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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.11.2002
Aktenzeichen: 7 W 234/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91
ZPO § 91 a
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 269
ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 269 Abs. 3 S. 3
ZPO § 269 Abs. 5
ZPO § 569
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
7 W 234/02

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren

hat der 7. Zivilsenat des Kammergerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Kammergericht Stummeyer und der Richter am Kammergericht Steinecke und Renner in der Sitzung vom 29. November 2002 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin vom 18.Oktober 2002 - 23.O.392/02 - wird auf ihre Kosten nach einem Gegenstandswert von bis zu 1.200,-- Euro zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

Mit Klageschrift vom 20.8.2002, bei Gericht am 21.8.2002 eingegangen, hat die Klägerin von den Beklagten Herausgabe von drei Bürgschaftsurkunden begehrt. Vor Veranlassung der Klagezustellung durch das Gericht hat die Klägerin die Klage mit Schriftsatz vom 30.8.2002 zurückgenommen, nachdem die Beklagten die Urkunden am gleichen Tage zurückgegeben hatten. Zugleich hat die Klägerin beantragt, den Beklagten die Kosten gemäß § 269 Abs.3 ZPO aufzuerlegen. Nachdem das Landgericht hierauf unter dem 18.9.2002 auf Bedenken wegen der nicht eingetretenen Rechtshängigkeit hingewiesen hat, haben die Beklagten hierzu ergänzend ihre gegenteilige Rechtsauffassung dargelegt.

Mit Beschluss vom 18.10.2002 hat das Landgericht den Kostenantrag der Klägerin zurückgewiesen und zur Begründung unter Hinweis auf die Kommentierungen in Zöller, ZPO, 23.Aufl., § 269 Rn.Sa und Baumbach-Lauterbach, ZPO, 61. Aufl. § 269 Rn. 39 ausgeführt, dass § 269 Abs.3 S.3 ZPO nicht der Fall der Rücknahme einer noch nicht zugestellten Klage regele, da es an dem dafür vorausgesetzten Prozessrechtsverhältnis fehle. Die Klägerin müsse gegebenenfalls ihren materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch mit einer neuen Klage geltend machen. Insoweit komme auch keine analoge Anwendung in Betracht.

Gegen den am 4.11.2002 expedierten Beschluss haben die Beklagten mit Schriftsatz vom 7.11.2002, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. Sie vertreten unter Hinweis auf die Kommentierung in Münchner Kommentar, ZPO-Reform, 2.Aufl. 2002, § 269 Rn.4 und auf den Aufsatz von Hartmann in NJW 2001, 2577, 2585 die Auffassung, ein schon begründetes Prozessrechtsverhältnis sei nicht erforderlich, da dieses Verständnis des Landgerichts nicht dem Sinn und Zweck entspreche, den der Gesetzgeber mit der Vorschrift habe erreichen wollen. Danach solle der Kläger wegen des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nicht auf den weiteren Klageweg verwiesen werden. Es handele sich um einen Sondertatbestand, so dass es auf die Zustellung der Klage nicht ankomme. Es müsse vielmehr genügen, wenn dem Beklagten die Klage im Zusammenhang mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Kostenantrag zugestellt werde.

Die sofortige Beschwerde, der das Landgericht mit Beschluss vom 8.11.2002 nicht abgeholfen hat, ist gemäß § 269 Abs.5 ZPO zulässig; sie ist insbesondere auch rechtzeitig eingelegt. Zwar kann mangels vorliegendem Empfangsbekenntnis nicht konkret der Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Beschlusses festgestellt werden, jedoch ergibt sich aus dem den Akten zu entnehmenden Absendedatum und dem Eingang der Beschwerde zwanglos die Einhaltung der Notfrist des § 569 ZPO.

Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet, denn der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung.

Die Anwendung des § 269 Abs.3 ZPO erfordert, dass die Klage, wenn auch nachträglich, zu irgend einem Zeitpunkt zugestellt worden ist und mit der dadurch eingetretenen Rechtshängigkeit ein Prozessrechtsverhältnis zwischen den Parteien begründet worden ist. Die im Zuge der ZPO-Reform mit § 269 Abs.3 S.3 ZPO neu eingeführte Möglichkeit, über die Kosten des Rechtsstreits bei Wegfall des Klagegrundes vor Rechtshängigkeit und unverzüglicher Klagerücknahme unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen entscheiden zu können, ist in der Rechtsfolge wegen der Sachnähe zur Interessenlage nach beiderseitiger Erledigungserklärung der Hauptsache dem § 91 a ZPO angeglichen. Auch die Anwendung der §§ 91, 91 a ZPO setzen aber ein bereits begründetes Prozessrechtsverhältnis voraus. § 269 Abs.3 S.3 ZPO soll den Kläger vor den nachteiligen Folgen schützen, die er dann erleiden würde, wenn das erledigende Ereignis noch vor Rechtshängigkeit eingetreten ist, der Beklagte aber einer einseitigen Erledigungserklärung des Klägers nicht zustimmt. In diesen Fällen, in denen zuvor regelmäßig den Kläger die Kostenlast nach § 91 ZPO traf, entspricht es daher durchaus den Grundsätzen der Prozessökonomie, zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits im Rahmen des ohnehin bestehenden Prozessrechtsverhältnisses zwischen den Parteien über die Kosten nach dem bisherigen Sach- und Streitstand eine den Umständen nach sachgerechte Entscheidung treffen zu können. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann auch keine Rede davon sein, dass der Anwendungsbereich der Norm verschwindend gering wäre, wenn man ein bestehendes Prozessrechtsverhältnis zur Voraussetzung erhebt, denn gerade die eher häufigeren Fälle der Teilrücknahmen bei teilweiser Erfüllung vor Rechtshängigkeit werden erfasst. Diese Situation kann jedoch nicht mit vorliegendem Sachverhalt verglichen werden, bei dem die ganze Klage noch vor ihrer Zustellung wieder zurückgenommen wird, deswegen die Zustellung in der Folge unterbleibt und die Beklagte Partei daher noch keinerlei Kenntnis vom eingeleiteten Klageverfahren erlangt hat.

Es entspricht der bisher einhelliger Auffassung, dass § 269 ZPO nur die Rücknahme der bereits zugestellten Klage betrifft (Zöller, ZPO, 22.Aufl., § 269 Rn.1 m.w.N.). Eine vor Zustellung der Klage erklärte Rücknahme ist zwar Prozesshandlung im weiteren Sinn, löst aber keine Kostenerstattungspflicht nach Abs.3 aus (Zöller, aaO, Rn.8), und zwar weder für die eine noch für die andere Seite. Hieran hat sich durch die Einführung des § 269 Abs.3 S.3 ZPO nichts geändert und es besteht auch kein sachlich gerechtfertigter Grund, diesen anders, etwa als Sondertatbestand auszulegen und damit innerhalb ein und derselben Vorschrift von verschiedenen Anwendungsvoraussetzungen auszugehen. Hierfür ergeben sich aus der Begründung zum Gesetzentwurf (BT-Drs. 14/4722) keine Anhaltspunkte. Der Senat schließt sich deswegen der Auffassung von Baumbach Lauterbach (ZPO, 61.Aufl., § 269 Rn.39) an, wonach der Gesetzgeber unter dem von ihm auch in Abs. 3 S.2 beibehaltenen Begriff der Rücknahme gerade der Klage nicht aus einem Schadensersatzanspruch einen Anspruch auf Erstattung von Prozesskosten machen konnte und wollte. Anderenfalls hätte er zusätzlich den Begriff der Rücknahme des Rechtsschutzgesuches einführen können und müssen.

Auch der Grundsatz der Prozessökonomie erfordert dies nicht. Der Kläger ist in diesen Fällen nicht schutzlos gestellt, sondern kann seinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, soweit ihn der Beklagte nicht ohnehin kostensparend auf eine außergerichtliche Aufforderung hin erfüllt, gegebenenfalls durch eine neue Klage bei dem für den jeweiligen Kostenstreitwert zuständigen Gericht einklagen. Die Auffassung der Klägerin, es sei ausreichend, in Fällen der vorliegenden Art dem Beklagten die Klageschrift im Zusammenhang mit der Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Kostenantrag zuzustellen, bedeutet nichts anderes, als dass das Gericht trotz zurückgenommener Klage durch Zustellung von Klage und Kostenantrag - wie bei Einreichung einer völlig neuen Klage - ein noch nicht bestehendes Prozessrechtverhältnis erst herstellen müsste, in dem - in den Fällen des Anwaltszwangs- der Beklagte, nur um sein rechtliches Gehör wahrnehmen zu können, zudem erst einen Anwalt zur Stellungnahme bestellen müsste, obwohl dies wegen des oftmals unterhalb der Zuständigkeitsgrenze des Landgerichts liegenden Kostenstreitwerts bei einer neuen Klage vor dem zuständigen Amtsgericht nicht erforderlich wäre. Dafür, dass dies vom Gesetzgeber nicht gewollt war, spricht auch, dass das Gericht die Kostenentscheidung auf der Basis des bisherigen Sach- und Streitstandes treffen soll. Dies kann sich nur auf den Zeitpunkt der Klagerücknahme beziehen. In den Fällen der vollen Klagerücknahme vor Zustellung an den Beklagten gibt es naturgemäß zu diesem Zeitpunkt aber nur einen einseitigen Vortrag des Klägers. Dem bisherigen Sach- und Streitstand würde es nicht entsprechen, wenn vom Beklagten erst durch Zustellung von Klage und Kostenantrag unter Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses noch eigener Vortrag eingeholt werden müsste, zumal, wie bei der vergleichbaren Regelung des § 91 a ZPO, hierbei in der Regel keine neuen Tatsachen und Beweismittel in den Rechtsstreit eingeführt werden sollen.

Im Hinblick darauf, dass die Entscheidung über die Anwendung des neu eingefügten § 269 Abs.3 S.3 ZPO in derartigen Fällen Bedeutung für eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten haben kann und die unterschiedlichen Auffassungen in der Literatur zeigen, dass hier zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einheitlicher Rechtsprechung obergerichtlicher Klärungsbedarf besteht, hat es der Senat für geboten erachtet, der Anregung der Klägerin zu entsprechen und vorliegend die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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