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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 05.05.2006
Aktenzeichen: 7 U 145/05
Rechtsgebiete: InsO, GmbHG


Vorschriften:

InsO § 129 Abs. 1
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 133 Abs. 1 S. 2
InsO § 135 Nr. 2
GmbHG § 30
GmbHG § 31
GmbHG § 32a
GmbHG § 32b
Löst ein Alleingesellschafter sämtliche Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin zu einem bestimmten Stichtag ab und veräußert die Geschäftsanteile an einen Dritten, kann die Übertragung der Geschäftsanteile und des Betriebsvermögens keine Gläubiger benachteiligen, denn es gibt zu diesem Zeitpunkt keine Gläubiger der Insolvenzschuldnerin mehr. Insoweit ist ein solches Vorgehen mit der (zulässigen) Liquidation der Gesellschaft vergleichbar. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Nachfolgendes Aktenzeichen des BGH: II ZR 145/06
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 145/05

verkündet am : 05.05.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 05. Mai 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Renner und Steinecke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das 25. Mai 2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 4 der Landgerichts Berlin - 4 O 487/04 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Zivilkammer 4 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das dem Kläger am 9. Juni 2005 und dem Beklagten am 13. Juni 2005 zugestellt worden ist. Der Beklagte hat gegen dieses Urteil am 5. Juli 2005 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 14. September 2005 begründet. Der Kläger hat gegen das Urteil am 6. Juli 2005 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 5. September 2005 begründet.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und verweist auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Mit seiner Berufung verfolgt er den Anspruch soweit ihm das Landgericht nicht stattgegeben hat weiter.

Der Beklagte verfolgt die Klageabweisung weiter. Er hält die Anfechtung weiterhin für unbegründet.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird ansonsten auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und wegen der in der Berufungsinstanz gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 5. Mai 2005 Bezug genommen und im Übrigen auf die folgenden Entscheidungsgründe verwiesen. II.

A. Berufung des Beklagten:

1. Anspruch der Klägerin aus § 135 Nr. 2 InsO:

Die zulässige Berufung des Beklagten hat schon deshalb Erfolg, weil eine insolvenzrechtliche Haftung des Beklagten aus § 135 Nr. 2 InsO aus grundsätzlichen Erwägungen ausscheidet.

Jede insolvenzrechtliche Anfechtung und damit jeder auf eine solche Anfechtung gestützte Anspruch setzt nach § 129 Abs. 1 InsO voraus, dass die angefochtene Rechtshandlung die Gläubiger der Insolvenzschuldnerin benachteiligt. Löst ein Alleingesellschafter aber - wie hier unstreitig - sämtliche Verbindlichkeiten der Gemeinschuldnerin zu einem bestimmten Stichtag - 31. Oktober 2001 - ab und veräußert die Geschäftsanteile an einen Dritten, kann die Übertragung der Geschäftsanteile und des Betriebsvermögens keine Gläubiger benachteiligen, denn es gibt zu diesem Zeitpunkt keine Gläubiger der Insolvenzschuldnerin mehr. Insoweit ist ein solches Vorgehen mit der (zulässigen) Liquidation der Gesellschaft vergleichbar.

2. Anspruch aus § 133 Abs. 1 InsO:

Auch auf diesen Anspruch kann der Kläger seine Forderung nicht stützen; denn dieser Anspruch greift ebenfalls nur nach Maßgabe des § 129 Abs. 1 InsO durch und setzt daher eine (mittelbare) Gläubigerbenachteiligung voraus. Dabei kommt es anders als bei den übrigen Anfechtungstatbeständen auf die subjektive Seite an; die Insolvenzschuldnerin muss den Vorsatz haben, andere Gläubiger zu benachteiligen. Dieser Vorsatz wird grundsätzlich bei einer inkongruenten Deckung indiziert. Die Abtretung der Forderungen der Insolvenzschuldnerin zum Zwecke der Verrechnung/Aufrechnung mit Verbindlichkeiten der Beklagten stellt sich als inkongruent dar. Gleichwohl kann hier ausnahmsweise ein Benachteiligungsvorsatz auch dann nicht festgestellt werden, wenn man mit der von Wimmer/Dauernheim, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 133 Rdnr. 10 vertretenen Auffassung auf die Benachteiligung zukünftiger Gläubiger abstellen wollte. Ein auf Gläubigerbenachteiligung gerichteter Vorsatz setzt stets voraus, dass die Gläubigerbenachteiligung aufgrund der angefochtenen Rechtshandlung objektiv möglich wäre. Grundsätzlich reicht zwar für eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO die mittelbare Gläubigerbenachteiligung aus. Danach genügt es, wenn zu der Rechtshandlung ein Umstand hinzutritt, der die Gläubigerbenachteiligung erst auslöst, wobei der Umstand nicht auf der anfechtbaren Rechtshandlung beruhen muss. Es genügt jede Bedingung im natürlichen Sinne. Dabei ist auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen. (vgl. BGH ZIP 2000, 238, 241).

Hier sind zwar die zukünftigen Gläubiger, deren Forderungen nach der Übertragung der Gesellschaftsanteile entstanden sind, durch die Abtretung der Forderungen objektiv benachteiligt worden. Diese Benachteiligung ist aber schon bei einem ernsthaften Sanierungsversuch der Insolvenzschuldnerin unerheblich (vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl., § 133 Rdnr. 21). Hier ist die Gesellschaft sogar zunächst erfolgreich saniert worden, denn im Ergebnis hat die Beklagte der Schuldnerin im Rahmen der Sanierung mehr Mittel zugeführt, als sie ihr durch die erfolgte Forderungsabtretung entzogen hat.

Unstreitig hat die Beklagte Verbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von mindestens 835.768,85 DM (= 427.321,83 Euro) im Rahmen der Sanierung unmittelbar übernommen und inzwischen beglichen. Zugleich hat sie zusätzlich die zu diesem Zeitpunkt noch nicht fälligen Forderungen der Mitarbeiter auf Weihnachtsgeld in Höhe von 289.182,07 Euro und Urlaubsgeld in Höhe von 280.354,18 Euro übernommen. Diese Forderungen waren in der Zeit vor der Sanierung bereits dem Grund nach entstanden, wären aber im Falle der Liquidation der Gesellschaft aus tarifvertraglichen Gründen (Ausscheiden der Arbeitnehmer vor dem bestimmten Stichtag) wieder untergegangen. Die Beklagte hat der Schuldnerin damit aber insgesamt Mittel in Höhe von 996.858,08 Euro zugeführt, aus der Abtretung bisher aber nur 622.726,92 Euro realisiert. Vor diesem Hintergrund kann von einer objektiven Benachteiligung künftiger Gläubiger nach Auffassung des Senates keine Rede sein.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass die Insolvenzschuldnerin schon bei der Abtretung einen auf Benachteiligung des Gläubiger gerichteten Vorsatz hatte. Sie konnte nicht wissen, wie es mit der Gesellschaft weitergeht, nachdem die Beklagte sämtliche Forderungen der Insolvenzschuldnerin beglichen und selbst noch für zukünftige Gehaltsforderungen der Mitarbeiter (Weihnachtsgeld) einstehen wollte. Wäre die Insolvenzschuldnerin von der Beklagten liquidiert worden, hätte es keine zukünftigen Gläubiger gegeben. Die Schuldnerin konnte daher auch von einer positiven Fortsetzungsprognose ausgehen, die eine Benachteiligung zukünftiger Gläubiger ausschließt. Gegenteilige Tatsachen hat der Kläger nicht schlüssig vorgetragen.

Hinzu kommt, dass die Beklagte keine Kenntnis von einem eventuellen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin hatte. Die Vermutung des § 133 Abs. 1 S. 2 InsO greift nicht ein. Nachdem die Beklagte sämtliche Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin übernommen bzw. getilgt hatte, drohte keine Zahlungsunfähigkeit mehr; denn es gab keine Forderungen von Gläubigern, die nicht hätten befriedigt werden können. Die Beklagte wusste auch nicht, dass die Handlung (Forderungsabtretung) die Gläubiger benachteiligt. Aktuelle Gläubiger gab es nicht mehr. Zukünftige Gläubiger konnten aus der Sicht der Beklagten nicht benachteiligt werden, weil die Beklagte alle Voraussetzungen für eine zulässige Liquidation der Gesellschaft geschaffen hatte. Die Beklagte wusste auch nicht, dass die Schuldnerin aufgrund der Veräußerung der Gesellschaftsanteile endgültig in den Ruin getrieben wird. Allein der Umstand, dass der Ruf des Erwerbers nicht der Beste war, genügt nicht für die positive Kenntnis der Misswirtschaft nach der Übertragung der Geschäftsanteile.

Hinzukommt, dass dieser Umstand der Beklagten nicht mehr zugerechnet werden kann, weil sie mit einer zulässigen Liquidation insbesondere auch zu einer Entlassung der Mitarbeiter und den Verlust der Arbeitsplätze beigetragen hätte.

3. Anspruch aus §§ 30, 31 GmbHG:

Der Kläger kann die Klageforderung nicht aus diesen Bestimmungen herleiten, nach denen das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. Das ist hier aber nicht der Fall.

Das Stammkapital der Insolvenzschuldnerin beträgt 50.000,00 €. Dieser Betrag ist von der Erwerberin unstreitig übernommen worden. Das Stammkapital ist damit durch die Veräußerung der Gesellschaftsanteile erhalten geblieben. Wie der Kläger dazu kommt, seine Forderung in Millionenhöhe auf diese Grundlage zu stützen, erschließt sich dem Senat nicht. Er konnte dies auch in der mündlichen Verhandlung nicht erläutern.

4. Anspruch aus §§ 32a, 32b GmbHG:

Die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch nach diesen Vorschriften hat der Kläger ebenfalls nicht schlüssig dargelegt.

Die Gesellschaft darf zwar eigenkapitalersetzende Darlehen in der Krise nicht an die Gesellschafter zurückzahlen. Geschieht dies im Jahr vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung besteht nach § 32b GmbHG ein Anspruch des Insolvenzverwalters. Dieser Anspruch richtet sich grundsätzlich auch gegen den ausgeschiedenen Gesellschafter für Darlehen, die er in seiner Eigenschaft als Gesellschafter gewährt hat (BGHZ 127, 1, 6). Dem Gesellschafter ist dabei der Nachweis abgeschnitten, dass im Zeitpunkt der Rückzahlung eine Krise nicht mehr bestanden hat (BGH, Urt. v. 30. 1. 2006 - II ZR 357/03 -).

§§ 32a, 32b GmbHG sind hier aber nicht einschlägig. Sie dienen nach ihrem Sinn und Zweck dem Schutz der Gläubiger der Gesellschaft (vgl. BGHZ 90, 370, 380). Bei Rückgewähr der Verbindlichkeiten durch die Abtretungsvereinbarung gab es keine schützenswerten Gläubiger, weil die Beklagte zugleich sämtliche Verbindlichkeiten der Schuldnerin übernommen bzw. getilgt hatte. Auch hier gilt der Grundsatz, dass eine an sich zulässige Liquidation, die ohne Insolvenzantrag durchgeführt werden kann, keine Ansprüche gegen den früheren Gesellschafter begründet, wenn sich der Alleingesellschafter statt dessen für eine Übertragung der Gesellschaftsanteile bei gleichzeitiger Übernahme sämtlicher Altverbindlichkeiten entscheidet und die Umstände für die spätere Insolvenz erst nach der Übertragung der Geschäftsanteile entstanden sind. Ursachen für die Insolvenz waren u.a. die Reduzierung der monatlichen Umsätze, die hohen Geschäftsführer- und Beraterforderungen und insbesondere der Streik der Angestellten. Die Umstände sind der Beklagten noch nicht einmal zurechenbar.

B. Berufung des Klägers:

Aus den dargelegten Grundsätzen folgt auch ohne weiteres die Unbegründetheit des Rechtsmittels des Klägers, denn die Klage ist insgesamt abzuweisen.

Demnach waren das angefochtene Urteil auf die Berufung des Beklagten teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO) und die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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