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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.10.1999
Aktenzeichen: Kart Verg 3/99
Rechtsgebiete: GWB, VOB/A, UVV


Vorschriften:

GWB § 97 Abs. 1
GWB § 97 Abs. 2
GWB § 97 Abs. 7
GWB § 78 S. 2
VOB/A § 24
VOB/A § 25a
VOB/A § 24 Nr. 3
UVV § 37
Verletzung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und des Transparenzgrundsatzes bei der Endauswahl unter den beiden Spitzenbewerbern um den ausgeschriebenen Auftrag durch Anlegen eines höheren Leistungsmaßstabs als nach den Verdingungsunterlagen zu erwarten war.

1. Orientiert sich die Vergabestelle bei der Endauswahl unter den beiden Spitzenbewerbern um den ausgeschriebenen Auftrag bei einem zentralen Bewertungskriterium für die Zuschlagserteilung an höheren Anforderungen, als es nach den Verdingungsunterlagen zu erwarten war, liegt darin eine Verletzung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und des Transparenzgrundsatzes.

2. Die Verletzung dieser Grundsätze muss nicht zwangsläufig ohne weiteres die Aufhebung des Vergabeverfahrens zur Folge haben; es kann genügen, der Vergabestelle die Auftragsvergabe aufgrund des bisherigen Endauswahlkriterien zu untersagen und ihr aufzugeben, die Endauswahl nach zulässigem Maßstab neu vorzunehmen.


Kammergericht

Beschluß

13.10.1999

Kart Verg 3/99

hat der Vergabesenat des Kammergerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 1999 durch die Richter am Kammergericht Dr. Rejewski und Gröning und die Richterin am Landgericht Kingreen beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 7. Juni 1999 - VK 1 -11/99 - aufgehoben, soweit darin der Nachprüfungsantrag zu 1. zurückgewiesen und soweit die Beschwerdeführerin mit den gesamten Verfahrenskosten belastet worden ist.

Der Beschwerdegegnerin wird untersagt, die Lose 4, 8 und 9 auf der Grundlage ihrer bisherigen Bewertung der in die engere Wahl genommenen Angebote an die B. GmbH zu vergeben.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin 4/5, die Beschwerdeführerin 1/5 zu tragen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Beschwerdegegnerin in vollem Umfang zur Last.

Gründe

I. Das vorliegende Vergabenachprüfungsverfahren bezieht sich auf eine Ausschreibung der Beschwerdegegnerin zur losweisen Lieferung und betriebsfertigen Montage und Instandhaltung von Videoaufnahmesystemen in ...bank-Gebäuden. Die digitalen Videoaufnahmesysteme sollen unter Einsatz verschiedener Kameragruppen (Außen-, Raum-, Punkt- und Belegkameras) komprimierte Bilder von den Arbeitsabläufen in den Zweiganstalten der ...banken aufzeichnen. Die Komprimierung dient der Einsparung von Speicherplatz.

Als Komprimierungsverfahren ist im Leistungsverzeichnis das sogenannte JPEG-Verfahren - bei einer mittleren Bilddateigröße von 25 kB zuzüglich einer 20-prozentigen Speicherreserve - zu Grunde gelegt. Die Bieter können aber auch andere, gleichwertige Komprimierungsverfahren anbieten.

Beim JPEG-Verfahren werden einzelne Bilder komprimiert. Speicherplatz wird bei der Kompression nur in Bezug auf untereinander ähnliche Bildteile eingespart (Ausnutzung der sogenannten räumlichen Redundanz). Andere Verfahren machen ganze Bildfolgen zum Gegenstand der Komprimierung. Sie nutzen insoweit die Ähnlichkeit von Bildteilen innerhalb einer Abfolge von Bildern aus und können dadurch überproportional Speicherplatz einsparen (Ausnutzung der zeitlichen Redundanz).

Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörte ein Videoband, auf dem Bildsequenzen von beispielhaften Außen-, Raum-, Punkt- und Belegkameras aufgezeichnet waren, und zwar sowohl unkomprimiert, als auch nach einer JPEG-Kompression. Zur Überprüfung der Detailgenauigkeit und Aufzeichnungsdichte waren mit den Angeboten Testaufnahmen einzureichen. Die dazu erforderlichen Testaufbauten hatten sich an den entsprechenden Bildsequenzen auf dem Videoband zu orientieren. Von den unkomprimierten Bildsequenzen der einzelnen Kameras waren mit den angebotenen Aufzeichnungskomponenten Aufnahmen aufzuzeichnen. Für alle Testaufnahmen waren die Komprimierungsraten so zu wählen, dass die Bilddateigröße der für das jeweils angebotene System angegebenen mittleren Bilddateigröße entsprach.

Die Beschwerdeführerin hatte bezüglich der drei Lose, für die sie sich beworben hatte, ein Nebenangebot (Alternativangebot) abgegeben, das preislich das Günstigste war und mit dem sie, neben dem Angebot des Mitbewerbers B. in die engere Wahl gekommen war. Beide Angebote verwenden nicht die JPEG-Einzelbildkompression, sondern komprimieren - in unterschiedlichen Verfahren - Bildsequenzen. Die mittlere Bilddateigröße im B.-Angebot ist mit 10 kB angegeben, diejenige im Alternativangebot der Beschwerdeführerin mit 5 kB.

Die Beschwerdegegnerin führte mit beiden Bewerbern getrennte Gespräche zur Aufklärung des Angebotsinhalts (§ 24 VOB/A), zu denen Testaufnahmen mit den Videosystemen gehörten. Für die Beschwerdeführerin nahmen dieses Gespräch in Vollmacht Mitarbeiter des Unternehmens T. GmbH (nachstehend: T.) wahr. T. ist Lieferant der von der Beschwerdeführerin angebotenen Systeme. Die Qualität der Testaufnahmen war im Vergleich mit den von B. gelieferten unzulänglich. Die Beschwerdeführerin möchte die Aufnahmen mit veränderten Geräteeinstellungen wiederholen und sieht sich vergaberechtlich benachteiligt, weil die Beschwerdegegnerin ihr dies verweigert. Die Beschwerdegegnerin begründet ihre Weigerung mit der Befürchtung, die Beschwerdeführerin könnte ihr Angebot vor einer erneuten Demonstration grundlegend umgestalten. Die von der Beschwerdegegnerin mit der technischen und wirtschaftlichen Prüfung der Angebote betrauten Stellen schlagen vor, den gesamten Auftrag an B. zu vergeben (Anlage 3 des Vergabevermerks). Für die hier nicht streitigen Teillose (1, 2, 3 5, 6, und 7) hat B. den Zuschlag auch erhalten.

Die Beschwerdeführerin hat vor der Vergabekammer beantragt,

1. die Vergabestelle zu verpflichten, eine umfassende und abschließende Aufklärung zur Gleichwertigkeit ihres Alternativangebots herbeizuführen;

2. der Vergabestelle aufzugeben, die Beschwerdeführerin spätestens 10 Tage vor der Erteilung des Zuschlags davon in Kenntnis zu setzen, welchen Bieter sie bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen beabsichtigt und ggf. aus welchen Gründen sie das Angebot der Beschwerdegegnerin ablehnt.

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Die 1. Vergabekammer des Bundes hat den Antrag zu 2. mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen und den Antrag zu 1 mit im Wesentlichen folgender Begründung als unbegründet zurückgewiesen: Zwar sei nicht auszuschließen, dass bei den Testaufnahmen Versäumnisse aufgetreten sind, die bei Einsatz kompetenterer Mitarbeiter hätten vermieden werden können. Doch habe die Vergabestelle das gesamte Bietergespräch am 20. April 1999 im Einverständnis mit der Beschwerdeführerin und mit von ihr gebilligtem Bedienungspersonal und Material geführt. § 24 VOB/A sei eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift. Die Verhandlungen mit Bietern über ihre Angebote liefen im Grunde dem Wettbewerbsprinzip der VOB zuwider. Finde eine Aufklärung des Angebotsinhalts statt, müsse der Bieter alle Vorkehrungen treffen, um den erfolgreichen Ablauf dieser Verhandlung zu gewährleisten. Eine Wiederholung der Verhandlungen mit geänderten oder angepassten Vorgaben würde zu einer Benachteiligung der anderen Bieter führen, die mit Sinn und Zweck von § 24 VOB/A nicht zu vereinbaren sei. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer hat die Beschwerdeführerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie sich gegen die Zurückweisung ihres Antrags zu 1. wendet. Sie beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, eine ausreichende und abschließende Aufklärung zur Gleichwertigkeit ihres Alternativangebots herbeizuführen, insbesondere durch klarstellende weitere Testaufnahmen.

Die Beschwerdegegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerdeführerin hat gemäß § 97 Abs. 7 GWB Anspruch darauf, dass die Beschwerdegegnerin die Lose 4, 8 und 9 nicht auf der Grundlage ihrer bisherigen Wertungen an B. vergibt. Eine zu Gunsten von B. auf dieser Basis getroffene Vergabeentscheidung würde zum Nachteil der Beschwerdeführerin den vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und den Transparenzgrundsatz (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB) verletzen. Das ergibt sich aus Folgendem: Das bisherige Verfahren der Beschwerdegegnerin zur Wertung der in die engere Wahl gezogenen Angebote läuft darauf hinaus, höhere Anforderungen an die Aufzeichnungsqualität zu stellen, als es der Leistungsbeschreibung entspricht. Das Leistungsverzeichnis verlangt auf Grund der eingeschränkten Platzverhältnisse eine möglichst platzsparende Ausführung der Komponenten im Bereich der Systemzentrale. Dies gilt auch für die Gesamtspeicherkapazität des Aufnahmesystems. Es war eine maximale Bilddatenkompression (minimale Größe der Bilddateien) gefordert, bei der die im Leistungsverzeichnis festgelegten Anforderungen an die Detailgenauigkeit der einzelnen Kameragruppen lediglich nicht unterschritten werden durften. Ihre Vorstellungen zur Detailgenauigkeit hatte die Beschwerdegegnerin für die Ausschreibung ersichtlich anhand der "Anforderungen an die Prüfung von optischen Raumüberwachungsanlagen nach § 37 UVV 'Kassen' (VBG 120)" entwickelt. Nunmehr will sie, abweichend, dem Angebot den Zuschlag erteilen, das eine prinzipiell unbegrenzte Detailgenauigkeit unter Vernachlässigung des Faktors der Minimierung der Speicherkapazität verspricht. Damit führt die Beschwerdegegnerin zwar kein gänzlich neues Bewertungskriterien i. S. v. § 25a VOB/A ein, sie will aber bei einem zentralen Bewertungskriterium für die Zuschlagserteilung höhere Anforderungen stellen, als es nach den Verdingungsunterlagen zu erwarten war. Diese Verlagerung der Wertungsschwerpunkte hängt ersichtlich damit zusammen, dass der Mitbewerber B. die Beschwerdegegnerin über das Ergebnis innerbetrieblicher Tests zum Speicherbedarf bei länger andauernden Phasen mit hoher Bewegungsaktivität in Kenntnis gesetzt hatte. B. hatte Zweifel daran angemeldet, dass die Speicherkapazitäten des eigenen, auf eine mittlere Bilddateigröße von 10 kB ausgelegten Angebots ausreichend bemessen waren, um eine vollständige Aufzeichnung des gesamten Geschehens während des vorgesehenen Aufzeichnungszeitraums zu garantieren. B. hat daher sogar angeboten, Speicherkapazität kostenlos nachzurüsten, falls sich die in ihrem Angebot vorgesehene in der Praxis als zu gering erweisen sollte. Dies hat auf Seiten der Beschwerdegegnerin ersichtlich die Besorgnis erweckt, möglicherweise ein System anzuschaffen, das nicht in der Lage ist, gerade die beweiserheblichen Details von rechtswidrigen Handlungen festzuhalten. Deshalb hat sie sich entschlossen, zusätzliche Testaufnahmen anfertigen zu lassen, um die Fähigkeit der Angebote zu prüfen, Geschehen mit hoher Bildaktivität zu verarbeiten.

Die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung der Bieter wären bei einer Vergabe an B. auf der Grundlage des bisherigen Wertungsverfahrens bereits deshalb verletzt, weil die Beschwerdegegnerin es unterlassen hat, die Beschwerdeführerin rechtzeitig vor dem Bietergespräch darüber aufzuklären, dass sie an das Bewertungskriterium der Detailgenauigkeit in Relation zu dem des Speicherplatzbedarfs andere Erwartungen stellt, als im Leistungsverzeichnis. Dadurch war die Beschwerdeführerin bei der Demonstration am 20. April 1999 vergaberechtlich benachteiligt. Während B. darauf eingestellt war und das eigene Angebot sogar darauf zugeschnitten hatte, dass bewegtes Geschehen und schnelle Handlungsabläufe optimal aufgezeichnet werden konnten und während B. überdies Gelegenheit gehabt hatte, die Qualitätsmängel abzustellen, die bei der ersten Demonstration am 12. April 1999 noch aufgetreten waren (vgl. Besprechungsvermerk vom 14. April 1999), durfte die uninformierte Beschwerdeführerin davon ausgehen, dass die Testaufnahmen sich im Rahmen der im Leistungsverzeichnis definierten Anforderungen halten würden. Dies war nicht der Fall. Die Beschwerdegegnerin will zwar darauf hinaus, die im Test gestellten Anforderungen seien nicht höher gewesen, als in den Ausschreibungsunterlagen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die allgemeine Aufgabenstellung, komprimierte Bilder von Arbeitsabläufen in den Zweiganstalten der Landeszentralbanken aufzuzeichnen und macht dabei geltend, die Bewegungsintensität könne unvorhersehbare Ausmaße einnehmen. Dieser Einwand greift vergaberechtlich aber nicht durch. Er lässt unbeachtet, dass die Anforderungen an die Detailgenauigkeit bei den Aufzeichnungskanälen (2.3. des Leistungsverzeichnisses) konkretisiert sind und dass auch bei der Digitalisierung und Komprimierung (2.8.1) auf diese konkretisierten Anforderungen Bezug genommen wird. Als Bewertungsmaßstab für die Detailgenauigkeit der Raumkameras in Räumen der Papiergeldbearbeitung ist dort die "Prüftafel zum Erfassen der wesentlichen Phasen eines Überfalls der UVV Kassen anzusetzen. Im komprimierten Videobild muss in einem Abstand von 3 m das 'Muster 1' dieser Tafel noch zu erkennen sein." Diese Tafel wird, wie in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden ist, jeweils von einer stehenden Person gehalten. Bei den zusätzlichen Testaufnahmen ging es der Beschwerdegegnerin, wie bereits ausgeführt, dagegen darum, gestellte bewegungsintensive Handlungsabläufe und besonders schnelle Überreichungen von Belegen scharf aufzuzeichnen.

Um die Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin und eine Schädigung ihrer Interessen zu verhindern (§ 114 Abs. 2 i. V. m. § 123 GWB), war der Beschwerdegegnerin zu untersagen, den Auftrag auf der Grundlage der erfolgten und im Vergabevermerk dokumentierten Wertung der Angebote an den Mitbewerber zu vergeben. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Erkennt ein Auftraggeber, wie hier, im Verlaufe des Vergabeverfahrens, dass er seinen Beschaffungsbedarf nur mit solchen Angeboten zufriedenstellend decken kann, die bei einem in den Ausschreibungsunterlagen genannten Kriterium (Detailgenauigkeit) höheren Anforderungen genügt, als sie in den Verdingungsunterlagen definiert waren, muss dies nicht zwangsläufig ohne weiteres die Aufhebung des Vergabeverfahrens zur Folge haben (§ 26 Nr. 1 lit. c VOB/A; vgl. dazu auch Beschluss der 2. Vergabekammer des Bundes vom 26. August 1999 - VK 2 - 22/99). Im vorliegenden Fall liegt die besondere Situation vor, dass nur zwei Unternehmen in die engere Wahl gelangt sind, eines (B.) die höheren Anforderungen von vornherein erfüllt, das andere Unternehmen, die Beschwerdeführerin, aber vergaberechtlich benachteiligt ist, weil es sein (Neben-)Angebot im Vertrauen auf die in den Verdingungsunterlagen beschriebenen Anforderungen ausgerichtet hat und von den nachträglich gestellten erhöhten Anforderungen überrascht wird. Die Chancengleichheit der Beschwerdeführerin und damit die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens kann, da es sich um ein Nebenangebot handelt, dadurch wiederhergestellt werden, dass ihr Gelegenheit zu technischen Änderungen geringen Umfangs gegeben wird. Das ergibt sich aus § 24 Nr. 3 VOB/A. Danach sind bei Nebenangeboten Verhandlungen zulässig, wenn sie notwendig sind, um unumgängliche technische Änderungen geringen Umfangs zu vereinbaren. Diese Regelung dient gerade dem Ziel, ansonsten unnötigerweise erforderliche Aufhebungen von Ausschreibungen zu vermeiden (vgl. Ingenstau/Korbion, VOB 13. Aufl., A § 24 Rdn. 22).

Es ist auch nicht zu befürchten, dass der Wettbewerb verfälscht würde, wenn nur B. und die Beschwerdeführerin Gelegenheit erhielten, ihr Angebot entsprechend den jetzigen Anforderungen der Beschwerdegegnerin aufrechtzuerhalten. Das beruht darauf, dass die übrigen Bieter zwar die Anforderungen an die in der Leistungsbeschreibung geforderte Detailgenauigkeit erfüllt haben, ihre Angebote aber aus Köstengründen nicht in die engere Wahl gelangt sind. Es ist demgemäß nicht zu erwarten, dass sie in der Lage sind, höheren Qualitätsanforderungen mit gleichwohl wettbewerbsfähigen Preisen gerecht zu werden.

Will die Beschwerdegegnerin die Angebote innerhalb der vorliegenden Ausschreibung neu werten, muss sie allerdings beachten, dass sie die Anforderungen an die Detailgenauigkeit unter Berücksichtigung des Aufzeichnungszeitraums nicht einseitig so hochschrauben kann, dass dem Kriterium der Begrenzung der Speicherkapazität keinerlei Bedeutung mehr zukommt. Das liefe auf eine grundlegende Änderung der Verdingungsunterlagen hinaus. Die Beschwerdegegnerin hat vielmehr zu berücksichtigen, dass es ihr bei verständiger Auslegung der Ausschreibungsunterlagen zwar auf die Qualität einer JPEG-Einzelbildkompression mit einer mittleren Bilddateigröße von 25 kB während des vorgesehenen Aufzeichnungszeitraums ankam, dass dies aber mit einem spürbar geringeren Speicherbedarf realisiert werden sollte, als er von diesem System benötigt wird. Die JPEG-Einzelbildkompression ist, wie die Vertreter der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, wegen ihres hohen Speicherplatzbedarfs praktisch gar nicht wettbewerbsfähig.

Im Vorbringen der Beschwerdegegnerin klingt an, dass sie Testaufnahmen an sich gar nicht für notwendig ansieht, um die Unterlegenheit des von der Beschwerdeführerin angebotenen Systems nachzuweisen. Diese sei nämlich in dessen Arbeitsprinzip angelegt. Ein System, das unabhängig von der Bewegungsaktivität mit einer nach oben begrenzten Bilddateigröße arbeite, berge grundsätzlich die Gefahr, dass bewegungsintensive Geschehensabläufe nicht hinreichend scharf aufgezeichnet würden. Das ist vergaberechtlich nicht überzeugend. Die zuständigen Mitarbeiter der Beschwerdegegnerin haben eingeräumt, dass auch die Möglichkeiten der JPEG-Kompression mit der im Leistungsverzeichnis veranschlagten mittleren Bilddateigröße nicht unbegrenzt sind. Soweit die Beschwerdegegnerin also infolge der Budgetierung des Speicherplatzes nachteilige Folgen von Kappungsgrenzen bei der Bewegungsintensität befürchtet, so wie dies in der mündlichen Verhandlung anhand des Beleg-CIF.xls (Anlage K 9 zum Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 26. Juli 1999 im Verfahren KartVerg 4/99) erörtert worden ist, kommt es darauf an, wie sich diese in der Praxis unter für die einzelnen Kameragruppen realistischen Bedingungen auswirken. Deshalb werden neue Testaufnahmen zur Ermittlung der Fähigkeit der angebotenen Systeme zur Aufzeichnung von Geschehensabläufen mit hoher Bildaktivität unumgänglich sein. Dabei muss sichergestellt sein, dass die Bewegungsintensität der aufzuzeichnenden Abläufe bei beiden Bewerbern objektiv gleich ist. Hinsichtlich der Geschwindigkeit der Bewegungen und der Anteile der bewegten Bildflächen im Verhältnis zum gesamten Bild ist darauf zu achten, dass die Anforderungen nicht unrealistisch angesetzt werden, sondern dass Bewegungsabläufe simuliert werden, die für die betreffenden Kameragruppen typischerweise zu erwarten sind.

Die bisher vorrangig erörterte Frage, ob die Beschwerdeführerin ihr Angebot durch die Veränderungen an der Einstellung grundsätzlich verändert, stellt sich nach alledem unter einem anderen Blickwinkel, als bisher: Wenn die Beschwerdegegnerin das eingeleitete Vergabeverfahren mit den vorstehend dargelegten, vom Leistungsverzeichnis abweichenden Qualitätsanforderungen zum Abschluss bringen will, muss sie der Beschwerdeführerin gestatten, an ihrem Nebenangebot unumgängliche technische Änderungen geringen Umfangs vorzunehmen (arg. aus § 24 Nr. 3 VOB/A). In der Sache bedeutet dies, dass es nicht darauf ankommt, ob die von der Beschwerdeführerin angebotene Änderung der Einstellungen überhaupt eine Änderung darstellt, sondern nur darauf, ob es sich um eine technische Änderung geringen Umfangs handelt. Nach Ansicht des Senats handelt es sich bei dem bisherigen Anpassungsangebot der Beschwerdeführerin (gemäß ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 1999) noch nicht um eine qualitative Änderung des Angebots, weil die mittlere Bilddateigröße von 5 kB weiterhin eingehalten und nur eine Umschichtung der einzelnen Elemente des Budgets vorgenommen wird. Dies gilt umso mehr, als mit dieser Veränderung nicht einmal eine Preiskorrektur verbunden war. Die Beschwerdeführerin müsste nach § 24 Nr. 3 VOB/A aber sogar geringfügige technische Änderungen unter einer gewissen Preisanpassung hinnehmen, sofern diese ebenfalls nur geringfügig ausfällt (vgl. Ingenstau/Korbion, A § 24 Rdn. 26). Die Beschwerdegegnerin muss in jedem Fall aber das ihrem Angebot zu Grunde liegende Prinzip beibehalten, dass die mittlere Bilddateigröße definitiv begrenzt und der Speicherplatz für einen vorab festgelegten Aufzeichnungszeitraum im Sinne der Ausschreibungsunterlagen minimiert wird.

Ob auch ein neuer DCTau-Test (Digitaler Camera Test nach Anders Uschold) erforderlich ist, lässt sich gegenwärtig nicht beurteilen.

Vorsorglich, im Hinblick auf den Hinweis der Beschwerdegegnerin im Verhandlungstermin auf den Gliederungspunkt 2.8.1 Abs. 2 S. 3 des Leistungsverzeichnisses bemerkt der Senat, dass dieser Satz nur das Hauptangebot beschreibt, aber nicht zwangsläufig für jedes Nebenangebot gilt.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung zu ändern. Die Kosten der ersten Instanz (Gebühren und Auslagen; Aufwendungen der Rechtsverfolgung) waren den Beteiligten im Verhältnis von 1/5 zu 4/5 aufzuerlegen, weil dem Antrag zu 2., im Verhältnis zum Antrag zu 1., mit dem die Beschwerdeführerin bestandskräftig unterlegen ist, nur ein entsprechendes Gewicht zukommt. Die Kosten der Beschwerdeinstanz (Gerichtskosten und außergerichtliche Kosten) fallen der Beschwerdegegnerin voll zur Last, weil sie in vollem Umfang unterlegen ist. Dabei kann dahinstehen, ob die Kostenentscheidung analog § 128 Abs. 3 und 4 GWB (so OLG Düsseldorf BauR 1999, 751, 759), analog den §§ 91 ff. ZPO (so Brandenburgisches OLG, Bs. v. 27. 7. 1999 - 6 Verg 1/99); Bechtold, GWB, 2. Aufl., § 123 Rdn. 2) oder, wie in der Literatur auch befürwortet wird, auf der Grundlage von § 78 S. 2 GWB zu treffen ist. Das Ergebnis wäre in allen Varianten identisch.



Ende der Entscheidung

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