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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 24.09.2001
Aktenzeichen: 15 Sa 51/01
Rechtsgebiete: bad.-württ. LPVG, ArbGG, ZPO, BGB, StPO, BPersVG


Vorschriften:

bad.-württ. LPVG § 77
ArbGG § 8 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. c
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 66 Abs. 1
ZPO § 518
ZPO § 519
BGB § 626
BGB § 626 Abs. 2
StPO § 410
BPersVG § 108 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
15 Sa 51/01

verkündet am 24. September 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg- 15. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Braasch, den ehrenamtlichen Richter Bleibtreu und den ehrenamtlichen Richter Würth für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der beklagten Stadt gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 15. März 2001 - Az.: 2 Ca 356/00 - wird auf Kosten der Berufungsführerin als unbegründet zurückgewiesen

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 13. Oktober 2000 sowie eine hilfsweise ordentliche Kündigung vom 20. Dezember 2000.

Der am 17. August 1945 geborene verheiratete Kläger ist Vater von zwei Kindern, von denen eines studiert. Er war seit dem 21. August 1989 auf Grund eines schriftlichen Arbeitsvertrages im Arbeitsbereich für die Stadtentsorgung als Deponiearbeiter und Kassierer beschäftigt. Sein durchschnittliches Bruttomonatsentgelt beläuft sich auf DM 3.800,--.

Die Kriminalpolizei X. hat auf Grund eines anonymen Hinweises seit Januar 1999 gegen den Kläger und andere Beschäftigte der Stadtentsorgung wegen des Verdachtes des Betruges ermittelt.

Erstmals am 15. Juni 1999 ist der Kläger in Gegenwart des Personalrats angehört worden. Er hat in diesem Zusammenhang die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Ab dem 21. Juni 1999 wurde der Kläger bis zum Abschluss des Ermittlungsverfahrens in einem anderen Arbeitsbereich eingesetzt. Der Personalbestand bei der Deponie, der in den Vorjahren reduziert worden war, ist im Juni 1999 wieder aufgestockt worden. Auch wurde dort eine neue Kamera mit einer höheren Bildauflösung und eine Schranke installiert.

Durch Strafbefehl des Amtsgerichts X. vom 11. August 2000 ist gegen den Kläger eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von DM 8.400,-- verhängt worden. Dagegen hat er am 16. August 2000 Einspruch eingelegt.

Die beklagte Stadt hat die angeforderten Ermittlungsakten am 04. Oktober 2000 erhalten und dem Kläger erneut am 09. Oktober 2000 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit ihrem Schreiben vom selben Tag hat sie den Personalrat zu einer außerordentlichen Kündigung angehört. Mit einem weiteren - im Wesentlichen wortgleichen - Schreiben gleichen Datums ist der Personalrat hinsichtlich einer beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung unterrichtet worden. Die beklagte Stadt hat die Rückäußerungsfrist für den Personalrat auf sechs Arbeitstage verkürzt, um die hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. März 2001 aussprechen zu können. Die von dem Personalrat erhobenen Einwendungen hat die beklagte Stadt mit Schreiben vom 13. Oktober 2000 zurückgewiesen. Die am selben Tag ausgesprochene außerordentliche Kündigung zum Ablauf des 16. Oktober 2000 ist dem Kläger am 19. Oktober 2000 zugegangen. Dagegen hat er am 06. November 2000 Klage erhoben. Im Laufe des Rechtsstreits hat er seine Klage im Hinblick auf die am 20. Dezember 2000 erklärte ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2001 erweitert.

In dem Kündigungsschreiben die ordentliche Kündigung betreffend ist im Wesentlichen der Wortlaut der zuvor ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung wiederholt worden. Zusätzlich lautete es in dem Kündigungsschreiben, dass, selbst wenn sich eine vorsätzliche Begehung der Tat nicht nachweisen ließe, doch die Tatsache verbleibe, dass die arbeitsvertraglichen Pflichten nicht erfüllt worden seien, indem der Kläger die erforderliche Sorgfalt bei Müllanlieferungen nicht habe walten lassen. Er habe auch durch sein Verhalten die kriminalpolizeilichen Ermittlungen provoziert. Mit Schreiben vom 26. Januar 2001 hat die beklagte Stadt gegenüber dem Kläger eine Schadensersatzforderung in der Gesamthöhe von DM 8.823,12 geltend gemacht.

Der Kläger hat im Wesentlichen eingewandt, der Vorwurf, er habe sich durch bewusste Falscheinstufung angelieferten Abfalls in mehreren Fällen des Betruges und der Untreue strafbar gemacht, sei unberechtigt. Die gegen ihn erhobenen Verdachtsmomente seien ihm bereits im Juni 1999 vorgehalten worden. Auch sei die beklagte Stadt über den jeweiligen Stand des Ermittlungsverfahrens unterrichtet worden. Auch habe sie am 09. August 2000 Kenntnis vom Strafbefehlsantrag erlangt, so dass die Frist für die ausgesprochene außerordentliche Kündigung nicht gewahrt sei. In der Sache führt der Kläger aus, infolge der unzureichenden personellen und sachlichen Ausstattung der Deponie Hohberg sei er nicht in der Lage gewesen, jedes Lieferfahrzeug einer eingehenden Kontrolle zu unterziehen. In dem im Strafbefehl erwähnten Zeitraum habe eine angespannte Personalsituation nur stichprobenartige Kontrollen zugelassen. Der an der Kasse tätige Arbeiter habe an Werktagen bei hohem Arbeitsanfall über 200 Wiegevorgänge durchführen, die entsprechenden Wiegescheine ausstellen und eingehende Telefonate entgegennehmen müssen. Durch die am Kassenhäuschen angebrachte Kamera, die schwarz-weiß Bilder geliefert habe, sei dem Kassenmitarbeiter nur eine oberflächliche Kontrolle des in den Containern angelieferten Mülls möglich gewesen. Die meisten LKW hätten hochgebaute Container, so dass der Mitarbeiter im Kassenraum nur eine sehr eingeschränkte Sichtkontrolle der oberen Ladeschicht habe durchführen können. Die Beschaffenheit der unter dieser Oberschicht liegenden Schichten sei nicht überprüfbar gewesen. Daher habe sich der an der Kasse eingesetzte Mitarbeiter auf die Deklarierung der Abfallart im Containerbegleitschreiben und mögliche Zusicherungen des Anlieferers verlassen müssen.

Hinsichtlich der im Strafbefehl angeführten einzelnen Vorfälle hat der Kläger jeweils Stellung genommen. Er meint, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden. So habe die beklagte Stadt im Anhörungsschreiben seinen Einspruch vom 16. August 2000 nicht erwähnt. Auch sei der Personalrat ausweislich seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2000 davon ausgegangen, im Überprüfungszeitraum von 1997 bis 1999 hätten lediglich fünf Fehleinschätzungen aufgedeckt werden können.

Der Kläger hat beantragt,

1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die Kündigung vom 13.10.2000 - zugegangen am 19.10.2000 - nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch durch die ordentliche Kündigung vom 20.12.2000 - zugegangen am 20.12.2000 - nicht aufgelöst worden ist.

Die beklagte Stadt führt zur Rechtfertigung der Kündigungen und zur Abwehr der Klage aus: Im Juni 1999 habe sie erfahren, die Kriminalpolizei ermittle seit Januar 1999 auch gegenüber dem Kläger. Am 09. August 2000 habe ihr Rechtsamt erfahren, die Staatsanwaltschaft habe einen Strafbefehlsantrag gestellt. Aus den angeforderten Ermittlungsakten habe sich ergeben, der Kläger habe die dort aufgeführten, als strafrechtliche Tatbestände zu wertenden Handlungen vorgenommen. Auf Grund der Auswertung der Unterlagen bestehe dringender Verdacht, der Kläger habe sich in sieben rechtlich selbständigen Handlungen des gemeinschaftlichen tateinheitlichen Betrugs und der Untreue schuldig gemacht. Der Kläger sei am 09. Oktober 2000 angehört worden. Seine Behauptung, es hätten keine Kontrollmöglichkeiten bestanden, sei unzutreffend. Die unterschiedlichen Müllarten wiesen zum Teil sehr deutliche und spezifische Unterschiede im Gewicht auf. Bereits durch ein auffälliges Missverhältnis zwischen Müllvolumen und Müllgewicht wären eventuelle Betrugsversuche der Anlieferer aufgefallen. Betrugsversuche mit Erdaushub scheiterten daran, dass der Erdaushub auf räumlich getrennten Teilen der Erddeponie abgelagert werde. Der jeweilige Mitarbeiter könne sich durch einen kurzen Blick überzeugen, ob der angebliche Erdaushub tatsächlich zur Erddeponie oder zur Hausmülldeponie verbracht werde. Unzutreffend sei auch die Anzahl der einzelnen Anlieferungen. Für den Monat Januar 1999 seien zwischen 21 bis 150 Anlieferungen, somit pro Tag also durchschnittlich 67 Anlieferungen, festgestellt worden. Wesentlich sei, dass der Kläger durch bewusste Pflichtverletzungen falsche Abrechnungswerte festgelegt habe. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei als Verdachtskündigung wirksam. Die sich aus dem Strafbefehl ergebenden Verdachtsmomente belasteten das Beschäftigungsverhältnis so sehr, dass eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei. Jedenfalls sei die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 20. Dezember 2000 wirksam.

Das Arbeitsgericht hat durch sein Urteil vom 15. März 2001 den Feststellungsanträgen des Klägers stattgegeben. Zur außerordentlichen Kündigung hat es ausgeführt, ein dringender Tatverdacht im Sinne eines vorsätzlichen Fehlverhaltens liege nicht vor. Die ordentliche Kündigung vom 20. Dezember 2000 sei ebenfalls unwirksam. Da dem Kläger ein vorsätzliches Fehlverhalten bzw. ein entsprechender Verdacht nicht habe nachgewiesen werden können, komme lediglich ein fahrlässiges Verhalten in Betracht. Es fehle an einer erforderlichen Abmahnung wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung.

Gegen diese am 23. April 2001 zugestellte Entscheidung wendet sich die beklagte Stadt mit ihrer am 18. Mai 2001 eingereichten Berufung, die sie mit Ablauf der auf den fristgerechten Antrag hin verlängerten Frist zur Berufungsbegründung ausgeführt hat. Die beklagte Stadt tritt der Wertung des Arbeitsgerichts bei, es handle sich um eine Verdachtskündigung. Das folge aus dem an den Personalrat gerichteten Anhörungsschreiben und den beiden Kündigungsschreiben. Sie meint, das Arbeitsgericht habe verkannt, bereits der Erlass des Strafbefehls als Tatsache reiche aus, um den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung zu ihrem Nachteil zu begründen. Wenn die Staatsanwaltschaft und das Strafgericht zum Ergebnis kämen, einen Strafbefehl zu erlassen, könne die Dringlichkeit des Tatverdachts auf arbeitsrechtlicher Ebene nicht mehr gesteigert werden. Sie, die beklagte Stadt, habe alles getan, um die gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe aufzuklären. Die Kündigungserklärungsfrist sei gewahrt worden. Die erforderliche Kenntnis sei erst erlangt worden, nachdem die Strafakten zur Verfügung gestellt worden seien. Das Arbeitsgericht habe unzutreffend die ordentliche Kündigung nicht durchgreifen lassen. Im Übrigen wiederholt die Beklagte ihr Vorbringen hinsichtlich der einzelnen im Strafbefehl enthaltenen Sachverhalte.

Die beklagte Stadt beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 15. März 2001 - Az.: 2 Ca 356/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger, der um die Zurückweisung der Berufung bittet, meint demgegenüber, für den dringenden Verdacht einer strafbaren Handlung reiche der bloße Erlass eines Strafbefehls nicht aus, da dieser aus verschiedenen Gründen erlassen worden sein könne. Die beklagte Stadt sei verpflichtet gewesen, seine Stellungnahmen im Einzelnen zu prüfen. Im Übrigen wiederholt der Kläger seinen Einwand der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Personalrats.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der beklagten Stadt ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statthaft. Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung. Das Rechtsmittel ist form- und fristgerecht und rechtzeitig und ordnungsgemäß ausgeführt worden, so dass es nach §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO zulässig ist. Auf die von der Berufung als wesentlich angesehene Rechtsfrage, ob eine Verdachtskündigung allein auf die Tatsache der Existenz eines Strafbefehls gestützt werden könne, kommt es nicht an. Das Rechtsmittel kann schon deswegen keinen Erfolg haben, weil die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung bereits an der Möglichkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist scheitert. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung, die zum 30. Juni 2001 erklärt worden ist, ist unwirksam, da der Personalrat nicht zu dieser sondern zu einer solchen unter Abkürzung der Äußerungsfrist auf sechs Arbeitstage zum 31. März 2001 angehört worden ist.

II.

Das auf Grund des Arbeitsvertrages aus dem Jahre 1989 zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis ist weder durch die außerordentliche noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung beendet worden.

1. Hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung kann dahingestellt bleiben, ob die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt worden ist und ob der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist. Zweifel bestehen zum einen deshalb, weil in dem an den Personalrat gerichteten Anhörungsschreiben bezüglich der beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung auf die Absicht des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung hingewiesen und dabei Bezug auf ein Schreiben vom 18. August 2000 genommen worden ist. Zum anderen ist fraglich, ob die Anhörung des Personalrats zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung den Anforderungen genügt, weil in dem Anhörungsschreiben nicht mitgeteilt worden ist, dass der Kläger gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts X. vom 11. August 2000 am 16. August 2000 Einspruch eingelegt hatte. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BAG, Urteil vom 31. August 1989 - 2 AZR 453/88, AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein; Urteil vom 11. März 1999 - 2 AZR 507/98, AP Nr. 149 zu § 626 BGB) gehört zur ordnungsgemäßen Anhörung des betriebsverfassungs- bzw. personalvertretungsrechtlichen Vertretungsorgans der Arbeitnehmer jedenfalls dann, wenn die beabsichtigte Kündigung auf die mit einer Abmahnung erhobenen Vorwürfe gestützt werden soll, nicht nur die Information über die erteilte Abmahnung, sondern auch über eine erfolgte Gegendarstellung des Arbeitnehmers. Bei entsprechender Anwendung dieses Grundsatzes wäre die beklagte Stadt verpflichtet gewesen, den Personalrat auch über den seitens des Klägers am 16. August 2000 erhobenen Einspruch gegen den Strafbefehl vom 11. August 2000 zu unterrichten. Aus dem Anhörungsschreiben vom 09. Oktober 2000 ergibt sich nicht, dass der Personalrat entsprechend unterrichtet worden ist. Nach dem Text des Anhörungsschreibens ist diesem eine Kopie des Strafbefehls beigefügt gewesen. Ob der Personalrat rechtliche Erwägungen anzustellen hatte, die Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl belaufe sich gemäß § 410 StPO auf zwei Wochen und ein fehlender Rechtskraftvermerk auf dem Strafbefehl lasse darauf schließen, ein Einspruch sei eingelegt worden, kann dahinstehen. Offen bleiben kann auch, ob, wie der Prozessbevollmächtigte der beklagten Stadt auf den entsprechenden Hinweis in der Berufungsverhandlung geltend gemacht hat, sich aus der Stellungnahme des Personalrats zur außerordentlichen Kündigung dessen Kenntnisse sowohl vom Einspruch als auch vom fehlenden Abschluss des Strafverfahrens ergibt. In diesem Schreiben hat der Personalrat zwar ausgeführt, eine außerordentliche Kündigung vor Abschluss des Strafverfahrens könne sich in eine persönliche Tragödie verwandeln. Daraus kann zwar auf die Kenntnis des Personalrats hinsichtlich des noch nicht erfolgten Abschlusses des Strafverfahrens geschlossen werden, es ergibt sich daraus jedoch nicht, wodurch der Personalrat die Kenntnis erlangt hat. Einer vertieften Erörterung bedarf es auch nicht, dass ausweislich des Anhörungsschreibens die außerordentliche Kündigung auf einen dringenden Verdacht gestützt werden sollte, im Schriftsatz der beklagten Stadt vom 18. Januar 2001 jedoch ausgeführt worden ist, "wesentlich sei, dass der Kläger durch bewusste Pflichtverletzung falsche Abrechnungswert festgelegt hat und hierdurch die Entsorgungsfirmen begünstigt und die Beklagte geschädigt hat". Wenn die beklagte Stadt im Rechtsstreit dem Kläger eine bewusste Pflichtverletzung vorgeworfen hat, deutet dies auf eine Tatkündigung hin.

Die außerordentliche Kündigung ist jedenfalls deshalb unwirksam, weil sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76, BAGE 30, 309 = AP Nr. 70 zu § 626 BGB) widerspricht. Der Arbeitgeber ist danach verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung alle milderen Mittel zu prüfen und gegebenenfalls einzusetzen, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses überhaupt bzw. vor Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung zu vermeiden (vgl. Stückmann/Kohlepp, RdA 2000, 331 ff.). Der Kläger war bereits seit dem 21. Juni 1999 in einem anderen Arbeitsbereich eingesetzt. Ihm wurde eine Tätigkeit in der Kompostierungsanlage zugewiesen, die außerhalb des Deponiegeländes lag, so dass sichergestellt werden konnte, dass Publikumsverkehr ausschied. Der Personalrat hat in seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2000 darauf hingewiesen, der Kläger sei nicht nur bereits seit Aufnahme des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft im Juni 1999 von seinem Aufgabengebiet im Bereich der Kasse/Waage entbunden, sondern auch darauf, der Kläger habe sich in seinem derzeitigen Aufgabengebiet bewährt.

Ausweislich des Kündigungsschreibens ist die außerordentliche Kündigung darauf gestützt worden, es bestehe dringender Verdacht, der Kläger habe sich in sieben rechtlich selbständigen Handlungen des gemeinschaftlichen tateinheitlichen Betrugs und der Untreue in einem Fall sowie des tateinheitlichen Betrugs und der Untreue zum Nachteil der beklagten Stadt strafbar gemacht. Erläuternd ist in dem Kündigungsschreiben erwähnt worden, der Kläger habe fehlerhafte Einstufungen der Müllanlieferungen vorgenommen und in einem Fall eine Anlieferung nicht berechnet. Die Äußerung der Vermutung, der Kläger habe für angebliche Fehleinstufungen finanzielle oder anderweitige Gegenleitungen erhalten, ist von der beklagten Stadt zurückgewiesen worden. Sie hat ausgeführt, der Missbrauch der arbeitsrechtlichen Befugnis, Müllgebühren zu erheben und damit die Vermögensinteressen des Arbeitgebers zu betreuen, stelle eine weitere unentschuldbare Pflichtverletzung dar.

Da die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe mit seiner Tätigkeit als Deponiearbeiter, welche mit Wiegevorgängen und Kassentätigkeiten verbunden war, in Zusammenhang standen, die beklagte Stadt jedoch die Möglichkeit hatte, den Kläger außerhalb des Deponiegeländes ohne Publikumsverkehr einzusetzen, widersprach die außerordentliche Kündigung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Soweit die beklagte Stadt im zweiten Rechtszug geltend gemacht hat, die Kompostierungsanlage sei zwischenzeitlich in das Deponiegelände integriert, so dass ein eigener Arbeitsplatz ohne Publikumsverkehr daher nicht mehr existiere, kann sie damit nicht gehört werden. Für die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz kommt es vorliegend auf den Zeitpunkt der Kündigung an. Aus der Verwendung des Adverbs "zwischenzeitlich" ergibt sich, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Möglichkeit der Beschäftigung in der Kompostierungsanlage bestand. Nicht geltend gemacht worden ist, es sei bereits zum Zeitpunkt der Kündigung absehbar gewesen, die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit werde vor Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung entfallen. Die außerordentliche Kündigung ist daher unwirksam, weil eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gegeben war.

2. Die hilfsweise am 20. Dezember 2000 erklärte ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2001 ist unwirksam, weil der Personalrat nicht zu dieser, sondern zu einer solchen unter Abkürzung der Äußerungsfrist auf sechs Arbeitstage angehört worden ist. Die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats ist gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG Wirksamkeitsvoraussetzung für eine beabsichtigte und erklärte Kündigung. Die für die Beteiligung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze sind auf das Mitwirkungsverfahren nach den §§ 72, 77 LPVG Baden-Württemberg anzuwenden (vgl. BAG, Urteil vom 12. März 1986 - 7 AZR 20/83, BAGE 51, 246 = AP Nr. 23 zu Art. 33 Abs. 2 GG). Das Mitwirkungsverfahren ist nur dann ordnungsgemäß eingeleitet, wenn der Dienstherr dem Personalrat die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers bezeichnet, die Art der Kündigung und gegebenenfalls auch den Kündigungstermin angibt und die Gründe für die Kündigung mitteilt (vgl. BAG, Urteil vom 04. März 1981 - 7 AZR 104/79, BAGE 35, 118 = AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Baden-Württemberg).

Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 LPVG Baden-Württemberg wirkt der Personalrat bei der ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber mit. Die Anwendbarkeit des Gesetzes auf den vorliegenden Fall ergibt sich aus § 1 LPVG Baden-Württemberg. Unterliegt eine Maßnahme der Mitwirkung des Personalrats beläuft sich die Äußerungsfrist des Personalrats gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 LPVG Baden-Württemberg gemäß Nr. 36 a des Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1995 (GBl. 1995 S. 879 [885]) auf 18 Arbeitstage. In dringenden Fällen kann die Dienststelle die Frist auf sechs Arbeitstage verkürzen (§ 72 Abs. 2 Satz 2 LPVG Baden-Württemberg).

Ob vorliegend überhaupt ein solcher dringender Fall gegeben war, kann dahinstehen. Ausweislich des Anhörungsschreibens ist die Anhörungsfrist des Personalrats abgekürzt worden, weil bei Wahrung der regelmäßigen Äußerungsfrist die Kündigung erst zum 30. Juni 2001 ausgesprochen werden konnte. Um einen zusätzlichen Aufwand an Personalkosten in Höhe von ca. DM 17.500,-- zu vermeiden, wurde die Äußerungsfrist auf sechs Tage abgekürzt, so dass die beabsichtigte hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. März 2001 ausgesprochen werden konnte. Der Personalrat hat sowohl zur beabsichtigten außerordentlichen als auch zur beabsichtigten hilfsweise ordentlichen Kündigung ausweislich des am 13. Oktober 2000 beim Personal- und Organisationsamt der beklagten Stadt eingegangenen Schreibens Stellung genommen. Damit war das Mitwirkungsverfahren abgeschlossen, so dass die beabsichtigte Kündigung zum 31. März 2001 hätte erklärt werden können. Eine hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31. März 2001 ist jedoch nicht ausgesprochen worden. Vielmehr ist die hilfsweise ordentliche Kündigung erst mit Schreiben vom 20. Dezember 2000 zum 30. Juni 2001 erfolgt. Bezüglich dieser Kündigung ist ein Mitwirkungsverfahren nicht durchgeführt worden.

Eine andere Beurteilung ist vorliegend nicht deshalb angezeigt, weil ein bereits durchgeführtes Beteiligungsverfahren nicht in jedem Fall verbraucht ist, wenn der Arbeitgeber nach Abschluss des Verfahrens geraume Zeit bis zum Ausspruch der Kündigung verstreichen lässt (vgl. BAG, Urteil vom 26. Mai 1977 - 2 AZR 201/76, AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 14. Oktober 1982 - 2 AZR 568/80, BAGE 41, 72 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern). Ein solcher Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben, denn es ist nicht mit der zum 31. März 2001 beabsichtigten Kündigung geraume Zeit zugewartet worden, sondern die beklagte Stadt hat eine Kündigung zum 30. Juni 2001 ausgesprochen, obwohl sie von einer Möglichkeit der Abkürzung der Äußerungsfrist Gebrauch gemacht hatte. Ohne Belang ist auch, dass sich der Kündigungssachverhalt zwischenzeitlich nicht geändert hat, sondern sowohl die beiden Anhörungsschreiben vom 09. Oktober 2000 als auch die beiden Kündigungsschreiben vom 13. Oktober und 20. Dezember 2000 in wesentlichen Passagen den Kündigungssachverhalt betreffend überwiegend wortgleich sind. Allerdings beinhaltet das Kündigungsschreiben vom 20. Dezember 2000 auf dessen Seite 2 weitere Gesichtspunke, auf welche die Kündigung gestützt werden soll, die jedoch dem Anhörungsschreiben nicht zu entnehmen sind. Zusätzlich ist in dem Kündigungsschreiben vom 20. Dezember 2000 darauf abgestellt worden, dass, selbst wenn sich eine vorsätzliche Begehung der Tat nicht nachweisen ließe, doch die Tatsache verbleibe, dass die arbeitsvertraglichen Pflichten nicht erfüllt worden seien, indem der Kläger die erforderliche Sorgfalt bei den Müllanlieferungen nicht habe walten lassen. Des Weiteren wird dem Kläger darin vorgehalten, er habe durch sein Verhalten die kriminalpolizeilichen Ermittlungen provoziert. Auf diese beiden Gesichtspunke könnte, wenn die Kündigung nicht schon an der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Personalrats scheitern würde, die Kündigung nicht gestützt werden.

Verkürzt der Arbeitgeber die Äußerungsfrist des Personalrats, um die Kündigung zu einem bestimmten Termin aussprechen zu können, erklärt er jedoch die so begründete Kündigung nicht, ist der Personalrat zu einer späteren Kündigung anzuhören, weil die frühere verbraucht ist. Bezüglich der erklärten hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 20. Dezember 2000 zum 30. Juni 2001 ist der Personalrat jedoch nicht beteiligt worden, so dass die Kündigung gemäß § 108 Abs. 2 BPersVG unwirksam ist.

III.

1. Die durch ihr erfolgloses Rechtsmittel entstandenen Kosten hat die beklagte Stadt gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht selbstständig durch den Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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