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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 6 U 78/05
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 61
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 6 U 78/05

verkündet am : 21. Februar 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2006 durch die Richterin am Kammergericht Düe als Einzelrichterin für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin vom 14. April 2005 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert der Beschwer wird auf 15.259,57 EUR festgesetzt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen.

Das Landgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme mit Recht einen Rotlichtverstoß des Klägers als erwiesen angesehen. Dieses Ergebnis steht in der Berufungsinstanz schon aufgrund der eigenen Angaben des Klägers und der - jedenfalls in der zweiten Instanz- unstreitigen Ampelschaltung zum Unfallzeitpunkt an der Unfallkreuzung fest. Danach ist der Kläger, der die Kreuzung geradeaus überqueren wollte, 12 Sekunden bevor die für den Geradeausverkehr geltenden Lichtzeichen auf Grün schalteten, losgefahren. Der Kläger hat, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht persönlich angehört, erklärt: "Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, dass der nach rechts zeigende grüne Pfeil vor der Kreuzung aufgeleuchtet hatte. Ich habe das als grüne Ampel gesehen und bin angefahren, um die Kreuzung geradeaus zu überqueren. Die rechts neben mir stehenden Fahrzeuge sind auch angefahren." Zugleich trägt er im Berufungsrechtszug in Übereinstimmung mit dem Ampelschaltplan und dem Vortrag der Beklagten vor, dass die für ihn relevanten Lichtzeichen für den Geradeausverkehr in den Sekunden 33-50 grünes Licht zeigten und der Grünpfeil für Rechtsabbieger in den Sekunden 21-27 aufleuchtete. Damit steht fest, dass der Kläger, der mit Aufleuchten des Grünpfeils losfuhr, für seine Fahrtrichtung noch 12 Sekunden Rotlicht zu beachten gehabt hätte, ohne dass es einer Wiederholung oder Ergänzung der Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz bedarf.

Das Landgericht hat auch zutreffend angenommen, dass der Kläger den Versicherungsfall durch seinen Rotlichtverstoß grob fahrlässig im Sinn von § 61 VVG herbeigeführt hat. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH VersR 2003, 364 = NJW 2003, 1118 m.w.N.). Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) ist das Nichtbeachten des roten Ampellichts wegen der damit verbundenen Gefahren vielfach als objektiv grob fahrlässig anzusehen. So auch hier. Die Beurteilung, ob die Fahrlässigkeit im Einzelfall als einfach oder grob zu werten ist, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. Sie erfordert eine Abwägung aller objektiven und subjektiven Tatumstände und entzieht sich weitgehend festen Regeln. Entgegen der Auffassung des Klägers gibt es auch keine Regel, dass ein Rotlichtverstoß bereits deshalb als nur einfach fahrlässig bewertet werden muss, weil der Verkehrsteilnehmer zunächst bei rotem Ampellicht angehalten hatte und dann aufgrund der vorangegangenen Kommunikation mit einem anderen Verkehrsteilnehmer unaufmerksam war und zu früh losgefahren ist.

Angesichts der übersichtlichen Straßenverhältnisse - der Kreuzungsbereich ist dort, wo der Kläger gefahren ist, vierspurig - und der großzügig mit Ampeln ausgestatteten Lichtzeichenanlage hat der Kläger es in ungewöhnlichem Ausmaß an der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen. Er hat nicht nur ein Ampellicht für einen kurzen Augenblick übersehen, sondern während eines mehrere Sekunden andauernden Zeitraums eine ganze Reihe, direkt in seinem Blickfeld angeordneter, rotes Signallicht abstrahlende Ampeln übersehen, was selbst bei einer vorangegangenen kurzen Ablenkung nicht als ein nur leichtes Fehlverhalten bewertet werden kann. Der Auffassung des Klägers, dass diese Erwägungen neu und in der Berufungsinstanz unzulässig seien, kann nicht gefolgt werden. Die entsprechenden Fakten sind zum einen nicht neu und zum anderen unstreitig. Sie sind der Bewertung des Schuldvorwurfs, den das Berufungsgericht eigenständig vorzunehmen hat, ohne weiteres zugrunde zu legen. Die Feststellung, dass der Kläger eine längere, einige Sekunden umfassende Zeitspanne nicht auf die Ampeln geachtet hat, lässt sich aus seinem eigenen Vortrag folgern. Denn er hatte nach eigenem Vortrag im Kreuzungsbereich an der Unfallstelle nicht einmal eine Geschwindigkeit von 35 km/h erreicht, nachdem er aus einer Position von drei Wagenlängen vor der Haltelinie aus dem Stand heraus angefahren war. Anzahl und Anordnung der Ampeln ergeben sich entgegen der Ansicht des Klägers sehr wohl aus den erstinstanzlich beigezogenen Unterlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gewesen sind. Sie sind der Verkehrsunfallskizze der Polizei (Hülle Bl. 4 d.BA.) zu entnehmen, die in der mündlichen Verhandlung am 24. März 2005 eingesehen worden ist und Grundlage der persönlichen Äußerung des Klägers gewesen ist (Bl. 79 d.A.).

Dem Kläger ist danach nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv der Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu machen. Der Kläger hat zu seiner Entlastung nichts Überzeugendes vorgetragen. Diese Pflicht trifft ihn, obwohl der Versicherer auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs nach § 61 VVG darlegungs- und beweisbelastet ist. Denn nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen trägt die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise die Darlegungslast, wenn z.B. der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr ergänzende Angaben zumutbar sind (BGH, a.a.O.). Dem Vortrag des Klägers sind aber, abgesehen von der als Entschuldigungsgrund allein nicht genügenden kurzen Ablenkung durch seine vorangegangene Kontaktaufnahme zu einem Taxikollegen (s.o.), keine Anhaltspunkte für in seiner Person liegende Umstände zu entnehmen, die sein objektiv grobes Fehlverhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten. Darauf, dass der Kläger als Taxifahrer ein gegenüber dem durchschnittlichen Kraftfahrer erfahrenerer Verkehrsteilnehmer ist, dem -auch nach einer Ablenkung - ein größeres Maß an Aufmerksamkeit und Umsicht abverlangt werden kann, kommt es angesichts des unzureichenden Vortrags des Klägers zu subjektiven Entlastungsgründen nicht einmal an.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und § 97 Abs. 1 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.). Zur Beurteilung des Schuldvorwurfs bei Rotlichtverstößen, insbesondere im Hinblick auf § 61 VVG, gibt es eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die in den vorstehenden Entscheidungsgründen angewendet worden ist.

Ende der Entscheidung

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