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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 24.07.2008
Aktenzeichen: 11 Sa 16/08
Rechtsgebiete: TV Ärzte TdL


Vorschriften:

TV Ärzte TdL § 16
1. Zeiten der Tätigkeit als Ärztin im Praktikum (AiP) sind für die Stufenfindung nach § 16 TV Ärzte TdL nicht heranzuziehen.

2. Einer Ärztin im Praktikum fehlt es hierzu an Berufserfahrung als Ärztin im medizinal-rechtlichen Sinne und auch an Berufserfahrung aus nicht ärztlicher Tätigkeit.


Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg vom 31.11.2007, Az.: 14 Ca 321/07, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob Dienstzeiten der Klägerin als Ärztin im Praktikum (AIP) im Zuge der Einstufung in die Entgeltgruppe Ä 1 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV Ärzte) vom 30.10.2006 anzurechnen sind.

Die Klägerin, Mitglied des Marburger Bundes, ist beim Beklagten, Mitglied der Tarifgemeinschaft Deutscher Länder an dessen Universitätsklinik vom 15.09.2004 bis 31.12.2006 als Assistenzärztin in der Abteilung Innere Medizin/Hämatologie und Onkologie beschäftigt gewesen. Zuvor war sie beim Beklagten vom 15.03.2003 bis 14.09.2004 als Ärztin im Praktikum tätig. Ihre Approbation als Ärztin erhielt sie mit Wirkung zum 15.09.2004.

Am 30.10.2006 schlossen der Marburger Bund und die Tarifgemeinschaft Deutscher Länder den TV Ärzte, der am 01.11.2006 in Kraft trat. In § 12 des TV Ärzte wurde dabei die Eingruppierung der Ärztinnen und Ärzte und in § 16 eine Stufenbildung geregelt.

§ 12 "Eingruppierung" lautet auszugsweise:

Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestes zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:

Entgeltgruppe Bezeichnung

Ä 1 Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä 2 Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä 3

... Oberärztin/Oberarzt

...

§ 16 "Stufen der Entgelttabelle" lautet auszugsweise:

(1) Die Entgeltgruppe Ä 1 umfasst 5 Stufen; die Entgeltgruppen Ä 2 bis Ä 4 umfassen 3 Stufen. Die Ärzte erreichen jeweils die nächste Stufe nach den Zeiten ärztlicher (Ä 1), fachärztlicher (Ä 2), oberärztlicher (Ä3) Tätigkeit bzw. der Tätigkeit als ständiger Vertreter des leitenden Arztes (Chefarzt), die in den Tabellen (Anlagen a und b) angegeben sind.

(2) Für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gilt folgendes:

Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden.

(3) ...

§ 5 des ebenfalls vom Marburger Bund und der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder abgeschlossenen Überleitungstarifvertrags vom 30.10.2006 (TVÜ) regelt: "die Ärzte werden derjenigen Stufe der Entgeltgruppe (§ 12 TV Ärzte) zugeordnet, die sie erreicht hätten, wenn die Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte bereits seit Beginn ihrer Zugehörigkeit zu der für sie maßgebenden Entgeltgruppe gegolten hätte. Für die Stufenfindung bei der Überleitung zählen die Zeiten im jetzigen Arbeitsverhältnis zu dem selben Arbeitgeber. Für die Berücksichtigung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit bei der Stufenfindung gilt § 16 Abs. 2 TV Ärzte.

Der Beklagte hat die Klägerin in die Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 3 eingruppiert und hat dabei deren Dienstzeit als AIP unberücksichtigt gelassen.

Mit Schreiben vom 16.08.2006 hat die Klägerin ihrer Eingruppierung widersprochen und die Anerkennung der AIP-Tätigkeit als Zeit einschlägiger Berufserfahrung gefordert, so dass sich ihr Gehalt nach der Entgeltgruppe Ä1 Stufe 4 (nach Anlage A 1 zum TV Ärzte: Arzt im 4. Jahr) bemessen sollte. Zugleich hat die Klägerin verlangt den Differenzbetrag zur Stufe 3 ab 01.07.2006 nachzuzahlen. Sie hat ihr Begehren mit Schreiben vom 22.11.2006, 07.05.2007 und 13.06.2007 wiederholt. Der Beklagte hat die Forderungen der Klägerin stets abgelehnt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die geforderte Berücksichtigung ihrer Zeit als Ärztin im Praktikum ergebe sich daraus, dass sie vor und nach ihrer Approbation auf exakt dem selben Arbeitsplatz in der selben Situation mit der derselben thematischen Befassung tätig geworden sei. Bereits als Ärztin im Praktikum habe sie nach kurzer Einarbeitsphase eigenständig alle Aufgaben übernommen. Approbierte Ärzte und Ärzte im Praktikum seien gleichermaßen behandelt worden. Die Berücksichtigung ihrer Zeiten als Ärztin im Praktikum ergebe sich aus dem Wortlaut des Tarifvertrages, denn § 16 Abs. 2 Satz 1 TV Ärzte stelle auf einschlägige Berufserfahrung ab und sei nicht durch den Begriff der ärztlichen Tätigkeit geprägt. Jedenfalls ergebe sich die gebotene Anrechnung aus § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte, wonach die Tätigkeit als Ärztin im Praktikum jedenfalls als nichtärztliche Tätigkeit im Tarifsinne gewertet werden müsse. Durch die gänzlich Außerachtlassung der Zeiten als Ärztin im Praktikum habe das beklagte Land die Grenzen billigen Ermessens überschritten.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 1.800,00 EUR brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 15.08.2007 zu bezahlen.

Das beklagte Land hat Klagabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Tätigkeit als Arzt im Praktikum stelle keine Vorzeit ärztlicher Tätigkeit dar, weil diese zwingend die Approbation voraussetze. Zeiten der Ausbildung als Arzt könnten nicht als Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung verstanden werden. Bei der Entscheidung, Zeiten als Ärzte im Praktikum nicht als nichtärztliche Tätigkeit zu berücksichtigen habe das beklagte Land wirtschaftliche Gesichtspunkte, nämlich Kosten von ca. 1 Mio. Euro pro Jahr, herangezogen. Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin auf Eingruppierung in die 4. Stufe der Entgeltgruppe Ä1 ergebe sich weder aus § 16 Abs. 2 Satz 1, noch aus § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte, weil die 18monatige Weiterbildung als Arzt im Praktikum weder eine ärztliche Tätigkeit noch einschlägige Berufserfahrung darstelle und ebenso wenig als Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit im Sinne der TV Ärzte verstanden werden könne. Dies ergebe sich aus der Wortlautauslegung, weil die Tarifvertragsparteien den Begriff ärztliche Tätigkeit erkennbar im medizinalrechtlichen Sinne verwendet hätten, womit der approbierte Arzt gemeint sei. Auch der Vergleich mit anderen tariflichen Regelungen (TV Ärzte/ VKA und TVL) bestätige das gefundene Ergebnis, weil dort die Tätigkeit des Arztes im Praktikum, anders als im TV Ärzte, ausdrücklich der des Arztes gleichgestellt worden sei. Auch die Entstehungsgeschichte der Regelung spreche gegen die Anrechnung, weil der Marburger Bund eine solche angestrebt aber offensichtlich nicht erreicht habe. Eine Anrechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte aber scheitere daran, dass die Tätigkeit als Arzt im Praktikum keine nichtärztliche Tätigkeit im Tarifsinne darstelle.

Gegen das ihr am 30.01.2008 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 18.02.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 31.03.2008 einem Montag begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihre erstinstanzliche Rechtsauffassung, wonach die Tätigkeit einer Ärztin im Praktikum als einschlägige Berufserfahrung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 TV Ärzte anzusehen sei, zumindest aber als Berufserfahrung aus einer nichtärztlichen Tätigkeit die nicht nur berücksichtigt werden könne, sondern, weil ein Ermessensminimum eingetreten sei, nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte auch berücksichtigt werden müsse.

Die Klägerin stellt den Antrag ,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Freiburg vom 30.11.2007, Az.: 14 Ca 321/07, die Beklagte und Berufungsbeklagte zu verurteilen an die Klägerin und Berufungsklägerin EUR 1.800,00 brutto zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2007 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt:

Die Berufung zurückzuweisen.

Es legt wiederholend seine Auffassung dar, wonach der Arzt im Praktikum nicht entsprechend der Tarifnorm ärztlich tätig sei, weil die ärztliche Tätigkeit im Sinne des inländischen Medizinalrechts verstanden werden müsse, als Tätigkeit des Arztes mit Approbation. Dies entspreche der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts in langjähriger Rechtsprechung, die die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des TV Ärzte kannten, ohne dass sie eine entgegenstehende klarstellende Regelung vereinbart hätten. Den entgegenstehenden Regelungswillen des Marburger Bundes habe dieser nicht durchsetzen können. Eine Anrechnung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte scheitere schon daran, dass die Tätigkeit als Ärztin im Praktikum keine Berufserfahrung sei, sondern Teil der Ausbildung. Letztlich habe das beklagte Land im Rahmen seiner Ermessensentscheidung als sachlichen Grund für die Nichtberücksichtigung der Dienstzeiten als Arzt im Praktikum wirtschaftliche Erwägungen herangezogen und auch heranziehen dürfen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens in der Berufung wird auf deren Begründung und die Erwiderung hierauf verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und ausgeführte, damit also insgesamt zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass Zeiten der Tätigkeit als Ärztin im Praktikum für die Stufenfindung nach § 16 TV Ärzte TdL nicht herangezogen werden können und hat mithin die Klage richtigerweise abgewiesen. Auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird vollumfänglich verwiesen. Das Landesarbeitsgericht machte sie sich zu eigen und ergänzt lediglich im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung wie folgt:

1. Bereits der Wortlaut der fraglichen Tarifvorschrift der bei der Auslegung von Tarifverträgen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 16.06.2004, 4 AZR 408/03 AP Nr. 24 zu § 4 TVG Fiktivklausel) an erster Stelle zu berücksichtigen ist, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften, spricht gegen die Auffassung der Klägerin, ihre Dienstzeiten als Ärztin im Praktikum müssten dazu führen, dass sie nicht in die 3. sondern in die 4. Stufe der Entgeltgruppe Ä 1 einzuordnen wäre. Die Klägerin beruft sich zu Unrecht für ihre Auffassung auf § 16 Abs. 2 TV Ärzte TdL, der zur besseren Übersichtlichkeit wiederholend zitiert wird.

Für die Anrechnung von Vorzeiten ärztlicher Tätigkeit gilt folgendes:

Bei der Stufenzuordnung werden Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung als förderliche Zeiten berücksichtigt. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können berücksichtigt werden.

Bei der Auslegung des Wortlauts der genannten Vorschrift ist von folgendem auszugehen:

a) Der Eingangssatz bis zum Doppelpunkt ist verständigerweise auszulegen wie: "Für die Anrechnung von Zeiten vor der ärztlichen Tätigkeit gilt folgendes:" Er kann nicht gelesen werden wie "Für die Anrechnung von vorausgegangenen Zeiten in ärztlicher Tätigkeit gilt folgendes: "Die letztgenannte Auslegungsmöglichkeit schließt sich durch den Widerspruch mit dem zweiten Satz nach dem Doppelpunkt aus. Unter eine ärztliche Tätigkeit kann keine nichtärztliche Tätigkeit subsumiert werden. Dies bedeutet aber, dass der Eingangssatz Bezug nimmt auf § 16 Abs. 1, in dem es heißt: die Ärzte erreichen die jeweils nächste Stufe nach den Zeiten ärztlicher (Ä 1) ...Tätigkeit. Ärztliche Tätigkeit ist also die Tätigkeit in Entgeltgruppe Ä 1, nach § 12 TV Ärzte TdL also eine solche als Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit. Unschwer ergibt sich hieraus auch in Verbindung mit § 1 Abs. 1 TV Ärzte TdL, dass ärztliche Tätigkeit im Sinne des § 16 Abs. 1, aber auch im Sinne des § 16 Abs. 2 die Tätigkeit eines Arztes oder einer Ärztin in Vergütungsgruppe Ä 1 zugleich also die Tätigkeit eines Arztes oder einer Ärztin an einer Universitätsklinik ist.

Nach der Anlage A 1 zum TV Ärzte TdL ist ein Arzt in der Entgeltgruppe Ä 1 im ersten Jahr seiner Tätigkeit in die Stufe 1 einzustufen. Das bedeutet, grundsätzlich hat bei der Einstellung des Arztes in der Universitätsklinik eine Einstufung in Entgeltgruppe Ä 1 Stufe 1 zu erfolgen. Dass es sich bei einem Arzt/einer Ärztin in Vergütungsgruppe Ä1 um einen Arzt im medizinalrechtlichen Sinne, d. h. um einen approbierten Arzt handeln muss, dürfte zwischen den Parteien nicht streitig sein, ergibt sich im Übrigen aber auch aus der Entgeltgruppenunterscheidung zwischen Ärztin/Arzt, Fachärztin/Facharzt, Oberärztin/Oberarzt usw.. § 16 Abs. 2 TV Ärzte Eingangssatz ist deshalb so zu lesen, dass Vorzeiten (= Zeiten vor) der Tätigkeit als approbierter Arzt in der Universitätsklinik unter bestimmten in den beiden Folgesätzen beschriebenen Voraussetzungen angerechnet werden müssen oder können.

b) In der Folge unterscheidet § 16 Abs. 2 zwischen Berufserfahrung aus ärztlicher und aus nichtärztlicher Vortätigkeit. Dies ergibt sich zumindest aus dem Gegensatzverhältnis, das Satz 2 des 2. Absatzes erkennen lässt. Der Begriff einschlägig ist insoweit gleichzusetzen mit dem Begriff aus ärztlicher Tätigkeit. Was aber ärztliche Tätigkeit ist, definiert sich wie vor beschrieben aus § 16 Abs. 1, der die ärztliche Tätigkeit mit dem Klammerzusatz Ä 1 versieht, und unter Berücksichtigung des § 12 TV Ärzte TdL die Funktion der Ärztin/ des Arztes mit entsprechender Tätigkeit beinhaltet. Wenn aber nach § 16 Abs. 2, Satz 1 nur Zeiten mit einschlägiger Berufserfahrung, also Zeiten mit Berufserfahrung aus ärztlicher Tätigkeit, die wiederum nach § 16 Abs. 2 solche sein müssen, die durch einen approbierten Arzt erbracht wurden, Berücksichtigung finden, so kann die Tätigkeit als Arzt im Praktikum nicht zu einer Anrechnung bei der Einstufung führen. Ärzte im Praktikum sind nicht approbiert. Sie sind auch nach der den Parteien bekannten und zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 25.09.1996, 4 AZR 20/95, DB 1997, 432) in ihrer Tätigkeit nicht approbierten Ärzten gleichzusetzen.

2. Nur bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in der Tarifnorm seinen Niederschlag gefunden hat, ist die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend heranzuziehen. Nach Auffassung des erkennenden Gerichts ist der Tarifwortlaut eindeutig. Weitere Auslegungskriterien deshalb unbeachtlich.

a) Dennoch schließt sich das Berufungsgericht auch insoweit der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts an, wonach selbst die Entstehungsgeschichte der Tarifnorm für die Richtigkeit der Wortlautauslegung spricht. Der erklärte Wille des Marburger Bundes, Vordienstzeiten von Ärzten im Praktikum bei der Stufenbildung in Anrechnung zu bringen hat sich offensichtlich im TV Ärzte TdL nicht durchsetzen lassen, er hat im Wortlaut der Vorschrift keinen erkennbaren Niederschlag gefunden, ganz im Gegensatz zu den Tarifverträgen mit den kommunalen Arbeitgebern und dem TVL.

b) Dass Zeiten als Arzt im Praktikum für die Einstufung nicht Berücksichtigung finden, kann auch durchaus Sinn machen. Dass ein Arzt im Praktikum jedenfalls in der Anfangszeit keinerlei Berufserfahrung besitzen kann, ergibt sich aus der Natur der Sache. Berufserfahrung setzt einen Beruf voraus. Ausbildungszeiten sind grundsätzlich nicht Zeiten, in denen Berufserfahrung bereits vorgewiesen werden kann. Die Anrechnung von Vordienstzeiten setzt aber erkennbar voraus, dass Berufserfahrung bereits vorhanden sein muss. Eine zeitliche Differenzierung etwa zwischen dem Beginn der Tätigkeit als Arzt im Praktikum und einem fortgeschrittenen Zeitraum lässt sich mit der Tarifvorschrift des § 16 Abs. 2 TV Ärzte nicht realisieren. Die Klägerin trägt aber selbst vor, sie sei erst nach einer Zeit der Einarbeitung in der Lage gewesen, selbständige Leistungen zu erbringen.

3. Das Arbeitsgericht hat auch mit zutreffender Begründung davon abgesehen, der Klägerin einen Anspruch auf Anrechnung der AIP-Zeit unter Berücksichtigung des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte TdL zuzusprechen.

a) Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat sie keine nichtärztliche Tätigkeit erbracht. Dabei ist hier nicht entscheidend, ob es sich um eine ärztliche Tätigkeit im medizinalrechtlichen, im tariflichen oder im allgemeinen Wortsinn handelt. Die Klägerin ist selbst der Auffassung, sie sei wie ein Arzt tätig geworden, habe also keine nichtärztliche Tätigkeit verrichtet.

b) Entscheidend aber fehlt es am Merkmal der Berufserfahrung. Berufserfahrung setzt voraus, dass ein erlernter Beruf ausgeübt wird. Einen nichtärztlichen Beruf hatte die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Beschäftigung beim Beklagten weder erlernt noch wurde sie beim Beklagten in einem solchen ausgebildet. Als Berufserfahrung kann aber auch nicht angesehen werden, was während einer Ausbildung erworben und gesammelt wird (so auch LAG München, 22.04.2008, 7 Sa 18/08).

c) Unabhängig von den vorstehenden Überlegungen enthält § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte aber eine Ermessensregelung. Zeiten von Berufserfahrung aus nichtärztlicher Tätigkeit können, müssen aber nicht berücksichtigt werden. Als Ablehnungsgründe reichen insoweit sachliche Gründe aus, die sich auf die Frage der Anrechnung beziehen. Diese können durchaus wirtschaftlicher Natur sein und in den vom Beklagten dargestellten Mehrbelastungen in Folge einer generellen Anrechnung der Zeiten als AIP liegen. (vgl. zum Übergang in ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis: BAG 12.12.00, 9 AZR 706/99, AP NR. 1 zu § 3 ATG; 10.05.05, 9 AZR 294/04 , AP Nr. 202 zu § 1 TVG Altersteilzeit).

Wenn also das beklagte Land entschieden hat, wegen der angegebenen Mehrkosten von ca. 1 Mio. Euro, die AIP- Zeiten nicht als Zeiten im Sinne des § 16 Abs. 2 Satz 2 TV Ärzte anzuerkennen, so ist dies jedenfalls nicht sachwidrig und muss, da der Arbeitgeber befugt ist, bei einer Ermessensvorschrift eine generelle Vorentscheidung zu treffen, als ermessenskonform angesehen werden.

Da die Klägerin mit ihrer Berufung unterlegen ist, hat sie nach § 97 ZPO deren Kosten zu tragen.

Gegen dieses Urteil kann die Klägerin Revision zum Bundesarbeitsgericht einlegen, da sie wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen Divergenz zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt 9 Sa 475/07 E vom 24.04.2008 zugelassen wurde.

Ende der Entscheidung

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