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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 19.05.2003
Aktenzeichen: 17 Sa 71/03
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG, SGB IX, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 99 Abs. 1
BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 3
BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 4
BetrVG § 99 Abs. 3
BetrVG § 99 Abs. 4
BetrVG § 100
BetrVG § 103
BetrVG § 103 Abs. 2
KSchG § 23
SGB IX § 2 Abs. 3
SGB IX § 81
SGB IX § 81 Abs. 4
SGB IX § 81 Abs. 4 Nr. 1
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 1
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1
SGB IX § 81 Abs. 4 Satz 3
SGB IX § 85
ArbGG § 64 Abs. 2 c)
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 17 Sa 71/03

verkündet am 19.05.2003

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 17. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Auweter, den ehrenamtlichen Richter Burr und den ehrenamtlichen Richter Hartmann auf die mündliche Verhandlung vom 03.03.2003

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.09.2003 - Az.: 19 Ca 6547/01 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 12.07.2001 zum 31.12.2001, der die Hauptfürsorgestelle am 08.06.2001 nach inzwischen rechtskräftiger Entscheidung zugestimmt hat (Aktenblatt 9 ff. der erstinstanzlichen Akte).

Der am 30.06.1960 geborene Kläger ist seit 01.10.1992 bei der Beklagten, die mehr als fünf Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG beschäftigt, als juristischer Sachbearbeiter für Kfz-Schäden angestellt. Er bezog zuletzt ein Jahresgehalt in Höhe von € 43.020,00 zuzüglich einer Erfolgsbeteiligung in Höhe von € 2.600,44. Seit 04.09.1998 ist er gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX mit einem GdB von 30 einem Schwerbehinderten gleichgestellt.

Am 22.12.1999 stellte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtsverbands W. H. einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers (Aktenblatt 89 ff. der erstinstanzlichen Akte). In der Folgezeit wurde der Kläger durch den Integrationsdienst betreut und unterzog sich einer Verhaltenstherapie und Kur. Gleichzeitig prüfte die Beklagte Umsetzungsmöglichkeiten für den Kläger. Am 04.05.2001 kam es zu einer Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten folgenden Inhalts:

"Die gesundheitliche, insbesondere körperliche, Eignung von Herrn G. für die derzeit in der Materialverwaltung der S. V., S., zu besetzende Stelle wird durch eine Untersuchung durch den Betriebsarzt der S. V., Herrn Dr. H.-D. E., verbindlich festgestellt. Das Untersuchungsergebnis von Herrn Dr. E. ist für die Beteiligten endgültig." (Abl. 400 d. erstinst. Akte)

Am 18.05.2001 teilte der Betriebsarzt der Beklagten mit, dass gegen die Aufnahme der Tätigkeit in der Materialverwaltung keine Bedenken bestünden (Aktenblatt 401 der erstinstanzlichen Akte). Die Beklagte hörte deshalb am 22.05.2001 den Betriebsrat zur Versetzung des Klägers in die Materialverwaltung, hilfsweise zur Kündigung des Klägers an (Aktenblatt 251 ff. der erstinstanzlichen Akte). Der Betriebsrat widersprach der Versetzung des Klägers am 23.05.2001 unter Hinweis auf die "negativen Auswirkungen für den Betrieb, die "Kunden" sowie die KollegInnen innerhalb der Abteilung" (Aktenblatt 327 der erstinstanzlichen Akte). Die erneute Anhörung des Betriebsrats vom 04.07.2001 zur ordentlichen Kündigung des Klägers (Aktenblatt 328 ff. der erstinstanzlichen Akte) ließ der Betriebsrat unbeantwortet.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam, weil er weiterhin in der Lage sei, seine Arbeit als Schadenssachbearbeiter zu erbringen. Jedenfalls aber hätte er auf dem am 04.05.2001 angebotenen Arbeitsplatz in der Materialverwaltung weiterbeschäftigt werden können. Der Kläger hat deshalb erstinstanzlich beantragt,

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12.07.2001 nicht aufgelöst wurde.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen, hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen.

Unter Berufung auf das vom Arbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten (Aktenblatt 166 ff. der erstinstanzlichen Akte) ist sie davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund einer psychischen Erkrankung außerstande sei, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Entgegen der Auffassung des Klägers habe sie ihm keine Beschäftigungszusage in der Materialverwaltung erteilt. Nachdem der Betriebsrat der Versetzung widersprochen habe, sei sie nicht verpflichtet gewesen, ein Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. Jedenfalls sei aber eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht mehr zu erwarten, weil der Kläger ihr wiederholt völlig unbegründet Mobbing bzw. Schikane vorgeworfen habe. Bewusst wahrheitswidrig habe er die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bestritten. Auch sei davon auszugehen, dass der Kläger sich den anspruchsvollen Maklerkunden gegenüber erneut nicht adäquat verhalten werde und deshalb mit Kündigungen zu rechnen sei.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und den Auflösungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Hinsichtlich des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe im Einzelnen wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 12.09.2003 Bezug genommen. Die Beklagte hat gegen das erstmals am 22.09.2003 und erneut am 28.10.2003 zugestellte Urteil am 09.10.2003 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22.12.2003 mit am 22.12.2003 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie geht weiterhin davon aus, dass der Kläger wegen seiner psychischen Erkrankung auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage sei, die geschuldete Arbeitsleistung als Schadenssachbearbeiter auszuüben. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe der Kläger jedoch nicht auf einem anderen freien, leidensgerechten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger einen Arbeitsplatz in der Materialverwaltung bei der S.-H. - einem anderen Unternehmen - zu vermitteln. Ein verbindliches Angebot habe die Beklagte nicht abgegeben, was sich schon daran zeige, dass der Betriebsrat am 22.05.2001 ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass die Führungskräfte im Bereich Materialverwaltung einer Beschäftigung des Klägers skeptisch gegenüberstünden. Unabhängig davon sei dem Kläger der Arbeitsplatz in der Materialverwaltung nicht zumutbar. Hierbei handele es sich um einen minderwertigen Arbeitsplatz der Tarifgruppe III bis IV, was gegenüber der Tarifgruppe VI, VII für Volljuristen in der Schadenssachbearbeitung zu einer jährlichen Gehaltsminderung von ca. € 11.000,00 führe. Die Tätigkeit in der Materialverwaltung setze nur eine abgeschlossene gewerbliche Ausbildung zum Beispiel als Lagerverwalter voraus, sei überwiegend körperlicher Art und einem Volljuristen unangemessen. Schließlich sei die Versetzung des Klägers auch an der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung gescheitert. Eine Verpflichtung zur Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens ergebe sich weder aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX noch aus der Vereinbarung vom 04.05.2001. Diese regle ausschließlich die Frage der Verbindlichkeit der Feststellung der gesundheitlichen Eignung des Klägers für den Arbeitsplatz in der Materialverwaltung, nicht aber die Verpflichtung der Beklagten, alles Erforderliche zu tun, um diese Versetzung auch durchführen zu können. Erst am 21.05.2001 habe der Kläger seine Bereitschaft erklärt, ab 01.10.2001 in die Materialverwaltung zu wechseln (Aktenblatt 87 der Berufungsakte). Zur Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens sei die Beklagte auch deshalb nicht verpflichtet, weil der Betriebsrat der Versetzung zu Recht widersprochen habe, denn der Betriebsrat habe eine durch Tatsachen begründete Besorgnis tatsächlicher Nachteile für Arbeitnehmer in der Materialverwaltung vorgetragen. Schließlich sei die Entscheidung des 9. Senats vom 03.12.2002 (9 AZR 481/01) auch deshalb nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar, weil sie nicht im Zusammenhang mit einer Kündigung ergangen sei. In diesem Fall sei der Schutz des Behinderten durch das Zustimmungserfordernis des Integrationsamts gewährleistet. Im Übrigen fehle eine dem § 103 BetrVG vergleichbare Bestimmung in § 81 SGB IX. Schließlich schränke die Verpflichtung zur Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens die Unternehmerfreiheit unverhältnismäßig ein, weil der Arbeitgeber während der gesamten Dauer des Verfahrens weder eine Kündigung aussprechen, noch den freien Arbeitsplatz anderweitig besetzen könne. Jedenfalls aber sei der Auflösungsantrag der Beklagten begründet. Die bewusst wahrheitswidrige Darstellung des Klägers, die Schwerbehindertenvertretung sei nicht gehört worden, zeige zusammen mit den im Schriftsatz vom 31.03.2003 dargestellten Vorfällen die Strategie des Klägers, die Beklagte in Verruf zu bringen, Stimmung zu machen und den Kläger als Opfer einer Verschwörung darzustellen. Dies werde durch die Äußerungen des Klägervertreters in den Schriftsätzen vom 17.01.2002 und 29.07.2002 an das Verwaltungsgericht Stuttgart ebenso belegt wie durch die Schriftsätze an das Arbeitsgericht vom 23.07.2001 (Klagschrift) und vom 05.06.2003. Mit dem Vorwurf des "Rechtsmissbrauchs", der "massiven Benachteiligung", der "unmenschlichen Arbeitsbedingungen" und des "Mobbings" habe der Kläger die Grenzen legitimer Rechtsverteidigung überschritten.

Die Beklagte beantragt deshalb,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 12.09.2003 - 19 Ca 6547/01 wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Hilfsweise: Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufgelöst.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Er sieht sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts durchaus in der Lage, die Tätigkeit als Schadenssachbearbeiter weiter auszuüben. Das vom Arbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten beruhe auf einem im Wesentlichen nicht bewiesenen Sachverhalt. Jedenfalls aber habe er auf einem freien, leidensgerechten Arbeitsplatz in der Materialverwaltung weiterbeschäftigt werden können. Dass der Arbeitsplatz der S.-H. zugeordnet ist, spiele keine Rolle, weil es sich ausweislich der betriebsverfassungsrechtlichen Zuständigkeiten um einen gemeinsamen Betrieb der Beklagten und der S.-H. handele. Die Tätigkeit in der Materialverwaltung sei dem Kläger auch zumutbar gewesen. Schon seit 1996 habe er nur noch Schäden entsprechend dem Anforderungsprofil eines Versicherungskaufmanns bearbeitet. Der Kläger sei auch bereit gewesen, diesen Arbeitsplatz zu den betriebsüblichen Konditionen anzutreten. Man sei sogar übereingekommen, dem Kläger sein bisheriges Gehalt bis September 2001 fortzuzahlen. Dies zeige, dass beide Parteien im Vorfeld die Zumutbarkeit des Wechsels in die Materialverwaltung anerkannt hätten. Ausweislich der Vereinbarung vom 04.05.2001 habe die Beklagte ihm den Arbeitsplatz in der Materialverwaltung auch vorbehaltlich der Zustimmung des Betriebsrats angeboten. Dem entsprechend habe sie das Zustimmungsersetzungsverfahren auch durchführen müssen, zumal sie kein erhebliches sondern allenfalls ein geringes Prozessrisiko gehabt habe. Eine solche Verpflichtung ergebe sich auch aus § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX. Wenn der Arbeitgeber das Zustimmungsersetzungsverfahren durchführen müsse, um einen Schwerbehinderten auf einen seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechenden Arbeitsplatz versetzen zu können, müsse er dies erst recht zur Vermeidung einer Kündigung tun. Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Die Schwerbehindertenvertretung sei jedenfalls bei dem entscheidenden Gespräch am 08.11.1999 nicht zugegen gewesen. Der beanstandete klägerische Vortrag enthalte im Übrigen weder Beleidigungen des Arbeitgebers noch unwahre Tatsachenbehauptungen. Die Darstellungen entsprächen der subjektiven Wahrnehmung des Klägers, man bürde ihm zuviel Arbeit auf, wolle ihn im Unternehmen nicht mehr haben und er werde von Vorgesetzten ungerecht behandelt oder gar gemobbt. Dieses das Verhalten zu Vorgesetzten möglicherweise belastende Vorbringen könne jedoch in der Materialverwaltung keine Rolle mehr spielen.

Hinsichtlich des Berufungsvorbringens im Einzelnen wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer davon aus, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung vom 12.07.2001 noch durch den Auflösungsantrag der Beklagten beendet wurde.

I.

Die Kündigung vom 12.07.2001 ist sozial nicht gerechtfertigt, da sie zwar grundsätzlich durch Gründe in der Person des Klägers veranlasst war, die Kündigung jedoch durch Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem im Zeitpunkt der Kündigung freien, leidensgerechten und jedenfalls zumutbaren Arbeitsplatz vermeidbar war.

1. Zugunsten der Beklagten kann im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass der Kläger krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Tätigkeit als juristischer Sachbearbeiter im Bereich Kfz-Schaden zu erbringen.

2. Vor Ausspruch der Kündigung hätte die Beklagte jedoch versuchen müssen, die Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung des Klägers in den Bereich Materialverwaltung notfalls auch im Verfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG zu erlangen. Dies folgt aus dem dem Kündigungsrecht immanenten Ultima ratio Prinzip.

Danach ist eine Kündigung unwirksam, wenn sie durch Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem freien, gleichwertigen oder jedenfalls zumutbarem, im Fall der krankheitsbedingten Kündigung auch leidensgerechten Arbeitsplatz vermieden werden kann (BAG, Urteil vom 29.01.1997, 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 - Krankheit, NZA 1997, 709).

a) Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Arbeitsplatz in der Materialverwaltung bei der S.-H.-AG frei war. Zwar besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch grundsätzlich nur in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens. Der Kläger hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, dass die Zuständigkeit in personellen Angelegenheiten für die Beklagte und die S.-H.-AG einheitlich ausgeübt werden. Für einen gemeinsamen Betrieb spricht außerdem die Zuständigkeit des gemeinsam für die "S.-Versicherungen" gewählten Betriebsrats (Aktenblatt 251 der erstinstanzlichen Akte), der im vorliegenden Fall sowohl bei der Versetzung des Klägers in den Bereich der Materialverwaltung als auch bei der Kündigung beteiligt wurde.

b) Ausweislich der betriebsärztlichen Feststellung vom 18.05.2001 war der Arbeitsplatz in der Materialverwaltung auch leidensgerecht (Aktenblatt 401 der erstinstanzlichen Akte).

c) Ungeachtet der Frage, ob der freie Arbeitsplatz in der Materialverwaltung dem eines Volljuristen in der Schadenssachbearbeitung gleichwertig ist, gehen beide Parteien weiter übereinstimmend davon aus, dass die Beschäftigung in der Materialverwaltung dem Kläger auch zumutbar ist. Entsprechend der Betriebsratsanhörung vom 22.05.2001 und dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 25. Februar 2004 (Aktenblatt 87 der Berufungsakte) kamen die Parteien spätestens am 21.05.2001 überein, dass der Kläger ohne Änderungskündigung ab 01.06.2001 in die Materialverwaltung wechselt und ab 01.10.2001 zu den dort üblichen Konditionen (TG III) vergütet wird (Aktenblatt 252 f. der erstinstanzlichen Akte). Daraus ergibt sich unabhängig von einer möglichen Verpflichtung der Beklagten gemäß Vereinbarung vom 04.05.2001 jedenfalls, dass beide Parteien den Arbeitsplatz in der Materialverwaltung für zumutbar hielten.

d) Der Anspruch auf Beschäftigung auf dem freien, leidensgerechten Arbeitsplatz steht allerdings unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 1, 3 BetrVG. Im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat seine Zustimmung gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 3, 4 BetrVG verweigert (Aktenblatt 327 der erstinstanzlichen Akte). Die Kammer hält im vorliegenden Fall die Beklagte jedoch für verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung ein Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG durchzuführen.

(1) In seiner oben genannten Entscheidung vom 29.01.1997 geht der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts allerdings davon aus, dass der Arbeitgeber sich zwar um die Zustimmung des Betriebsrats bemühen müsse. Nicht zumutbar sei ihm zur Vermeidung der Kündigung jedoch die Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG (II 1 d) der Gründe).

Demgegenüber geht der 9. Senat in seiner Entscheidung vom 03.12.2002 (9 AZR 481/01 - AP Nr. 2 zu § 81 SGB IX, DB 2003, 1230) im Rahmen eines gemäß § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX zu beurteilenden Versetzungsanspruchs des Arbeitnehmers im ungekündigten Arbeitsverhältnis davon aus, dass dem Arbeitgeber die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nicht von vorne herein unzumutbar sei.

Der Arbeitgeber sei gegenüber einem schwerbehinderten Menschen (nur) dann nicht verpflichtet, das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen, wenn feststehe, dass die vom Betriebsrat geltend gemachten Zustimmungsverweigerungsgründe objektiv vorlägen. Ein ohne Aussicht auf Erfolg durchzuführendes Verfahren sei dem Arbeitgeber nicht zumutbar.

(2) Der Kläger hat gemäß § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX gegenüber der Beklagten unter Berücksichtigung seiner Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung einen Anspruch auf Beschäftigung, bei der er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann. Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX besteht ein solcher Anspruch allerdings nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre.

Wenn dem Arbeitgeber im bestehenden Arbeitsverhältnis zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX die Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG grundsätzlich zumutbar ist, so gilt dies erst recht zur Vermeidung einer Kündigung. Mit dem 9. Senat geht die Kammer davon aus, dass die der Entscheidung des 2. Senats vom 29.01.1997 zugrundeliegende Fallgestaltung nicht übertragbar ist. Sowohl in der Entscheidung vom 03.12.2001 wie im vorliegenden Fall geht es um die Verwirklichung des Anspruchs eines Schwerbehinderten auf behinderungsgerechte Beschäft igung. Wegen § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX sind in einem solchen Fall die an den Arbeitgeber zu stellenden Anforderungen höher als in sonstigen Fällen krankheitsbedingter Kündigungen. Darüber hinaus beansprucht der Kläger keinen erst durch Umsetzung im Wege des Direktionsrechts freizumachenden Arbeitsplatz. Zu einer Kollision mit den Interessen des bisherigen Arbeitsplatzinhabers, die den Überlegungen des 2. Senats zugrundelagen, kann es deshalb nicht kommen. Damit verringert sich auch das Prozessrisiko des Arbeitgebers im Rahmen des § 99 Abs. 4 BetrVG.

Entgegen der Auffassung der Beklagten steht keineswegs fest, dass der Betriebsrat der Versetzung des Klägers zu Recht widersprochen hat. Soweit er sich auf § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG bezieht, fehlt dem Widerspruch der entsprechende Tatsachenvortrag, der auf eine Benachteiligung des Arbeitnehmers schließen ließe, zumal der Kläger mit der Maßnahme einverstanden war. Soweit der Betriebsrat gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG die Besorgnis ins Feld führt, dass infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer sonstige Nachteile erleiden könnten, ist sein Tatsachenvortrag im Widerspruch so unsubstantiiert, dass der Sachverhalt weiterer Aufklärung bedarf. Insbesondere geht der Arbeitgeber bei dem Arbeitsplatz in der Materialverwaltung von einem weniger stressbelasteten Umfeld für den Kläger aus, so dass sonstige Nachteile für die Mitarbeiter in der Materialverwaltung nicht auf der Hand liegen. Einem Zustimmungsersetzungsverfahren des Arbeitgebers kann also nicht von vorne herein der Erfolg abgesprochen werden.

Richtig ist, dass der besondere Kündigungsschutz eines schwerbehinderten Menschen primär durch § 85 SGB IX gewährleistet wird. Dies schließt aber nicht aus, dass das Arbeitsgericht bei der Frage der Wirksamkeit der Kündigung zu einem anderen Ergebnis kommt als das Verwaltungsgericht. Eine auch nur teilweise Bindung an die Feststellungen im Verwaltungsverfahren sieht das Gesetz derzeit nicht vor. Dass § 81 Abs. 4 SGB IX keine dem § 103 Abs. 2 BetrVG entsprechende Regelung enthält, schließt nicht aus, im Rahmen des § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX die Zumutbarkeit des Zustimmungsersetzungsverfahrens im Einzelfall zu bejahen. Die dadurch bewirkte Einschränkung des Arbeitgebers in Bezug auf die Wiederbesetzung des vakanten Arbeitsplatzes ist im vorliegenden Fall im Hinblick auf den besonderen Schutz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers grundsätzlich hinzunehmen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass ihr - ungeachtet der Möglichkeit nach § 100 BetrVG - die vorübergehende Besetzung bis zum Abschluss des Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG nicht möglich war und dass die Vakanz zu unzumutbaren betrieblichen Auswirkungen geführt hätte.

(3) Ob sich unabhängig von § 81 Abs. 4 SGB IX ein Anspruch des Klägers auf Durchführung des Zustimmungsersetzungsverfahrens aus der Vereinbarung vom 04.05.2001 ergibt, kann deshalb dahinstehen.

II.

Auch der Auflösungsantrag der Beklagten erweist sich als unbegründet. Die Beklagte konnte im Ergebnis keine Gründe darlegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten ließen.

1. Soweit die Beklagte dem Kläger die bewusst wahrheitswidrige Darstellung vorwirft, die Schwerbehindertenvertretung sei nicht angehört worden, so konnte sie jedenfalls nicht widerlegen, dass die Schwerbehindertenvertretung in einem vom Kläger für entscheidungserheblich gehaltenen Gespräch nicht zugegen war.

2. Soweit die Beklagte darauf abhebt, der Kläger beschuldige seine Vorgesetzten, ihn massiv zu benachteiligen, ihm zu hohe Arbeitsbelastung und unmenschliche Arbeitsbedingungen aufzubürden - kurz des Mobbings - ist nicht ersichtlich, weshalb diese möglicherweise falsche Behauptungen des Klägers das Arbeitsverhältnis an seinem neuen Arbeitsplatz belasten könnten.

3. Soweit der Kläger schließlich die Beklagte im Verwaltungsverfahren des Rechtsmissbrauchs bezichtigt, ist der Beklagten entgegenzuhalten, dass der Kläger damit darauf hinweist, dass die Beklagte ihm nicht einerseits eine für ihn subjektiv nicht zu bewältigende Arbeitsmenge zuweisen dürfe, um andererseits die infolge der subjektiven Arbeitsbelastung auftretenden Fehler als Kündigungsgrund ins Feld zu führen. Mit dem Aufzeigen dieses nach Ansicht des Klägers widersprüchlichen Verhaltens - ein Unterfall des Rechtsmissbrauchs - hat der Kläger somit die Grenzen legitimer Rechtsverteidigung nicht überschritten.

4. Schließlich ist dem gesamten in der Wortwahl sicher zum Teil überzogenen Vortrag des Klägers seine subjektive Überforderung am bisherigen Arbeitsplatz zu entnehmen. Dies von vorne herein auch für die Tätigkeit in der Materialverwaltung anzunehmen fehlen konkrete Anhaltspunkte, insbesondere nachdem der Betriebsarzt gegen die Beschäftigung auf diesem Arbeitsplatz keine Bedenken vorgebracht hat.

III.

Die Berufung war deshalb auf Kosten der Beklagten zurückzuweisen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Die Kammer hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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