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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 17.07.2002
Aktenzeichen: 12 Sa 19/02
Rechtsgebiete: BAT, BGB, KSchG


Vorschriften:

BAT § 8
BAT § 8 Abs. 1 Satz 1
BAT § 9
BAT § 55
BAT § 54
BGB § 611
BGB § 612 a
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - Im Namen des Volkes

Aktenzeichen: 12 Sa 19/02

Verkündet am 17.07.2002

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 12. Kammer in Mannheim - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hennemann, den ehrenamtlichen Richter Schwedesky und den ehrenamtlichen Richter Wittmann

auf die mündliche Verhandlung vom 17.07.2002

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 14.11.2001 - Az.: 8 Ca 309/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 01.02.1945 geborene Kläger wehrt sich mit seiner am 08.06.2001 erhobenen Kündigungsschutzklage gegen eine außerordentliche Kündigung der beklagten Gemeinde vom 18.05.2001.

Der Kläger steht seit dem 01.04.1983 in einem Arbeitsverhältnis mit der beklagten Gemeinde als technischer Zeichner (Stadtplaner) zu einem Bruttomonatsentgelt von - zuletzt - DM 5.300,00 bei einer 30-Stunden-Woche gemäß Vergütungsgruppe III der Anlage 1a des einzelvertraglichen Bundesangestelltentarifvertrages (im folgenden: BAT).

Im Jahre 1999 stellte sich der bisherige Oberbürgermeister der beklagten Gemeinde, Mitglied der x-Partei, zur Wiederwahl. Wahlkonkurrentin war ein Mitglied der y-Partei. Während des Wahlkampfes veröffentlichte das B..... Tagblatt (im folgenden: BT) am 30.06.1999 einen - ersten - Leserbrief des Klägers, in welchem er u.a. Stellung bezog gegen

"... die böse Behauptung..., daß eine y-Bürgermeisterin wiederum eine Marionette der y-Stadtratsfraktion..." wäre

und erklärte,

"... der vor uns liegende Wahlkampf ..." werde "... wahrscheinlich der härteste der Nachkriegszeit sein ...".

Am 13.07.1999 veröffentlichte das BT einen - zweiten - Leserbrief des Klägers, in welchem er bezugnehmend auf einen anderen Leserbriefschreiber u.a. ausführte:

"... ein als potentielle Marionette auserkorener y-Mann D. habe sich als standhaft erwiesen ..." und es gehe "... um eine Bewertung der Erfolgsbilanz des OBs, der vor allem aufgrund seines Arbeitsergebnis wiedergewählt werde oder auch nicht darüber werde man kontrovers, aber sachlich diskutieren müssen, dies sei gut, denn die Diskussion sei der elementare Prozeß der Demokratie.

Der sodann wiedergewählte Herr W..... (im folgenden: OB) führte in seiner am 09.12.1999 veröffentlichten Antrittsrede u.a. folgendes aus:

"... Unter den Gesichtspunkten der Verpflichtung zur Neutralität, zur loyalen Zusammenarbeit, zum Erhalt des Betriebsfriedens und der Rücksichtnahme auf die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muß sich deshalb jeder selbst die Frage stellen, inwieweit er als aktiver Wahlkämpfer-Postillon von Mitbewerbern nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch innerhalb der Verwaltung sein durfte und künftig sein darf. Ich bin der Meinung: Wer für sich derartige Freiheiten in Anspruch nimmt, sollte dann auch nach den Wahlen für sich ganz persönlich die notwendigen Konsequenzen aus dem Wahlergebnis ziehen und sich nicht mehr unter dem Deckmantel des öffentlichen Dienstrechts verstecken, meine Damen und Herren."

Etwa 4 Wochen nach der Wahl wurde der Kläger auf Veranlassung des OB mit Wirkung vom 15.11.1999 vom Planungsamt zum Hochbauamt, Abteilung Gebäudeunterhaltung, versetzt. Die hiergegen erhobene Klage war ausweislich des Urteils vom 13.06.2000 - Az.: 4 Ca 483/99 - erfolgreich, nicht jedoch die Berufung der beklagten Gemeinde - Urteil LAG Baden-Württemberg vom 31.10.2000 - Az.: 14 Sa 40/00 -.

Der OB sah sich veranlaßt, diesen Prozeß in seiner Neujahrsansprache 2001 wie folgt zu kommentieren und ins Internet einzustellen:

"Lassen Sie mich zum zweiten Punkt, der Klage eines Mitarbeiters gegen R...... kommen. In dieser Sache habe ich lernen müssen, daß ein gelernter Architekt mit dem Studienschwerpunkt Stadtplanung nach der Rechtsprechung unserer Arbeitsgerichte nicht mit Renovierungsarbeiten für städtische Gebäude betraut werden darf.

Das, was ein jeder von uns von Zeit zu Zeit zuhause macht, darf ein gelernter Architekt bei einer Stadtverwaltung nach den Arbeitsgerichten nicht tun. Ich habe das nicht verstanden und verstehe es bis heute nicht. Darüber hinaus weiß ich jetzt auch: 55jährige sind nach Auffassung unserer Arbeitsgerichte nicht mehr für eine Fortbildungsmaßnahme geeignet. Also, ich weiß nicht, wie Herr Dr. W..... von DaimlerChrysler darüber denkt, aber ich stehe 7 Jahre vor dem 55. und hoffe, daß ich in 7 Jahren auch noch die Energie habe, dafür offen zu sein, daß ich neue Dinge aufnehmen kann und sie vielleicht in meinem Beruf auch einsetzen darf. Wenn mir dann in dieser Sache vorgeworfen wird, Mitarbeiter einzuschüchtern, so möchte ich Ihnen dazu nur ein kleines Zitat aus dem Buch 'Mythos Motivation' vorlesen. Dieses Wort wird ja immer so gerne allfällig überall gebraucht. Ich zitiere: 'Jeder spielt auf dem Spielfeld, das er sich selbst gewählt hat.'"

Einen Monat nach Zustellung des Berufungsurteils - am 23.03.2001 - wurde der Kläger wieder in das Planungsamt zurückversetzt.

Zwischenzeitlich hatte der Kläger weitere Leserbriefe verfaßt. Der 3. Leserbrief vom 22.04.2000 hat folgenden Inhalt:

"Am Ende siegte dann doch noch die Vernunft. Aber das Hin und Her im Zusammenhang mit den französischen Wohngebäuden am Westring wirft ein bezeichnendes Licht auf die Logik der stadtplanerischen Zielfindungsprozesse der letzten Jahre. Erst Erhaltungssatzung, dann Bebauungsplan mit Abriß, dann doch kein Abriß, weil private Nutzung, aber Vorkaufsrecht ja, dann Vorkaufsrecht nein! Was hier offensichtlich fehlt, ist der frühzeitige Blick auf das Ganze!

Man kann ja durchaus der Meinung sein, daß die Polizei auf 'Joffre' besser untergebracht wäre und daß für Merzeau im Interesse der Stadt eine noch sinnvollere Nutzung gefunden werden kann. Ohnehin muß dieses Gelände zusammen mit der benachbarten Kaserne Pere gesehen werden, und die würde sich meines Erachtens hervorragend als Ausstellungsgelände für die Badische Ausstellung und weitere Veranstaltungen eignen. Am Stadteingang gelegen, bestens angebunden über B36 und Schiene (Stadtbahnoption), unsere künftige Visitenkarte im Süden. Probleme als Chancen, Entwickeln und Bewerten von Alternativen: Das ist Stadtplanung!

Wofür man sich letztlich entscheidet, hängt ab von Wertvorstellungen - und die sind in unserer Zeit vielleicht stärker im Plus als früher. Ausdruck davon ist u.a. die Agenda 21. Neben konkreten Projekten geht es dabei um gesellschaftliche Wertsetzungen. Deshalb ist es höchste Zeit, daß der Agenda-21-Prozeß in R..... startet. Und zwar nicht mit per Zufall gefüllten Planungszellen, sondern offen für alle Interessierten. Endlich mal ein Prozeß so richtig nach dem Geschmack fortschrittlicher Bürger. Durch alle Instanzen und nur Gewinner!"

Im 4. Leserbrief vom 27.05.2000 äußerte sich der Kläger zu einem BT-Bericht "Noch keine Nutzung für Joffre" vom 22.05. wie folgt:

"An dem Artikel wird wieder einmal deutlich, wie wichtigste städtebauliche Aufgaben angegangen werden. Über die Köpfe der betroffenen Bürger hinweg wird mit der Westdeutschen Immobilienbank über die Vermarktung des Geländes verhandelt. Das ist die weitgehende Abdankung der eigenständigen Stadtplanung und der kommunalen Planungshoheit zugunsten anonymer Profiteure ohne Standortbindung.

Offensichtlich interessiert es den Oberbürgermeister nicht, was die Bewohner im Dörfl von der künftigen Nutzung dieses Geländes erwarten und welche Bedürfnisse sie artikulieren. Ein verantwortungsbewußterer Planer würde die Bürger, beispielsweise über die Bürgervereine, von Anfang an in die Ideenfindung mit einbeziehen. Alternativ zu rein gewerblicher Nutzung des Joffre-Geländes müßte meines Erachtens auch eine Lösung diskutiert werden, die den kleineren westlichen Teil gegenüber dem Arbeitsamt als allgemeines Wohnungsgebiet ausweist und das östliche Gewerbegebiet gegenüber den angrenzenden Wohngebieten mittels einer Grünzone abschirmt.

Überdies sollte die künftige Nutzung des Joffre-Geländes in engem Zusammenhang mit allen anderen städtebaulich relevanten Aufgaben unserer Stadt entwickelt werden. Gemäß unserer ökologischen Selbstverpflichtung gilt hier: Innenentwicklung vor Außenentwicklung! Als Bewohner im Dörfl und Bewohner von R..... appelliere ich deshalb an alle Verantwortlichen und Engagierten:

Schluß mit dem Rumdoktern an Einzellösungen.

Begreifen wir die Stadt als Ganzes und handeln wir danach. Bürgerbeteiligung praktizieren statt nur davon reden. Agenda 21 für alle, und zwar sofort."

Im neuerlichen - 5. - Leserbrief vom 03.06.2000 mit vom BT versehender Vorbemerkung lautet wie folgt:

"Gerechtigkeit statt Duckmäusertum

E.F. (gemeint ist der Kläger) in R. schreibt zum BT-Bericht 'Bürgerbeteiligung und lange Ohren' vom 30. Mai":

"OB W..... hatte in der jüngsten Ratssitzung einen namentlich nicht benannten Verwaltungsmitarbeiter kritisiert. Es ist offensichtlich, daß OB W..... diesbezüglich mich gemeint hatte, da die Schnittmenge aus ehemaligen Mitarbeitern des Planungsamtes und Leserbriefschreibern allein aus mir besteht. Die Ausführungen des Oberbürgermeisters enthielten dabei implizit den Vorwurf, ich hätte mich während meiner Zeit im Planungsamt zuwenig engagiert. Ich bin dem Herrn Oberbürgermeister sehr dankbar für diese Einlassung, gibt sie mir doch die Möglichkeit, zunächst gegenüber den Gemeinderäten in einem gesonderten Schreiben Stellung zu nehmen, und nach rechtlicher Abklärung zu einem späteren Zeitpunkt, soweit dann noch erforderlich, auch die Öffentlichkeit eingehender zu informieren.

Zum Schluß weise ich darauf hin, daß ich keineswegs streitlustig bin, sondern Harmonie anstrebe. Voraussetzungen für wirkliche Harmonie sind für mich Gerechtigkeit und Sachlichkeit, nicht faule Kompromisse und Duckmäusertum. Dies sind wir gerade in R. dem Andenken unserer Revolutionäre schuldig. Deshalb bin ich auch der Auffassung, daß zwischen unserem OB und mir nur ein scheinbarer Dissens besteht. Mein Bemühen dient der Aufdeckung des Scheins als Schein. Dann wird, so erwarte ich, auch der Dissens verschwinden."

Mit Abmahnungsschrieben vom 16.06.00 warf die Beklagte dem Kläger vor, er habe mit seinen Leserbriefen vom 22.04. und 27.05.2000 das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot von § 8 BAT und die Pflicht zur Loyalität und Treue zum Arbeitgeber verletzt. Es wäre seine Pflicht gewesen, die Arbeit des Stadtplanungsamts tatkräftig nach außen zu unterstützen, anstatt durch dienstbezogene Äußerungen seine Eigensicht von Stadtplanung zu kultivieren. Durch seine Verlautbarungen vom 22.04. und 27.05.00 habe er den Anschein amtlicher Kompetenz erweckt und die kritischen Pressemeldungen publizistisch aufgewertet, z.T. sogar in der Absicht, die Entscheidungen der Gemeindeorgane zu beeinflussen. Rein innerdienstliche Vorgänge habe er ohne Not nach außen getragen und damit für seine Kritik ein "falsches Forum" gewählt. Im Leserbrief vom 22.04.2000 habe er falsche Behauptungen über die Unterbringung der Polizeibehörde im ehemaligen Kasernengelände "Joffre" aufgestellt; ihm hätte bewußt sein müssen, daß sich der OB bereits um eine anderweitige Unterbringung bemüht habe. Dieser Leserbrief lasse auf eine böswillige Einstellung schließen, sei er doch geeignet, die Arbeit der Planungsabteilung zu untergraben. Falsch sei auch die Mitteilung im Leserbrief vom 27.05.2000 hinsichtlich der W. I. H, weil die Verhandlungen mit ihr aufgrund eines nicht veröffentlichten Gemeinderatsbeschlusses bereits beendet gewesen seien. Daher sei es eine Täuschung der Öffentlichkeit, von der "Abdankung eigenständiger Stadtplanung" zugunsten "anonymer Profiteure" zu sprechen. Der Hinweis, es gebe verantwortungsvollere Planer, sei eine unzulässige Schmähkritik und lasse außer Acht, daß sämtliche Leitentscheidungen der Verwaltung meist einstimmig vom Gemeinderat beschlossen worden seien. Im Leserbrief vom 22.04.2000 habe er mit der Formulierung: "durch alle Instanzen nur Gewinner" polemisch auf seinen laufenden Arbeitsgerichtsprozeß verwiesen und sich in der Öffentlichkeit als renitenter und provokativer Gegenpart des Dienstherrn dargestellt.

Im Februar 2001 vereinbarten die Parteien eine Altersteilzeitregelung wie folgt: Aktive Phase von März 2001 bis Februar 2004 à 15 Wochenstunden, anschließend Freizeitphase bis zur Vertragsbeendigung zu Ende Februar 2007.

Am 24.04.2001 erwähnte der Kläger in einem teils privaten Gespräch gegenüber seinem Amtsleiter, Herrn S...... in den nächsten 3-4 Jahren werde er wohl Gelegenheit finden, mit den Grünen abzurechnen bzw. mit ihnen ein "Hühnchen zu rupfen". Zum dienstlichen Teil dieses Gespräches fertigte er eine EMail mit der Bitte, diese zu den Planakten "Korngasse II" zu nehmen. Darin führte er aus, daß während der ersten Änderung der sogenannten baurechtlichen Offenlage nach wie vor mehrere Grundstücke in die Abstandsfläche der Hochspannungsleitung ragten. Er sei bereit, binnen drei Tagen den Bebauungsplan zu überarbeiten und einen Änderungsentwurf vorzulegen.

Anfang Mai verfaßte der Kläger einen 6. und 7. im BT veröffentlichten Leserbrief, nämlich:

Am 08.05.2001 unter dem redaktionellen Vorspann "Glaubwürdige Sachpolitik gefordert", zum Bericht "Grüne fordern mehr Sicherheit", BT vom 04. Mai:

"Nach der letzten Wahlschlappe haben die Landkreis-Grünen offensichtlich ureigene Themen neu entdeckt. Weshalb aber interessieren sie sich beim Thema Elektro-Smog nur für die Sendeanlagen auf kreiseigenen Gebäuden? Etwa weil der Herr Landrat der y-Partei angehört? Glauben sie vielleicht, die Antennen auf städtischen oder sonstigen Gebäuden emittierten gesunde Strahlungen? Und wie verhält es sich mit Wohngebäuden in R...... die dort z.T. direkt unter einer 220-kV-Hochspannungsleitung stehen? Interessiert das die Grünen vielleicht deshalb nicht, weil ihr Ratsmitglied G. im R..... Gemeinderat bislang jede Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, um bei den diversen Behandlungen des Bebauungsplans Korngasse II ... etwas für mehr Sicherheit im Interesse der Bürger zu tun? Dort ragt noch immer das Baufenster mehrerer Grundstücke in den ohnehin nur knapp bemessenen Sicherheitsstreifen. Aber hier den Mund aufzumachen, um für die Bürger Verbesserungen zu erreichen, das paßt Herrn G. wohl nicht in die politische Landschaft. Wenn die Grünen in Zukunft noch eine Chance haben wollen, dann müssen sie sich deutlicher und glaubwürdiger um Sachpolitik bemühen. Wer dazu nicht in der Lage ist, sollte unverbrauchten Kräften den Weg freimachen!"

Der 7. Leserbrief im BT vom 12.05.2001 hat einschließlich des redaktionellen Vorspanns folgenden Wortlaut:

"Verhalten unglaubwürdig"

..... (der Kläger) schreibt einen Leserbrief zum Artikel "Stadt sieht von Bebauung unter Strom ab", BT vom 11. Mai:

"Zu meinem Leserbrief vom 8. Mai und dem BT-Bericht vom 11. Mai stelle ich fest, daß die Grünen bei uns, was vorbeugenden Gesundheitsschutz vor Elektro-Smog betrifft, offensichtlich hinter der EnBW zurückbleiben.

Für mich wäre es viel schöner gewesen, wenn der Bebauungsplan aufgrund eines Hinweises der Grünen geändert worden wäre. Aber bedauerlicherweise betreiben die Grünen, wo sie in die Macht eingebunden sind, immer mehr Macht- statt Sachpolitik. Wie sonst wäre es zu erklären, daß bei gleichartiger Sachlage einem y-Landrat Fragen gestellt werden, die man einem x-Oberbürgermeister nicht stellt? Für mich ist ein solches Verhalten unglaubwürdig. Was das Verhalten der Verwaltung betrifft, merke ich nur an, daß ich, meiner Auffassung von Pflicht gemäß, schon vor Jahren bei der erstmaligen Offenlage des Bebauungsplanes Korngasse II ... meinen Amtsleiter auf die Problematik des Bauens in Nachbarschaft zu der 220-kV-Leitung aufmerksam machte. Nach meiner Rückversetzung ins Planungsamt habe ich ihn anläßlich der Offenlage zur ersten Änderung des Bebauungsplans erneut auf die unbefriedigende Situation hingewiesen und angeboten, einen eigenen Entwurf innerhalb kurzer Zeit auszuarbeiten. Auf dieses Angebot erhielt ich bis heute keine Reaktion. Umso schneller reagierte die Verwaltung jedoch auf meinen Leserbrief vom 8. Mai: Am 9. Mai wurde ich unter Hinweis auf diesen Leserbrief unverzüglich beurlaubt. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, daß die Dienststelle beabsichtigt, mir außerordentlich zu kündigen. Dies mag ordentlich finden, wer will!"

Am 13.05.2001 richtete der Kläger an den OB ein persönliches Schreiben, in welchem er zunächst auf seinen Leserbrief vom 08.05.2001 verwies und mitteilte, kein Interesse mehr an Publikationen über Angelegenheiten der Stadtverwaltung zu haben. Durch seine mittlerweile erfolgte Zwangsbeurlaubung und die Ankündigung einer außerordentlichen Kündigung sehe er sich allerdings aufs Heftigste angegriffen; diese Auseinandersetzung nehme er "deshalb offen an", da sie sich auf Dauer nicht verheimlichen lasse; aus diesem Grund habe er den Leserbrief vom 12.05. geschrieben.

Sollte jedoch seine Beurlaubung unverzüglich beendet und ihm der Auftrag für einen neuen Entwurf des Bebauungsplans Korngasse II erteilt werden, werde er, sofern er nicht ungerechtfertigt persönlich angegriffen werde, während seiner Dienstzeit keine Leserbriefe mehr schreiben.

Die gleichwohl ausgesprochene fristlose Kündigung vom 18.05.2001 ging dem Kläger noch am gleichen Tag zu.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:

Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 18. Mai 2001 nicht aufgelöst worden ist.

Die beklagte Gemeinde hat Klagabweisung beantragt mit der Begründung, die nach der Abmahnung verfassten Leserbriefe seien Belege dafür, dass der Kläger nicht davon ablassen könne, die Beklagte mit unberechtigter Kritik zu überziehen. Durch sein Verhalten sei der Beklagten überdies ein großer Schaden in Gestalt dreier unverkäuflicher Grundstücke entstanden.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.11.2001 dem Antrag des Klägers entsprochen mit der Begründung, die Leserbriefe vom 08. und 12.05.2001 rechtfertigten unten dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit keine Kündigung. Zudem sei der Brief vom 08.05. nicht gegen die Beklagte, sondern gegen ein Gemeinderatsmitglied gerichtet gewesen.

Ein unzulässiger Eingriff in die laufende Beratung des Gemeinderats hinsichtlich der Änderung des Bebauungsplans Korngasse II sei nicht feststellbar. Der Kläger habe keine Dienstgeheimnisse preisgegeben, sondern nur Schlüsse aus offenkundigem Wissen gezogen. Die Herausnahme von drei Grundstücken aus dem Bebauungsplan sei - was unstreitig ist - auf Anregung des Stromerzeugers erfolgt, so daß dem Kläger der Schaden in Höhe von ca. DM 500,000,00 wegen ihrer Unverkäuflichkeit nicht zugerechnet werden könne.

Soweit der Kläger in seinem letzten Leserbrief eine interne Meinungsverschiedenheit mit seinem Amtsleiter offenbart habe, wäre allenfalls eine Abmahnung gerechtfertigt gewesen. Der Beklagten sei es aber versagt, sich zur Begründung der Kündigung auf ihr Abmahnungschreiben vom 16.06. zu berufen, weil die dort angesprochenen Vorgänge mit denjenigen der nachfolgenden Leserbriefe nicht vergleichbar seien.

Die Beklagte begründet die hiergegen gerichtete Berufung im wesentlichen wie folgt: Der Kläger habe sich in gravierendem Maße derart illoyal verhalten, daß ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Der Kläger sei sehr wohl am 16.06.2000 in Bezug auf die nachfolgenden Wiederholungsfälle einschlägig abgemahnt worden: Ihm sei nämlich ein Mindestmaß an Loyalität abverlangt worden. Für den Fall, daß das nachfolgende Verhalten nicht als einschlägig erachtet werden sollte, hält die Beklagte dafür, daß eine neuerliche Abmahnung - entgegen der Rechtsansicht des Arbeitsgericht - wegen des zweiten Teils des Schreibens des Klägers an den OB vom 13.05.2001 entbehrlich gewesen sei. Der Kläger habe nämlich bewiesen, daß er "die Tinte nicht halten" könne, sodaß weitere Leserbriefattacken befürchtet werden müßten.

Es könne auch der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts nicht gefolgt werden, wonach der OB mit seiner Antrittsrede aus dem Jahre 1999 und seiner Neujahrsansprache 2001 selbst entsprechende Maßstäbe für einen publizistischen Umgang miteinander gesetzt habe. Die erstgenannte Rede habe sich - für jedermann erkennbar - auf ein Fehlverhalten des damaligen Vorsitzenden des Personalrats bezogen, der - unstreitig - später gerichtlich amtsenthoben wurde. Bei Schilderung des Versetzungsrechtsstreits habe der OB keinen Namen genannt, so daß der Durchschnittsbürger den Kläger nicht habe identifizieren können.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Karlsruhe vom 14.11.2001 - Az.: 8 Ca 309/01 - wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung.

Entscheidungsgründe:

1.

Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß die vier im Jahr 2000 und 2001 veröffentlichten Leserbriefe des Klägers trotz der Abmahnung vom 16.06.2000 nicht die außerordentliche Kündigung vom 18.05.2001 rechtfertigen können.

a.

Wegen des sofortigen Verlustes der wirtschaftlichen Existenz kommt eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber gemäß § 626 BGB, respektive § 54 Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) nur in Betracht, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Mit anderen Worten: Nur wenn ein Kündigungsgrund "an sich" vorliegt (nachfolgend b.), bedarf es zusätzlich einer Interessenabwägung. Bei einer außerordentlichen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses - diese Situation ist vorliegend gemäß § 55 BAT gegeben - ist innerhalb dieser Interessenabwägung nicht auf die fiktive Kündigungsfrist für die ordentliche Kündigung abzustellen, sondern auf die tatsächliche künftige Vertragsbindung (BAG 14.11.1984, -AZ: 7 AZR 477/83- AP Nr. 83 zu § 626 BGB, zu II. 1. a. der Gründe). (Dies wird nachfolgend unter c. abgehandelt).

Die politische Betätigung eines Arbeitnehmers geht den Arbeitgeber im Grundsatz nichts an, wenn und soweit sie sich im außerdienstlichen Bereich abspielt. Dies gilt auch dann, wenn der handelnde Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst beschäftigt ist. Sein außerdienstliches Verhalten ist in der Regel nicht einmal ein Kündigungsgrund "an sich".

Allenfalls dann, wenn sich die außerdienstliche politische Betätigung innerbetrieblich auswirkt und das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt, kann sie als Kündigungsgrund in Betracht kommen (BAG, 06.06.1984, Az.: 7 AZR 456/82 = AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969, Verhaltensbedingte Kündigung).

Doch auch dann ist stets in Rechnung zu stellen, dass das Schreiben von Leserbriefen in aller Regel Ausdruck der Meinungsfreiheit ist, die von dem Grundrecht des Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt ist. Ihr kommt für das Funktionieren einer lebenden Demokratie eine herausragende Bedeutung zu. Sie ist - wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt betont hat - "schlechthin konstituierend" für ein demokratisches Gemeinwesen.

Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht jüngst mit seiner Entscheidung vom 16.10.1998 - Az.: 1 BvR 1685/92 = AP Nr. 24 zu § 611 BGB, Abmahnung - sogar in Bezug auf einen im öffentlichen Dienst tätigen Angestellten bekräftigt:

Dieser Arbeitnehmer hatte sich beim Gericht darüber beschwert, dass seine Arbeitgeberin - eine baden-württembergische Gemeinde - ihm eine Abmahnung erteilt hatte, weil er sich in einem Leserbrief kritisch und polemisch zur Person des Bürgermeisters dieser Gemeinde und zum Verhalten einiger Gemeinderäte geäußert hatte.

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind es wert, wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung wörtlich wiedergegeben zu werden:

"Das Grundrecht gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob eine Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird. Der Grundrechtsschutz bezieht sich nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form einer Äußerung. Allein eine polemische oder verletzende Formulierung entzieht eine Äußerung noch nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit. Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos geschützt. Sie findet u.a. in den allgemeinen Gesetzen sowie in dem Recht der persönlichen Ehre eine Schranke (Art. 5 Abs. 2 GG). Zu den allgemeinen Gesetzen gehört auch die Tarifvorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT, wonach sich ein Angestellter so zu verhalten hat, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Auf diese Tarifnorm hat die Stadt ihre Abmahnung gestützt, während das Arbeitsgericht den Eingriff in die Meinungsfreiheit zum Schutz der Ehre des Bürgermeisters der Stadt Ladenburg als gerechtfertigt ansah. Grundsätzlich ist die Auslegung und Anwendung einer tarifvertraglichen Vorschrift sowie die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Abmahnung Sache der Arbeitsgerichte. Berührt eine arbeitsgerichtliche Entscheidung allerdings die Meinungsfreiheit, so verlangt Art. 5 Abs. 1 GG, daß die Gerichte die grundrechtsbeschränkende Norm ihrerseits wieder im Licht der Meinungsfreiheit auslegen und anwenden, damit die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Das schließt es aus, an eine Äußerung allein wegen deren Form ohne Berücksichtigung der sonstigen Umstände negative arbeitsrechtliche Konsequenzen zu knüpfen. Allein die Schmähkritik oder Formalbeleidigung scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes von vornherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts aus. Ist eine Äußerung hingegen weder als Schmähung noch als Formalbeleidigung einzustufen, hat das Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände eine Abwägung zwischen den Belangen der Meinungsfreiheit einerseits und des Rechtsguts, in dessen Interesse die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, andererseits vorzunehmen. ..."

Zu den allgemeinen Gesetzen im vorgenannten Sinne wird neben § 8 BAT auch § 9 BAT gezählt werden müssen, wonach der Angestellte "über alle Angelegenheiten der Verwaltung oder des Betriebes, deren Geheimhaltung durch gesetzliche Vorschriften vorgesehen oder auf Weisung des Arbeitgebers angeordnet ist, Verschwiegenheit zu bewahren" hat.

b.

Zu den Kündigungsgründen "an sich":

Der Leserbrief vom 12.05.2001 ist zuerst abzuhandeln, da er der eigentliche Auslöser für die außerordentliche Kündigung war und gewissermaßen als letztes Glied einer Kette - behaupteten - ähnlichen Verhaltens in die 2-Wochenfrist von § 626 Abs. 2 BGB fällt.

Inhaltlich ist er von der Meinungsfreiheit gedeckt, soweit er sich mit dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Elektro-Smog und der bisherigen Behandlung dieses Aspektes durch Gemeinderatsmitglieder und den OB befasst. Eine derartige Kritik hat eine dem Grundgesetz verbundene Kommune ohne weiteres hinzunehmen.

Etwas anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der Offenbarung eines innerdienstlichen Vorgangs. Der Kläger legt insoweit offen, dass er wegen eines rechtswidrigen Vorgangs gegenüber seinem Amtsleiter mehrfach remonstriert (Gegenvorstellung gehalten) habe, die Verwaltung gleichwohl mehrere Jahre untätig geblieben sei. Diese Mitteilung missachtet zwar nicht das Verschwiegenheitsgebot von § 9 BAT, weil kein materielles Dienstgeheimnis offenbart wurde, aber es liegt ein Verstoß gegen den Verhaltenskodex von § 8 BAT vor. Der Angestellte des öffentlichen Dienstes hat auch bei seinem außerdienstlichen Verhalten bestimmte "ungeschriebene Anstandsregeln" zu beachten. Der einen Leserbrief schreibende Angestellte des öffentlichen Dienstes ist gehalten zu differenzieren: Einerseits darf er sich als Bürger verstehen, dem alle Rechte im öffentlichen Meinungsstreit zukommen und der nur die Schranken allgemeiner Gesetze zu beachten hat. Andererseits ist er als Angehöriger des öffentlichen Dienstes zugleich zur Rücksichtnahme auf die Belange des Dienstherrn und seiner Mitarbeiter verpflichtet, zumal dann, wenn er dienstlich mit einschlägigen behördlichen Interna betraut ist und diese zum Gegenstand eines Leserbriefes machen möchte. Insiderwissen soll er nicht ohne weiteres öffentlich ins Spiel bringen. Ob allerdings die überkommenen Regeln für eine unerlaubte "Flucht in die Öffentlichkeit" verletzt wurden und im Lichte des Grundrechts auf Meinungfreiheit korrekturbedürftig sind (vgl. den Fall des Verfassungsschützers Patsch, BGH 20/342 ff, sowie dazu K. Beer: "Flucht in die Öffentlichkeit als freie Meinungsäußerung und Rechtsbehelf" in: Recht-Justiz-Kritik, Nomos 1985 S. 327 ff), braucht hier nicht in allen Einzelheiten thematisiert zu werden. Der Vorwurf, der dem Kläger im vorliegenden Fall "an sich" gemacht werden kann, bezieht sich nämlich nicht auf die Mitteilung über die Änderung des Bebauungsplanes. Dieser Vorgang war bereite bekannt und Gegenstand öffentlicher Erörterungen im Gemeinderat. Vielmehr zielt der Vorwurf auf die Bloßstellung und Desavouierung seines Amtsleiters. Dessen Erwähnung lässt für den unbefangenen Leser den - unter Umständen unzutreffenden - Rückschluss zu, auch er sei in vorwerfbarer Weise pflichtwidrig untätig geblieben.

Tatsächlich sind jedoch keine Gesichtspunkte dafür ersichtlich, dass dieser Amtsleiter und nicht der Gemeinderat bzw. der OB federführend und verantwortlich für die jahrelang unterlassene Berücksichtigung des Sicherheitsstreifens waren.

Gleichwohl wiegt die Verletzung dieser Anstandsregel nicht derart schwer, dass deswegen - bei isolierter Betrachtung - die Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt ernsthaft hätte in Erwägung gezogen werden müsse.

Zum Leserbrief vom 08.05.2001:

Der Angriff des Klägers gegen das Ratsmitglied G. berührt ersichtlich nicht die Interessen der Gemeinde als Arbeitgeberin des Klägers. Überzeugend hat bereits das Arbeitsgericht im angegriffenen Urteil ausgeführt, dass ein publizistischer Angriff gegen eine im Gemeinderat vertretene Partei nicht zugleich ein Angriff gegen das Hauptorgan der Gemeinde und erst recht nicht gegen die beklagte Gemeinde selbst darstellt.

Dieser Leserbrief ist vielmehr Ausdruck einer beherzten Eintretens für öffentliche Belange durch die Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Wenn überhaupt von einem Angestellten des öffentlichen Dienstes ein aktives Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung erwartet werden kann, dann gerade auch ein solches wie das vorliegende. Diese aktive Teilhabe am öffentlichen Meinungskampf steht im Einklang mit den Anforderungen von § 8 Abs. 1 BAT.

Zum Leserbrief vom 03.06.2000:

Auch sein Inhalt ist Ausdruck zulässiger Meinungsäußerungsfreiheit, ohne dass ein Verstoß gegen § 8 BAT vorläge. Der Kläger erwidert nämlich in defensiver Weise auf eine vorangegangene Kritik des OB an seiner Person in öffentlicher Gemeinderatssitzung. Trotz dieser Kritik bemüht sich der Kläger um Sachlichkeit und Deeskalation.

Zum Leserbrief vom 27.05.2000:

Er enthält eine Formulierung, die gegen den Verhaltenskodex von § 8 BAT verstößt. Gemeint ist die Wertung, es liege eine "weitgehende Abdankung der eigenständigen Stadtplanung" und der "kommunalen Planungshoheit zugunsten anonymer Profiteure ohne Standortbindung" vor.

Der Leserbrief identifiziert die hierfür verantwortliche Person, nämlich den OB, und qualifiziert ihn insoweit als "nicht interessiert". Außerdem wird er als wenig verantwortungsbewusster Planer charakterisiert, was aus der Umkehrung der benutzten Formulierung unschwer folgt.

Dem Kläger kann allerdings in diesem Zusammenhang nicht vorgeworfen werden, dass er die W. I.-H als "Profiteur" bezeichnet, denn dies mag durchaus der Wahrheit entsprochen haben, hat doch die beklagte Gemeinde selbst bekundet, sich von diesem Investor wieder getrennt zu haben. Zu Recht ist allerdings zu kritisieren, dass der Kläger offenbar unter Verwertung seiner Insider-Kenntnisse als Stadtplaner seinen OB (als Vertreter seiner Arbeitgeberin) geziehen hat, er habe es zumindest vorübergehend unternommen, eine eigene verantwortungsbewusste Stadtplanung dem Profitinteresse Privater unterzuordnen. Selbst wenn diese Aussage inhaltlich richtig sein sollte, verstößt doch ihre Aussageform wegen ihres polemischen Stils gegen das Mäßigungsgebot von § 8 BAT.

Zu Unrecht allerdings hält die beklagte Gemeinde dies für unzulässige Schmähkritik. Sie läge nämlich nur dann vor, wenn nicht die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stünde (Murswiek in Sachs, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 2 Rz. 128 ff m. w. N.). So hat z. B. der BGH die Bezeichnung eines Unternehmers als "Halsabschneider" in einer Gewerkschaftszeitung als Schmähkritik qualifiziert (01.02.1977, Az.: VI 204/74 = AP Nr. 7 zu Art. 5 Abs. 1 GG; Meinungsfreiheit). Die Ausführungen im Leserbrief vom 27.05.2000 sind jedoch so um einen konkreten kommunalpolitischen Vorgang zentriert, dass die Sachkritik im Vordergrund steht.

Zum Leserbrief vom 22.04.2000:

Der Vorwurf, seinen eigenen Prozess durch die Formulierung: "Durch alle Instanzen und nur Gewinner" kommentiert zu haben, geht in mehrerlei Hinsicht fehl. Zum einen lag im Zeitpunkt des Abfassens des Briefes eine zweitinstanzliche Entscheidung mit einem oder mehreren Gewinnern noch gar nicht vor. Die Formulierung bezieht sich eindeutig auf den wenige Zeilen zuvor erwähnten "Agenda-21 "- Prozess. Zum anderen könnte dem Kläger ein Hinweis auf seinen gewonnenen Prozess überhaupt nicht verübelt werden, nachdem der OB etwa vier Monate zuvor in seiner Antrittsrede seine politischen Gegner aufgefordert hatte, den öffentlichen Dienst zu quittieren. Die ersten beiden Leserbriefe aus dem Jahre 1999 weisen aus, daß der Kläger zumindest nicht zu den politischen Freunden des OB zählt. Der Kläger durfte die Passagen in der Amtsrede daher auch auf sich beziehen.

Hieraus folgt als Zwischenergebnis für den Kündigungsgrund "an sich", dass den Kläger zwei Vorwürfe treffen: Nämlich den einer unangemessenen Formulierung im Leserbrief vom 27.05.2000 und den der Desavouierung seines Amtsleiters im Leserbrief vom 12.05.2001.

Das erstgenannte Verhalten wurde mit Schreiben vom 16.06.2000 abgemahnt. Es hätte kündigungsrechtlich allenfalls dann von Bedeutung sein können, wenn es zu einen einschlägigen Wiederholungsfall gekommen wäre. Der Vorfall vom 12.05. hätte dies nur dann sein können, wenn er unter dem gemeinsamen Gesichtspunkt einer "Loyalitätsverletzung" betrachtet werden könnte. Dies aber geht fehlt. Ein gemeinsamer Nenner beider Vorgänge kann nicht festgestellt werden. Der Begriff der Loyalitätsverletzung ist äußerst unscharf und eigentlich nur eine Metapher für den verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG. Der Begriff der "Einschlägigkeit" im Zusammenhang mit einer Abmahnung ist enger. Er setzt einen gleich gelagerten Sachverhalt voraus (BAG, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG/1969 Verhaltensbedingte Kündigung).

Außerdem gilt folgendes: Dem Kläger wurde im Abmahnungsschreiben ein zusätzliches Maß an Loyalität für die Zukunft abverlangt, nicht aber eine konkret begangene Loyalitätsverletzung aus der Vergangenheit vorgehalten. Das Wesen einer Abmahnung liegt indes in der Rüge eines konkreten vertragswidrigen Verhaltens verbunden mit der Androhung, daß im Wiederholungsfalle arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen würden. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang darauf verweist, der Kläger habe angesichts seines an den OB gerichteten Schreibens vom 13.05.01 eigentlich gar nicht mehr abgemahnt müssen, weil er notorisch dazu neige, Leserbriefe abzusondern und somit abmahnungsresistent sei, ist einzuwenden, daß die Beklagte durch den Ausspruch ihrer Abmahnung das bisherige Verhalten verziehen hat unter dem Vorbehalt, daß nichts neues Einschlägiges wieder zutage trete. Hierin offenbart sich die Doppelfunktion der Abmahnung (BAG 10.11.1988 -AZ 2 AZR 215/88- = NJW 1889/2493).

Tatsächlich ist jedoch ein einschlägiger Wiederholungsfall bis zum Ausspruch der Kündigung nicht eingetreten. Der Kläger hat nur für den Fall, daß er persönlich angegriffen werden sollte, weitere Leserbriefe in Aussicht gestellt. Die bloße Ankündigung steht jedoch der Tat selbst nicht gleich. Überdies steht überhaupt nicht fest, ob ein derartiger künftiger Leserbrief die oben beschriebenen Grenzen zulässiger Meinungsfreiheit überschreiten würde. Zumindest ist es gänzlich unangebracht, allein die Möglichkeit der Verteidigung der eigenen Ehre zum Gegenstand eines Kündigungsvorwurfs zu machen.

c.

Unterstellt, die Leserbriefe vom 22.04. und 27.05.00 würden auf der gleichen Linie wie die der nachfolgenden vom 08. und 12.05.2001 liegen, so würde die gemäß § 626 Abs. 1 BGB gebotene Interessenabwägung eindeutig zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen.

Zunächst schlägt zugunsten des Klägers seine 17-jährige Tätigkeit zu Buche.

Darüberhinaus erscheint das oben abgehandelte Fehlverhalten des Klägers vor dem Hintergrund des Verhaltens des OB, das sich die beklagte Gemeinde zurechnen lassen muß, in einem sehr viel milderem Licht. In der Neujahrsansprache 2001 hatte der OB den Kläger im Zusammenhang mit seinem in zwei Instanzen gewonnenen Versetzungsprozeß in polemischer Weise verhöhnt. Damit hat er das Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt. Erschwerend kommt hinzu, daß er diesen Vorgang sogar noch der Öffentlichkeit des Internet preisgegeben hat (in diesem Kontext muß im übrigen das spätere Schreiben des Klägers vom 13.05.01 an den OB gesehen werden: Zurecht hat er sich seinen Ehrenschutz vorbehalten).

Auch der den Kläger belastende Leserbrief vom 27.05.00 ("Abdankung zugunsten anonymer Profiteure") erfährt im Rahmen der Interessenabwägung eine mildere Beurteilung, weil der Oberbürgermeister durch sein eigenes Verhalten zu Beginn seiner zweiten Amtszeit gewissermaßen den "ersten Stein geworfen" hat. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Entscheidung vom 25.01.1961 (AZ: 1 BvR 9/57 -Richard Schmid/Spiegel) in einer vergleichbaren Situation einer in der Presse verunglimpften Person ein "Recht auf Gegenschlag" zum Zwecke des Ehrenschutzes zugebilligt und unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 GG gestellt.

Als der Kläger zu seinem "Gegenschlag" mit Leserbrief vom 27.05.2000 ausholte, war er soeben erst in zweifacher Hinsicht rechtwidrigen Angriffen seines OB ausgesetzt gewesen: Bereits die Versetzung vom 15.11.1999 war ausweislich der Feststellungen im rechtskräftigen Urteil des LAG vom 30.10.2000 - 15 Sa 40/00 - ohne jeden nachvollziehbaren sachlichen Grund, also willkürlich erfolgt. Die kurze Zeit später - am 09.12.1999 - veröffentlichte Antrittsrede des OB stellt eine unverhohlene Drohung gegen politisch Andersdenkende in der Gemeindeverwaltung dar. Zu diesen Andersdenkenden gehörte offensichtlich der Kläger; dies ergibt sich bereits aus den ersten beiden Leserbriefen.

Beide Akte - im Zusammenhang betrachtet - stellten den Versuch einer rechtswidrigen Maßregelung i. S. von § 612 a BGB dar. Danach darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht beteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Zum damaligen Zeitpunkt - also vor dem 27.05.2000 - war das publizistische Verhalten des Klägers nicht zu beanstanden und rechtens.

Nach all dem überwiegt das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dasjenige der beklagten Gemeinde an einer sofortigen Beendigung, zumal angesichts der vereinbarten Altersteilzeitregelung die aktive Fortdauer der vertraglichen Bindung zeitlich auf weniger als drei Jahre begrenzt war.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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