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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 30.07.2007
Aktenzeichen: 15 Sa 29/07
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 9 Abs. 1 Satz 2
Kann nach dem einschlägigen Tarifvertrag dem Arbeitnehmer nicht mehr ordentlich, sondern nur außerordentlich gekündigt werden, ist der Arbeitgeber im Falle der Unwirksamkeit der erklärten außerordentlichen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist mit einen Auflösungsantrag ausgeschlossen. Eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG scheidet mangels einer planwidrigen Gesetzeslücke aus.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 21. März 2007 - Az.: 2 Ca 15/06 - wird auf Kosten der Berufungsführerin als unbegründet zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist vom 23. Dezember 2005 jeweils zum 30. Juni 2006 und einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag. Der vom Kläger im ersten Rechtszug zur Entscheidung gestellte und negativ beschiedene Weiterbeschäftigungsanspruch ist nicht mehr Verfahrensgegenstand.

Die Beklagte ist ein im Bereich der Luft- und Raumfahrt sowie der Verteidigungsindustrie tätiges Unternehmen mit zahlreichen Mitarbeitern. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Südwestmetall.

Der am ... November 1950 geborene, verheiratete und drei Kindern gegenüber zu Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit 01. Januar 1977 bei der Beklagten als Systemingenieur beschäftigt. Er erhält als sogenannter "AT-Angestellter" eine jährliche Bruttovergütung von zuletzt 77.881,00 EUR. Er ist Mitglied der IG-Metall.

Der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden (MTV) regelt unter anderem:

§ 1 Geltungsbereich

1.1

Dieser Tarifvertrag gilt:

...

1.1.3

persönlich:

Für alle in diesen Betrieben beschäftigten Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten, die Mitglied der IG-Metall sind;

...

1.1.3.2

Nicht als Angestellte im Sinne dieses Tarifvertrages gelten die Vorstandsmitglieder und gesetzlichen Vertreter von juristischen Personen und von Personengesamtheiten des privaten Rechts, ferner die Geschäftsführer und deren Stellvertreter, alle Prokuristen und die leitenden Angestellten im Sinne des 5 BetrVG.

...

§ 4 Kündigung und Aufhebungsvertrag

4.4

Einem Beschäftigten, der das 53., aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, kann nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Dies gilt auch für eine Änderungskündigung.

..."

Der Kläger wurde zum 01. Januar 2004 im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen mit Zustimmung des Betriebsrats in die Logistikabteilung versetzt. Mit Schriftsatz vom 10. August 2005 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Ulm Klage (Az.: 1 Ca 7/06). In diesem Verfahren begehrte er unter anderem festzustellen, seine Versetzung sei unwirksam und er sei zu den Bedingungen vor seiner Versetzung zu beschäftigen, die Beklagte möge an ihn gerichtete Äußerungen widerrufen und solle zur Zahlung von Schmerzensgeld wegen Mobbings verurteilt werden. Das Arbeitsgericht Ulm hat die Anträge des Klägers mit Urteil vom 30. März 2006 abgewiesen (vgl. ABl. 170 - 183). Seine dagegen gerichtete Berufung blieb erfolglos (8 Sa 36/06).

Zur Begründung der mit Schriftsatz vom 04. Januar 2006, beim Arbeitsgericht Ulm eingegangen am 05. Januar 2006, angegriffenen Kündigung vom 23. Dezember 2005 beruft sich die Beklagte auf schriftliche Ausführungen des Klägers im Verfahren 1 Ca 7/06. Insbesondere habe der Kläger auf Seite 4 einer Stellungnahme vom 14. November 2005 vorgetragen, dass sein ehemaliger Vorgesetzter "aus der DDR-Armee NVA stammt und daher die westliche Arbeitsrechtskultur nicht verinnerlicht haben konnte".

[Im vollen Wortlaut:

Die Beklagte hat auch die Defizite des VG für Führungsaufgaben nicht beachtet. Sie hat versäumt, den VG, der als technischer Experte für ein Gerät ostdeutscher Herkunft eingestellt worden war, für seine Führungsaufgabe, die er später übertragen bekam, hinreichend zu schulen. Es war allgemein bekannt, dass der VG aus der DDR-Armee NVA stammt und daher die westliche Arbeitsrechtkultur nicht verinnerlicht haben konnte. U. a. war ja bei der NVA gezielter Einsatz von Mobbing ein sanktioniertes Mittel der Personalführung gegen unliebsame Mitarbeiter. Der Kläger hat das Management der Beklagten auch wiederholt darauf angesprochen, jedoch ohne Erfolg. Nicht nur der Kläger war Leidtragender des vielfach überspannt auftretenden VG. Dieses Verhalten war im Kollegenkreis häufiges Gesprächsthema.]

Auf Seite 13 seiner dortigen Stellungnahme vom 14. November 2005 habe der Kläger ausgeführt, dass die Beklagte "den Verdacht aufkommen lässt, dass mit Mobbing insgeheim Personalpolitik betrieben wird". Auf Seite 14 dieser Stellungnahme trage der Kläger sinngemäß vor, die Beklagte verzichte leichtfertig auf Kosten der Firmenangehörigen und auf Kosten der öffentlichen Hand auf Beträge von mehreren 100.000,00 EUR. Auf Seite 4 seines Schreibens vom 14. November 2005 führe der Kläger außerdem unter A. 4. "gegenwärtige Situation im November 2005" aus: "Auch wenn der Logistikabteilung, in die der Kläger versetzt wurde, kein Vorwurf zu machen ist, stellt jeder Arbeitstag aufs Neue eine persönlichkeitsverletzende und arbeitsrechtswidrige Behandlung durch die Beklagte dar. Weiter hat der Kläger im Verfahren 1 Ca 7/06 u.a. mit Schreiben vom 05.12.2005 Stellung genommen (ABl. 231 - 250).

Vor der streitgegenständlichen Kündigung hat die Beklagte den Betriebsrat schriftlich gemäß § 102 BetrVG zur beabsichtigten Kündigung angehört (siehe Anhörungsschreiben ABl. 52 ff. der Berufungsakte).

Der Kläger hat geltend gemacht, seine Äußerungen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Die Äußerung, sein ehemaliger Vorgesetzter entstamme der NVA und habe die westliche Arbeitsrechtskultur nicht verinnerlichen können, sei weder beleidigend noch diskriminierend. Die Beklagte möge erklären, ob der Vorgesetzte des Klägers tatsächlich Mitglied der NVA war. Er fühle sich tatsächlich gemobbt. Es sei sein gutes Recht, dies auch auszuführen. Schließlich sei er der Auffassung, die Beklagte arbeite ökonomisch nicht immer effizient. Dies sei eine zulässige Meinung und könne keinen Kündigungsgrund darstellen. Die Behauptungen der Beklagten, er, der Kläger, beschuldige sie der Mittäterschaft sowie der üblen Nachrede werden bestritten.

Im Übrigen habe die Beklagte gegen das Ultima-Ratio-Prinzip verstoßen. Die Beklagte habe die Differenzen mit ihm, dem Kläger, nicht ausreichend geklärt.

Er habe auch nicht gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen bzw. dieses sei auf ihn nicht anwendbar. Im Übrigen sei er für Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz nicht abgemahnt worden.

Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung sei die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Dies werde daran deutlich, dass die Beklagte im Verfahren 1 Ca 7/06 bereits am 01. Dezember 2005 zu seinem Schreiben vom 14. November 2005 durch eine kündigungsberechtigte Person Stellung genommen habe. Nicht nachvollziehbar sei, dass die Beklagte dennoch erst am 12. Dezember 2005, also nahezu zwei Wochen nach Erhalt des Ordners, dessen Inhalt zur Kenntnis genommen haben wolle. Auch benenne die Beklagte nicht namentlich, welche kündigungsberechtigte Person zu diesem späteren Zeitpunkt Kenntnis genommen haben soll.

Die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Dies insbesondere, weil dem Betriebsrat in der Anhörung die 28-seitige Stellungnahme vom 14. November 2005 nicht vorgelegt, sondern daraus nur zitiert worden sei.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche, hilfsweise außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.12.2005 nicht beendet wird.

2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. [und / oder zu 2.] wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Systemingenieur weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat um die Abweisung der Klage gebeten und beantragt,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Der Kläger hat beantragt,

den hilfsweise von der Beklagtenseite gestellten Antrag abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, durch den Vortrag des Klägers, sein ehemaliger Vorgesetzter entstamme der Volksarmee der DDR und habe die westliche Arbeitsrechtskultur nicht verinnerlichen können, werde der ehemalige Vorgesetzte des Klägers beleidigt. Die Aussage impliziere auch, sie, die Beklagte, sei nicht in der Lage, ihre Führungskräfte ausreichend zu schulen. Die Behauptung, sie, die Beklagte, lasse den Verdacht aufkommen, mit Mobbing insgeheim Personalpolitik betreiben zu wollen, sei eine reine Unterstellung, die jeglicher Grundlage entbehre. Im Übrigen beschuldige der Kläger sie der Mittäterschaft an angeblichen Mobbinghandlungen sowie der üblen Nachrede.

Das Schreiben des Klägers vom 05. Dezember 2005 (ABl. 231 - 250) enthalte auf ihre Verunglimpfung ausgerichteten Vortrag. Dies werde deutlich in Formulierungen wie "unverantwortliche und böswillige Gesinnung" oder "erpresserisch anmutende Äußerung der Personalabteilung" und ähnlichen Ausführungen.

Sie habe seit Ende des Jahres 2003 in vielfacher Hinsicht versucht, auf den Kläger einzugehen. Sie habe mehrfach mit dem Kläger gesprochen, so am 17. März 2004 (Betriebsratsvorsitzender Herr W. mit Herrn Rechtsanwalt V. ), am 21. Januar 2004 (Herr W. ), am 29. Januar 2004 (Herr R. , Personalreferent, Herr S. , Standortpersonalleiter) oder am 15. Januar 2005 (Herr R. ). Daneben habe es auch Gespräche mit der Sozialreferentin und Dipl.-Pädagogin Frau S. gegeben. Diese habe, ebenso wie der ehemalige Vorgesetzte des Klägers Herr E. , feststellen müssen, ein Gespräch mit dem Kläger im Sinne des Reflektierens sei nicht möglich.

Der Kläger sei am 03., 09., 11. und 14. November 2005 jeweils bis kurz vor Mitternacht sowie am 15. November 2005 bis gegen 22.00 Uhr auf dem Firmengelände gewesen. Er habe damit gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen.

Vom Kläger als SÜG-überprüftem Mitarbeiter müsse sie, die Beklagte, als ein im Bereich der Verteidigungsindustrie tätiges Unternehmen Loyalität erwarten. Aufgrund der vom Kläger vorgebrachten Äußerungen müsse dieser als Sicherheitsrisiko angesehen werden. Die rufschädigenden und anschwärzenden Äußerungen des Klägers seien geeignet, die Verfolgungsbehörden zu Ermittlungen gegen die Beklagte zu veranlassen.

Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei vorliegend nicht anwendbar, da es sich um eine Kündigung nach § 4.4 des einschlägigen MTV handele. Im Übrigen sei die Frist aber auch eingehalten, da sie, die Beklagte, erst Mitte Dezember 2005 von den kündigungserheblichen Tatsachen Kenntnis erlangt habe. Der Aktenordner des Klägers mit dem Schreiben vom 14. November 2005 habe sie am 29. November 2005 erreicht. Mit Schriftsatz vom 01. Dezember 2005 habe sie im Parallelverfahren 1 Ca 7/06 mitgeteilt, der Inhalt des Aktenordners werde zunächst nicht zur Kenntnis genommen. Der Schriftsatz vom 01. Dezember 2005 sei unterzeichnet von Frau S. , die nicht kündigungsberechtigt sei. Erst nachdem die eklatanten Arbeitszeitverstöße des Klägers im November 2005 bekannt geworden seien, habe sie am 12. Dezember 2005 den Inhalt des Aktenordners mitsamt dem Schreiben des Klägers vom 14. November 2005 zur Kenntnis genommen.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Sie müsse dem Betriebsrat nicht sämtliche Unterlagen vorlegen, sondern es reiche, wenn sie die für die Kündigung maßgebenden Gründe mitteile.

Den Hilfsantrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses erachtet der Kläger als unzulässig. Die Beklagte könne einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG nur stellen, wenn die Kündigung lediglich sozialwidrig sei. Im Übrigen sei der Auflösungsantrag auch unbegründet. Weder er, der Kläger, noch sein Prozessbevollmächtigter hätten Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen vorgenommen.

Das Arbeitsgericht Ulm hat auf die mündliche Verhandlung vom 07. Juni 2006, in der die Beklagte erstmals hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragt hat, durch Teilurteil festgestellt, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung vom 23. Dezember 2005 nicht beendet worden. Weiter hat das Arbeitsgericht Ulm die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als Systemingenieur weiter zu beschäftigen (ABl. 72 ff.). Über den Auflösungsantrag hat das Arbeitsgericht Ulm nicht entschieden. Die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hat das Teilurteil des Arbeitsgerichts Ulm mit Urteil vom 20. Dezember 2006 aufgehoben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Ulm zurückverwiesen (ABl. 202 der Berufungsakte 2 Sa 70/06).

Das Arbeitsgericht hat aufgrund der erneuten mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2007 durch das am 21. März 2007 verkündete Urteil festgestellt, das Arbeitsverhältnis sei nicht beendet worden. Im Übrigen hat es die Klage wie auch die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die erklärte ordentliche Kündigung sei unwirksam, da sie tarifvertraglich ausgeschlossen sei. Dieser Ausschluss der ordentlichen Kündigung verstoße auch nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Die tarifliche Regelungen zum Alterskündigungsschutz sei nicht europarechtswidrig. Als außerordentliche Kündigung sei die Kündigung unwirksam. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden sei. Die umstrittenen Äußerungen und die darin liegenden möglichen Pflichtverletzungen seien nicht derart schwerwiegend, um eine außerordentliche Kündigung ohne jegliche Abmahnung rechtfertigen zu können. Die überlangen Arbeitszeiten im November 2005 rechtfertigten die Kündigung ebenso wenig. Bei einem Verstoß gegen arbeitsrechtliche Weisungen sei eine erfolglose Abmahnung erforderlich. Der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers bleibe ohne Erfolg, weil das Interesse der Arbeitgeberin an der Nichtbeschäftigung des Klägers überwiege. Der Auflösungsantrag der Beklagten sei unzulässig.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 05. April 2007 per Fax und am 10. April 2007 im Original eingereichten Berufung, die sie mit dem weiteren am 25. Mai 2007 als Fax und am 30. Mai 2007 im Original zum Berufungsgericht gelangten Schriftsatz ausgeführt hat. Die Beklagte meint, die tarifvertragliche Bestimmung über den Ausschluss der ordentlichen Kündigung verstoße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Entsprechende Wertungen aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof seien übertragbar. Ohnehin sei das Alter 53 Jahre ohne eine Rechtfertigung willkürlich festgelegt worden. Es fehle an konkreten legitimen Zielen. Das von den Tarifvertragsparteien festgelegte Eintrittsalter für ein Eingreifen des Schutzes ab dem 53. Lebensjahr sei ohne beschäftigungspolitischen Hintergrund festgelegt worden. Nationale Gerichte seien bei einem Rechtsstreit über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verpflichtet, rechtlichen Schutz zu gewährleisten und die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu garantieren. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Kündigung als außerordentliche Kündigung auch wirksam. Die Kündigungserklärungsfrist sei gewahrt worden. Die Äußerungen des Klägers seien in einem wahrscheinlich über Wochen vorbereiteten Schriftsatz erfolgt. Sie seien also nicht spontan erfolgt, sondern vielmehr überlegt und gezielt. Der Kläger habe Vorgesetzte und sie, die Beklagte, selbst massiv angegriffen. Aufgrund der Relativität der Wichtigkeit des Kündigungsgrundes in Bezug auf die Gesamtdauer des noch fortzusetzenden Arbeitsverhältnisses sei ein anderer Maßstab an die Wichtigkeit des Grundes anzulegen. Auch die überlange Arbeitszeit im November stelle einen wichtigen Grund dar. Der Kläger habe geltend gemacht, das Arbeitszeitgesetz sei auf ihn nicht anwendbar. Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG sei im Hinblick auf den von ihr gestellten Auflösungsantrag analog anwendbar.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgericht Ulm vom 21. März 2007 - Az.: 2 Ca 15/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aufzulösen.

Der Kläger macht zur Abwehr des Rechtsmittels geltend, die Beklagte könne sich nicht auf Schutzvorschriften berufen, welche die Verhinderung von Diskriminierungen bezweckten. Außerdem sei die Kündigung vor dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ausgesprochen worden. Er wiederholt seine Auffassung, die Kündigungserklärungsfrist sei nicht eingehalten worden. Die Annahme der Beklagten, bei einem tariflich altersgeschützten Arbeitnehmer sei ein wichtiger Grund bereits dann gegeben, wenn die Schwelle eines ordentlichen Kündigungsgrundes nur gering überschritten worden sei, sei unzutreffend. Auf den Kündigungssachverhalt die Arbeitszeit im November 2005 betreffend könne sich die Beklagte, abgesehen davon, dass insoweit kein wichtiger Grund gegeben sei, deswegen nicht berufen, weil dieser Grund dem Betriebsrat im Rahmen seiner Anhörung nicht mitgeteilt worden sei. Außerdem habe die Beklagte nur dem Betriebsrat isolierte Äußerungen mitgeteilt, aber diesem nicht seine schriftlichen Äußerungen zukommen lassen.

Zu dem Auflösungsantrag macht der Kläger geltend, der Gesetzgeber habe trotz der Neufassung des § 13 KSchG durch das Gesetz vom 24. Dezember 2003 in Kenntnis entsprechender tariflicher Vorschriften eine Auflösungsmöglichkeiten nicht vorgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten gegen das dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgebende und den Auflösungsantrag der Beklagten abweisende, am 21. März 2007 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts ist statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c. ArbGG). Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig und ordnungsgemäß ausgeführt worden. Die somit gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO zulässige Berufung kann jedoch in der Sache keinen Erfolg haben. Bezüglich der angegriffenen Kündigung ist das zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung geltende Recht anzuwenden, so dass der gerügte Verstoß des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht durchgreift. Da die Beklagte eine unwirksame außerordentliche Kündigung erklärt hat, kann sie nicht die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses begehren.

II.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend der Klage stattgegeben. Die von der Beklagten mit Schreiben vom 23. Dezember 2005 erklärte ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2006 hat ebenso wenig wie die zu dem selben Termin hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist das Arbeitsverhältnis aufgelöst.

1. Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, die ordentliche Kündigung sei unwirksam, weil eine solche Kündigung nach der auf das Arbeitsverhältnis der beiderseits tarifgebundenen Parteien anwendbaren Bestimmung des § 4.4 MTV ausgeschlossen sei. Die Auffassung der Beklagten, die tarifvertragliche Regelung des Ausschlusses einer ordentlichen Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der das 53. aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb mindestens drei Jahre angehört, verstoße gegen die Bestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes, kann nicht gefolgt werden. Auf die Kündigung vom 23. Dezember 2005 ist das zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung maßgebliche Recht anzuwenden (allgemeiner Grundsatz: vgl. BAG, Urteil vom 21. September 2006 - 2 AZR 840/05, AP Nr. 37 zu § 23 KSchG 1969; auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Das von der Beklagten angeführte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) ist am 18. August 2006 in Kraft getreten. Somit kommt es nicht darauf an, ob das tarifvertragliche Kündigungsverbot nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist.

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Wertung es Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 25. November 2005 (Rs. C-144/04, AP Nr. 1 zu Richtlinie 2000/78/EG) nicht auf die Bestimmung des § 4.4 MTV übertragen werden. In dem Verfahren gemäß Art. 234 EG-Vertrag ging es um die Frage, ob eine nationale gesetzliche Regelung wie § 14 Abs. 3 TzBfG mit Artikel 6 der Richtlinie 2000/78/EG vereinbar war.

3. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, deren Zweck nach Art. 1 die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung u.a. wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedsstaaten ist, ist vor Ablauf der ab dem 02. Dezember 2003 beginnenden Zusatzfrist von drei Jahren in nationales Recht umgesetzt worden. Richtlinien gehören nicht zum primären Gemeinschaftsrecht, so dass sie nicht unmittelbar gelten. Vielmehr überlässt Art. 249 Abs. 3 EG-Vertrag den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel der Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht. Unter welchen Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des EuGH ausnahmsweise Richtlinien eine unmittelbare Wirkung zukommt, braucht vorliegend nicht dargestellt zu werden. Jedenfalls wirkt eine Richtlinie nie direkt im Verhältnis von Privatpersonen untereinander (sog. horizontale Direktwirkung).

4. Schließlich ist Zweck der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen des verpönten Merkmals "Alter" in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirkung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bzw. ist Ziel des AGG nach dessen § 1 Benachteiligungen aus Gründen des Alters zu verhindern und zu beseitigen. Die Richtlinienbestimmungen wie die Normen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes dienen dem Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung (so die Überschrift des Abschnitts 2 des Gesetzes), aber nicht dem Schutz dessen, der einzelne Beschäftigte wegen eines verpönten Merkmals bevorzugt und andere benachteiligt oder umgekehrt. Die Beklagte kann die ihr möglicherweise lästige tarifvertragliche Bestimmung nicht durch Hinweis auf zugunsten der Beschäftigten geschaffene Schutzbestimmungen abstreifen. Zudem können die Mitgliedsstaaten nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind. Der nationale Gesetzgeber hat solche unterschiedlichen Behandlungen wegen des Alters in § 10 AGG vorgesehen. Danach sind insbesondere Beschäftigungsbedingungen zum Schutz älterer Arbeitnehmer zulässig (siehe dazu Thüsing, der Schutz älterer Arbeitnehmer und die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG, NZA 2002, 1234 [1241]; Linsenmaier, Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters, RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5, S. 22 ff.; Löwisch, Kollektivverträge und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, DB 2006, 1729 [1730], der kollektivvertragliche Kündigungsverbote für ältere Arbeitnehmer insoweit nicht mehr für haltbar hält, als der Kündigungsschutz anderer Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG grob fehlerhaft gemindert wird; Lingemann/Gotham, AGG-Benachteiligung wegen des Alters in kollektivrechtlichen Regelungen, NZA 2007, 663 ff.). Soweit sich der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Verlaufe der Berufungsverhandlung dahin geäußert hat, das von den Tarifvertragsparteien gewählte Alter 53 sei willkürlich, bestehen dafür keinerlei Anhaltspunkte, zumal in Deutschland nur noch rund 42 % der Beschäftigten über 55 Jahre berufstätig sind. Da eine Altersrente von über 55 Jahre alten Personen frühestens mit dem 60. Lebensjahr (§§ 35 ff SGB VI in der im Jahre 2005 geltenden Fassung) beansprucht werden konnte, beruht die Tatsache der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer schwerlich auf dem alleinigen Entschluss dieser älteren Person. Wenn die Beklagte schließlich meint, noch ausführen zu müssen, ein erhöhter Schutz älterer Arbeitnehmer vor Kündigungen bewirke, dass Firmen häufig vor Eintreten der Schutzvoraussetzungen beginnen, Mitarbeiter vorher loszuwerden, kann schwerlich das Ausweichen vor Schutzvorschriften zum Maßstab genommen werden.

III.

Ohne Erfolg wendet sich die Beklagte auch gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, die Kündigung sei auch als außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist unwirksam.

1. Mit dem Arbeitsgericht kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Nach dieser Vorschrift kommt es nicht auf die fahrlässige Unkenntnis, sondern ausschließlich auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten an. Selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht (vgl. BAG, Urteil vom 28. Oktober 1971 - 2 AZR 32/71, BAGE 23, 475 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Ob ein solcher Ausnahmefall, wie er der Entscheidung des BAG vom 07. September 1983 (-7 AZR 196/82, NZA 1984, 228) zugrunde lag, vorliegend gegeben sein könnte, kann mangels näherer Anhaltspunkte dahinstehen. Zu zweifeln gibt jedoch die im vorausgegangenen Berufungsverfahren 2 Sa 70/06 (Schriftsatz vom 01. September 2006) wie im erstinstanzlichen Verfahren (Schriftsatz vom 28. April 2006) vertretene Ansicht Anlass, wonach die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht anwendbar sei, weil (hilfsweise) aus wichtigem Grund fristgemäß gekündigt worden sei. Nach dem Wortlaut des Kündigungsschreibens vom 23. Dezember 2005 hat die Beklagte "unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30.06.2006 hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.06.2006" gekündigt. Die Beklagte hat somit einerseits eine ordentliche und andererseits eine außerordentliche Kündigung erklärt. Da die Beklagte in dem Kündigungsschreiben den Rechtsbegriff der außerordentlichen Kündigung verwandt hat, finden die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften Anwendung. Das bedeutet, dass bei einer wie hier erklärten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB anzuwenden und zu beachten ist.

2. Zweifelhaft ist schon, ob die Beklagte überhaupt die erklärten Kündigungen auf Äußerungen des Klägers stützen kann, die dieser schriftsätzlich in dem um die Wirksamkeit der Versetzung vor dem Arbeitsgericht geführten Rechtsstreit abgegeben hat. Grundsätzlich ist keine Partei gehindert, das von ihr für erheblich Gehaltene demjenigen Richter vorzutragen, der nach der Gerichtsverfassung für den Rechtsstreit zuständig ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. November 1970 - VI ZR 70/69, NJW 1971, 284; kritisch Walter, Ehrenschutz gegenüber Parteivorbringen im Zivilprozeß, JZ 1986, 614 ff.; Piekenbrock, Negatorischer Rechtsschutz gegen Sachvortrag im Zivilprozess, JZ 2006, 586 ff.). Dies soll allerdings nicht gelten für frei erfundene, bewusst unwahre oder leichtfertig aufgestellte Behauptungen (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 28. Juni 2000 - 8 Sa 195/99, LAGE § 3 Beschäftigtenschutzgesetz Nr. 1). Soweit in den Äußerungen des Klägers im Vorprozess überhaupt Tatsachenbehauptungen enthalten sein sollten, wäre über diese im Falle ihrer Erheblichkeit Beweis zu erheben gewesen. Waren sie jedoch unerheblich, kam es auf sie nicht an.

3. Selbst wenn es sich bei den schriftsätzlichen Äußerungen des Klägers aus dem anderen zwischen den Parteien geführten Rechtsstreit um an sich kündigungsrelevante Verfehlungen des Klägers handeln sollte, kann die Beklagte gegen die Annahme des Arbeitsgerichts, die Verfehlungen seien nicht derart schwerwiegend gewesen, als dass der Kläger ohne eine vorherige Abmahnung mit einer sofortigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses habe rechnen müssen, nicht einwenden, die vom Arbeitsgericht zitierte Rechtsprechung gehe dabei stets von einem zuvor ungestörten Arbeitsverhältnis aus und beziehe sich auf Verhaltensweisen, die im Einzelfall unüberlegt und spontan getätigt worden seien. Abgesehen davon, dass sich die Beklagte konkreter Ausführungen dazu enthält, wodurch das Arbeitsverhältnis zuvor bereits gestört gewesen sein soll, handelt es sich bei dem der Entscheidung des BAG vom 30. Juni 1983 (- 2 AZR 524/81, AP Nr. 15 zu Art. 140 GG) zugrunde liegenden Sachverhalt schwerlich um eine unüberlegte und spontane Verfehlung, denn dem dortigen Kläger wurde in der Öffentlichkeit praktizierte Homosexualität vorgeworfen.

4. Fehl geht die Auffassung der Beklagten, aufgrund der Relativität der Wichtigkeit des Kündigungsgrundes in Bezug auf die Gesamtdauer des noch fortzusetzenden Arbeitsverhältnisses sei ein anderer Maßstab an die Wichtigkeit des Grundes, als vom Arbeitsgericht angelegt, anzulegen. Zum einen verkennt die Berufung, dass nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 08. Juni 2000 - 2 AZR 638/99, BAGE 95, 78 = AP Nr. 163 zu § 626 BGB m.w.N.) "im Falle der Unkündbarkeit eines Arbeitnehmers aufgrund der Schutzfunktion der tariflichen Regelung bei der Prüfung des Vorliegens eines wichtigen Grundes ein besonders strenger Maßstab anzulegen ist". Zum anderen hat die Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 14. November 1984 - 7 AZR 474/83, AP Nr. 83 zu § 626 BGB) zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung den Grundsatz entwickelt, die ordentliche Unkündbarkeit des Arbeitnehmers könne sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Arbeitnehmers ins Gewicht fallen. Bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr wirkt sich die längere Vertragsbindung zu Gunsten des Arbeitnehmers, bei Dauertatbeständen oder Vorfällen mit Wiederholungsgefahr kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung unter Umständen unzumutbarer sein als bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Um einen Dauertatbestand handelt es sich bei dem dem Kläger vorgeworfenen Fehlverhalten ohne Zweifel nicht. Allenfalls könnte es sich um einen Vorfall mit Wiederholungsgefahr handeln, wovon jedoch erst dann ausgegangenen werden könnte, wenn der Kläger - gegebenenfalls - erfolglos abgemahnt worden ist. Insoweit wird der Kläger zur Kenntnis zu nehmen haben, dass auch im Falle der Wahrnehmung der eigenen Interessen Grenzen zu wahren sind. Die ihm offensichtliche eigene Art, in seinen verbal überfrachteten, teilweise von besserwisserischem Tun geprägten und wie Handlungsanleitungen aufgemachten Schriftsätzen anderen Personen ihre Fähigkeiten abzusprechen und sein eigenes Handeln nicht zu reflektieren, erleichtern einen Umgang mit ihm nicht gerade.

5. Die von der Beklagten geltend gemachten "überlangen Arbeitszeiten des Klägers im November 2005" waren nach dem erstinstanzlichen Vorbringen keine Arbeitszeiten, sondern Anwesenheitszeiten auf dem Firmengelände, denn die Beklagte führt selbst aus, dem Kläger sei zugute zu halten, dass er versucht habe, die privaten Zeiten ausbuchen zu lassen. Die offensichtlich rechtsfehlerhafte Überzeugung des Klägers, das Arbeitszeitgesetz sei auf ihn nicht anwendbar, als solche kann die Kündigung nicht rechtfertigen.

6. Ist das Arbeitsverhältnis somit durch die angegriffene Kündigung vom 23. Dezember 2005 nicht aufgelöst worden, kommt es auf die Rügen des Klägers in Bezug auf § 102 BetrVG an sich nicht an. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass der Kläger in mehrfacher Hinsicht die Rechtslage verkennt.

a) So geht die Auffassung des Klägers (Schriftsatz vom 31. März 2006) fehl, die Beklagte sei nach der gängigen Rechtsprechung verpflichtet, dem Betriebsrat unaufgefordert alle zur Prüfung des Kündigungsbegehrens nötigen Unterlagen vollständig und unzensiert vorzulegen. Abgesehen davon, dass sich der Kläger der Angabe solcher angeblich gängigen Rechtsprechung enthält, ist der Arbeitgeber zur Erfüllung der ihn nach § 102 Abs 1 Satz 2 BetrVG treffenden Verpflichtung gehalten, dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitzuteilen, die nach der subjektiven Sicht des Arbeitgebers die Kündigung rechtfertigen und für den Kündigungsentschluss maßgebend sind (vgl. BAG, Urteil vom 11. Juli 1991 - 2 AZR 119/91, AP Nr. 57 zu § 102 BetrVG 1972). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Betriebsrat Unterlagen bzw. Beweismaterial zur Verfügung zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 06. Februar 1997 - 2 AZR 265/96, AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972).

b) Ebenso wenig kann der Ansicht des Klägers gefolgt werden, auf die von der Beklagten geltend gemachten "überlangen Arbeitszeiten des Klägers im November 2005" könne die Kündigung deshalb nicht gestützt werden, weil sich die Beklagte dem Betriebsrat gegenüber im Rahmen des Anhörungsverfahrens darauf nicht als Kündigungsgrund berufen habe. Zwar ist dieser Sachverhalt nicht unter "III. Die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten" des Anhörungsschreibens aufgeführt, aus der Zusammenfassung unter "V. Prognose" folgt jedoch, dass die Beklagte durch sämtliche von ihr angeführten Umstände das Arbeitsverhältnis als zerrüttet erachtet.

IV.

Der Auflösungsantrag der Beklagten ist vom Arbeitsgericht ebenfalls im Ergebnis zutreffend, wenn auch fälschlicherweise tenoriert worden ist, die Widerklage werde abgewiesen, zurückgewiesen worden. Der vom Arbeitgeber hilfsweise erfolglos gestellte Auflösungsantrag ist im Urteilstenor zurückzuweisen (vgl. KR-Spilger, 8. Aufl., § 9 KSchG Rn. 85, HaKo-KSchG/Fiebig, 2. Aufl., § 9 Rn. 89; BBDW/Bader, § 9 KSchG Rn. 42).

a) Während die Beklagte den erstmals in der Sitzung des Arbeitsgerichts am 07. Juni 2006 gestellten Auflösungsantrag nach dem Inhalt des Protokolls weder in der Sache nach im Hinblick auf die Bestimmung des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG näher begründet hat, hat sie nach der Aufhebung des Teilurteils des Arbeitsgerichts vom 07. Juni 2006 und der Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Urteil der Zweiten Kammer des LAG vom 22. November 2006 geltend gemacht, weder die gesetzliche Norm des § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG noch die Rechtsprechung dahingehend, der arbeitgeberseitig gestellte Auflösungsantrag könne im Falle einer außerordentlichen Kündigung nicht greifen, umfasse nicht den Sachverhalt und berücksichtige nicht die tarifliche Regelung des altersbedingten Sonderkündigungsschutzes. Wenn dazu ausgeführt wird, § 13 KSchG privilegiere unsachgemäß und ohne Rechtfertigung Mitarbeiter/innen, die sich im Alterskündigungsschutz befinden und benachteilige damit jüngere Mitarbeiter/innen, so erfolgt die Privilegierung nicht durch das Gesetz, sondern durch die tarifliche Vorschrift.

b) Die nunmehr angeführte analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG würde eine planwidrige Gesetzeslücke voraussetzen (vgl. BGH, Urteil vom 08. Juni 1978 - VII ZR 54/76, NJW 1978, 1975; BAG, Beschluss vom 29. September 2004 - 1 ABR 39/03, BAGE 112, 100 = AP Nr. 40 zu § 99 BetrVG 1972 Versetzung; Beschluss vom 14. Februar 2007 - 7 ABR 26/06, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Eine solche Lücke liegt jedoch nicht deswegen vor, weil im Falle einer außerordentlichen Kündigung nur dem Arbeitnehmer das Recht eingeräumt wird, gegebenenfalls die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch gerichtliche Entscheidung zu erreichen. Soweit vereinzelt an der gesetzlichen Regelung Kritik geübt worden ist (vgl. Schäfer, Auflösungsanspruch des Arbeitgebers bei unwirksamer außerordentlicher Kündigung, BB 1985, 1994 ff.; Fromm, Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines unkündbaren Angestellten im besonders herausragender Funktion gegen dessen Willen? DB 1988, 601 ff.; Trapphel/Lambrich, Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach außerordentlicher Kündigung? RdA 1999, 243 ff.) hat diese keine Zustimmung erfahren (vgl. KR-Friedrich, a.a.O., § 13 KSchG Rn. 64; BBDW/Bader, § 13 KSchG Rn. 18; HaKo-KSchG/Fiebig, a.a.O., § 13 Rn. 23; v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Aufl., § 13 Rn. 16; ErfK-Ascheid, 6. Aufl., § 13 KSchG Rn. 13; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rn. 1988; Isenhardt/Berrisch, Kündigung, HzA Gruppe 5 Rn. 679; Linck/Scholz, Die Kündigung unkündbarer Arbeitnehmer, AR-Blattei (SD) 1010.7 Rn. 108; Feichtinger/Huep, Die außerordentliche Kündigung, AR-Blattei (SD) 1010.8 Rn. 586; LAG Köln, Urteil vom 22. Juni 1989 - 10 Sa 246/89, LAGE § 9 KSchG Nr. 14; LAG Hamm, Urteil vom 18. Oktober 1990 - 17 Sa 600/90, LAGE § 9 KSchG Nr. 19; LAG Niedersachsen, Urteil vom 10. November 1994 - 1 Sa 1132/84, LAGE § 9 KSchG Nr. 23; siehe auch BAG, Urteil vom 15. März 1978 - 5 AZR 831/76, AP Nr. 45 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, wo eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG im Falle einer unwirksamen außerordentlichen Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, der sich zu Recht auf die Unwirksamkeit einer Befristung berufen hat, verneint wird). Abgesehen davon, dass sowohl Fromm (a.a.O.) als auch Trapphel/Lambrich (a.a.O.) einen Auflösungsantrag des Arbeitgebers im Falle einer außerordentlichen Kündigung nur dann bejahen, wenn es sich um Angestellte mit besonderer Wichtigkeit für das Unternehmen bzw. solche in besonders herausragender Funktion handelt, wozu der Kläger erkennbar nicht zählt, hätten die Tarifvertragsparteien bei der getroffenen Vereinbarung auf die Gesetzeslage Bedacht nehmen können. Im Übrigen weist der Klägervertreter zutreffend darauf hin, der Gesetzgeber habe trotz der Neufassung des § 13 KSchG durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3002) in Kenntnis entsprechender tariflicher Vorschriften die Auflösungsmöglichkeit im Falle einer unwirksamen außerordentlichen Arbeitgeberkündigung nicht vorgesehen.

V.

1. Die durch ihre somit erfolglose Berufung bedingten Kosten hat die Beklagte gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbstständig durch den Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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