Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: 6 U 268/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 181
ZPO § 182
ZPO § 339 Abs. 1 S. 2
ZPO § 418 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 700 Abs. 1
Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde erstreckt sich nicht darauf, dass unter der Zustellungsanschrift eine Wohnung des Empfängers besteht.

Die Zustellungsurkunde hat insoweit nur die Bedeutung eines beweiskräftigen Indizes, dass erschüttert werden kann.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 6 U 268/03

verkündet am: 15. Juni 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2004 durch die Richterin am Kammergericht Düe als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 10 des Landgerichts Berlin vom 24. September 2003 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Berufung vorbehalten bleibt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer wird für jede Partei auf 13.008,83 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist insoweit begründet, als das Landgericht den Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Hagen vom 18. August 1998 (Az.: 98 -2261 309 - 2 - 5 - 1) zu Unrecht als verspätet verworfen hat.

Der Einspruch des Beklagten vom 16. April 2003 ist nicht verspätet. Die Einspruchsfrist, die zwei Wochen beträgt (§§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO), ist noch nicht in Gang gesetzt worden. Nach §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 S. 2 ZPO beginnt der Lauf der Einspruchsfrist erst mit der Zustellung des Vollstreckungsbescheids, woran es fehlt.

Eine wirksame Zustellung ist insbesondere nicht am 20. August 1998 durch Niederlegung nach §§ 181, 182 ZPO bewirkt worden. Maßgeblich für die Beurteilung sind die §§ 181, 182 ZPO in der zum Niederlegungszeitpunkt geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.).

Die Voraussetzungen der §§ 181, 182 ZPO a.F. liegen nicht vor, weil es an einem vorherigen Zustellungsversuch in der Wohnung des Beklagten fehlt - ein Zustellungsversuch in Geschäftsräumen des Beklagten genügt für eine Zustellung durch Niederlegung dagegen nicht (Zöller/Stöber, ZPO, 21. Aufl., § 182 Rn. 1 m. w. N.).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist im vorliegenden Fall nicht feststellbar, dass es sich bei der Anschrift Tnnnnn n 220, 1nn Bnnn , um eine Wohnung des Beklagten gehandelt hat, oder dass er den Anschein erweckt hat, dort eine Wohnung zu unterhalten. Allein auf die Tatsache, dass der Zusteller auf der Zustellungsurkunde vermerkt hat, unter dieser Anschrift einen vergeblichen Zustellungsversuch "in der Wohnung" des Zustellungsadressaten unternommen zu haben, lässt sich dies nicht stützen. Die Beweiskraft der Zustellungsurkunde (§ 418 ZPO) erstreckt sich nicht darauf, dass unter der angegebenen Zustellungsanschrift eine Wohnung des Adressaten existiert (BGH NJW 1992, 1239; BGH Rep. 2001, 481). Dem Kläger, der für den Beginn der Einspruchsfrist und damit auch für die Voraussetzungen des §§ 181, 182 ZPO a. F. einschließlich des Merkmals "Wohnung" beweispflichtig ist (vgl. BGH NJW 1992, 1239 m. w. N.), steht mit der Zustellungsurkunde lediglich ein beweiskräftiges Indiz dafür zur Seite, dass der Zustellungsadressat unter der angegebenen Anschrift auch tatsächlich wohnt (BGH NJW 1992, 1239; Rep. 2001, 481). Nach der Rechtsprechung kann dieses Indiz "dadurch entkräftet werden, dass objektive Umstände oder der Vortrag des Zustellungsempfängers hinreichende Zweifel an der Annahme begründen, die Zustellungsadresse sei seine Wohnung" (BGH Rep. 2001, 481; NJW 1992, 1239). Eines echten Gegenbeweises i. S. v. § 418 Abs. 2 ZPO bedarf es dagegen nicht.

Im vorliegenden Fall ist es dem Beklagten gelungen sowohl durch seinen Vortrag wie auch die von ihm eingereichten schriftlichen Unterlagen die Indizwirkung, die von der Zustellungsurkunde ausgeht, zu erschüttern. Der Beklagte hat schon erstinstanzlich vorgetragen, unter der Anschrift Tnnnn 220 in Bnnn zu keinem Zeitpunkt gewohnt zu haben, dort vielmehr lediglich für wenige Monate als Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft gemeinsam mit seiner ehemaligen Mitgesellschafterin - von Dezember 1996 bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft im April 1997 - einen Geschäftssitz unterhalten zu haben. Schon damit hat der Beklagte substantiiert dargetan, dass er unter der Zustellungsanschrift keine Wohnung unterhalten hat. Soweit die Rechtsprechung teilweise eine schlüssige und plausible Darstellung verlangt, dass die ursprünglich unter der Zustellanschrift unterhaltene Wohnung aufgegeben und an einem anderen Ort ein Lebensmittelpunkt begründet worden ist (BGH Rep. 2001, 481 m.w.N. aus der Rechtsprechung), kann dieses Erfordernis auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Von einer Partei, die sich wie der Beklagte darauf beruft, niemals unter der Zustellanschrift gewohnt zu haben, kann kein substantiierter Vortrag zur Aufgabe der alten und Einrichtung einer neuen Wohnung verlangt werden. Abgesehen davon, dass schon schlüssiger Vortrag reicht, die Indizwirkung der Zustellungsurkunde zu erschüttern, hat der Beklagte sein Vorbringen außerdem durch schriftliche Unterlagen untermauert. Er hat schon erstinstanzlich die Gewerbeanmeldung, die Gewerbeabmeldung wie auch die Kündigung der BGB-Gesellschaft vorgelegt, in denen die Anschrift Tnnnn 220 stets als Geschäftssitz bezeichnet wird, während als Wohnanschrift, soweit diese in den Schriftstücken enthalten ist, stets die Snnnnnn Ann 70E in Bnnn genannt ist (Bl. 24 ff. d. A.). Dieses wiederum steht in Einklang mit der Auskunft des Landeseinwohneramtes vom 26. August 2003 (Bl. 43 ff. d. A.), wonach der Beklagte zu keinem Zeitpunkt, und zwar weder mit dem Haupt- noch mit dem Nebenwohnsitz, in der Tnnnn 220 gemeldet gewesen ist. Bei diesem Sach- und Streitstand kommt es auf den Mietvertrag über die Räumlichkeiten in der Tnnnnn 220, den der Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz eingereicht hat, nicht mehr an. Allerdings stützt dieser Vertrag, der als "Geschäftsraum-Mietvertrag" überschrieben ist und für beide Gesellschafter von der Geschäftsadresse abweichende Privatanschriften enthält, ebenfalls die Darstellung des Beklagten.

Da es dem Beklagten gelungen ist, die von der Zustellungsurkunde ausgehende Indizwirkung für eine Wohnung in der Tnnnn 220 zu erschüttern, und der Kläger keine anderen Beweismittel als die Zustellungsurkunden aus dem Mahnverfahren für eine dort vom Beklagten inne gehaltene Wohnung angeboten hat, ist bei der Entscheidung über den Einspruch zu Lasten des beweispflichtigen Klägers davon auszugehen, dass der Beklagte unter der Zustellanschrift in der Tnnnn nicht gewohnt hat.

II. Die Klage kann gleichwohl nicht auf Antrag des Beklagten abgewiesen werden. Eine Entscheidung durch das Berufungsgericht ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll möglich, da der Kläger aufgrund der Entscheidung des Landgerichts keinen Anlass und keine ausreichende Gelegenheit hatte, zu den materiellen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs vorzutragen. Auf den Hilfsantrag des Beklagten ist die Sache nach § 538 Abs. 1 Nr. 1 ZPO deshalb an das erstinstanzliche Gericht zurückzuverweisen, damit in erster Instanz zur Sache verhandelt werden kann.

III. Die Nebenentscheidung beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück