Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.11.2005
Aktenzeichen: 6 U 115/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 6 U 115/05

18.11.2005

In Sachen

Tenor:

beabsichtigt der Senat nach Beratung, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordert.

Gründe:

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen die mit der Klage geltend gemachten Leistungen aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrag über die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung - BUZ - nicht zu, weil die Beklagte den Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 22 VVG, 123 BGB angefochten hat.

Die arglistige Täuschung ergibt sich bereits auf der Grundlage des eigenen Vorbringens des Klägers. Sie besteht darin, dass der Kläger die nach der Unterzeichnung des Versicherungsantrags vom 8.5.2001 diagnostizierte periphere Arterienverschlusskrankheit - pAVK - beider Oberschenkel der Beklagten nicht mitgeteilt hat, um das antragsgemäße Zustandekommen des Versicherungsvertrags nicht zu gefährden.

Es kann deshalb offen bleiben, ob der Kläger weitere ihm bekannte Gesundheitsstörungen bei der Aufnahme des Antrags am 8.5.2001 durch den Versicherungsagenten Tnnnnn verschwiegen hat und ob er vor dem Zustandekommen des Vertrags durch Zugang des Versicherungsscheins vom 21.6.2001 die weitere Diagnose der Hyperthyreose (Schilddrüsenüberfunktion) kannte und der Beklagten noch rechtzeitig hätte mitteilen können und müssen.

1. Gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 VVG hat der Versicherungsinteressent bei der Schließung des Vertrags alle ihm bekannten Umstände dem Versicherer anzuzeigen, die für diesen zur Beurteilung des Risikos erheblich sind. Der künftige Versicherungsnehmer muss grundsätzlich von sich aus tätig werden und die gefahrerheblichen Umstände mitteilen, damit der Versicherer das Risiko einschätzen kann, das er mit dem Vertrag eingeht. Diesem Zweck entsprechend bestimmt § 16 Abs. 1 S. 2 VVG als gefahrrelevant solche Umstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben.

Dies bedeutet, dass die Anzeigepflicht derartiger Umstände nicht etwa schon mit der Unterzeichnung des Antrags erlischt. Der Antragsteller bleibt vielmehr verpflichtet, gefahrerhebliche Umstände dem Versicherer anzuzeigen, wenn er den Antrag bereits abgegeben hat und die Gesundheitsstörung danach, aber vor der Annahme des Antrags durch den Versicherer eintritt oder bekannt wird (vgl. BGHZ 111, 41, 51; VGH VersR 1980, 688; 1984, 884; 1994,799; Prölls/Martin-Prölls, VVG, 27. Auflage § 16 Rn. 15; BK-Voit § 16 Rn. 39 ff.; Römer r+s 1998, 45, 46). Da der Vertrag mit dem Zugang des Versicherungsscheins bei dem VN zustande kommt, besteht die Anzeigepflicht bis zu diesem Zeitpunkt (BGH VersR 1980 aaO). Allerdings sind nach Absendung des Antrags nur gesicherte Erkrankungen von einigem Gewicht mitzuteilen. Diese Obliegenheit besteht auch dann, wenn der Versicherungsnehmer bei Antragstellung hierüber nicht gesondert belehrt wurde. Sie ergibt sich ohne weiteres aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 16 Abs. 1 S. 1und 2 VVG, dem Versicherer eine Risikoeinschätzung auf zutreffender Grundlage zu ermöglichen. Es muss daher jedem, der einen Antrag auf Versicherung seines Berufsunfähigkeitsrisikos gestellt und dabei Fragen nach seinem Gesundheitszustand zu beantworten hatte, einleuchten, dass er den Versicherer über nicht unerhebliche Verschlechterungen seiner Gesundheit zwischen Vertragsangebot und Angebotsannahme unterrichten muss, damit sich dieser bei der Entscheidung über die Vertragsannahme ein zutreffendes Bild über dieses Risiko bilden kann und nicht von inzwischen schon überholten Voraussetzungen ausgeht.

Der Kläger hatte in der Zeit zwischen Antragstellung und Vertragsannahme zumindest gesicherte Kenntnis von der am 18.5.2001 diagnostizierten pAVK erhalten.

Unstreitig hatte sich der Kläger, der seit über fünf Jahren keinen Arzt mehr aufgesucht hatte, eine Woche nach der Beantragung der BUZ in die Behandlung des Praktischen Arztes Mnn begeben, der ihn ausweislich der Daten in der Anlage B 18 bereits an diesem Tag und in den folgenden Tagen und Wochen bis zum 5.6.2001 an verschiedene Fachärzte (HNO, Radiologie, Gefäßchirurgie, Inneres) überwies, an den Radiologen u. a. wegen des Verdachts der pAVK, der sich aufgrund der am 18.5.2001 in der Praxis des Dr. Pnnnnn durchgeführten Röntgenuntersuchung, Sonographie und Angiographie bestätigte, wie sich im Einzelnen aus dem Bericht vom 18.5.2001 (Anlage B 17) ergibt. Danach wurde neben einer Mediasklerose der Aorta abdominalis sowie der arteriellen Beckengefäßstrombahn - hier ohne Nachweis einer pAVK - ein abgangsnaher Verschluss der Arterie femoralis superficialis mit typischer Kollateralversorgung im linken Oberschenkel und eine kurzstreckige, nahezu subtotale exzentrische Stenosierung der Arterie femoralis superficialis im rechten Oberschenkel sowie periphere AVK der Unterschenkel festgestellt und empfohlen, den Befund wegen in Erwägung zu ziehender gefäßprothetischer Maßnahmen zunächst konsiliarisch in einer gefäßchirurgischen, klinischen Sprechstunde zu diskutieren.

Von diesem Befund hat der Kläger unter Zugrundelegung seines Vorbringens jedenfalls Ende Mai 2001 durch Dr. Mnn erfahren, indem ihm Dr. Mnn mitteilte, dass er an einer pAVK beider Oberschenkel leide, dazu selbst weiteres nicht sagen könne, ihn jedoch an Frau Dr. Snnn überweise, die hierauf spezialisiert sei. Diese Überweisung erfolgte ausweislich Anlage B 18 am 21.5.2001. Wie der Kläger weiter vorgetragen hat, fand das Gespräch mit Frau Dr. Snnn , in dem er nähere Einzelheiten über Folgen und Ausmaß dieser Verschlusskrankheit erfuhr, Anfang bis Mitte Juni 2001 statt. Sie habe ihm mitgeteilt, dass eventuell operiert werden müsse, dass sich aber auch Kollateralarterien bilden könnten, was dann eine Operation überflüssig machen würde.

Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse musste der Kläger mit der nicht fern liegenden Möglichkeit einer Operation rechnen; er hatte gesicherte Erkenntnisse über eine unzweifelhaft schwerwiegende Erkrankung. Wenn ihm - wie er geltend macht - erst bei seinem Krankenhausaufenthalt im Fnnnnnnnnnn im August 20002 mitgeteilt wurde, dass die Verschlüsse nicht operativ entfernt werden können, so verschlechterte dies zwar seine Prognose, daraus folgt aber nicht etwa, dass er im Mai/Juni 2001 noch keine gesicherten Erkenntnisse von einer schwerwiegenden Erkrankung gehabt hätte. Er hatte nach der damaligen Einschätzung lediglich Heilungschancen, die sich später zerschlugen mit der Folge der nun bestehenden erheblichen Gehbehinderung.

Es liegen auch die weiteren Voraussetzungen der arglistigen Täuschung vor.

Der Kläger hatte das Bewußtsein, dass die pAVK für die Willensentschließung der Beklagten von Bedeutung und deshalb offenbarungspflichtig war. Denn aufgrund der Fragen des Versicherungsagenten Tnnnnn bei der Antragstellung am 8.5.2001 nach Vorerkrankungen und der ärztlichen Konsultationen wusste er, dass es der Beklagten für die Prüfung der Übernahme des Risikos der Berufsunfähigkeit auf seinen Gesundheitszustand ankommt. Er wusste ferner aufgrund seiner Angabe, seit Juni 1995 nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein, den - nun nicht mehr zutreffenden - Eindruck erweckt zu haben, an keinen behandlungsbedürftigen Krankheiten oder Beschwerden zu leiden.

Der Kläger hatte auch das Bewußtsein und den Willen, durch das Verschweigen der nun festgestellten Erkrankung auf den Willensentschluss der Beklagten Einfluss zu nehmen. Da er erst in der Zeit zwischen dem 12. und 18.6.2001 die korrigierte erste Seite des Antrags unterzeichnete, war ihm klar, dass die Beklagte seinen Antrag nunmehr unter Zugrundelegung seiner nicht mehr zutreffenden Angaben prüfen werde. Dies wurde ihm durch die Vorlage des korrigierten Antrags deutlich vor Augen geführt. Wenn er nun lediglich seine Unterschrift leistete und die Entscheidung der Beklagten abwartete, tat er dies in dem Willen, dass die Entscheidung auf falscher Grundlage getroffen wird.

Der Kläger hatte durch die Vorlage nur der ersten Seite des Antrags, der keine Gesundheitsfragen enthält, keinen Anlass anzunehmen, die Beklagte wünsche keine Unterrichtung über wesentliche Veränderungen seines Gesundheitszustandes. Dies folgt schon daraus, dass ihm der Grund für die Korrektur bekannt war. Es ging dabei nur darum, dass neben der Lebensversicherung nicht gleichzeitig eine Berufsunfähigkeitsversicherung und eine Berufunfähigkeitszusatzversicherung beantragt werden konnte.

Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass eine Unterrichtung der Beklagten ohnehin nicht mehr rechtzeitig bei der Beklagten eingegangen wäre. Denn die Mitteilung seiner ihm spätestens seit Mitte Juni 2001 bekannten Erkrankung wäre bis zum Zugang des Versicherungsscheins vom 21.6.2001 bei ihm - dies kann frühestens der 22.6.2001 gewesen sein - möglich gewesen, und zwar sowohl schriftlich als auch in mündlicher bzw. telefonischer Form gegenüber dem Versicherungsagenten, dem er bei der Aufnahme des Antrags auch nur mündliche Angaben gemacht hatte.

Die Anfechtungsfrist des § 124 BGB von einem Jahr seit Kenntnis der die Anfechtung begründenden Umstände ist gewahrt. Hierfür kommt es nicht darauf an, wann die Beklagte Kenntnis von der pAVK und den weiteren nach der Behauptung des Klägers bei der Antragstellung nicht mitgeteilten, da erst später aufgetretenen bzw. festgestellten Erkrankungen (Hyperthyreose, Diabetes Mellitus, Hypertonie) erhielt, sondern darauf, seit wann die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger ihm bekannte Diagnosen vor Vertragsschluss nicht mitteilte. Dass sich hierzu Angaben in dem Abhilfebescheid des Versorgungsamtes vom 17.12.2002 befinden könnten, hat er nicht dargetan, zumal er entgegen der Auflage des Landgerichts, den Bescheid in Kopie einzureichen, mit Schriftsatz vom27.6.2005 nur die erste Seite eingereicht hat. Soweit sich aus dem weiteren Inhalt des Bescheids ergeben sollte, dass der Kläger bereits vor dem 8.5.2001 an Schwerhörigkeit und allergischem Asthma litt, kommt es darauf nicht an, da der Kläger behauptet, diese Gesundheitsstörungen dem Versicherungsagenten mitgeteilt und angegeben zu haben, dass das allergische Asthma bis 1994, also seit mehr als fünf Jahren nicht mehr, behandelt worden sei. Im Übrigen würde dies nur eine Anfechtung wegen dieser verschwiegenen Gesundheitsstörungen ausschließen.

Aus dem erkennbar automatisierten Schreiben der Beklagten zur Dynamisierung kann der Kläger angesichts der Fortführung des Rechtsstreits durch die Beklagte keinen Bestätigungswillen der Beklagten (§ 144 BGB) herleiten. Nach allem ist der Vertrag vielmehr gemäß § 142 nichtig.

Der Kläger erhält Gelegenheit, binnen dreier Wochen zu dem vorstehenden Hinweis Stellung zu nehmen und die Aufrechterhaltung der Berufung zu überprüfen.

Ende der Entscheidung

Zurück