Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.04.2004
Aktenzeichen: 7 U 273/03
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB, AGBG, VOB/B


Vorschriften:

EGBGB Art. 229 § 5
BGB § 401
BGB § 812 Abs. 1 S. 1
AGBG § 1
AGBG § 1 Abs. 2
AGBG § 6 Abs. 2
AGBG § 9
VOB/B § 17
VOB/B § 17 Nr. 6 Abs. 4
Die öffentliche Hand ist nicht berechtigt, durch allgemeine Geschäftsbedingungen in einem Bauvertrag die Sicherheitsleistung auf eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu beschränken, wenn sie sich durch ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen am Wohnungsbau beteiligt.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 273/03

verkündet am: 23.04.2004

In der Bausache

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts, Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 23.04.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Seilin und Renner

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin, wird das am 3. Juli 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin - 21 O 4/03 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, die Gewährleistungsbürgschaft Nr. ... über 987.000,00 DM an die Z K - und K -AG, Z A, 60262 Frankfurt/Main herauszugeben.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 83.500,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

A.

Wegen der Einzelheiten des Vertrags der Parteien in der ersten Instanz, der dort gestellten Anträge, des Urteilstenors und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil der Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin Bezug genommen, das der Klägerin am 25. Juli 2003 zugestellt worden ist. Die Klägerin hat dagegen am 22. August 2003 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Oktober 2003 am 23. Oktober 2003 begründet.

Die Klägerin trägt vor: Die zwischen ihr und der Wohnungsbaugesellschaft L mbH in Ziff. 17 der zusätzlichen Vertragsbedingungen vereinbarte Gewährleistungsbürgschaft sei wegen Verstoßes gegen das AGB-Gesetz unwirksam. An diesem Ergebnis ändere auch nichts die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 10. April 2003 - VII ZR 314/01 - auf die das Landgericht sein klageabweisendes Urteil zu Unrecht gestützt habe. Diesem Urteil habe ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen. Außerdem sei das angefochtene Urteil verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil das Landgericht es unterlassen habe, auf die Stellung eines Hilfsantrags zur Verurteilung der Beklagten, auf die Geltendmachung der Bürgschaft durch erstes Anfordern zu verzichten, hinzuwirken.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und macht ergänzend geltend: Sämtliche Gesellschaftsanteile der Wohnungsbaugesellschaft L mbH würden vom Land Berlin gehalten. Der Bauvertrag sei daher mit einem öffentlichen Auftraggeber geschlossen worden, auf den die Grundsätze zur Wirksamkeit der Vereinbarung einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern durch allgemeine Geschäftsbedingungen keine Anwendung fänden. Aus dem Festlegungsprotokoll zwischen der Klägerin und der Wohnungsbaugesellschaft L mbH vom 15. November 1994 und aus dem Ergebnisprotokoll der Besprechung vom 9. August 1994 folge zudem, dass es sich bei der streitigen Ziff. 17 der zusätzlichen Vertragsbedingungen nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen handele. Sie - die Beklagte - habe durch Schreiben vom 29. Juli 2003 mitgeteilt, die erhaltene Gewährleistungsbürgschaft nicht auf erstes Anfordern geltend zu machen. Nach wie vor bestünden erhebliche Mängel, deren Beseitigung mit einem Kostenaufwand von 268.447,00 EUR verbunden seien.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und wegen der im Berufungsrechtszug gestellten Anträge auf die Sitzungsniederschrift vom 23. April 2004 Bezug genommen.

B.

Auf das streitige Schuldverhältnis sind gemäß Art. 229 § 5 EGBGB die vor dem 1. Januar 2002 geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des AGB-Gesetzes (AGBG) anzuwenden. Die zitierten Vorschriften des BGB und des AGBG beziehen sich daher auf das bis zum 31. Dezember 2001 geltende Recht.

I.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht des Landgerichts steht ihr ein Anspruch auf Herausgabe der noch im Streit befindlichen Urkunde über die Gewährleistungsbürgschaft vom 6. Juni 1997 aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu. Die Wohnungsbaugesellschaft L mbH (im Folgenden: Zedentin) hat die Bürgschaft ohne Rechtsgrund erlangt. Diesen Einwand muss sich die Beklagte gemäß § 401 BGB entgegenhalten lassen.

1. Die Vereinbarung in Ziff. 17.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen der Zedentin verstößt nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung gegen § 9 AGBG. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 22. November 2001 - VII ZR 208/00 (NJW 2002, 894) seine bisherige Rechtsprechung bestätigt und ausgeführt, dass eine Bestimmung in den AGB eines Bauvertrags, wonach der Besteller nach Abnahme des Bauwerks 5% der Auftragssumme für die Dauer der fünfjährigen Gewährleistungsfrist als Sicherheit einbehalten darf, den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, sofern dem Auftragnehmer kein angemessener Ausgleich zugestanden wird. Das dem Auftragnehmer eingeräumte Recht, den Einbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen, genügt hierzu nicht. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

a) Bei Ziff. 17.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen handelt es um allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG.

Dass die zusätzlichen Vertragsbedingungen nur für das vorliegende Bauvorhaben erstellt worden sind und daher eine weitere Verwendung nicht vorgesehen war, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusatz auf dem Vorblatt "(Stand 09/1993)", dass es sich um Klauseln handelt, die mehrfache Verwendung finden sollten. Weder aus dem Festlegungsprotokoll vom 15. November 1994 (Anl. BK 10) noch aus dem Protokoll vom 9. August 1994 (Anl. BK 11) ergibt sich, dass Ziff. 17.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen ausgehandelt worden ist. Ein Aushandeln im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG liegt nur dann vor, wenn der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner ABG-Klauseln ernsthaft zur Disposition stellt und dem Vertragspartner die reale Möglichkeit einräumt, seine eigenen Interessen bei der Vertragsgestaltung wahrzunehmen (BGH NJW 2000, 1110, 1111). Dafür bestehen hier keine konkreten Anhaltspunkte. Die Vereinbarung einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern wird in beiden Protokollen nicht erwähnt. Zudem ist das Protokoll vom 15. November 1994 erstellt worden, nachdem die Klägerin die zusätzlichen Vertragsbedingungen am 19. August 1994 unterzeichnet hatte.

b) Eine gesetzeskonforme Auslegung der zusätzlichen Vertragsbedingungen kommt nach dem eingangs zitierten Urteil des BGH (NJW 2000, 894, 895) nicht in Betracht.

Entgegen der Ansicht der Beklagten hat die Zedentin der Klägerin diese Möglichkeiten der Sicherung, die § 17 VOB/B vorsieht, nicht offengelassen. Nach dem Wortlaut der Ziff. 17.3 der zusätzlichen Vertragsbedingungen ist die Klägerin verpflichtet, eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen. Eine andere Möglichkeit zur Sicherheitsleistung wird damit ausgeschlossen; denn allgemeine Geschäftsbedingungen sind im Zweifel eng und gegen den Aussteller auszulegen (§ 5 AGBG).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts folgt aus dem Urteil des BGH vom 10. April 2003 - VII ZR 314/01 - nichts anderes. Die Ausführungen zur Verpflichtung, eine selbstschuldnerische Bürgschaft aufgrund der Sicherungsvereinbarung zu stellen, betreffen nur den Fall, dass die Sicherungsabrede individuell vereinbart worden ist. Das ist hier, wie dargetan, nicht der Fall. Im Übrigen hat der BGH auch in diesem Fall klargestellt, dass die Sicherungsabrede im Fall einer Vereinbarung durch allgemeine Geschäftsbedingungen keiner Inhaltskontrolle standhalten würde.

c) Schließlich folgt aus dem Urteil des BGH vom 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99 - (NJW 2002, 3098) nichts Gegenteiliges. Dieses Urteil bezieht sich, soweit es um die ergänzende Vertragsauslegung geht, nur auf die Vertragserfüllungsbürgschaft, die hier nicht im Streit ist. Der BGH hat in der genannten Entscheidung klar gestellt, dass er seine Rechtsprechung zur Gewährleistungsbürgschaft damit nicht aufgibt (NJW a.a.O., 3099). Dass Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft nicht mit dem selben Maßstab gemessen werden können, folgt bereits daraus, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft durch die VOB/B keine Vorgaben erfährt, die einer ergänzenden Vertragsauslegung entgegenstehen könnten, was wegen der in § 17 VOB/B geregelten Sicherheitsleistung auf die Gewährleistungsbürgschaft nicht übertragbar ist. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten der Sicherung, die eine ergänzende Vertragsauslegung dahin, dass die Parteien anstelle der Bürgschaft auf erstes Anfordern eine selbstschuldnerische Bürgschaft ohne diesen Zusatz rechtswirksam vereinbart hätten, nicht in Betracht. Die Zedentin ist in ihren allgemeinen Zusatzbedingungen bewusst von § 17 VOB/B abgewichen. Das schließt eine Rückkehr zu § 17 VOB/B durch ergänzende Vertragsauslegung aus; denn sie würde gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion des § 6 Abs. 2 AGBG verstoßen (BGH NJW 2001, 1857, 1858). Zudem ist nicht erkennbar, welche Regelung die Parteien vereinbart hätten, wenn sie die Unwirksamkeit der Klausel gekannt hätten. Insbesondere wäre auch eine Verringerung des Einbehalts, eine Verkürzung der Einbehaltsfrist oder die Wahl einer anderen der in § 17 VOB/B genannten Sicherungsformen in Betracht gekommen (BGH NJW 2002, 894, 895).

2. Die vorstehenden Rechtsgrundsätze finden auch dann Anwendung, wenn die öffentliche Hand sämtliche Geschäftsanteile der Zedentin halten sollte. Die in der Literatur teilweise vertretene Auffassung, dass die öffentliche Hand durch ihre Geschäftsbedingungen berechtigt sein soll, die Sicherheitsleistung auf eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern zu beschränken (Ingenstau/Korbion, VOB, 15. Aufl., § B 17 Nr. 4 Rdnr. 63; a. A. Thode, ZfBR 2002, 4, 6), teilt der Senat jedenfalls im vorliegenden Fall nicht. Das Bonitätsrisiko und die Gefahr der missbräuchlichen Inanspruchnahme bestehen im vorliegenden Fall genauso, wie bei einem rein privaten Auftraggeber.

a) Es gehört nicht zu den staatlichen Aufgaben, sich am Wohnungsbau zu beteiligen. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass ein staatliches Wohnungsbauunternehmen, dass privatrechtlich organisiert ist, kein Insolvenzrisiko trägt. Der Staat ist nicht gehalten, solche Unternehmen mit Hilfe von Steuergeldern unter allen Umständen vor der Insolvenz zu schützen. Ob das auch für andere Unternehmen (z. B. Verkehrsbetriebe, Energieversorgung) gilt, muss hier nicht entschieden werden. Es kommt auch nicht darauf an, ob diese Unternehmen berechtigt sind, nach § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B zu verfahren und den Sicherheitseinbehalt auf einem eigenen Konto unverzinslich zu verwahren.

b) Die staatlichen Wohnungsbaugesellschaften sind jedenfalls dann, wenn sie privatrechtlich organisiert sind, genauso wie private Auftraggeber zu behandeln; denn dass Risiko der missbräuchlichen Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern zeigt sich gerade im vorliegenden Fall, in dem die Zedentin ihre Ansprüche aus der Bürgschaft an eine privatrechtliche Gesellschaft abgetreten hat. Dass diese sich bereit erklärt hat, auf das Recht der ersten Anforderung zu verzichten, spielt bei der allgemein zu beurteilenden Frage, ob eine Regelung in allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen § 9 AGBG verstößt keine Rolle; denn bei Abschluss des Bauvertrages war jedenfalls nicht bekannt, dass die Zedentin ihre Gewährleistungsansprüche später an einen Zessionar abtreten würde, der sich nicht rechtsmissbräuchlich verhält. Allein die Möglichkeit, dass eine staatliche Wohnungsbaugesellschaft über ihre Gewährleistungsrechte ohne Mitwirkung des Auftragnehmers verfügen kann, schließt ihre Privilegierung bei der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG aus, denn damit ist eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme aus der Bürgschaft durch den Zessionar nicht völlig unwahrscheinlich.

3. Nach alledem kommt es nicht darauf an, ob die Gewährleistungsfrist inzwischen abgelaufen ist, oder der Beklagten gegen die Klägerin Ansprüche auf Mängelbeseitigung zustehen.

Wegen der behaupteten Mängel besteht kein Zurückbehaltungsrecht an der Bürgschaftsurkunde. Wenn die zugrunde liegende Sicherungsabrede unwirksam ist, kann der Auftragnehmer Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen. Aus der Natur des Gläubigeranspruchs folgt, dass ein Zurückbehaltungsrecht des Auftraggebers wegen eventueller Mängel nicht besteht; denn der Auftraggeber ist in keiner Weise befugt, Rechte aus der Bürgschaft herzuleiten und darf daher nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn entsprechend der unwirksam Sicherungsabrede überhaupt keine Bürgschaft gegeben worden wäre (vgl. BGH NJW 2001, a.a.O., 1859).

II.

Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a ZPO. Die Klägerin hat zwar die Kostenentscheidung hinsichtlich des erledigten Teils der Klage nicht ausdrücklich angegriffen. Die Berufung erfasst aber angesichts des Antrags, der Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, auch den für erledigt erklärten Teil des Rechtsstreits (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Auflage, § 91 a ZPO Rdnr. 56). Für die bereits herausgegebene Bürgschaft über 44.000,00 DM gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend, so dass es der Billigkeit entspricht, die Beklagte mit den gesamten Kosten des Rechtsstreits zu belasten.

Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück