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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 23.09.2005
Aktenzeichen: 7 U 70/05
Rechtsgebiete: BGB, StrReinG Bln, KrW-/AbfG Bln, ZPO


Vorschriften:

BGB § 164 Abs. 3
BGB § 284 Abs. 2
BGB § 284 Abs. 2 S. 1
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 315
StrReinG Bln § 5 Abs. 1
StrReinG Bln § 7 Abs. 2
KrW-/AbfG Bln § 8 Abs. 1
KrW-/AbfG Bln § 8 Abs. 1 S. 2
ZPO § 138 Abs. 4
Bei Verträgen mit Versorgungsunternehmen mit Anschluss- und Benutzungszwang steht der gesamtschuldnerischen Haftung der Wohnungseigentümer nicht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05 - (NJW 2005, 2061) entgegen, nach dem Gläubiger einer teilrechtsfähigen Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich nur auf das Verwaltungsvermögen zugreifen können und daneben eine akzessorische gesamtschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer nur in Betracht kommt, wenn diese sich neben der Gemeinschaft klar und eindeutig persönlich verpflichtet haben. Die persönliche Haftung ergibt sich hier aus den gesetzlichen Regelungen über den Anschluss- und Benutzungszwang und die an die Eigentümerstellung anknüpfende Verpflichtung zur Entgeltzahlung. Sieht eine gesetzliche Regelung ausdrücklich eine gesamtschuldnerische Haftung der Eigentümer vor, so sind Schuldner nach wie vor die Grundstückseigentümer, also die einzelnen Wohnungseigentümer und nicht der gemeinschaftsrechtliche Wohnungseigentümerverbund. Die Entscheidung ist rechtskräftig, nachdem die zugelassene Revision nach einem Hinweis des BGH zurückgenommen worden ist. Aktenzeichen des BGH : X ZR 152/05
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 7 U 70/05

verkündet am : 23.09.2005

In dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstr. 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Stummeyer und die Richter am Kammergericht Renner und Sellin

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin werden das am 10. Februar 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin - 9 O 172/04 - und das durch Zustellung am 27. Dezember 2004 verkündete Versäumnisurteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin - 9 O 212/04 - teilweise abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 30.483,49 EUR seit dem 16. August 2002 und aus weiteren 8.562,08 EUR seit dem 16. November 2002 bis jeweils zum 15. Mai 2003 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 8/11 und die Klägerin zu 3/11 zu tragen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldner auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Klägerin hat die Beklagten für die Jahre 2000 - 2002 auf Zahlung von Gebühren für Abfallentsorgung und Straßenreinigung in Anspruch genommen und Zinsen auf der Grundlage der Rechnungen vom 1. August 2002 verlangt. Die Straßenreinigungsgebühren hat die Klägerin den Beklagten unter dem 23. April 2003 für die Jahre 2000 - 2002 neu berechnet. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz einschließlich der dort von den Parteien gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird auf das am 23. Dezember 2004 verkündete Urteil der Zivilkammer 9 des Landgerichts Berlin - 9 O 59/04 - Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagten in der Hauptsache jeweils antragsgemäß verurteilt, Zinsen aber erst aufgrund der geänderten Rechnungen ab dem 16. Mai 2003 zugesprochen. Gegen das der Klägerin am 23. Februar 2005 zugestellte Urteil gegen die Beklagten zu 1) und 2) hat sie am 16. März 2005 Berufung eingelegt und diese am 19. April 2005 begründet. Gegen das der Klägerin am 27. Dezember 2004 zugestellte Versäumnisurteil gegen den Beklagten zu 3) hat sie am 27. Januar 2005 Berufung eingelegt und diese am 28. Februar 2005 begründet. Mit den Berufungen verfolgt die Klägerin den Zinsanspruch, der sich aufgrund der Rechnung zum Hausmüll und der Straßenreinigung vom 1. August 2002 ab dem 16. August 2002 ergibt. Sie trägt vor, die Beklagten seien zu den durch die Leistungsbestimmungen der Klägerin kalendermäßig bestimmten Leistungszeitpunkten in Verzug geraten. Die Festsetzung eines neuen Fälligkeitstermins in den geänderten Rechnungen der Klägerin enthalte keinen Verzicht auf vorhergehend eingetretene Verzugsfolgen einschließlich entstandener Schadenszeitpunkte.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Urteile die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin weitere Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 30.483,49 EUR seit dem 16. August 2002 und aus weiteren 8.562,08 EUR seit dem 16. November 2002 bis jeweils zum 15. Mai 2003 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtenen Urteile, soweit die Klage wegen des von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruchs abgewiesen worden ist, und tragen vor, die Beklagten zu 2) und 3) seien nicht mehr Eigentümer der Wohnanlage und deshalb nicht passivlegitimiert. Die Beklagten seien mit ihren Einwendungen nicht auf einen Rückforderungsprozess zu verweisen. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die materielle Rechtslage richtet sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs in der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts geltenden Fassung, denn das den Rechtsbeziehungen der Parteien zu Grunde liegende Schuldverhältnis ist vor dem 1. Januar 2002 entstanden (Art. 229 § 5 EGBGB). Die zitierten Vorschriften des bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) beziehen sich daher auf diese Fassung des Gesetzes.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Verzugszinsen gemäß §§ 284 Abs. 2 S. 1, 288 Abs. 1 BGB über die durch das Landgericht zuerkannten hinaus in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

1. Die Beklagten sind passivlegitimiert. Unstreitig waren sie in den hier maßgeblichen Jahren Eigentümer des Grundstücks Hoppenrader Weg 35-37/NauenerStr. 61-64 in Berlin Spandau und somit Entgeltschuldner gemäß §§ 7 Abs. 2, 5 Abs. 1 StrReinG Bln und § 8 Abs. 1 KrW-/AbfG Bln. Dass die Beklagten zu 2) und 3) seit dem 25. Februar 2003 nicht mehr Miteigentümer sind, ist unerheblich. Der einmal entstandene Anspruch der Klägerin für die Jahre 2000 bis 2002 entfällt dadurch nicht nachträglich. Wieso es eine Rolle spielen soll, dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht mehr Eigentümer waren, ist nicht nachvollziehbar. Die Frage, in welchem Umfang die Beklagten im Innenverhältnis der Wohnungseigentümer haften, berührt grundsätzlich nicht das Rechtsverhältnis zur Klägerin. Ansprüche für die Zeit nach dem 25. Februar 2003 macht die Klägerin nicht mehr geltend.

Dem steht auch nicht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05 - (NJW 2005, 2061) entgegen, nach dem Gläubiger einer teilrechtsfähigen Wohnungseigentümergemeinschaft grundsätzlich nur auf das Verwaltungsvermögen zugreifen können und daneben eine akzessorische gesamtschuldnerische Haftung der Wohnungseigentümer nur in Betracht kommt, wenn diese sich neben der Gemeinschaft klar und eindeutig persönlich verpflichtet haben. Die persönliche Haftung ergibt sich hier aus den gesetzlichen Regelungen über den Anschluss- und Benutzungszwang und die an die Eigentümerstellung anknüpfende Verpflichtung zur Entgeltzahlung. § 7 Abs. 2 StrReinG sieht ausdrücklich eine gesamtschuldnerische Haftung der Eigentümer vor. Auch nach § 8 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG Bln sind Schuldner die Grundstückseigentümer. Grundstückseigentümer sind aber die einzelnen Wohnungseigentümer und nicht der gemeinschaftsrechtliche Wohnungseigentümerverbund. Die Wohnungs- bzw. Teileigentumsgrundbücher sind für die einzelnen Eigentümer und nicht für die Wohnungseigentümergemeinschaft angelegt. Insoweit hat sich durch die Anerkennung der Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft nichts geändert. Insbesondere ergibt sich auch daraus, dass die Gemeinschaft als Gläubigerin einer Zwangshypothek in das Grundbuch eingetragen werden kann, nicht, dass die Gemeinschaft als "Eigentümer" im Sinne der § 7 Abs. 2 StrReinG und § 8 Abs. 1 S. 2 KrW-/AbfG anzusehen wäre, welche die gesamtschuldnerisch Haftung der Beklagen begründen.

2. Mit der Festlegung der vierteljährlichen Zahlungstermine in den Leistungsbedingungen der Klägerin ist eine Leistungszeit wirksam im Sinne des § 284 Abs. 2 BGB kalendermäßig bestimmt. Die kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit kann nicht nur, wie im Regelfall, durch Vereinbarung der Vertragsparteien erfolgen. Vielmehr kommt grundsätzlich auch eine einseitige Bestimmung durch eine der Vertragsparteien, also auch den Gläubiger, nach § 315 BGB in Betracht. Ebenso wie einer Vertragspartei gemäß § 315 BGB die Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen übertragen werden kann, ist dies bei einer Festsetzung der kalendermäßigen Leistungszeit möglich (BGH, Urt. v. 15. Februar 2005 - X ZR 87/04).

§ 315 BGB kommt zwar grundsätzlich nur aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung zur Anwendung. Einer solchen Vereinbarung bedarf es hier aber wegen der für die Beklagten verbindlichen Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs für Straßenreinigungs- und Entsorgungsleistungen nicht. Der Bundesgerichtshof hat bereits festgestellt, dass wegen des Anschluss- und Benutzungszwangs die privatrechtlichen Leistungsentgelte der Klägerin nach § 315 BGB einseitig festgesetzt werden können (BGH, Urt. v. 3. November 1982 - III ZR 227/82, MDR 1984, 558). Dementsprechend kann auch in den Leistungsbedingungen der Klägerin die Leistungszeit wirksam kalendermäßig bestimmt werden. Dafür kommt es nicht auf die Frage an, ob die Höhe der zu zahlenden Forderung ohne weiteres und für den Schuldner erkennbar feststeht. § 284 Abs. 2 BGB a.F. betrifft nur die Bestimmung der Leistungszeit, nicht etwaige weitere Fälligkeitsvoraussetzungen, ohne die ein Verzug nicht eintreten kann (BGH, Urt. v. 15. Februar 2005 - X ZR 87/04).

3. Allerdings ist für den Verzug des Weiteren erforderlich, dass die Forderungen der Klägerin auf Entgeltzahlung fällig sind. Dafür ist nach den Leistungsbedingungen der Klägerin stets die Stellung einer Rechnung erforderlich. Erst mit der individuellen Bekanntgabe der ersten Abrechnung, in der die Zahlungen für künftige Fälligkeitstermine festgesetzt werden, kann der Entgeltschuldner in Verzug geraten (BGH a.a.O.). Dem hat die Klägerin dadurch entsprochen, dass sie über die Abfallbeseitigung und die Straßenreinigung unter dem 1. August 2002 Rechnung gelegt hat (Anlagen K 1, 3, 5). Die Beklagten haben die streitgegenständlichen Rechungen erhalten. Sämtliche Rechnungen waren an die zuständige Hausverwaltung gerichtet, die auch die unstreitigen Teilzahlungen geleistet hat. Gemäß § 164 Abs. 3 BGB gilt die mit den Rechnungen abgegebene Willenserklärung damit als gegenüber den Beklagten erfolgt.

4. Die späteren Änderungsrechnungen vom 23. April 2003 über die Straßenreinigungsentgelte für 2000 (Anlage K 2) 2001 (Anlage K 4) und 2002 (Anlage K 6) haben, wie das Kammergericht bereits entschieden hat, den zuvor eingetretenen Zahlungsverzug der Beklagten in Höhe der betragsmäßig nur noch weiter verfolgten Beträge nicht entfallen lassen. An den Forderungen für die Abfallbeseitigung hat sich durch diese Rechnungen ohnehin nichts geändert. Bezüglich der Herabsetzung der Straßenreinigungsentgelte ist der bereits eingetretene Verzug nur hinsichtlich des nachträglich reduzierten Teils der Hauptforderung, nicht jedoch wegen der aufrecht erhaltenen Forderung entfallen. Dies ergibt die Auslegung aus Sicht eines verständigen Empfängers (§ 133 BGB). Auch wenn in den Rechnungen von einer "Stornierung" der jeweiligen Ursprungsrechnungen die Rede ist, war dies dem Sinn nach verständiger Weise nicht als Verzicht auf bereits entstandene Verzugsfolgen zu verstehen, sondern nur dahin, wegen Neuberechnung eine zugunsten des Kunden jeweils etwas reduzierte Hauptforderung weiter zu verfolgen (vergl. KG, Urteil vom 15. Juni 2004 - 18 U 54/03 -).

5. Unerfindlich ist, was die Beklagten mit ihrem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit von Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen über die Geltendmachung von Einwendungen im Rückforderungsprozess (Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 60/04 -) bezwecken. Die Klausel spielt im vorliegenden Fall keine entscheidungserhebliche Rolle. Zutreffend hat das Landgericht das Bestreiten der Leistungserbringung mit Nichtwissen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO als unzulässig gewürdigt. In der Berufungsinstanz haben die Beklagten, die das Urteil des Landgerichts selbst nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen haben, keine weiteren Tatsachen vorgetragen, die ihre Entgeltpflicht und damit auch den Verzug mit der Zahlung entfallen lassen könnten.

6. Die Berufung der Klägerin musste deshalb Erfolg haben.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Der Senat hat gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO die Revision zugelassen. Die Frage des Verzugsbeginns aufgrund der kalendermäßigen Bestimmung der Leistungszeit in den Leistungsbedingungen der Klägerin ist zwar durch das genannte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2005 - X ZR 87/04 - geklärt. Durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2005 - V ZB 32/05 - (NJW 2005, 2061) ist aber die Teilrechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft anerkannt worden und damit eine grundsätzliche Änderung der Rechtsprechung zur Haftung der Wohnungseigentümer eingeleitet worden. Zu der Frage, inwieweit sich dies auch auf Rechtsverhältnisse auswirkt, die einem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegen, hat sich der Bundesgerichtshof noch nicht geäußert. Da hiervon eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen gleichermaßen betroffen sind, kommt dieser Frage grundsätzliche Bedeutung zu.

Ende der Entscheidung

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