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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 18.05.2004
Aktenzeichen: 7 U 186/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
§ 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO setzt voraus, dass eine Aufrechnungslage besteht, die der Gläubiger durch eine anfechtbare Rechtshandlung geschaffen hat. Die Vorschrift greift dann nicht ein, wenn die Aufrechnung selbst die anfechtbare Rechtshandlung ist.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 186/03

verkündet am: 18.05.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Sellin und Renner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung und die Anschlussberufung gegen das am 8. Mai 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin - 21 O 36/03 - werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

A.

Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das dem Kläger am 30. Mai 2003 zugestellt worden ist. Der Kläger hat dagegen am 27. Juni 2003 Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Der Beklagten ist die Berufungsbegründung am 8. Juli 2003 zugestellt worden. Sie hat am 8. August 2003 Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger rügt eine fehlerhafte Rechtsanwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO durch das Landgericht und macht geltend, die Verrechnung im Kontokorrent sei anfechtungsrechtlich wie die Aufrechnung zu behandeln.

Die Beklagte trägt vor: Die Verrechnung werde nicht von dieser Bestimmung erfasst. Daher könne keine Unwirksamkeit kraft Gesetzes eintrete, wenn die Verrechnung anfechtbar sei. Die Verrechnungslage sei zudem nicht in anfechtbarer Weise hergestellt worden. Soweit sie verurteilt worden sei, habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass das Guthaben in Höhe von 7.083,64 DM am 30. September 1999 wieder in das Kontokorrent eingestellt worden sei, weil die Insolvenzschuldnerin die Auszahlung nicht geltend gemacht habe. Damit habe es seine Selbständigkeit verloren und sei als unselbständiger Rechnungsposten weitergeführt worden. Im Oktober 1999 habe sie daher noch eine Gutschrift in Höhe von 133,38 DM und Lastschriften in Höhe von insgesamt 32.185,44 DM zugelassen.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und hinsichtlich der gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 14. Mai 2004 Bezug genommen.

B.

Die form- und fristgerecht eingelegten Rechtsmittel der Parteien sind unbegründet.

I.

Die Berufung hat keinen Erfolg, weil das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt, einen Anspruch des Klägers auf Auskehrung des Guthabens aus den Zahlungseingängen zwischen dem 27. August 1999 und dem Eingang des Insolvenzantrags vom 27. September 1999 verneint hat.

1. Selbst wenn die zum 30. September 1999 festgestellten Gutschriften nach Abzug der Lastschriften der Anfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegen, kann der Kläger die Auskehrung nur nach § 143 Abs. 1 InsO verlangen. Dieser Anspruch ist jedoch gemäß § 146 Abs. 1 InsO verjährt.

2. Ein Anspruch auf Auskehrung der Gutschriften aus dem Kontokorrentvertrag gemäß §§ 667, 675 BGB besteht nicht, weil es sich bei den Gutschriften nur um Rechnungsposten handelt, die mit dem Rechnungsabschluss am 30. September 1999 gemäß § 355 Abs. 1 HGB getilgt worden sind und damit zugleich ihre Selbständigkeit verloren haben (BGH NJW 2002, 1722, 1723).

a) Die Verrechnung ist entgegen der Ansicht des Klägers auch dann nicht nach § 96 Abs. 1 Nr.3 InsO unwirksam, wenn man diese Norm entsprechend auf die Verrechnung anwendet. Die Vorschrift betrifft nur die "Möglichkeit der Aufrechnung" und setzt daher voraus, dass eine Aufrechnungslage besteht, die der Gläubiger durch anfechtbare Rechtshandlungen geschaffen hat. Die schon vor Eintritt der Krise vertraglich vereinbarte Verrechnungsabrede wird ebenso wie die krisenfest vereinbarte Aufrechnung hiervon nicht erfasst (vgl. § 94 InsO). Stellt die Bank einzelne Gutschriften daher in das Kontokorrent ein, entspricht sie der anfechtungsrechtlich unbedenklichen Kreditvereinbarung mit der Insolvenzschuldnerin. Die anfechtbare Verrechnung erfolgt erst mit der Feststellung des Saldos (BGH NJW 2002, a.a.O.). Damit verliert die Verrechnung aber nicht ihre Wirksamkeit, weil die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht vorliegen; denn die Verrechnung ist nicht Folge einer anfechtbaren Rechtshandlung, sondern stellt selbst die anfechtbare Rechtshandlung dar. Erst die innerhalb der zweijährigen Verjährungsfrist zu erhebende Anfechtungsklage kann nach alledem die Rückforderung einzelner Gutschriften aus dem Kontokorrent nach § 143 Abs. 1 InsO auslösen.

b) Der Ansicht des Klägers, die Beklagte habe sich die Möglichkeit der Verrechnung in anfechtbarer Weise durch die Entgegennahme der Zahlungen geschaffen, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Es handelt sich bei den Einzahlungen auf das Konto der Insolvenzschuldnerin nicht um eine Rechtshandlung der beklagten Bank. Anfechtbare Rechtshandlung wäre nur die Zahlung als solche (BGHZ 74, 129). Die Gutschriftbuchung stellt regelmäßig ein kontokorrentgebundenes Schuldversprechen der Bank gegenüber dem Kunden dar (BGH NJW 2002, a.a.O.). Diese Rechtshandlung entspricht der Kontokorrentabrede, ist daher kongruent und begünstigt den Kunden. Eine gläubigerbenachteiligende Wirkung ist mit der Gutschrift nicht verbunden. Demnach stellt sie auch keine anfechtbare Rechtshandlung dar. Erst die - inkongruente - Verrechnung selbst kann angefochten werden.

Auf diese Rechtshandlung kann hier entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Gläubigerbenachteiligung abgestellt werden, weil § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Anfechtbarkeit der Rechtshandlung verlangt, die die Möglichkeit der Aufrechnung bzw. Verrechnung schafft. Später hinzutretende Umstände, wie die Verrechnung selbst , können daher nicht berücksichtigt werden, wenn sie - wie hier - erstmals die Anfechtbarkeit begründen.

II.

Die Anschlussberufung der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg; denn das Landgericht hat mit im Wesentlichen zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat nach abschließender Beratung anschließt, festgestellt, dass die Beklagte mit der Saldierung zum 30. September 1999 gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Möglichkeit der Verrechnung in anfechtbarer Weise geschaffen hat.

Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Beklagte keinen Anspruch auf Rückführung des Kredits hatte, bevor das Kontokorrentverhältnis beendet worden ist und sich mit der Saldierung zum 30. September 1999 eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO verschafft hat, die anfechtbar ist (vgl. BGHZ 147,233, 240). Ob die Insolvenzschuldnerin den Abschlusssaldo nach der Kündigung nicht anerkannt hat, kann dahinstehen. Anhaltspunkte dafür sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr erhebt der Kläger gegen die Abrechnung der Beklagten gerade keine Einwände, sondern stützt sich nur darauf, dass einzelne Gutschriften wegen der Anfechtbarkeit ihre Selbständigkeit nicht verloren haben. Die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung der Gut- und Lastschriftbuchungen hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Es genügt aber schon, dass die Beklagte die Möglichkeit der Verrechnung nach Beendigung des Kontokorrents durch eine anfechtbare Rechtshandlung im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erlangt hat. Damit hat der Saldo vom 30. September 1999 seine Eigenständigkeit nicht verloren, weil die Beklagte durch die vorerwähnte Bestimmung gehindert war, den Saldo vom Vormonat mit dem abschließenden Saldo zu verrechnen.

III.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Soweit die Klage abgewiesen worden ist, handelt es sich um einen Einzelfall, der nur darauf beruht, dass der Kläger nicht innerhalb der Verjährungsfrist Anfechtungsklage erhoben hat; denn eine auf § 143 InsO gestützte Klage hätte, soweit ersichtlich, in vollem Umfang Erfolg gehabt.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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