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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 13.06.2006
Aktenzeichen: 9 U 251/05
Rechtsgebiete: BGB, KUG, BVerfG, RVG


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
KUG § 23 Abs. 1 Nr. 1
KUG § 23 Abs. 2
KUG § 37
KUG § 37 Abs. 1
BVerfG § 31
RVG § 15 Abs. 1
RVG § 17 Nr. 4 b
1. Die Veröffentlichung von Fotos vom Einkaufsbummel einer langjährigen Ministerpräsidentin unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt war durch ein erhebliches öffentliches Interesse gerechtfertigt. Dagegen war es mit der berechtigten Hoffnung auf Schutz und Achtung der Privatsphäre nicht mehr vereinbar, trotz Protestes der Betroffenen ihre ständige Beschattung durch Fotografen am Folgetag fortzusetzen, ohne dass ein Ende absehbar war.

2. Wird mit einem Abmahnschreiben und sodann - nach Erwirkung einer einstweiligen Verfügung - mit einem Abschlussschreiben dasselbe Unterlassungsbegehren verfolgt, fällt für die außergerichtliche Vertretung nur eine einheitliche Geschäftsgebühr an.


Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 9 U 251/05

verkündet am: 13.06.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 23.05.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Nippe und die Richter am Kammergericht Langematz und Bulling für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 22.11.2005 verkündete Teilurteil des Landgerichts Berlin - 27 O 787/05 - teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen, welche Bildnisse sie von der Klägerin in Besitz hat, die sie auf Grund der von der Beklagten erteilten Aufträge, die Klägerin zu beobachten und zu fotografieren, am 28.04.2005 durch die Personen Hnn-Jnnn Knn, Tnnn Knnn und Bnnn Bnnnn erhalten hat. Die weitergehende Auskunftsklage und die Unterlassungsklage werden abgewiesen.

2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, die Klägerin von der Inanspruchnahme durch die Rechtsanwälte Ennnnn und Dr. Knnn in Höhe von 800,79 EUR freizustellen. In Höhe von 1.419,11 EUR wird die Freistellungsklage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 93 % und die Beklagte 7 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und zwar hinsichtlich des Tenors zu 1) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.250 EUR. Im Übrigen kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht der jeweilige Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beklagte veröffentlichte Fotos, welche die Klägerin nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt der Ministerpräsidentin am 27.4.2005 beim Einkaufen zeigen, und ließ auch am Folgetag Fotografen vor dem Haus der Klägerin warten und hinter ihr herfahren. Mit dem angefochtenen Teilurteil hat das Landgericht der Beklagten untersagt, Bildnisse von der Klägerin bei privaten Einkäufen am 27.4.2005 zu verbreiten, wie in der "Bild"-Zeitung vom 28.4.2005 geschehen, und hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin von 2.219,90 EUR Anwaltskosten freizustellen sowie ihr Auskunft zu erteilen, welche Bildnisse der Klägerin vom 27.4.2005 ab 16.40 Uhr und vom 28.4.2005 die Beklagte von drei von ihr beauftragten Fotografen erhalten und in Besitz hat. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung und macht geltend:

Die Klägerin sei als langjährige Ministerpräsidentin und erste weibliche Inhaberin eines solchen Amtes in der Bundesrepublik Deutschland eine absolute Person der Zeitgeschichte und eine Leitfigur und habe sich in der Vergangenheit immer wieder bereitwillig ablichten lassen. Informationsinteressen der Öffentlichkeit seien gerade bei Personen des politischen Lebens über ihren eigentlichen Wirkungskreis hinaus anzuerkennen, auch was das Verhalten nach einem abrupten Karriereende angehe. Die persönliche Reaktion der Klägerin auf ihre Abwahl sei zeitgeschichtliches Geschehen. Eine Ministerpräsidentin habe es an einem solchen Tag hinzunehmen, bei einem anschließenden Bummel durch ein Einkaufszentrum - also nach der Rechtsprechung des BVerfG außerhalb der Privatsphäre - fotografiert zu werden, zumal sie sich auf Staatskosten mit Dienstlimousinen und Personenschutzbeamten dorthin begeben habe. Ferner sei die Unverfänglichkeit der Fotos zu berücksichtigen und dass die medienerfahrene Klägerin den Fotografen nicht ihr Missfallen über die Anfertigung der Fotos ausgedrückt habe. Das Landgericht hätte nicht unterstellen dürfen, dass sich die Fotografen durch ausdrückliche Aufforderungen nicht von einer Begleitung der Klägerin im Einkaufszentrum abbringen ließen.

Eine Herausgabe oder Vernichtung von Fotos komme unter Berücksichtigung der Pressefreiheit nur bei einem gravierenden Rechtsverstoß bei der Bildniserlangung oder einer schweren Beeinträchtigung der Persönlichkeitsinteressen in Betracht, nämlich wenn zweifelsfrei feststehe, dass die Verbreitung des Bildmaterials zeitlich unbegrenzt - selbst nach dem Tod des Betroffenen - und unter allen denkbaren Umständen unzulässig ist, was regelmäßig nur bei Bildern aus der Intimsphäre angenommen werden könne. Die Recherchen zum Verhalten der Klägerin seien auch am Folgetag, als ihr erstmals weder Dienstwagen noch Personenschützer mehr zur Verfügung standen, durch ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an ihrem Übergang vom politischen Akteur zum Privatier gerechtfertigt, zumal die Teilnahme der Klägerin am Straßenverkehr zur Sozialsphäre gehöre. Die Klägerin suche weiterhin in vielfältiger Weise die Medien und könne daher nicht beanspruchen, im Übrigen von der Öffentlichkeit völlig unbeobachtet zu bleiben, jedenfalls was ihr Verhalten im öffentlichen Raum im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit ihrem Rücktritt angehe.

Hinsichtlich der Kosten des Abschlussschreibens vom 8.6.2005 müsse der Gegenstandswert des Unterlassungsbegehrens betreffend Recherchemaßnahmen außer Betracht bleiben, weil insoweit bereits mit Ablauf des 28.4.2005 Erledigung eingetreten sei.

Die Beklagte beantragt,

das Teilurteil aufzuheben und die Klage zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, durch beschleunigte Geschwindigkeit, Befahren der Autobahn und ein plötzliches Wendemanöver sei erfolglos versucht worden, die Reporter abzuschütteln. Hernach habe sie ihnen Gestik und verbal gesagt, sie wünsche in Ruhe gelassen zu werden. Sie sei dann auch noch beim Anprobieren eines Hosenanzuges fotografiert worden. Ihr Ehemann habe beim Nachhausekommen gegen 23.30 Uhr einen Fotografen und Blitzlicht vor dem Wohnhaus gesehen. Auch eine absolute Person der Zeitgeschichte müsse es nicht hinnehmen, über mehrere Tage gegen ihren erklärten Willen einer ununterbrochenen Beobachtung ausgesetzt und beim Erwerb von Lebensmitteln und Kleidung fotografiert zu werden. Die Verbreitung der Bilder aus einer solchen lückenlosen Observation sei unzulässig. Dass sich die Antragstellerin früher vereinzelt auf einem Flohmarkt habe ablichten lassen, sei nicht vergleichbar.

II.

Die zulässige Berufung hat überwiegend Erfolg.

1. Die Klägerin kann aus ihrem Recht am eigenen Bild (§ 22 Satz 1 KUG) und ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG keinen Anspruch entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB herleiten, dass die Beklagte die Fotos von den Einkäufen der Klägerin am 27.4.2005 nicht mehr verbreitet.

a. Die streitgegenständlichen Aufnahmen stellen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dar.

Zum einen war die Klägerin am 27.4.2005, als die Aufnahmen gefertigt wurden, als so genannte absolute Person der Zeitgeschichte anzusehen, d. h. als Person, an der ein Interesse der Öffentlichkeit um ihrer selbst Willen besteht. Sie nahm als langjährige Ministerpräsidentin eines Bundeslandes bis zu diesem Tage eine herausragende Stellung in der deutschen Politik ein und stellte damit - entgegen der Annahme des Landgerichts - auch eine Leitfigur dar, zumal sie ein solches Amt als bislang einzige Frau in der Bundesrepublik Deutschland inne hatte. Dieser Rang endete nicht etwa mit der Stunde des Amtsverlustes.

Zum anderen ist es von zeitgeschichtlicher Bedeutung, wie ein hochrangiger Politiker aus seinem Amt scheidet. Nicht wenige Menschen werden erfahren wollen, wie der Betreffende mit einer solchen Veränderung umgeht. Von daher ist ein Berichterstattungsinteresse auch an dem Einkaufsbummel anzuerkennen, den die Klägerin auf der Heimfahrt von ihrer Verabschiedung unternommen hat. b. Im Rahmen der gebotenen Abwägung gemäß § 23 Abs. 2 KUG ist zwar ein gewisses Anonymitätsinteresse der Klägerin zu berücksichtigen. Aus Sicht des Senats kommt, wie nachfolgend unter 2.a.bb näher ausgeführt wird, im Lichte der Entscheidung des EGMR vom 24.6.2004 (NJW 2004, 2647) ein Schutz der Privatsphäre auch an nicht abgeschiedenen Plätzen in Betracht.

Ferner mag der (bestrittene) Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt werden, dass sich die Reporter auf der Fahrt vom Landeshaus zum Einkaufszentrum nicht abschütteln ließen und von ihr im Einkaufszentrum ausdrücklich gebeten wurden, sie in Ruhe zu lassen, und dass im Bekleidungsgeschäft außer dem abgedruckten Bild noch weitere Fotos von ihr aufgenommen wurden. Hiernach, aber auch schon aufgrund der im angefochtenen Urteil angeführten unstreitigen Umstände, insbesondere dass die Journalisten auch nach dem im Bekleidungsgeschäft ausgesprochenen Hausverbot weiterhin der Klägerin durch das Einkaufszentrum folgten, stellte die Begleitung durch die Reporter für die Klägerin eine nicht unerhebliche Belästigung dar.

c. Gleichwohl müssen die Belange der Klägerin hier zurücktreten.

Die streitgegenständlichen Fotos, welche die Klägerin vor einer Salat-Theke, in einem Bekleidungsgeschäft neben Kleiderständern bzw. vor dem Schaufenster eines Schuhgeschäftes zeigen, sind unverfänglich und in einem frequentierten Einkaufszentrum aufgenommen. Ferner hatte die Klägerin während ihrer Amtszeit einzelne Einblicke in ihr Privatleben gestattet und sich u. a. beim Einkaufen auf Flohmärkten - wenn auch nicht von Lebensmitteln oder Kleidung - fotografieren lassen.

Vor allem müssen sich Inhaber eines öffentlichen Amtes auch nach den Maßstäben des EGMR eine Beobachtung im Alltagsleben eher gefallen lassen. Bei einer Person in führender politischer Position kann ein Bericht über das private Verhalten durchaus einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse leisten.

Die streitgegenständlichen Aufnahmen wurden am 27.4.2005 an eben dem Tag gefertigt, als die Klägerin nach rund 12 Jahren im Amt der Ministerpräsidentin abgelöst wurde, was nach der Landtagswahl vom 20.2.2005 und nach den für die Klägerin erfolglosen vier Wahlgängen in der Landtagssitzung vom 17.3.2005 allgemein große Beachtung fand. Auch hatte die Klägerin ihre Betroffenheit über die Vorgänge deutlich zum Ausdruck gebracht. Vor diesem Hintergrund ist ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an dem Verhalten der Klägerin unmittelbar nach ihrem Amtsverlust anzuerkennen und es hatte Bezug zur politischen Debatte, wie sich die bisherige Regierungschefin in dieser Situation präsentierte.

Deshalb war es für die Klägerin unmittelbar nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt zumutbar, entweder vom Besuch eines Einkaufszentrums auf der Heimfahrt vom Landeshaus abzusehen oder aber eine Beobachtung durch Pressevertreter, wie sie in den streitgegenständlichen Fotos ihren Niederschlag gefunden hat, hinzunehmen.

2. Die Beklagte ist zu Recht zur Auskunft über ihren Besitz an Bildnissen der Klägerin verurteilt worden, soweit es um Fotos vom 28.4.2005 geht.

a. Die Fortsetzung der Observation verletzte das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin, so dass die Aufnahmen von diesem Tage im Sinne von § 37 KUG widerrechtlich hergestellt sind.

aa. Zum einen kann die Beklagte kein vergleichbares Berichterstattungsinteresse an den privaten Aktivitäten der Klägerin wie am Tage des Abschiedes aus dem Amt für sich reklamieren. Zum anderen setzte sich die Beklagte über mittlerweile umfänglichen Protest der Klägerin hinweg. Obwohl die Klägerin am frühen Abend des 27.4.2005, als sie von ihrer Privatwohnung zu Freunden fuhr, gemeinsam mit der stellvertretenden Regierungssprecherin Nnnn vom Fotografen Knnn verlangt hatte, ihr nicht mehr zu folgen, und die Zeugin Nnnn diese Aufforderung am 28.4.2005 gegenüber dem Foto-Redakteur Bnnnn und telefonisch gegenüber dem Redakteur Pnnnn der Beklagten wiederholte, wurde auch nach Darstellung der Beklagten von ihren Mitarbeitern kein Ende der Beschattungsaktion in Aussicht gestellt. Hiernach stellten die Recherchemaßnahmen der Beklagten für die Klägerin eine unerträgliche Dauerbelästigung und Verfolgung dar (vgl. EGMR a. a. O. Tz. 59, 68) und waren nicht mehr damit vereinbar, dass auch eine der breiten Öffentlichkeit bekannte Person eine berechtigte Hoffnung auf Schutz und Achtung ihrer Privatsphäre haben muss (vgl. EGMR a. a. O. Tz. 69, 78).

bb. Diese Leitgedanken des EGMR sind für die vorliegende Entscheidung maßgeblich zu berücksichtigen, auch wenn die Klägerin am 28.4.2005 auf öffentlichem Straßenland beobachtet wurde und das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 15.12.1999 (NJW 2000, 1021) Plätzen, an denen sich der Betroffene unter vielen Menschen befindet, einen Privatsphärenschutz abgesprochen hat

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.10.2004 (NJW 2004, 3407) sind die deutschen Gerichte im Rahmen ihrer Bindung an Gesetz und Recht verpflichtet, die Gewährleistungen der EMRK und der Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zu berücksichtigen (Tz. 46, 47), das Grundgesetz ist nach Möglichkeit so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht entsteht (Tz. 33), der Text der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten (Tz. 32) und Entscheidungen des EGMR sind in den betroffenen Teilrechtsbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen (Tz. 58). Bei dieser Einpassung befinden sich die Fachgerichte, was den Umfang des Persönlichkeitsschutzes bei privaten Auftritten Prominenter im öffentlichen Raum angeht, in einem Spannungsverhältnis, sieht doch der EGMR einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK gerade in Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte, u. a. dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1999. Für Entscheidungen des EGMR ist zwar keine Bindungswirkung normiert, wie sie gemäß § 31 BVerfG den tragenden Erwägungen der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zukommt. Gleichwohl haben die deutschen Gerichte im Allgemeinen einer verallgemeinerungsfähigen und allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Auslegung einer Konventionsbestimmung durch den Gerichtshof vorrangig Rechnung zu tragen (vgl. BVerwGE 110, 203, 210). Der Senat geht daher, wie er mit Urteilen vom 29.10.2004 - 9 W 128/04 - (NJW 2005, 605) und vom 20.12.2005 - 9 U 130/05 - näher ausgeführt hat, im Hinblick auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands von einer gelockerten Bindungswirkung des Urteils vom 15.12.1999 aus und sieht sich gehalten, einen Ausgleich zwischen den divergierenden Auffassungen zu finden

Dabei ist u. a. daran festzuhalten, dass - obwohl dies im Urteil des EGMR keinen oder kaum Niederschlag gefunden hat - sich auch die Unterhaltungspresse auf die Meinungsfreiheit berufen kann und dass der Betroffene seine Privatsphäre nicht dadurch ausweiten kann, dass er in der Öffentlichkeit intime Verhaltensweisen an den Tag legt. Ferner sieht der Senat keinen Anlass, den Begriff der "absoluten Person der Zeitgeschichte" gänzlich fallen zu lassen, d. h. ein generelles Berichterstattungsinteresses an den Umständen einer Person von vornherein außer Betracht zu lassen. Dem EGMR ist aber darin beizupflichten, dass es die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) beeinträchtigen kann, wenn ein Betroffener - mag er sich auch den Blicken von Passanten ausgesetzt haben - in alltäglichen Lebenssituationen der Medienöffentlichkeit präsentiert wird, und dass für Prominente bei rein privaten Tätigkeiten im Alltagsleben ein Schutz vor einer Verfolgung durch Fotografen geboten sein kann. Daher erscheint es mit der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) vereinbar, das Recht auf Achtung des Privatlebens im Einzelfall über Orte der Abgeschiedenheit hinaus zu erstrecken.

cc. Hiernach kommt bei der Abwägung gemäß § 23 Abs. 2 KUG dem Persönlichkeitsrecht der Klägerin für den 28.4.2005 Vorrang zu. Obwohl der Tag ihres Abschieds als Ministerpräsidentin vorüber war, musste die Klägerin davon ausgehen, seitens der Beklagten weiterhin auf unabsehbare Zeit bei jedem Schritt außerhalb des häuslichen Bereichs ausgespäht, abgelichtet und belauscht (vgl. die Wiedergabe eines Verkaufsgesprächs in der Ausgangsmitteilung) zu werden. Sie in dieser Weise an einem ungezwungenen Leben zu hindern, war durch das (reduzierte) Berichterstattungsinteresse nicht mehr zu rechtfertigen.

Aus Sicht des Senats wurde mit der Fortsetzung der Observation am 28.4.2005 zugleich die Grenze zu einer "indiskreten Beobachtung" überschritten, die das BVerfG (NJW 2004, 2194) auch an einem öffentlichen Ort als unzulässig angesehen hat. b. Der Auskunftsanspruch folgt aus § 242 BGB, weil die Klägerin naturgemäß in Unkenntnis über das Fotomaterial der Beklagten ist - die auf Seite 34 der Klagerwiderung selbst "Bilder vom Folgetag" erwähnt hat - und gemäß § 37 Abs. 1 KUG Vernichtung der Aufnahmen verlangen kann bzw. - wie in ihrer Stufenklage geschehen - eine ersatzlose Herausgabe zur Wahl stellen darf (s. a. Wenzel/von Strobl-Albeg, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap. 9 Rz. 4).

Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Vorhaltung eines Pressearchivs unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht und der Vernichtungs- und Herausgabeanspruch deshalb im Wege verfassungskonformer Auslegung einzuschränken ist (vgl. OLG Hamburg AfP 1997, 535, 536 f.; von Strobl-Albeg a. a. O. Rz. 5). Im vorliegenden Fall erscheint es ausgeschlossen, dass eine Veröffentlichung von Fotos, welche die Klägerin am 28.4.2005, d. h. offenbar anlässlich der (im Hinblick auf die Beschattung abgebrochenen) Fahrt mit ihrem Privatwagen zeigen, in Zukunft, wenn auch noch der Aktualitätsbezug wegfällt, zulässig werden könnte.

Der Auskunftsanspruch ist, wie das Landgericht zutreffend und unangefochten ausgeführt hat, von der Beklagten nicht erfüllt worden.

3. Ein Anspruch der Klägerin auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten ist dem Grunde nach gegeben, weil die Beklagte die Rechte der Klägerin durch die Observation am 28.4.2005 schuldhaft verletzt hat und weil die Klägerin bis zur Widerspruchsschrift vom 11.7.2005 mit der Fortsetzung solcher Recherchemaßnahmen rechnen musste, aber der Höhe nach nur teilweise begründet.

Für das Abmahnschreiben vom 28.4.2005 und das Abschlussschreiben vom 8.6.2005 ist nur eine einheitliche Geschäftsgebühr (VV Ziffer 2400 RVG) angefallen. Gemäß § 17 Nr. 4 b RVG stellen zwar ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und eine Klage gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten dar. Bei der außergerichtlichen Vertretung der Klägerin handelte es sich aber gleichwohl um eine einheitliche Angelegenheit. Mit dem Abmahnschreiben wurden die Forderungen der Klägerin bereits umfassend geltend gemacht und das Abschlussschreiben diente der Durchsetzung des identischen Unterlassungsbegehrens. Die Geschäftsgebühr gilt daher gemäß § 15 Abs. 1 RVG die gesamte außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit ab (s. a. Göttlich/Mümmler, RVG, "Geschäftsgebühr" Anm. 5.2 mit weiteren Nachweisen; Riedel/Sußbauer/Schneider, RVG, 9. Auflage, VV Teil 2 Rn. 31). Dem Rechtsanwalt steht in einem Fall wie dem vorliegenden eine Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Vertretung zu sowie jeweils eine Verfahrensgebühr für das Eilverfahren und - unter teilweiser Anrechnung der Geschäftsgebühr - für das Hauptsacheverfahren zu (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Auflage, § 17 Rn. 26). Soweit in der Literatur eine Geschäftsgebühr - für ein einfaches Schreiben - aufgrund der Beauftragung mit einem Abschlussschreiben angenommen wird (vgl. Ahrens, Wettbewerbsprozess, 5. Auflage, Kap. 58 Rn. 41), ist damit nichts über eine zusätzliche Geschäftsgebühr für die Abmahnung gesagt.

Die angesetzte 1,5fache Geschäftsgebühr ist hiernach - zumal unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit der Abmahnung - ebenso wenig zu beanstanden wie der angesetzte Geschäftswert von 75.000 EUR. Die Geschäftsgebühr beträgt daher entsprechend der Berechnung auf Seite 6 der Klageschrift 2.111,20 EUR (einschließlich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer).

Hiervon sind für den Freistellungsanspruch der Klägerin 2/3, d. h. 1.407,47 EUR, in Ansatz zu bringen, denn das berechtigte Verlangen auf Unterlassung weiterer Observation ist mit einem Hauptsachewert von 50.000 EUR und damit doppelt so hoch zu bewerten wie das unbegründete Begehren, die Fotos von den privaten Einkäufen am 27.4.2005 nicht weiter zu verbreiten; für die Klägerin war eine Beendigung der Recherchemaßnahmen zweifellos deutlich wichtiger.

Die im Verfügungsverfahren (nach einem Wert von 50.000 EUR) angefallene Verfahrensgebühr ist gemäß Vorbemerkung 3 (4) Satz 1 VV mit einem Satz von 0,75 anzurechnen, soweit sie - ebenfalls zu 2/3 - auf den Unterlassungsantrag gegenüber weiterer Beobachtung entfällt, d. h. in Höhe von (0,75 x 1.046 EUR x 2/3 =) 523 EUR zuzüglich 83,68 EUR Mehrwertsteuer, zusammen 606,68 EUR.

Dem gemäß kann die Klägerin Freistellung in Höhe von (1.407,47 EUR ./. 606,68 EUR =) 800,79 EUR beanspruchen. Über ihre Zinsforderung ist noch vom Landgericht zu entscheiden.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 ZPO bzw. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen den Entscheidungen BVerfG NJW 2000, 1021 und EGMR NJW 2004, 2647 war die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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