Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 8 U 54/04
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB a.F. § 847
BGB n.F. § 253
BGB § 253
EGBGB § 8 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 8 U 54/04

verkündet am : 29.07.2004

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts Elßholzstraße 30 - 33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 29.07.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber und die Richterinnen am Kammergericht Spiegel und Dr. Henkel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 15. Januar 2004 verkündete Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 33 des Landgerichts Berlin teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 250.000,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2002 zu zahlen.

Der Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger ab dem 01. Januar 2003 eine Schmerzensgeldrente von 1.5000,00 Euro je Kalendervierteljahr, zahlbar vierteljährlich im Voraus, zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10% abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 15. Januar 2004 verkündete Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 33 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird.

Der Kläger trägt zur Begründung der Berufung vor:

Das Landgericht habe seine Entscheidung unzutreffend auf die Vorschrift des § 847 BGB a.F. gestützt, vielmehr sei die seit dem 01.August 2002 geltende Vorschrift des § 253 BGB anzuwenden. In der neuen Regelung des § 253 BGB sei der Ersatz immaterieller Schäden neu aufgenommen worden, was bei der Tatsachenwürdigung des Landgerichts völlig unberücksichtigt geblieben sei. Zwar sei das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsfunktion bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Rechnung zu tragen sei; auch die langwierigen Rehabilitationsmaßnahmen und die psychischen Beeinträchtigungen seien schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Diesen Erwägungen habe das Landgericht jedoch in seiner Entscheidung nur unzureichend Rechnung getragen und dem Kläger ein zu geringes Schmerzensgeld und Rente zugesprochen.

Dass das Gericht sich an vergleichbarer Rechtsprechung zu orientieren habe, mag zwar zutreffen. Es sei aber bedenklich, ob dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Anlehnung an Art. 3 GG vereinbart sei. Zum einen gleiche kein schmerzensgeldbegründender Lebenssachverhalt dem anderen. Zum anderen würde hieraus eine in die Vergangenheit gerichtete Fixierung der Rechtsprechung folgen, die eine Weiterentwicklung und Anpassung an aktuelle Gegebenheiten verhindere. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, dass es eine Vielzahl von Entscheidungen gebe, die in ihrer Begründung und Entscheidung nicht unterschiedlicher sein könnten, obwohl ihnen sogar manchmal vergleichbare Sachverhalte zugrundelägen.

Es bestehe eine gerichtliche Verpflichtung sich vom Einzelschicksal ein Bild zu machen; ein Rückgriff von Zusammenstellungen von Entscheidungen sei unzureichend und für die Entscheidungsfindung bedenklich. In diesen Zusammenstellungen seien die jeweiligen Lebenssachverhalte nur unvollständig wiedergegeben und für die Rechtsprechung auch nicht repräsentativ.

Der weitere vom erstinstanzlichen Gericht vorgenommene Vergleich zu einer Entscheidung des Landgerichts Potsdam sei nicht geeignet, den klägerischen Schmerzensgeldanspruch zu beschränken. Beide Taten seien nicht vergleichbar. Auch die Argumentation zur Entscheidung des OLG Frankfurt aus dem Jahre 1974 gehe fehl. Es handele sich um eine überholte und völlig veraltete Entscheidung. Ferner seien die Verletzungen einer 7 1/2 jährigen Schülerin auf einen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen, welche nicht ansatzweise mit einem versuchten Mord als Vorsatzstraftat vergleichbar sei.

Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei weiter zurückgegangen. Der Kläger bemühe sich, eine auf seine Behinderung zugeschnittene Lehrstelle zu erhalten, was aber aufgrund der notwendigen Behandlungen zum Teil unmöglich sei. Auch die aus der Behinderung des Klägers resultierenden Mehrkosten ( wie z. B behindertengerechte Wohnausstattung sowie medizinische Zuzahlungen) würden in das Urteil nur ungenügend einfließen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 15. Januar 2004 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin - 33 O 283/03 - den Beklagten zu verurteilen, weitere 75.000,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz an den Kläger zu zahlen;

den Beklagten ferner zu verurteilen, ab dem 01. Januar 2003 weitere 900,00 EUR Schmerzensgeldrente je Kalendervierteljahr, zahlbar vierteljährlich im voraus, an den Kläger zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte erwidert:

Das Landgericht habe sich bei seiner Entscheidung zutreffend an vergleichbaren Fällen orientiert. Dies täte auch der Kläger, wenn er andere Entscheidungen ins Feld führe. Die vom Kläger angeführten Entscheidungen seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Soweit der Kläger sich auf einen Fall beziehe, in dem der dortige Geschädigte ein Querschnittslähmung erlitten habe, sei diese Verletzung mit der des Klägers nicht vergleichbar. Es sei zu berücksichtigen, dass zwar auch das Leben des Klägers immer eingeschränkt sein werde, der Kläger aber die notwendigsten Dinge des täglichen Lebens allein verrichten könne. Das Landgericht habe auch dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich um eine Vorsatztat gehandelt habe. Ferner müsse in die Würdigung mit einfließen, dass das Schwurgericht zwar von einer Vorsatztat ausgegangen sei, jedoch eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit angenommen habe.

Was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers betreffe, werde darauf hingewiesen, dass dieser zwei Angebote von Arbeitsstellen gehabt habe und dem Kläger erhebliche Summen von Spendengeldern zugeflossen seien. Dem Kläger sei eine Wohnung behindertengerecht ausgestattet worden und habe ein behindertengerechtes Auto erhalten. Es werde bestritten, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers zurückgegangen sei.

Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte nunmehr rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt worden sei und völlig mittellos sei. Ein über den ausgeurteilten Betrag hinausgehender Bedarf sei weder gerechtfertigt noch durchsetzbar.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Dem Kläger steht gegen den Beklagten über das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe eines Betrages von 175.000,00 EUR ein weiterer Betrag von 75.000,00 EUR zu. Der Kläger kann vom Beklagten auch eine Schmerzensgeldrente von insgesamt 1.500,00 EUR kalendervierteljährlich verlangen.

1.

Zutreffend macht der Kläger mit der Berufung geltend, dass gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB auf das schädigende Ereignis die durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften im BGB geänderte Vorschriften, nämlich der § 253 BGB n.F., anzuwenden sind, weil sich der Vorfall nach dem 31. Juli 2002 ereignet hat. Durch das Änderungsgesetz ist der Schmerzensgeldanspruch zwar grundlegend umgestaltet worden. Im deutschen Recht wird erstmals ein umfassender, d.h. vom Haftungsgrund unabhängiger Anspruch auf Schmerzensgeld bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung geschaffen. Dieser Anspruch geht in zweifacher Hinsicht über die bisherige Rechtslage hinaus. Zum einen wird der Schmerzensgeldanspruch auf Haftungssysteme erweitert, die kein Verschulden voraussetzen (sog. Gefährdungshaftung) und zum anderen kann auch im Rahmen der vertraglichen Haftung Schmerzensgeld verlangt werden (Deutscher Bundestag - Drucksache, 14/7752, Seite 24). Für den vorliegenden Fall hat aber die Neuregelung - entgegen der mit der Berufung vertretenen Ansicht - keine Änderung gebracht, weil es sich um ein deliktrechtliches Schadensereignis handelt, welches auch nach der alten Rechtslage gemäß § 847 BGB a.F. einen Schmerzensgeldanspruch nach den gleichen Grundsätzen begründete.

2.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass das Schmerzensgeld nach der Rechtsprechung des BGH eine doppelte Funktion hat. Der Verletzte soll einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten; das Schmerzensgeld soll ihn in die Lage versetzen, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu verschaffen, die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise auszugleichen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzten Genugtuung für das verschaffen, was ihm der Schädiger angetan hat (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Auflage, § 253 BGB, Rdnr.11). Die wesentliche Grundlage für die Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und Dauer der erduldeten Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit, Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs, ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles (KG, Urteil vom 10. Februar 2003 - 22 U 49/02 -, KG- Report 2003, 140, vgl. auch die dort angeführten Rechtsprechungsnachweise). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es eine bestimmte angemessene Entschädigung, die für bestimmte Beeinträchtigungen allgemeine Gültigkeit beanspruchen könnte, nicht geben kann, weil vermögensrechtliche Nachteile in Geld nicht unmittelbar messbar sind (BGH VersR 1976,967). Unter Beachtung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, die eine billige Entschädigung nach § 253 BGB erfordert, ist vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist ferner zu berücksichtigen, was andere Gerichte in vergleichbaren Fällen mit vergleichbaren Verletzungen für angemessen gehalten haben. Für vergleichbare Verletzungen und Verletzungskombinationen gezahlte Schmerzensgelder sind für den Richter ein unverzichtbarer Anhaltspunkt, an dem er sich bei der Entwicklung seiner eigenen Angemessenheitsvorstellungen zu orientieren hat (Münchener Kommentar BGB, 3. Auflage, § 847 BGB, Rdnr.18). Insoweit geht die Rüge der Berufung fehl, dass es bedenklich sei, ob diese Diktion mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar sei. Die Heranziehung vergleichbarer Entscheidungen folgt vielmehr dem Gleichbehandlungsgebot (BGH VersR 1970,281; OLG Frankfurt DAR 1994,21; NJW-RR 1990,990; OLG Hamm NJW-RR 1993,537; OLG München VersR 1992,508 und VersR 1989,1203; VersR 1995,1199) und ist im Interesse der Rechtssicherheit auch geboten. Eine Bindung an derartige Entscheidungen in präjudizieller Art besteht jedoch nicht, weil eine völlige Identität der erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie der Umstände des Schadensereignisses praktisch nie besteht, worauf der Kläger in der Berufung zutreffend hinweist. Der in § 253 BGB vorgeschriebene Maßstab der Billigkeit eröffnet dem Richter einen Spielraum, den er durch Einordnung des Streitfalles in die Skala der in anderen Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder ausfüllen muss (KG VersR 1999,504). Das Gericht ist daher nicht gehindert, die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unterschreiten oder über sie hinauszugehen, wenn dies durch die wirtschaftliche Entwicklung oder veränderte allgemeine Wertvorstellungen gerechtfertigt ist (KG, Urteil vom 10. Februar 2003 - 22 U 49/02, a.a.O., BGH VersR 1976, 967).

3.

Die Anwendung dieser Grundsätze rechtfertigt eine Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes. Der Senat hat im einzelnen folgende Umstände in die Bewertung miteinfließen lassen:

a) Der Kläger hat schwerste Beinverletzungen, die mit erheblichen Schmerzen einhergingen, und ferner eine Fraktur des Schädels und Schnittwunden am Kopf erlitten. Der Kläger befand sich infolge der Verletzungen in akuter Lebensgefahr. Im Rahmen einer Notoperation und einer sich anschließenden Operation mussten dem Kläger beide Unterschenkel amputiert werden. Zwischenzeitlich wurde die Amputation beider Kniegelenke notwendig. Wegen der Verletzungen befand sich der Kläger vier Monate in stationärer Behandlung und musste sich nachfolgend umfangreicher Rehabilitationsmaßnahmen und - behandlungen unterziehen, die noch bis heute andauern. Nach dem gerichtsmedizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. Troike vom 18. Dezember 2002 kann die Benutzung von Prothesen wegen Fehlbelastungen mit Beschwerden in anderer Körperregionen einhergehen; zeitweise wird der Kläger auf einen Rollstuhl angewiesen sein.

In diesem Zusammenhang ist auch das Alter des Klägers, der zum Zeitpunkt des Schadensfalls 22 Jahre alt war, zu berücksichtigen. Gerade bei einem Dauerschaden wirkt sich das Alter des Verletzten schmerzensgelderhöhend aus, weil ein junger Mensch diesen Schicksalsschlag länger als ein alter Mensch zu tragen hat und weil das körperliche Wohlbefinden bei diesem von größerer Bedeutung sein kann als bei einem alten Menschen (OLG Frankfurt VersR 1996,1509; Jaeger/ Luckey, Schmerzensgeld, 2003, Rdnr. 562). Der Kläger wird sein Leben lang auf Prothesen angewiesen sein, teilweise wird er einen Rollstuhl benutzen müssen, so dass ihm ein unbeschwertes Leben nicht möglich sein wird und ihm viele Lebensperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten verschlossen bleiben werden. Hierbei braucht nicht im einzelnen die zwischen den Parteien streitige Frage geklärt werden, ob und welche Dinge des täglichen Lebens durch den Kläger allein bewältigt werden können. Denn es ergibt sich bereits aus der Art der Körperschäden, dass der Kläger bei der Verrichtung alltäglicher Dinge in jedem Falle beeinträchtigt ist und besondere Anstrengungen unternehmen muss, diese zu bewältigen. Der Kläger kann nur noch eingeschränkt sportlichen Aktivitäten nachgehen und an Freizeitaktivitäten teilnehmen. Daneben stellen sich als zusätzliche Beeinträchtigungen beim jungen Kläger verminderte Ausbildungs- und Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt dar. So musste der Klägers seinen ursprünglichen Lehrberuf abbrechen und nach einer behindertengerechten Umschulung suchen, die sich besonders schwierig gestaltet. Hinzu kommt, dass die Ausbildung immer wieder durch notwendige medizinische Behandlungen unterbrochen werden muss. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger aufgrund des Schadensfalles in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, er bezieht eine geringe Opferentschädigungsrente sowie Krankengeld und es ist nicht absehbar, ob und wann er einer Beschäftigung zur Sicherung seines Lebensunterhaltes wird nachgehen können.

Der Kläger erleidet aufgrund des Vorfalles immer wieder psychische Zusammenbrüche und ist über Tage und Wochen depressiv und zieht sich von seinem sozialen Umfeld zurück. Infolge des Schadensereignisses hat der Kläger einen Dauerschaden erlitten, der sich auf seine gesamte Lebensplanung und Lebensgestaltung auswirkt.

Weiter sind gerade bei Geschädigten im jugendlichen Alter verminderte Partnerschafts- und Heiratschancen zu berücksichtigen (Jaeger/Luckey, a.a.O., Rdnr. 561). Der Kläger, der vor dem schädigenden Ereignis in einer Partnerschaft lebte und Vater einer zweijährigen Tochter ist, ist nunmehr von seiner Lebensgefährtin verlassen worden. Es kann davon ausgegangen werden, dass die körperlichen und seelischen Leiden des Klägers den Aufbau einer neuen Partnerschaft bzw. Familiengründung erschweren werden.

b) Schmerzensgelderhöhend wirken sich vorliegend auch die Umstände der vom Beklagten begangenen Straftat aus. Der Kläger wurde völlig unvermittelt von dem ihm unbekannten Beklagten vor die einfahrende U- Bahn gestoßen. Dieses grausame, vom Landgericht zutreffend als barbarisch bezeichnetes Geschehen, konnte und kann für den Kläger nur als traumatischer Schicksalsschlag empfunden werden, der in Worte kaum zu fassen ist und den Kläger sein Leben lang begleiten wird. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass dem Genugtuungsbedürfnis des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bei einer vorsätzlichen Straftat, wie sie hier vom Beklagten begangen worden ist, besonderes Gewicht zukommt (std. Rechtsprechung des BGH, u.a. BGHZ 128,117 = MDR 1995,482; BGH MDR 1993,849; BGH NJW 1996,1591; vgl. ausführlich Foerste, Schmerzensgeldbemessung bei brutalen Verbrechen, NJW 1999,2952). Das Genugtuungsbedürfnis des geschädigten Klägers führt vorliegend zu einer deutlichen Erhöhung des Schmerzensgeldes. Das berechtigt bestehende Genugtuungsbedürfnis ist nicht durch die Verurteilung des Beklagten zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren entfallen. Denn diese Verurteilung dient in erster Linie dem Interesse der Gesellschaft und nicht der Genugtuung des Klägers (BGH NJW 1995,781). Im Rahmen der Genugtuung ist auch zu berücksichtigen, dass der Beklagte das Opfer hilflos zurückgelassen hat, jede Reue hat vermissen lassen und vom Tatort geflohen ist.

Soweit der Beklagte geltend macht, dass eine verminderte Schuldfähigkeit des Beklagten vorliegt und dies zu seinen gunsten zu berücksichtigen sei, wirkt sich dies jedoch nicht schmerzensgeldmindernd aus. Zwar hat der BGH entschieden, dass es im Einzelfall der Billigkeit entsprechen könne, bei der Festsetzung der Entschädigung Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zuungunsten des Schädigers, besondere Fahrlässigkeit zu seinen Gunsten zu berücksichtigen (BGHZ 18,149). Eine Differenzierung bei Vorsatzstraftaten wird aber insbesondere der Genugtuungsfunktion nicht gerecht.

c) Soweit der Beklagte darauf abstellt, dass ein höheres Schmerzensgeld als das vom Landgericht zuerkannt, nicht in Betracht kommt, weil der Beklagte vermögenslos sei, kann dem nicht gefolgt werden. Denn das Schmerzensgeld ist als Schadensersatz dazu bestimmt, dem Verletzten für die erlittenen körperlichen und seelischen Leiden einen Ausgleich zu geben. Bei Vorsatztaten darf es deswegen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers in der Regel nicht ankommen (Jaeger/ Luckey, a.a.O., Rdnr. 786). Vielmehr muss das Schmerzensgeld eine angemessene Reaktion auf die Schwere der zugefügten Verletzungen und Leiden sein (OLG Köln VersR 2002,65).

Entgegen der Ansicht des Beklagten sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Spendengelder, die an den Kläger gezahlt worden sind, nicht zu berücksichtigen. Zwar können auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers bei der Bemessung des Schmerzensgeldes miteinfließen (Jaeger/Luckey, a.a.O., Rdnr. 794). Dies bezieht sich aber nur auf die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen der Kläger sich vor dem schädigenden Ereignis befunden hat. Vorliegend sind die Spendengelder aber wegen der vom Beklagten begangenen Vorsatzstraftat und wegen des durch die außergewöhnliche grausame Begehungsweise geweckten Medieninteresses von dritter Seite an den Kläger geflossen. Dies kann sich nicht zugunsten des Beklagten auswirken.

d) Bei der Sichtung vergleichbarer Entscheidungen anderer Gerichte hat der Senat festgestellt, dass es zwar durchaus Entscheidungen gibt, in denen über vergleichbare Verletzungen zu befinden war und die Gerichte jeweils geringere Schmerzensgelder in der Größenordnung von bis zu 100.000,00 EUR zugesprochen hatten (vgl. Hacks/ Ring/ Böhm, Schmerzensgeldbeträge, 22. Auflage, beispielsweise Nr. 2847, 2850, 2852; A. Slizyk, Beck`sche Schmerzensgeld- Tabelle, 4. Auflage, Rdnr.1880, 1958). Die Verletzungen waren aber in keinem Falle Folge einer solchen grausamen Vorsatzstraftat. Schmerzensgelder in der vom Kläger verlangten Größenordnung wurden bei Verletzungen wie Querschnittslähmung und schwersten Hirnschädigungen zuerkannt (vgl. Hacks/Ring/Böhm, a.a.O., Nr. 3018, 3020, 3021,3023). Eine dem vorliegenden Fall in dieser Hinsicht vergleichbare Entscheidung ist in der veröffentlichten Rechtsprechung nicht zu finden. Der Kläger macht mit der Berufung zu Recht geltend, dass die vom Landgericht herangezogenen Entscheidung des OLG Frankfurt vom 04. Mai 1994 - 7 U 133/92- (NZV 1995,443) mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. So ist zum einen zu berücksichtigen, dass seit der Entscheidung des OLG Frankfurt mittlerweile 10 Jahre vergangen sind. Daher ist die seit dieser Entscheidung eingetretenen allgemeine Geldentwertung angemessen zu berücksichtigen, was zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages führen muss (vgl. KG, KG- Report 2002, 98, KG, Urteil vom 15. März 2004 - 12 U 333/02 - KG- Report 2004,356; OLG Köln VersR 1992,1013). Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem dortigen Fall die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht zugrunde lag, hingegen der Beklagte eine Vorsatzstraftat begangen hat und wegen versuchten Mordes rechtskräftig verurteilt worden ist. Gerade aber der Genugtuungsfunktion kommt vorliegend, wie ausgeführt, besondere Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der herangezogen Entscheidungen anderer Gerichte ist auch zu berücksichtigen, dass es in den letzten Jahren zu einer Neubewertung von gravierenden Körperschäden gerade im Hinblick auf häufig hochbewerteten Sach- und Vermögensschäden gekommen ist (so OLG Köln, Urteil vom 03. März 1995 - 19 U 126/94 - OLGR Köln 1995,117; OLGR Köln 1992, 215). Bei schwersten Körperverletzungen, wie z.B. bei Erblindungen, Querschnittslähmung, Hirnschäden u.ä. werden im Einzelfall Schmerzensgelder in der Größenordnung von 500.000,00 DM bis 800.000,00 DM zuerkannt (Aufsatz von Steffen ZRP 1996,366; vgl. OLG Hamm, Urteil vom 21. Mai 2003 - 3 U 122/02 - ( 500.000,00 EUR bei ärztlichen Behandlungsfehler); OLG Hamm, Urteil vom 07. Juli 2004 - 3 U 264/03 - (220.000,00 EUR bei ärztlichen Behandlungsfehler), veröffentlicht Internet, www.otto-schmidt.de). Ob eine grundsätzliche Höherbewertung immaterieller Gesundheitsschäden durch die Gerichte bereits allgemein feststellbar ist, wie das OLG Köln dies annimmt, mag dahinstehen. Jedenfalls ist der allgemein zu beobachtenden Tendenz zu einer Kommerzialisierung auch immaterieller Rechtsgüter in maßvoller Weise Rechnung zu tragen (vgl. OLG Frankfurt VersR 2002,1568,1569).

Der Senat ist daher der Ansicht, dass die vom Kläger erlittenen dauerhaften Körperschäden, die er infolge der vorsätzlichen Straftat des Beklagten davon getragen hat und die ihn sein Leben lang belasten werden, unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles, insbesondere der außergewöhnlichen Tatbegehung, sowie der aufgezeigten Entwicklungen in der Rechtsprechung ein Schmerzensgeld in der zuerkannten Höhe rechtfertigen.

4.

Neben der Schmerzensgeldabfindung von 250.000,00 EUR hält es der Senat für angemessen, dem Kläger eine Schmerzensgeldrente von 1.500,00 EUR kalendervierteljährlich für die Zukunft zuzusprechen. Insbesondere bei Dauerschäden ist der Ausspruch einer Rente - neben dem Einmalbetrag - in der Rechtsprechung anerkannt (BGHZ 18,167; Palandt/ Heinrichs, a.a.O., § 253 BGB, Rdnr.23). Da der Kläger lebenslange schwere Dauerschäden erlitten hat, deren er sich immer wieder neu und schmerzlich bewusst werden wird, und die auch in Zukunft sein körperliches und seelisches Wohlbefinden und die Lebensfreude beeinträchtigen werden, war eine Rente zuzusprechen (BGH VersR 1968,475; OLG Frankfurt NZV 1995,443 und die dort angeführten weiteren Rechtsprechungsnachweise). Die Rente soll vorliegend den laufenden Lebensunterhalt des Klägers mit sichern, da er derzeit nur von der Opferrente und Krankengeld leben muss. Zum anderen soll sie dem Kläger die Möglichkeit geben, sein beeinträchtigtes Lebensgefühl stets von Neuem durch zusätzliche Erleichterungen und Annehmlichkeiten zu heben (vgl. OLG Düsseldorf DAR 1993,258).

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286,288 BGB.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Ziff.1und 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

Zurück