auf, die der obergerichtlichen Klärung bedürften.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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