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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.06.2002
Aktenzeichen: 18 Ta 9/02
Rechtsgebiete: BGB, BeschFG, InsO, ZPO, KSchG, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 164 Abs. 1
BeschFG § 1 Abs. 5
InsO § 113 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 232 Abs. 2
ZPO § 253 Abs. 1
ZPO § 495
ZPO § 572 Abs. 1
KSchG § 4 Satz 1
KSchG § 5
KSchG § 5 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 5 Abs. 4 Satz 2
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1
ArbGG § 46 Abs. 1 Satz 1
ArbGG § 69 Abs. 2
ArbGG § 78 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 18 Ta 09/02

Stuttgart, 11. Juni 2002

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 18. Kammer - durch den Richter am Arbeitsgericht Pfeiffer ohne mündliche Verhandlung am 11.06.2002 beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 10.04.2002 - 4 Ca 67/02 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

2. Der Wert des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens wird auf € 3 300,00 festgesetzt.

3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die nachträgliche Zulassung der vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage. Im Hauptverfahren geht es um die Wirksamkeit einer dem Kläger, der ab 04.05.1998 bei der Beklagten, die mehrere tausend Arbeitsnehmer beschäftigt, als Arbeiter zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdienst von zuletzt € 2 200,00 beschäftigt war, am 16.11.2001 zugegangenen ordentlichen Kündigung der Beklagten vom selben Tag. Hiergegen ließ der tarifgebundene Kläger nach Mandatserteilung innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG durch einen Rechtssekretär der DGB Rechtsschutz GmbH, Büro Heidelberg, Klage erheben, die am 10.12.2001, mithin nach Ablauf der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG, beim Arbeitsgericht Heilbronn auf dem Postweg einging. Von diesem Umstand erlangte der Kläger am 11.01.2002 Kenntnis. Entgegen der Mitteilung in der Klageschrift "vorab zur Fristwahrung per Fax" veranlaßte die DGB Rechtsschutz GmbH, Büro Heidelberg, keine fristwahrende Klageerhebung per Telefax. Mit beim Arbeitsgericht am 25.01.2002 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag beantragte der Kläger die nachträgliche Klagezulassung.

Er hat zur Begründung seines Antrages darauf abgestellt, sein Prozeßbevollmächtigter habe sämtliche Sorgfaltspflichten beachtet, ein Versehen im Büro-Bereich habe zur Fristversäumung geführt. Wegen der Begründung des Antrages im Einzelnen wird auf die Darstellung des Sachverhaltes (unter I der Gründe) des angegriffenen Beschlusses in entsprechender Anwendung des § 69 Absatz 2 ArbGG sowie ergänzend auf das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 25.01.2002 nebst Anlagen (Aktenseiten 22 bis 27) Bezug genommen. Demgegenüber hat die Beklagte die Zurückweisung des Antrages mit einem dem Kläger nach § 85 Absatz 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten begründet.

Mit Beschluß vom 10.04.2002, dem Kläger am 17.04.2002 zugestellt, hat das Arbeitsgericht den zulässigen Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, ein dem Kläger zuzurechnendes Organisations- verschulden seines Prozeßbevollmächtigten sei darin zu sehen, daß er keine Vorkehrungen für eine funktionierende Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze getroffen habe. Der beim Arbeitsgericht am 30.04.2002 eingegangenen sofortigen Beschwerde des Klägers vom selben Tag half das Arbeitsgericht mit Beschluß vom 02.05.2002 in anderer Kammerbesetzung nicht ab. Zur Begründung seiner sofortigen Beschwerde stellt der Kläger entscheidend darauf ab, daß ihm ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten im Anwendungsbereich des § 5 KSchG nicht nach § 85 Absatz 2 ZPO zugerechnet werden könne.

II.

Die gemäß §§ 5 Absatz 4 Satz 2 KSchG, 78 Satz 1 ArbGG, 567 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde, über die der Vorsitzende der Beschwerdekammer, nachdem das Arbeitsgericht im Wege der Kammerentscheidung mit Beschluß vom 02.05.2002 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen hat (§§ 572 Absatz 1, 128 Absatz 4 ZPO, 53 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, 5 Absatz 4 Satz 1 KSchG), nach § 78 Satz 3 ArbGG ohne mündliche Verhandlung allein entscheiden kann, ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 569 ZPO, 78 Satz 1 ArbGG). Die somit zulässige sofortige Beschwerde ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag des Klägers vom 25.01.2002 zurückgewiesen. Entgegen seiner Ansicht ist dem Kläger das vom Arbeitsgericht zutreffend angenommene Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten nach § 85 Absatz 2 ZPO zuzurechnen.

A

Zunächst kann dahingestellt bleiben, ob das Arbeitsgericht im Rahmen des nunmehr zwingend vorgeschriebenen Überprüfungsverfahrens nach § 572 Absatz 1 ZPO über die Nichtabhilfe der sofortigen Beschwerde mit Beschluß vom 02.05.2002 in derselben Besetzung hätte entscheiden müssen. Ungeachtet dieser Rechtsfrage ist die sofortige Beschwerde der Beschwerdekammer zur Sachentscheidung angefallen, weil Gegenstand der Prüfung durch das Beschwerdegericht die angefochtene Entscheidung ist, nicht der Nichtabhilfebeschluß. Fehlt die Entscheidung über die Nichtabhilfe ganz oder aber ist der Nichtabhilfebeschluß mangelhaft, darf (nicht: muß) das Beschwerdegericht zur erneuten Abhilfeprüfung zurückverweisen (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Auflage, § 572 Randziffer 10; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Auflage, § 572 Randziffer 16). Daraus folgt, daß die Beschwerdekammer in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens nicht verpflichtet ist festzustellen, ob das Arbeitsgericht im Nachprüfungsverfahren nach § 572 Absatz 1 ZPO vorschriftsmäßig besetzt war (Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, aaO, § 572 Randziffer 10 mit weiteren Nachweisen).

B

Der Antrag des Klägers ist zulässig, jedoch unbegründet.

I. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die zweiwöchige Antragsfrist gewahrt. Nach § 5 Absatz 3 Satz 1 KSchG ist der Antrag auf nachträgliche Zulassung innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, das einer rechtzeitigen Klagerhebung im Wege stand. Vorliegend ist diese Frist gewahrt, da der Kläger nach Kenntniserlangung am 11.01.2002 von der Versäumung der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG mit beim Arbeitsgericht am 25.01.2002 eingegangenem Schriftsatz, also am letzten Tag der Frist (§§ 187 Absatz 1, 188 Absatz 2 1. Alt. BGB), die nachträgliche Klagezulassung beantragt hat.

II. Der Antrag ist unbegründet.

1. Gemäß § 5 Absatz 1 KSchG ist eine Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen, wenn der Arbeitnehmer trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt ver- hindert war, sie rechtzeitig innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben.

2. Dem Kläger in Person trifft darin, daß die Klageschrift vom 04.12.2001, bei Gericht am 10.12.2001 eingegangen, die Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt hat, kein Verschulden. Er selbst hat seine Prozeßbevollmächtigten unstreitig innerhalb der Drei-Wochen-Frist nach Zugang der Kündigung am 16.11.2001 rechtzeitig mit der Klageerhebung beauftragt.

Der verspätete Eingang der Klage beim Arbeitsgericht beruht jedoch auf einem Verschulden seines beauftragten Prozeßbevollmächtigten. Die Beschwerdekammer tritt insoweit der vom Arbeitsgericht aus dem unstreitigen Vorbringen des Klägers gewonnenen Erkenntnis bei, ein die Nichteinhaltung der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG verursachendes Verschulden des Prozeßbevollmächtigten des Klägers ergebe sich aus der nicht gegebenen Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze. Zutreffend weist das Arbeitsgericht darauf hin, daß der Kläger in seiner Antragsschrift nicht einmal behauptet, entsprechend der seinem Prozeßbevollmächtigten obliegenden Organisationserfordernissen eine wirksame End- oder Ausgangskontrolle (Fristenkalender etc., vergleiche BAG, Beschluß vm 08.04.1993 - 2 AZR 716/92 - AP Nr. 10 zu § 85 ZPO) eingerichtet zu haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung verwiesen (§ 69 Absatz 2 analog ArbGG). Im übrigen wird darauf hingewiesen, daß der Kläger in seiner Beschwerdeschrift diese Feststellung nicht angreift.

a) Das Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten ist dem Kläger nach § 85 Absatz 2 ZPO zuzurechnen. Entgegen der Ansicht des Klägers findet § 85 Absatz 2 ZPO auf die Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG Anwendung. Nach Auffassung der Beschwerdekammer sprechen hierfür im Anschluß an Francken (Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Klagefristen des § 4 KSchG, des § 1 Absatz 5 BeschFG und des § 113 Absatz 2 InsO, 1998, Seiten 23 bis 50) die besseren Gründe. Diese Beurteilung entspricht auch der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (siehe dazu die Rechtsprechungsübersicht bei Francken, aaO, Seite 27; HaKo/Gallner, KSchG, 1. Auflage, § 5 Randziffer 16; von Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 13. Auflage, § 5 Randziffer 15). Die gegenteilige Auffassung vertritt insbesondere in ständiger Rechtsprechung das LAG Hamburg (zum Beispiel 24.01.1997 - 4 Ta 29/96 -, LAGE § 5 KSchG Nr. 85) und das LAG Hamm (zum Beispiel Beschluß vom 27.02.1996 - 5 Ta 106/95 - AP Nr. 10 zu § 5 KSchG 1969; siehe auch LAG Niedersachsen, Beschluß vom 27.07.2000 - 5 Ta 799/99 -, LAGE § 5 KSchG Nr. 98; KR-Friedrich, 6. Auflage, § KSchG Randziffer 70 mit weiteren Nach- weisen).

Für eine Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO spricht entscheidend, daß die Heranziehung eines Vertreters nicht zu einer Verschiebung des Prozeßrisikos zu Lasten des Gegners führen darf. Eine Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen läßt, muß in jeder Weise so behandelt werden, als wenn sie den Prozeß selbst geführt hätte (Francken, aaO, Seite 50). Dieser Lösungsansatz ist interessengerecht. Der Vorteil der durch das Repräsentationsprinzip geschaffenen erweiterten Handlungsmöglichkeit, sich sachkundiger Dritter zu bedienen, muß folgerichtig als Kehrseite den Nachteil einschließen, die durch den Dritten versäumte Klagefrist verantworten zu müssen. Diese Konzeption ist insofern auch widerspruchsfrei, als eine Zurechnung entsprechend dem Repräsentationsgedanken dann nicht erfolgt, wenn kein Verschulden des Bevollmächtigten vorliegt. Ein Verschulden zum Beispiel seines Büropersonales ist insofern unerheblich. Im Einzelnen:

aa) Nach § 85 Absatz 2 ZPO, der durch die Vereinfachungsnovelle vom 03.12.1976 (BGBl I, 3281) am 01.07.1977 in Kraft trat und § 232 Absatz 2 ZPO ablöste (zur Gesetz- gebungsgeschichte und zur Diskussion der vorliegenden Streitfrage zu § 232 Absatz 2 ZPO alter Fassung siehe Francken, aaO, Seiten 23 bis 25), steht das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich. Während die Zurechnung des Verschuldens gesetzlicher Vertreter wegen des Wortlautes des § 51 Absatz 2 ZPO einhellig bejaht wird (HaKo/Gallner, aaO, § 5 Randziffer 16), wird die Zurechnung des Verhaltens von Prozeßbevollmächtigten nach § 85 Absatz 2 ZPO aus mehreren Gründen verneint. Wie sich unmittelbar aus dem Wortlaut des § 85 Absatz 1 Satz 1 ZPO ergebe, beziehe sich diese Bestimmung ausschließlich auf Prozeßhandlungen, demgegenüber sei jedoch die Frist des § 4 Satz 1 KSchG eine materiell-rechtliche (zum Beispiel LAG Hamm, Beschluß vom 27.01.1994 - 8 Ta 274/93 -, LAGE § 5 KSchG Nr. 65; KR- Friedrich, 6. Auflage, § 5 KSchG Randziffer 70). Außerdem setze eine Prozeßhandlung ein bereits begründetes Prozeßrechtsverhältnis voraus, das jedoch erst mit der Klageerhebung (vergleiche § 253 Absatz 1 ZPO) begründet werde, im Zeitpunkt der Versäumung der Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG ein solches also noch nicht bestehe (zum Beispiel LAG Hamm, Beschluß vom 27.02.1996, aaO; Berkowsky, NZA 1997, 352, 355; Rieble, Anmerkung zu LAG Hamm, Beschluß vom 27.01.1994, aaO). Des weiteren wird gegen die Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO angeführt, § 5 KSchG habe abschließenden Charakter, diese Bestimmung enthalte keinen Verweisungssatz auf § 85 Absatz 2 ZPO (LAG Hamm, Beschluß vom 28.10.1971 - 8 Ta 54/71 -, DB 1972, 1974). Ferner werden rechtspolitische Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 85 Absatz 2 ZPO wegen der existentiellen Bedeutung des Kündigungsschutzprozesses angeführt (Wenzel, DB 1970, 730, 736) und in der Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO auf Klagefristen eine unzulässige Zugangserschwerung angenommen (Vollkommer, FS für Eugen Stahlhacke, 1995, Seite 615).

bb) Diese Gründe überzeugen nicht. Die besseren Gründe sprechen für eine unmittelbare Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO auf die Versäumung der Klagefrist. Dieses Verständnis läßt sich mit seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck vereinbaren. Auch die systematische Auslegung rechtfertigt diesen Befund.

Zunächst ist festzustellen, daß § 85 Absatz 2 ZPO an sich auf die Versäumung der Klagefrist anzuwenden ist. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus der Verweisungsbestimmung des § 46 Absatz 1 Satz 1 ArbGG, der für das Urteilsverfahren lediglich die Vorschriften über das Verfahren vor den Amtsgerichten (§§ 495 bis 510b ZPO) in Bezug nimmt. Die nach § 495 ZPO zu berücksichtigenden Vorschriften für das Verfahren vor den Landgerichten (§§ 253 bis 494a ZPO) beinhalten ebenfalls keinen Verweis auf § 85 Absatz 2 ZPO. Obgleich damit nicht auf die im Ersten Buch der ZPO enthaltene Vorschrift des § 85 Absatz 2 ZPO verwiesen wird, gelten nach einhelliger Ansicht daneben die allgemeinen Vorschriften des Ersten Buches vorbehaltlich arbeitsgerichtsgesetzlicher Sondervorschriften, da das arbeitsgerichtliche Erkenntnisverfahren grundsätzlich ein zivilprozessuales Verfahren ist (zum Beispiel Hauck, ArbGG, 1. Auflage, § 46 Randziffer 4; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Auflage, § 85 Randziffer 28 f.). Von daher bedurfte es auch keiner ausdrücklichen Verweisung in § 5 KSchG auf die Zurechnungsbestimmung des § 85 Absatz 2 ZPO. Dies wird auch durch die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt. Es sind nämlich nirgends Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Gesetzgeber die Rechtsfolgen des § 85 Absatz 2 ZPO für den Bereich des § 5 KSchG einschränken wollte (Francken, aaO, Seiten 39, 40 unter Hinweis auf LAG Köln, Beschluß vom 26.07.1994 - 10 Ta 105/94 - LAGE § 5 KSchG Nr. 67). Da § 85 Absatz 2 ZPO Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes für die Prozeßvertretung ist (BGH, Urteil vom 11.03.1976 - III ZR 113/74 - NJW 1976, 1218), kann seine Unanwendbarkeit bei der Versäumung der Klagefrist mangels ausdrücklicher Verweisung auch nicht mit dem Ausnahmecharakter der Norm begründet werden (so aber LAG Hamburg, Beschluß vom 03.06.1985 - 1 Ta 5/85 - LAGE § 5 KSchG Nr. 19).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 85 Absatz 2 in Verbindung mit seinem Absatz 1 ZPO sind gegeben. Die als Bezugspunkt für das Verschulden im Sinne des § 85 Absatz 2 ZPO in § 85 Absatz 1 ZPO vorausgesetzte Prozeßhandlung ist in der (verspäteten) Klageerhebung zu sehen. Die Klageerhebung ist der Inbegriff der Prozeßhandlung (Francken, aaO, Seite 31 mit weiteren Nachweisen). Von daher kommt es auf die Beurteilung der Rechtsnatur der Drei-Wochen-Frist als prozessuale oder materielle Frist als Kriterium für die Anwendbarkeit des § 85 Absatz 2 ZPO nicht an (ebenso LAG Thüringen, Beschluß vom 30.11.2000 - 7 Ta 19/00 - LAGE § 5 KSchG Nr. 103). Im übrigen handelt es sich um eine prozessuale Frist mit materiell-rechtlicher Folge im Fall ihrer Versäumung. Die Anhänger der materiell-rechtlichen Einordnung der Frist des § 4 Satz 1 KSchG kommen mangels Prozeßrechtsbezuges zu einer Unanwendbarkeit des § 85 Absatz 2 ZPO (zum Beispiel LAG Hamm, Beschluß vom 27.01.1994 - 8 Ta 274/93 - LAGE § 5 KSchG Nr. 65; LAG Hamburg, Beschluß vom 22.10.1986 - 1 Ta 12/86 - MDR 1987, 875; KR-Friedrich, 6. Auflage, § 5 KSchG Randziffer 70). Bei einer prozessualen Einordnung der Klagefrist ist die Zurechnung des Vertreterverschuldens folgerichtig. Mit Urteil vom 26.06.1986 (2 AZR 358/85 - AP Nr. 14 zu § 4 KSchG 1969) hat sich der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts der prozessualen Rechtsnatur der Frist des § 4 Satz 1 KSchG angeschlossen. Da die Drei-Wochen-Frist eine Klagefrist ist, deren Versäumung unmittelbar den Verlust des Klagerechts zur Folge hat, bedarf es der Klageerhebung als Prozeßhandlung, um die materiell-rechtliche Nebenwirkung des § 7 KSchG zu vermeiden. Diese fristgebundene Prozeßhandlung, nämlich die Erhebung der Kündigungsschutzklage, erfüllt die tatbestandliche Voraussetzung des § 85 Absatz 1 ZPO. § 85 Absatz 2 ZPO unterscheidet auch nicht danach, ob es um eine Prozeßhandlung innerhalb eines bereits anhängigen Verfahrens oder um die Einleitung eben dieses Verfahrens geht (Francken, aaO, Seite 31).

Der Anwendungsbereich des § 85 Absatz 2 ZPO setzt kein bereits begründetes Prozeßrechtsverhältnis voraus. Die Zurechnungsnorm des § 85 Absatz 2 ZPO findet schon dann Anwendung, wenn zur beabsichtigten Begründung eines Prozeß- rechtsverhältnisses mittels Klageerhebung Prozeßvollmacht erteilt wird und ein rechtswirksam begründetes Auftragsverhältnis zugrundeliegt (Francken, aaO, Seite 36). Erteilt der Arbeitnehmer auf der Grundlage eines rechtswirksam zustandegekommenen Auftragsverhältnisses dem Rechtsanwalt Prozeßvollmacht, ist der Prozeßbevollmächtigte zur Prozeßführung im Namen des Vertretenen qua Prozeßvollmacht ermächtigt. Die Erteilung der Prozeßvollmacht als Akt der unmittelbaren Vorbereitung des Prozesses ist wegen ihres Zweckes und ihrer Wirkung eine Prozeßhandlung (Francken, aaO, Seite 35 mit weiteren Nachweisen). Damit ist auch nachgewiesen, daß der Begriff der Prozeßhandlung nicht notwendig mit der Existenz eines Prozeßrechtsverhältnisses verknüpft ist. Die Wirkung der Stellvertretung im Zivilprozeß ergibt sich entsprechend der materiell-rechtlichen Bestimmung des § 164 Absatz 1 BGB aus § 85 Absatz 1 ZPO. Dem entspricht es auch, daß § 85 Absatz 2 ZPO nicht zwischen Prozeßhandlungen innerhalb eines anhängigen Verfahrens und solchen zur Einleitung dieses Verfahrens unterscheidet (Grunsky, Anmerkung zu LAG Hamm, Beschluß vom 11.12.1980, EzA § 5 KSchG Nr. 8). § 85 Absatz 2 ZPO ist lex spezialis, der den § 278 BGB jedenfalls verdrängt. Außerhalb der Prozeßbevollmächtigung, zum Beispiel im Beratungsbereich, findet § 85 Absatz 2 ZPO keine Anwendung.

Daß ein Verschulden des zum Zweck der Beratung aufgesuchten Anwaltes nicht zu einer Verschuldenszurechnung führt, hingegen das Verschulden eines zur Klageerhebung be- auftragten Anwaltes zugerechnet wird, ist kein gegen die Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO sprechender Wertungswiderspruch. Erteilt ein Arbeitnehmer Prozeßvollmacht, begibt er sich seiner alleinigen Verantwortung für die Erfüllung der Obliegenheit, die Klagefrist zu wahren. Aus dem Normzweck des § 85 Absatz 2 ZPO ergibt sich, daß die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen läßt, sich in jeder Weise so behandeln lassen muß, als wenn sie den Prozeß selbst geführt hätte. Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Klagefrist ist im Innenverhältnis durch einen Schadensersatzanspruch auszugleichen. Demjenigen Arbeitnehmer, der sich lediglich beraten läßt, obliegt weiterhin allein die Initiative, die Klage rechtzeitig zu erheben (vergleiche HaKo/Gallner, aaO, § 5 Randnummer 19).

Die Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO verletzt auch nicht den Grundsatz, den ersten Zugang zu Gericht zu eröffnen und nicht unnötig zu erschweren. Entgegen der Ansicht von Vollkommer (FS für Eugen Stahlhacke, 1995, Seite 615) wird dadurch nicht der Zugang zu Gericht erschwert, der Arbeitnehmer trägt lediglich das mit der Einschaltung eines Dritten im Rechtsverkehr verbundene Risiko. Dieser Nachteil ist nur die Kehrseite des Vorteils (HaKo/Gallner, aaO, § 5 Randziffer 19).

b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18.06.1954 - 2 AZR 54/54 - AP Nr. 1 zu § 232 ZPO; Beschluß vom 02.05.1995 - 4 AZB 8/95 - AP Nr. 40 zu § 233 ZPO 1977; siehe auch Francken, aaO, Seiten 65 ff.) ist die Bestimmung des § 85 Absatz 2 ZPO auf als Prozeßbevollmächtigte auftretende Verbandsvertreter anwendbar. Dies folgt aus der im Arbeitsgerichtsgesetz weitgehend angeordneten rechtlichen Gleichstellung der Verbandsvertreter mit derjenigen der Rechtsanwälte (im Einzelnen siehe Germelmann/ Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Auflage, § 11 Randziffern 88 bis 93; Grunsky, ArbGG, 7. Auflage, § 11 Randziffer 13).

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.

Der Wert des Gegenstandes des Beschwerdeverfahrens richtet sich zwar grundsätzlich nach dem Wert der Hauptsache, also nach § 12 Absatz 7 Satz 1 ArbGG (KR-Friedrich, aaO, § 5 KSchG Randziffer 178); da sich der Kläger jedoch auch mit dem Argument gegen die Kündigung wendet, der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, scheint es angemessen, den Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens auf die Hälfte des Wertes des Hauptverfahrens festzusetzen, da nach derzeitigem Aktenstand das Feststellungsbegehren nicht zwingend erfolglos bleiben muß.

Da sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage der Anwendung des § 85 Absatz 2 ZPO auf die Versäumung der Klagefrist ersichtlich noch nicht befaßt und die Entscheidung hierzu über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat, ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§§ 574 Absatz 1 ZPO, 78 Satz 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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