Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 26.03.2009
Aktenzeichen: 11 Sa 83/08
Rechtsgebiete: AGG, SGB IX


Vorschriften:

AGG § 15 Abs. 2
SGB IX § 81 Abs. 1 S. 1
1. Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch auf eine zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs bereits besetzte Stelle, so scheidet ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bereits deshalb aus, weil im Hinblick auf eine nicht mehr zu treffende Auswahlentscheidung keine Diskriminierungsvermutung entstehen kann.

2. Allein die unterlassene Einschaltung der Arbeitsagentur gemäß § 81 Abs. 1 S. 1 SGB IX lässt ebenfalls keine Vermutung einer Diskriminierung schwerbehinderter Menschen entstehen, weil damit keine Außenwirkung verbunden ist.


Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 16.09.2008, Az. 1 Ca 161/08, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger eine Entschädigung zu zahlen hat, weil sie ihn bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligte.

Der Kläger hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 80. Er ist Diplom-Ingenieur (FH), Fachrichtung Elektrotechnik.

Am 29.12.2007 fand sich auf der Homepage der Beklagten eine Stellenausschreibung, wonach die Beklagte zur Verstärkung ihres Teams am Standort G. eine/n kreative/n Entwicklungsingenieur Digitale Elektroniken (m/w) zur Entwicklung digitaler Elektronik, Hardware und Firmware für optoelektronische Sensoren suchte. Gefordert wurde ein abgeschlossenes (Fach-) Hochschulstudium, Erfahrungen mit der Entwicklung digitaler Schaltungen, Versiertheit im Umgang mit DSP, CPLD, FPGA und Kenntnisse mit Echtzeitanwendungen, Echtzeitbetriebssystemen und DSP-Assemblerprogrammierung.

Mit Schreiben vom 29.12.2007 bewarb sich der Kläger auf die ausgeschriebene Position. In seinem Bewerbungsschreiben heißt es auszugsweise:

"Meine Berufserfahrung als Entwicklungsingenieur umfasst mehrere Jahre, in denen ich sowohl Hardware digitaler Elektroniken als auch die zugehörige Firmware zum Betrieb der eingesetzten Mikrokontroller entwickelte. Zur Software-Entwicklung benutzte ich die Programmiersprache C, oder programmierte in Assembler. Die umfassende Projektbearbeitung inklusive Lastenhefterstellung und Produktionsübergabe ist mir geläufig.

Die Schwerbehinderung, die bei mir gemäß Schwerbehindertengesetz anerkannt wurde, hat bei Ausübung berufsüblicher Tätigkeiten keinen Einfluss darauf."

Mit E-Mail vom 08.01.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit:

"Mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass nun die ausgeschriebene Position anderweitig vergeben wurde."

Die Beklagte hatte zuvor nicht geprüft, ob der freie Arbeitsplatz mit Schwerbehinderten, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Personen, besetzt werden kann, insbesondere hatte sie nicht mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufgenommen und die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren nicht beteiligt. Ihre Verpflichtung zur Beschäftigung von Schwerbehinderten gemäß § 71 SGB IX erfüllt die Beklagte nicht.

Mit seiner am 28.05.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung verlangt und vorgetragen, aufgrund der Umstände der Bewerbung und der Ablehnung bestehe die Vermutung, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Der Kläger habe das in der Annonce angegebene Anforderungsprofil der Beklagten erfüllt, sei aber dennoch nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden, obwohl Entwicklungsingenieure händeringend gesucht würden. Hätte die Beklagte frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufgenommen, so hätte der Kläger von dieser einen Hinweis auf die freie Stelle bei der Beklagten erhalten, hätte sich auch vor der behaupteten Besetzung der Stelle bewerben können und wäre auch eingestellt worden. Dass allerdings die Stelle bereits am 17.12.2007 besetzt wurde, hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung zu zahlen zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.01.2008.

Die Beklaget hat beantragt,

die Klage abzuweisen

und behauptet, zum Zeitpunkt der Bewerbung des Klägers sei die auf der Homepage ausgeschriebene Stelle bereits besetzt gewesen. Schon am 17.12.2007 sei Herr P. eingestellt worden, die Beklagte habe lediglich versäumt, die Stellenausschreibung von der Homepage zu nehmen. Im Übrigen sei die Bewerbung des Klägers nicht ernst gemeint gewesen, der Kläger betreibe das Verfahren in missbräuchlicher Weise.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens erster Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat in der Kammerverhandlung vom 16.09.2008 den Zeugen P. vernommen und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setze immer voraus, dass die Stelle, auf die sich der angeblich Diskriminierte beworben habe, zum Zeitpunkt der Bewerbung noch frei gewesen sei. Sei eine Stelle zum Zeitpunkt der Bewerbung schon besetzt, könne es allein deshalb nicht zu einer Diskriminierung kommen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe aber fest, dass der Zeuge P. am 29.12.2007, als die Bewerbung des Klägers bei der Beklagten einging, bereits eingestellt worden sei. Auch wenn der allgemeine Präventionscharakter des § 15 Abs. 2 AGG nicht außer Acht gelassen werde, bedürfe es zu einer Schadensersatzverpflichtung eines nicht korrekt handelnden Arbeitgebers einer gewissen Kausalität zwischen Diskriminierung und eingetretenem oder vermutetem Schaden, andernfalls könnten sich Bewerber der in § 1 AGG aufgeführten Personengruppe bis zur Verwirkungs- und Verjährungsgrenze rückwirkend auf längst besetzte Stellen, bei denen das Verfahren nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht eingehalten worden sei, bewerben mit der Folge, dass sie in all diesen Fällen die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen könnten.

Gegen das ihm am 27.09.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgericht hat der Kläger am 27.10.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 16.01.2009 an diesem Tag begründet. Er verfolgt einen Entschädigungsanspruch weiter und wirft dem angegriffenen Urteil vor, es habe verkannt, dass bei Erfüllung der Verpflichtung der Beklagten nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX der Kläger sich rechtzeitig, bevor die freie Stelle besetzt war, hätte bewerben können, so dass seine Bewerbung dann nicht verspätet gewesen wäre und damit die Kausalität gegeben sei. Das Arbeitsgericht habe eine fehlerhafte Grenzziehung vorgenommen und nicht beachtet, dass § 81 Abs. 1 Satz 1 bis 3 SGB IX gerade auch dem Zweck diene, Schwerbehinderten aussichtsreiche Bewerbungen rechtzeitig zu ermöglichen. Dieser Schutz gebiete es aber, bei Verletzung der Schutzvorschriften aus generalpräventiven Gründen auch dann eine Entschädigungsanspruch zuzusprechen, wenn zum Zeitpunkt der wegen der Verletzung der Schutzfristen nach § 81 Abs. 1 SGB IX verursachten verspäteten Bewerbung eines Schwerbehinderten der Arbeitsplatz durch einen nicht schwerbehinderten Bewerber besetzt wurde. Eine erforderliche Grenzziehung dürfe deshalb gerade nicht an den Zeitpunkt anknüpfen, zu dem die Stelle unter Verletzung der Pflichten besetzt wurde. Das Arbeitsgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger selbst dann ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG aus generalpräventiven Gründen zuzusprechen wäre, wenn er selbst nicht konkret als Opfer der Diskriminierung identifiziert worden wäre. Dies jedenfalls folge aus der zutreffenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für den Fall, dass es kein identifizierbares Opfer einer Diskriminierung gibt.

Der Kläger stellt den Antrag:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 16.09.2008 - 1 Ca 161/08 - wird abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung zu zahlen nebst Zinsen hieraus i. h. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2007.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet ausdrücklich, dass der Kläger eingestellt worden wäre, hätte er sich rechtzeitig nach Hinweis der Agentur für Arbeit auf die freie Stelle beworben. Das Arbeitsgericht habe zutreffend für den Entschädigungsanspruch eine Kausalität zwischen Diskriminierung und eingetretenem oder vermutetem Schaden verlangt. Die Nichtbeachtung des § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX habe keinerlei Indizwirkung, da der Kläger sich ja bei der Beklagten beworben habe. § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX sei auch keine Arbeitgeberbußgeldauferlegungsvorschrift um ihrer selbst Willen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteienvorbringens in der Berufung wird auf deren Begründung, die Erwiderung hierauf sowie den weiteren Schriftsatz des Klägers vom 25.03.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingereichte und ausgeführte, insgesamt also zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Auf die Ausführungen in seinen Entscheidungsgründen wird vollumfänglich verwiesen. Das Berufungsgericht macht sie sich zu eigen und führt lediglich ergänzend im Hinblick auf die Einwendungen des Klägers in der Berufungsbegründung wie folgt aus:

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.

a) Nach § 15 Abs. 2 AGG hat der Beschäftigte Anspruch auf angemessene Entschädigung gegen den Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Danach dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden. In § 1 AGG ist die Benachteiligung aus Gründen einer Behinderung aufgeführt. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung bei der Einstellung benachteiligt. Eine solche Benachteiligung hat die Beklagte bestritten. Der Kläger hat keinen Beweis angetreten. § 22 sieht allerdings eine Beweislastumkehr vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegten hat. Der Vortrag des Klägers begründet insoweit keine Vermutung.

b) Der Kläger hat die Feststellungen des Arbeitsgericht nicht angegriffen, wonach zum Zeitpunkt seiner Bewerbung am 29.12.2007 die zum damaligen Zeitpunkt noch auf der Homepage der Beklagten einzusehende, ausgeschriebene Stelle bereits durch Vertragsschluss vergeben war. Ab dem 17.12.2007 konnte die versehentlich von der Beklagten nicht von ihrer Homepage genommene Ausschreibung, der keine verfügbare Stelle mehr zugrunde lag, kein vorvertragliches Vertrauensverhältnis begründen, im Rahmen dessen dem Kläger als schwerbehindertem Bewerber keine oder schlechtere Chancen eingeräumt wurden. Es ist bereits fraglich, ob der Kläger überhaupt als Beschäftigter im Sinne des § 6 AGG anzusehen ist. Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Ersichtlich ging es dabei dem Gesetzgeber darum, Diskriminierungen bei Einstellungsentscheidungen auszuschließen (Däubler/Bertzbach/Deinert AGG § 15 Rz. 53). Der Kläger konnte bei seiner Bewerbung vom 29.12.2007 nicht diskriminiert werden, weil er sich um eine Stelle bewarb, die zum Zeitpunkt seiner Bewerbung gar nicht besetzt werden sollte und somit nicht existent war. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs keine Entstellungsentscheidung zu treffen, sie hatte die Bewerbung des Klägers nicht mit anderen Bewerbungen zu vergleichen, sie konnte niemanden dem Kläger gegenüber bevorzugen und damit auch den Kläger nicht, auch nicht wegen seiner Behinderung, benachteiligen.

c) Auch bei der Einstellungsentscheidung, die zum Vertragsabschluss mit dem Zeugen P. am 17.12.2007 geführt hatte, konnte eine Diskriminierung des Klägers nicht erfolgen. Da zu diesem Zeitpunkt der Kläger sich nicht beworben hatte, stand seine Bewerbung nicht zur Auswahl, eine Benachteiligung des Klägers war deshalb nicht denkbar. Damit kann aber auch keine Vermutung dahingehend begründet worden sein, dass der Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt worden wäre.

d) Die Tatsache, dass die Beklagte vor der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle durch den Zeugen P. die Arbeitsagentur nicht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eingeschaltet hatte, lässt eine Diskriminierung des Klägers ebenfalls nicht vermuten. Solches verlangt auch nicht der § 15 Abs. 2 AGG innewohnende Präventionscharakter. Das Arbeitsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass es zu einer Schadenersatz- bzw. Entschädigungsverpflichtung eines nicht korrekt handelnden Arbeitgebers im Zusammenhang mit den Vorschriften des AGG jedenfalls einer gewissen Kausalität zwischen Diskriminierung und eingetretenem oder vermutetem Schaden bedarf, der aber dann vollständig fehlt, wenn die Bewerbung um eine Stelle erfolgt, die zum Zeitpunkt des Bewerbungseingangs bereits besetzt ist.

Dem steht nicht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10.07.2008 (NZA 2008, S. 929 ff.) entgegen. Grundlage dieser Entscheidung war die Ankündigung einer Diskriminierung durch den Arbeitgeber, die in die Zukunft wirkte. Hiermit nicht vergleichbar ist der Verstoß der Beklagten gegen die Vorschrift des § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. Die unterlassene Anfrage bei der Arbeitsagentur vor der Ausschreibung bzw. Besetzung einer Stelle wirkt nicht über die konkrete Stellenbesetzung hinaus, sie hat insbesondere keinerlei Außenwirkung gegenüber potentiellen Bewerbern um künftig zu besetzende Stellen. Schon deshalb gibt es keine Notwendigkeit, einen Entschädigungsanspruch auch einem nicht identifizierbaren Opfer zuzusprechen. Dass aber der Gesetzgeber allein den Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht sanktionieren wollte, ergibt sich daraus, dass das Gesetz keine Straf- oder Bußvorschrift eingeführt hat.

Da der Kläger mit seiner Berufung unterlegen ist, hat er nach § 97 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Revision statthaft, da das Berufungsgericht diese zugelassen hat.

Ende der Entscheidung

Zurück