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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 27.04.2006
Aktenzeichen: 19 Sa 68/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 613 a
BGB § 613 a Abs. 1 Satz 1
BGB § 613 a Abs. 4
KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 19.05.2005 - Az.: 5 Ca 612/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten (noch) über die Rechtswirksamkeit einer von dem Beklagten zu 1 als Insolvenzverwalter gegenüber der Klägerin erklärten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung und den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte zu 3 infolge Betriebsübergangs.

Die Klägerin war seit 01.01.2001 bei der Firma S. GmbH (im Folgenden: S. GmbH), der späteren Insolvenzschuldnerin als Müllsortiererin beschäftigt. Sie wurde an der der Firma S. B. GmbH gehörigen und von dieser betriebenen Müllsortieranlage im Bereich der Mülldeponie S. eingesetzt. Die an der Sortieranlage notwendigen manuellen Sortierarbeiten und damit im Zusammenhang stehende kleinere Wartungs- und Reparaturarbeiten an der Anlage wurden von der S. B. GmbH seit 1995 fremdvergeben und ab 01.04.2001 von der S. -GmbH übernommen. Die S. GmbH arbeitete zunächst mit 115 Arbeitnehmern, darunter 32 von der Beklagten zu 2 überlassene Leiharbeitnehmer, in Wechselschicht (Früh- und Spätschicht). Bei den geschuldeten Sortiertätigkeiten handelt es sich um ungelernte Tätigkeiten mit einer Einarbeitungszeit von ca. 2 Stunden. Nachdem Verhandlungen mit der Gewerkschaft v. mit dem Ziel einer Lohnsenkung im März 2004 gescheitert waren, kündigte die S. B. GmbH als Organträgerin den mit der S. GmbH als Organgesellschaft seit 19.12.2001 bestehenden "Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag" am 29.03.2004 mit sofortiger Wirkung, und veräußerte ihre Gesellschaftsanteile an der S. GmbH an einen Rechtsanwalt. Der mit der S.-GmbH geschlossene Sortiervertrag wurde mit Wirkung ab 01.07.2004 dahingehend geändert, dass die Sortiermenge auf etwa die Hälfte reduziert, die Spätschicht gestrichen und der Werklohn je sortierter Tonne um ca. 30 % gekürzt wurde. Die S. GmbH trennte sich daraufhin von den von ihr beschäftigten Leiharbeitnehmern und beschäftigte die mit Arbeitsvertrag eingestellte Stammbelegschaft, so auch die Klägerin, ausschließlich in der Frühschicht weiter. Die zweite Hälfte, der im bisherigen Umfang anfallenden Sortiermenge wurde aufgrund eines von der Beklagten zu 3 mit der S. B. GmbH abgeschlossenen Sortiervertrages ab 01.07.2004 in der Spätschicht von Mitarbeitern der Beklagten zu 3 bearbeitet.

Am 14.07.2004 stellte die S. GmbH Insolvenzantrag, am 01.10.2004 wurde über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zu 1 zum Insolvenzverwalter bestellt. Nach Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans kündigte der Beklagte zu 1 am 29.10.2004 allen bei der Insolvenzschuldnerin tätigen Arbeitnehmern, darunter auch der Klägerin, zum 31.01.2005. Die Sortiertätigkeit in der bis dahin verbliebenen Frühschicht wurde am 07.11.2004 eingestellt. Der Sortierauftrag wurde durch die S. B. GmbH anderweitig vergeben und zunächst für 3-4 Monate nicht mehr an der Müllsortieranlage im Bereich der Mülldeponie S. ausgeführt.

Die Klägerin macht geltend, die Kündigung vom 29.10.2004 sei mangels dringender betrieblicher Erfordernisse unwirksam und die Beklagten zu 2 und/oder 3 hätten den Betrieb zu einem erheblichen Teil übernommen, was zum Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613 a BGB geführt habe. Zumindest stelle die von der Beklagten zu 3 und der S. B. GmbH gewählte Vorgehensweise eine unzulässige Umgehung der Vorschrift des § 613 a BGB dar. Die Klägerin hat, soweit in der Berufung noch von Belang, beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis (zwischen der Klägerin und) der S. GmbH durch die Kündigung des Beklagten zu 1 nicht zum 30.11.2004 (richtigerweise 31.01.2005) beendet wird (wurde).

2. ...

3. Es wird festgestellt, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten Ziff. 3 seit dem 06.11.2004 ein Arbeitsverhältnis zu den zwischen der Klägerin und der Fa. S. GmbH bestehenden Bedingungen, wie er sich aus dem Arbeitsvertrag vom 21.03.2002 ergeben, besteht.

Die Beklagten haben Klagabweisung beantragt.

Der Beklagte zu 1 sei wegen des Entzuges des Sortierauftrages gezwungen gewesen, den Betrieb stillzulegen. Die Beklagten zu 2 und 3 haben einen Betriebsübergang in Abrede gestellt, die Beklagte zu 2 schon deshalb, weil sie lediglich Leiharbeitnehmer zur Verfügung gestellt habe. Die Beklagte zu 3 führe keine Dienstleistungen aus, die zuletzt von Arbeitnehmern der S. GmbH verrichtet worden seien. Die Voraussetzungen für einen Betriebsübergang lägen nicht vor. Es seien weder Arbeitnehmer, noch Betriebsmittel übertragen worden. Sie hätte auch nie die Verfügungsgewalt über die Sortieranlage erlangt und mit ihr auch keinen eigenen Betriebszweck erfüllt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Kündigung der Beklagten zu 1 sei sozial gerechtfertigt, weil der Betrieb eingestellt worden sei. Ein Betriebsübergang von der Insolvenzschuldnerin auf die Beklagten zu 2 und/oder 3 habe nicht stattgefunden. Bezüglich der Beklagten zu 2 gebe es schon keinerlei Anhaltspunkte für einen solchen. Auch auf die Beklagte zu 3 sei kein Betrieb oder Betriebsteil übergegangen. Arbeitnehmer seien nicht übernommen worden und es sei auch kein "eigenwirtschaftlich nutzbares Betriebsmittel" übertragen worden, weil die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin und der Beklagten zu 3 nicht "mit", sondern "an" der im Eigentum der Fa. S. B. GmbH stehenden Müllsortieranlage gearbeitet hätten. Eine unzulässige Umgehung liege nicht vor. Es sei der unternehmerischen Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit überlassen, ob es zu einem Betriebsübergang kommt oder nicht. Zur näheren Sachdarstellung wird das Urteil vom 19.05.2005 in Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das am 01.09.2005 zugestellte Urteil am 27.09.2005 Berufung eingelegt, hinsichtlich der Beklagten zu 2 die Berufung am 29.11.2005 wieder zurückgenommen und die Berufung im Übrigen innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 29.11.2005 ausgeführt. Sie verfolgt gegenüber den Beklagten zu 1 und 3 ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter und stellt Klagantrag Ziff. 1 in der richtigen Fassung. Sie meint entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege eine eigenwirtschaftliche Nutzung der Sortieranlage durch die Insolvenzschuldnerin und die Beklagte zu 3 vor, die zu erbringende Tätigkeit, die Auftraggeberin, die Räumlichkeit und die Betriebsmittel die benutzt werden, seien somit identisch.

Die Beklagten verteidigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

Wegen des Parteivortrages im Einzelnen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen in beiden Rechtszügen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.

I.

Die Kündigung des Beklagten zu 1 ist nicht nach § 613 a Abs. 4 BGB unwirksam. Das Arbeitsgericht hat einen Betriebs- oder Betriebsteilübergang von der Beklagten zu 1 auf die Beklagte zu 3 gem. § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB zutreffend verneint.

1.) Ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB liegt dann vor, wenn eine wirtschaftliche Einheit unter Wahrung ihrer Identität fortgeführt wird. Bei der Prüfung, ob eine solche Einheit übergegangen ist, kann es unter anderem auf den Übergang bzw. die Überlassung materieller Betriebsmittel, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, die Identität der Kundschaft, den Grad der Ähnlichkeit der verrichteten Tätigkeiten und die übernommene Arbeitsorganisation ankommen. Dabei kann in betriebsmittelgeprägten Betrieben ein Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal gegeben sein. Der Ausschluß der eigenwirtschaftlichen Nutzung von überlassenen Betriebsmitteln steht - entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts - einem Betriebsübergang nicht entgegen. Die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen Auftragnehmer (Funktionsnachfolger) stellt keinen Betriebsübergang dar (so zutreffend BAG 06.04.2006 - 8 AZR 222/04 - NZA 2006, 723-727).

Im Ergebnis nichts anderes gilt beim Erwerb eines Betriebsteils. Bei den übertragenen sächlichen und immateriellen Betriebsmitteln muß es sich um eine organisatorische Untergliederung handeln mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird. Voraussetzung ist daher, dass die übernommenen Betriebsmittel bereits beim früheren Betriebsinhaber die Qualität eines Betriebsteils hatten und der entsprechende Bereich beim Veräußerer organisatorisch verselbständigt war (so zutreffend BAG 27.10.2005 - 8 AZR 45/05 m. w. N.).

2.) Bei der gegebenen Sachlage kommt weder ein Betriebs- noch ein Betriebsteilübergang in Betracht.

Dahinstehen kann, ob die S. GmbH mit der Übernahme der Sortiertätigkeiten eine wirtschaftliche Einheit geführt hat, die in einer Weise betriebsmittelgeprägt war, dass sie einem Betriebsübergang auch ohne Übernahme von Personal zugänglich war oder ob diese Tätigkeiten dem Dienstleistungsbereich - wie z. B. Reinigung und Bewachung - zuzuordnen waren, so dass ein Betriebsübergang überhaupt nur bei Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teils des Personals angenommen werden könnte. Denn bereits aus anderen Gründen hat die Übernahme der Spätschicht durch die Beklagte zu 3 zu keinem Betriebs- bzw Betriebsteilübergang geführt.

a) Ein Betriebsübergang zum 01.07.2004 kommt nicht in Betracht. Die S. GmbH hat ihren Betrieb nicht insgesamt eingestellt. Sie mußte infolge der Vertragsänderung mit der S. B. GmbH nur etwa die Hälfte ihres Auftragsvolumens abgeben, konnte jedoch ihre bis zu diesem Zeitpunkt ausgeübten betrieblichen Aktivitäten mit ihrem Mitarbeiterstamm weiterhin in der Frühschicht fortsetzen. Ihre finanziellen Schwierigkeiten standen dem nicht entgegen.

b) Die Übernahme der Spätschicht durch die Beklagte zu 3 hat ebenfalls nicht zu einem Betriebsteilübergang geführt. Die Spätschicht wurde zuvor bei der S. GmbH nicht als selbständig abtrennbare organisatorische Einheit geführt. Die mit den Sortierarbeiten beschäftigten Arbeitnehmer wurden in Wechselschicht eingesetzt, eine organisatorische Verselbständigung der Früh- bzw der Spätschicht kann unter diesen Umständen nicht festgestellt werden.

c) Auch zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am 06.11.2004, als der Beklagte zu 1 als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH die Sortiertätigkeiten wegen Kündigung des Sortiervertrages durch die S. B. GmbH eingestellt hat, hat kein Betriebs- oder Betriebsteilübergang auf die Beklagte zu 3 stattgefunden. Es fehlt bereits an der Grundvoraussetzung für die Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Auf die Beklagte zu 3 sind zu diesem Zeitpunkt keine materiellen, immateriellen oder personellen Betriebsmittel übergegangen. Zusätzliche Sortiertätigkeiten hat sie nicht übernommen, sie ist weiterhin nur ihren Verpflichtungen aus dem mit Wirkung vom 01.07.2004 abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag nachgekommen.

II.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass eine unzulässige Umgehung des § 613 a BGB nicht feststellbar ist. Dem schließt sich die erkennende Kammer sowohl im Ergebnis, als auch in der Begründung vollumfänglich an.

Die Beauftragung der Beklagten zu 3 stellt für sich keine Umgehung des § 613 a BGB dar. Durch sie wurde ein etwa möglicher Betriebsübergang nicht vereitelt. Auch wenn es tatsächlich Anliegen gewesen sein sollte, den Betrieb der S. GmbH durch verschiedene Maßnahmen der S. B. GmbH wie z. B. Kündigung des Beherrschungsvertrages, Verkauf der Geschäftsanteile, Halbierung des Sortierauftrages zu liquidieren, so hat die Übertragung der Spätschicht auf die Beklagte zu 3 nicht zur Folge gehabt, dass der "Betrieb" der Beklagten zu 1 untergegangen ist bzw. auch bei Fortsetzung der Sortiertätigkeit nicht mehr übertragbar gewesen wäre und somit ein etwaiger Betriebsübergang verhindert worden wäre. An der Organisation und den Arbeitsabläufen hat sich nach der Teilung des Sortierauftrages nichts geändert, so dass bei Vorliegen der unter I. 1.) dargestellten Voraussetzungen ein Betriebsübergang weiterhin nicht ausgeschlossen war.

III.

Die Kündigung des Beklagten zu 1 vom 29.10.2004 zum 31.01.2005 ist gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

Durch die Kündigung des Dienstleistungsvertrages durch die S. B. GmbH gegenüber dem Beklagten zu 1 mit sofortiger Wirkung zum 06.11.2004 ist der Arbeitsplatz der Klägerin, die nur mit Aufgaben dieses Dienstleistungsvertrages befaßt war, entfallen. Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit bestand ersichtlich nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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