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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.05.2009
Aktenzeichen: 8 U 95/09
Rechtsgebiete: GVG


Vorschriften:

GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b
Ein Prozessbevollmächtigter, der in Verkennung der Vorschrift des § 119 Abs.1 Ziffer 1 b) GVG gegen ein Urteil des Amtsgerichts verspätet beim zuständigen Kammergericht Berufung einlegt, kann seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mit Erfolg auf den Vortrag stützen, dass das Amtsgericht bei Gelegenheit geäußert habe, dass das Landgericht das zuständige Berufungsgericht sei.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 8 U 95/09

28.05.2009

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Bieber, die Richterin am Kammergericht Dr. Henkel und die Richterin am Kammergericht Spiegel am 28. Mai 2009 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beklagten vom 6. Mai 2009 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Beklagten gegen das am 9. März 2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte - 20 C 373/08 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 69.705,70 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mitte hat mit am 9. März 2009 verkündetem Urteil der Räumungsklage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Der Beklagte hat gegen das ihm am 14. März 2009 zugestellte Urteil durch einen bei dem Kammergericht am 6. Mai 2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Der Beklagte begründet seinen Antrag auf Wiedereinsetzung wie folgt:

Es sei fraglich, ob § 119 Abs. 1 Nr. 1 b GVG im vorliegenden Fall überhaupt Anwendung finde. Erst durch intensive Recherche, ausgelöst durch einen ihm am 25. April 2009 zugegangenen Hinweis des Landgerichts habe der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Entscheidung des BGH (NJW 2004, 1049) als die wohl für die herrschende Meinung maßgebliche erkannt.

Das Amtsgericht Mitte habe im erstinstanzlichen Verfahren mehrfach die Zuständigkeit des Landgerichts als Berufungsgericht angegeben. In der ersten mündlichen Verhandlung am 17. November 2008 habe es angemerkt, dass nach seiner Einschätzung ohnehin erst vor dem Landgericht entschieden werde, sofern es nicht zu einem Vergleich komme. In der zweiten mündlichen Verhandlung am 16. Februar 2009 habe sich wiederum ein Gespräch darüber ergeben, wie wohl das Landgericht die Sache in der Berufung sehe und dass ohnehin erst das Landgericht über die Sache entscheiden werde. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe in einem Schriftsatz vom 18. Februar 2009 ausdrücklich ein Urteil der Zivilkammer 63 des Landgerichts Berlin zitiert und ausgeführt, dass sich der Beklagte an der Rechtsprechung der hier zuständigen Mietrechtsberufungskammer des Landgerichts Berlin orientiere. Auch nachdem der Prozessbevollmächtigte des Beklagten dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 26. März 2009 mitgeteilt habe, dass er Berufung einlegen werde und daher Sicherheitsleistung erfolgt sei, habe das Amtsgericht nicht reagiert. Letztlich sei das Amtsgericht davon überzeugt gewesen, dass das Landgericht für die Berufung zuständig sei, denn es habe auch die Streitwertbeschwerde des Prozessbevollmächtigten des Beklagten wegen Nichtabhilfe dem Landgericht vorgelegt. Dem Beklagten sei daher kein Verschuldensvorwurf zu machen.

II.

Es kann letztlich dahin gestellt bleiben, ob - wie der Beklagte meint - die Voraussetzungen für eine Zuständigkeit des Kammergerichts gemäß § 119 Abs. 1 Ziffer 1b) GVG im vorliegenden Fall gar nicht vorliegen.

Sollte das Kammergericht - wie der Beklagte meint - nicht zuständig sein, wäre die Berufung ohnehin gemäß § 522 Abs. 1 ZPO wegen Unzuständigkeit des Gerichts unzulässig.

Sollte das Kammergericht gemäß § 119 Abs. 1 Ziffer 1 b) GVG zuständig sein - wovon der Senat ausgeht - liegen aber jedenfalls die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 233 ZPO wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht vor, da der Beklagte nicht ohne sein Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Der Beklagte muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der in der Annahme, das Landgericht sei für die Berufung zuständig, verspätet beim Kammergericht Berufung eingelegt hat, zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die falsche Einschätzung der Rechtslage durch einen Rechtsanwalt ist nur in ganz engen Grenzen ein Wiedereinsetzungsgrund, nämlich dann, wenn der Rechtsanwalt die äußerst zumutbare Sorgfalt aufgewendet hat, um eine richtige Rechtsansicht zu gewinnen (Zöller, ZPO, 26. Auflage, § 233, Rdnr. 23 - Rechtsirrtum-). Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten nicht die äußerst zumutbare Sorgfalt aufgewandt, um festzustellen, welches Gericht für die Berufung zuständig ist. Erst aufgrund des ihm am 25. April 2009 zugegangenen Hinweises des Landgerichts sah sich der Prozessbevollmächtigte zu einer "intensiven Recherche" veranlasst, die zur Folge hatte, dass er "die Entscheidung des BGH (NJW 2004, 1049) als die wohl für die herrschende Meinung maßgebliche erkannt" hat. Grundsätzlich wird aber vorausgesetzt, dass ein Rechtsanwalt sich -rechtzeitig - anhand von Entscheidungssammlungen und gängiger Literatur über den Stand der neueren Rechtsprechung unterrichtet (Zöller, a.a.O., § 233, Rdnr. 23 - Gesetzeskenntnis -). Ist die Rechtslage zweifelhaft, so muss der Rechtsanwalt vorsorglich so handeln, wie es bei einer für seine Partei ungünstigen Entscheidung des Zweifels zur Wahrung ihrer Belange notwendig ist (Zöller, a.a.O.). Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die sicherste Möglichkeit, nämlich die Berufungseinlegung bei beiden in Betracht kommenden Gerichten hätte wählen müssen.

Der Einwand des Beklagten, seine irrige Rechtsauffassung sei vom Amtsgericht veranlasst und hierdurch sei ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden, greift nicht. Das Amtsgericht hatte sich mit der Frage, welches Berufungsgericht zuständig ist, gar nicht zu befassen. Dies ist eine Frage, die der Prozessbevollmächtigte des Berufungsführers in eigener Verantwortung zu prüfen hat. Wenn das Amtsgericht "bei Gelegenheit" geäußert haben sollte, dass das Landgericht das zuständige Berufungsgericht sei, so ist diese Äußerung nicht verbindlich und auch nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu schaffen, denn auf die Frage, welches Gericht das zuständige Berufungsgericht ist, kam es in erster Instanz gar nicht an. Aus diesem Grund war das Amtsgericht als Gericht der ersten Instanz trotz der von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten schriftsätzlich vertretenen Auffassung, dass das Landgericht für die Berufung zuständig sei, nicht verpflichtet, darauf hinzuweisen, welches Berufungsgericht tatsächlich zuständig ist.

Der Beklagte kann sich auch nicht etwa deshalb auf einen Vertrauenstatbestand stützen, weil das Amtsgericht mit Nichtabhilfebeschluss vom 14. April 2009 die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt hat. Zum einen hat der Beklagte nicht vorgetragen, dass ihm der Nichtabhilfebeschluss zu dem Zeitpunkt, als er die Berufung beim Landgericht einreichte, bereits vorlag. Zum anderen liegt, wie bereits ausgeführt, die Prüfung der Zuständigkeit des Berufungsgerichts in seiner eigenen Verantwortung.

Da der Beklagte gegen das ihm am 14. März 2009 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Mitte erst mit einem beim Kammergericht am 6. Mai 2009 eingegangenen Schriftsatz und damit gemäß § 517 ZPO verspätet Berufung eingelegt hat, ist die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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