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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 05.03.2009
Aktenzeichen: 8 U 177/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 307 Abs. 1
BGB § 307 Abs. 2 Ziff. 2
Eine in einem Mietvertrag über ein in einem Einkaufszentrum belegenes Ladengeschäft enthaltene Klausel mit dem Inhalt

"Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig"

ist wegen unangemessener Benachteiligung gemäß § 307 Abs.1, Abs.2 Ziffer 2 BGB jedenfalls dann unwirksam, wenn der Mieter hierdurch an der Durchführung der ihm vertraglich auferlegten Schönheitsreparaturen gehindert wird.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 177/08

verkündet am : 05.03.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber, die Richterin am Kammergericht Dr. Henkel und der Richterin am Kammergericht Spiegel für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die unter 10.2 Satz 6 der Allgemeinen Bedingungen des Mietvertrages über ein Ladengeschäft, 119 qm, im S in B enthaltene Regelung mit folgendem Inhalt:

"Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig."

unwirksam ist.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten und zweiten Instanz tragen die Klägerin zu 90 % und die Beklagte zu 10 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10% abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Die Berufung der Klägerin richtet sich gegen das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung vor:

Das Landgericht habe sich mit der Frage der Wirksamkeit der konkreten Betriebspflicht im Einzelfall nicht auseinandergesetzt. Es habe in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Umstand, dass die Regelung auch Schließungen aus Anlass von Betriebsferien, Inventuren u.s.w. nicht zulasse, keine unangemessene Benachteiligung bedeute, ohne aber diese Bewertung zu erörtern.

Das Landgericht verkenne, dass es in der Rechtsprechung und Literatur sehr wohl andere Auffassungen gebe, die anders als die Auffassung des Landgerichts auch begründet seien.

Die Klägerin beantragt,

das am 23. Juli 2008 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 105 des Landgerichts Berlin abzuändern und festzustellen, dass § 10.1 und 10.2 der allgemeinen Bedingungen des die Parteien verbindenden Mietvertrages über ein Ladengeschäft, 119 qm, im S in B unwirksam ist,

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor:

§ 10.1 und § 10.2 der Allgemeinen Bedingungen des Mietvertrages seien wirksam. Insbesondere hielten diese Bestimmungen einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand, da diese Bestimmungen die Klägerin nicht entgegen den Grundsätzen von Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Die Mieter eines Einkaufszentrums bildeten untereinander eine "Schicksalsgemeinschaft". Zum Wesen eines Einkaufszentrums gehöre es, dass alle Mieter ihre Läden während derselben Öffnungszeiten ununterbrochen geöffnet hätten. Hieran habe nicht nur der Vermieter, sondern auch die Gesamtheit der Mieter ein schutzwürdiges Interesse. Das Interesse des einzelnen Mieters, sein Ladengeschäft in einem Einkaufszentrum zwecks Betriebsferien, branchenüblichen Ruhetagen, Inventur oder Durchführung erforderlicher Schönheitsreparaturen etc. vorübergehend zu schließen, müsse hinter die Interessen der Gesamtheit der Mieter und den Interessen des Vermieters zurücktreten. Zudem sei die Betriebspflicht keine höchstpersönliche Pflicht.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1. Zulässigkeit der Feststellungsklage

Die Feststellungsklage ist zulässig. Insbesondere liegt ein rechtliches Interesse im Sinne von § 256 ZPO vor.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihres rechtlichen Interesses vor, dass sie eine fristlose Kündigung riskiere, wenn sie der Betriebspflicht nicht folge. Sie trägt auch vor, dass sie sich für berechtigt halte, die Einstellung des Betriebes als zulässige unternehmerische Option für sich offen zu halten, bis die Beklagte Vollbetrieb hergestellt habe. Das heißt, die Klägerin will geklärt wissen, ob sie an die in § 10 des Vertrages geregelte Betriebspflicht gebunden ist, obgleich sie gar nicht die konkrete Absicht hat, sich über die Betriebspflicht hinwegzusetzen. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2008, 2499; NJW 1992, 436), der sich der Senat anschließt, ist von einem rechtlichen Interesse auszugehen, wenn der Gegner sich auf die Wirksamkeit einer Vertragsbedingung beruft und sich damit eines Anspruchs gegen die klagende Partei berühmt. Darauf, ob der Gegner einen bereits durchsetzbaren Anspruch geltend macht, soll es nicht ankommen. Vorliegend hat sich die Beklagte spätestens mit der Klageerwiderung auf die Wirksamkeit der in § 10 des Vertrages geregelten Betriebspflicht berufen, so dass vom Vorliegen eines Feststellungsinteresses auszugehen ist.

2. Begründetheit der Feststellungsklage

Die Feststellungsklage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die unter 10.2 Satz 6 der Allgemeinen Bedingungen des Mietvertrages enthaltene Regelung mit dem Inhalt "Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig" ist gemäß § 307 Abs.1, Abs.2, Ziffer 2 BGB unwirksam, da sie eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung der Klägerin beinhaltet.

Die Parteien haben vorliegend einen Mietvertrag geschlossen, der in der als "Allgemeine Bedingungen des Mietvertrages" bezeichneten Anlage I zum Mietvertrag unter § 10 (Betriebspflicht, Werbegemeinschaft) unter anderem folgende Regelungen enthält:

"10.1 Der Mieter ist verpflichtet, den Mietgegenstand während der gesamten Mietzeit seiner Zweckbestimmung entsprechend ununterbrochen zu nutzen; er wird den Mietgegenstand weder ganz noch teilweise ungenutzt oder leer stehen lassen.

10.2 Das Geschäft des Mieters ist im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen über die Ladenschlusszeiten an allen Verkaufstagen so lange offen zu halten, wie die überwiegende Anzahl aller Mieter ihr Geschäft offenhält. Die Öffnungszeiten können nach Abstimmung mit den Mietern von mehr als 50 % der Gesamtladenflächen des Einkaufszentrums durch den Vermieter verbindlich für alle Mieter festgelegt oder geändert werden. Dies gilt auch in den Fällen einer etwaigen "Langen Nacht des Shoppens" oder ähnlicher gesetzlich zulässige Sonderöffnungszeiten.

Vorbehaltlich einer abweichenden Regelung nach Maßgabe von vorstehendem Absatz 1 vereinbaren die Vertragsparteien, dass ab dem Tag der Eröffnung des Einkaufszentrums folgende Mindestladenöffnungszeiten gelten:

montags bis freitags von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr

samstags von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr

vier Samstage vor Weihnachten von 9.00 Uhr bis 20.00 Uhr.

Aus einer bloßen Duldung abweichender Öffnungszeiten durch den Vermieter kann der Mieter keine Rechtherleiten. Zeitweise Schließungen (z.B. aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen, Betriebsferien, Inventuren) sind nicht zulässig."

Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung offen gelassen, ob es sich bei dieser Regelung um eine Individualvereinbarung handelt oder um eine Allgemeine Geschäftsbedingung. Da aber beide Parteien davon ausgehen, dass es sich bei der streitigen Regelung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, dass es sich bei der Regelung um eine ausgehandelte Individualvereinbarung handeln könnte, ist davon auszugehen, dass es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 BGB handelt. Allein der Umstand, dass die Klägerin vorträgt, sie sei davon ausgegangen, dass die Regelung dazu beitrage, eine Vollvermietung des Einkaufszentrums sicherzustellen, deutet entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht darauf hin, dass es sich bei der Regelung um eine Individualvereinbarung handeln könnte.

Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass eine Betriebspflicht grundsätzlich auch durch Formularvertrag vereinbart werden kann. Das gilt selbst dann, wenn das Betreiben des Geschäfts unrentabel ist, da die Rentabilität eines in gemieteten Räumen betriebenen Geschäftes bzw. Unternehmens grundsätzlich in die wirtschaftliche Risikosphäre des Mieters fällt und die formularmäßige Vereinbarung einer Betriebspflicht insoweit im Regelfall nicht als unangemessene Benachteiligung des Mieters zu werten ist (Schmidt/ Futterer/ Eisenschmidt, Mietrecht, 9. Auflage, § 535, Rdnr.222; Hamann, Die Betriebspflicht des Mieters bei Geschäftsraummietverhältnissen, ZMR, 2001, 581; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 9. Auflage, Rdnr.609; Bub/Treier, Kramer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage, III.A, Rdnr.938; Lindner-Figura/Oprée/Stellmann, Geschäftsraummiete, 2. Auflage, Kap.23, Rdnr.17; Gather, Konkurrenzschutz und Betriebspflicht bei der Geschäftsraummiete, DWW 2007, 94; BGH, Urteil vom 19.7.2000, XII ZR 252/98; BGH, NJW RR 1992, 1032; KG KGR 2003, 315).

Dass dem so ist, stellt die Klägerin in der Berufungsinstanz auch gar nicht mehr in Abrede und verfolgt den noch in erster Instanz geltend gemachten Hilfsantrag nicht mehr weiter.

Die Klägerin meint aber, dass die in 10.1 und 10.2 enthaltenen Klauseln insgesamt unwirksam seien, weil ausweislich des letzten Satzes von 10.2 auch zeitweise Schließungen nicht zulässig sind. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass die im letzten Satz von 10.2 enthaltene Regelung eine entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung der Klägerin gemäß § 307 Abs.1, Abs.2, Ziffer 2 BGB beinhaltet. Unangemessen ist eine Benachteiligung, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (BGHZ 90, 280; NJW 2000, 1110; NJW 2005, 1774). Bei der vorzunehmenden Prüfung bedarf es einer umfassenden Würdigung, in die die Interessen beider Parteien und die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise einzubeziehen sind (Palandt/Grüneberg, BGB, 67. Auflage, § 307, Rdnr.8). Soweit die Klausel beispielhaft eine zeitweise Schließung aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen und Betriebsferien ausschließt, ist eine unangemessene Benachteiligung nicht ersichtlich. Die Klägerin betreibt in dem Einkaufszentrum der Beklagten ein Einzelhandelsgeschäft mit dem Hauptsortiment "Junge Mode" und verkauft im wesentlichen Produkte der Marke "...". Sie ist - bekanntermaßen - darüber hinaus auch überregional tätig. Die zeitweilige Schließung eines derartigen Geschäftes aus Anlass von Mittagspausen, Ruhetagen oder Betriebsferien ist branchenuntypisch; es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer derartigen vorübergehenden Schließung haben könnte (vgl. insoweit Bub/Treier, a.a.O., III.A. Rdnr.938; Neuhaus, Handbuch der Geschäftsraummiete, 2. Auflage, Rdnr.228; OLG Naumburg, NZM 2008, 772). Branchenuntypisch ist auch eine vorübergehende Schließung wegen Inventur, so dass auch insoweit keine unangemessene Benachteiligung vorliegt. Da Mittagspausen, Ruhetage, Betriebsferien und Inventuren nur beispielhaft als Gründe für eine zeitweise Schließung aufgeführt sind, ist davon auszugehen, dass auch eine zeitweise Schließung zum Zwecke der Durchführung von Schönheitsreparaturen, die die Klägerin gemäß § 11 Ziffer 11.1 des Vertrages vorzunehmen hat, nach dem Vertrag nicht zulässig ist. Da die Klägerin durch diese vertragliche Regelung an der Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten gehindert wird, wird sie durch sie im Sinne von § 307 Abs.1, Abs.2 Ziffer 2 BGB unangemessen benachteiligt (Hamann, a.a.O.; Lindner-Figura, a.a.O., Kap.23, Rdnr.21).

Die Klausel kann auch - anders als in dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall - nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend ausgelegt werden, dass zeitweilige Schließungen zur Durchführung vertraglich auf die Klägerin übertragener Schönheitsreparaturarbeiten zulässig sind. In dem vom OLG Naumburg entschiedenen Fall stand eine Klausel zur Beurteilung, die zeitweise Schließungen nicht generell ausschloss, sondern Inventuren und Betriebsversammlungen hiervon ausnahm. Die vorliegende Klausel sieht keinerlei Ausnahmen von dem Verbot der zeitweisen Schließung vor. Reduzierte man die Klausel gleichwohl auf ihren wirksamen Inhalt, läge ein Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion vor.

Der Umstand, dass der letzte Satz (Satz 6) der in 10.2 enthaltenen Regelung wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam ist, hat aber entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Unwirksamkeit der gesamten übrigen in 10.1 und 10.2 enthaltenen Regelung zur Folge. Satz 6 ist sowohl sprachlich als auch inhaltlich von 10.1 und 10.2 Satz 1 bis Satz 5 abtrennbar, so dass kein Fall der unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion vorliegt, wenn von der Wirksamkeit der in 10.1 und 10.2 Satz 1 bis Satz 5 enthaltenen Regelung ausgegangen wird (Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Auflage, Vorb. Vor § 307, Rdnr.99). 10.1 und 10.2 Satz 1 bis Satz 5 regeln die Betriebspflicht im Allgemeinen sowie die generellen Öffnungszeiten im Einzelnen. 10.2 Satz 6 regelt den Fall der vorübergehenden, außerplanmäßigen und nur zeitweisen Schließung und hat damit einen vollständig eigenen Regelungsgehalt (so auch im Ergebnis OLG Naumburg, a.a.O.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision zum Bundesgerichtshof wird nicht zugelassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Absatz 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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