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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 02.02.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 102/04
Rechtsgebiete: BetrVG, ETV, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 38
ETV § 2
ETV § 2.1
ETV § 4
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 102/04

Verkündet am 02.02.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Dalitz und den ehrenamtlichen Richter Ebert auf die mündliche Verhandlung vom 02.02.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 02.09.2004 - Az.: 19 Ca 9411/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Bezahlung der sogenannten ERA-Strukturkomponente.

Die Kläger, beide Mitglieder der Industriegewerkschaft Metall, sind bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt und derzeit gemäß § 38 BetrVG freigestellte Betriebsratmitglieder. Die Beklagte ist Mitglied des Verbandes der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. - Südwestmetall. Den Arbeitsverhältnissen beider Kläger liegt jeweils ein "außertariflicher Anstellungsvertrag" zugrunde, der in Ziff. 2 (Bezüge) lautet:

Als Vergütung für Ihre Tätigkeit erhalten Sie monatlich ein Bruttogehalt von ..... Das Gehalt ist am letzten Arbeitstag jeden Monats fällig und liegt außer Tarif. .... Wir sichern Ihnen zu, dass Ihr monatliches Bruttogehalt über dem Tarifgehalt der obersten entsprechenden Tarifgruppe liegt.

.....

Beide Kläger erhalten ein weit über dem Entgelt der höchsten tariflichen Entgeltgruppe (K 7) liegendes Arbeitsentgelt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über Entgelte und Ausbildungsvergütungen für die Beschäftigten und Auszubildenden in der Metall- und Elektroindustrie in Nord-Württemberg/Nord-Baden vom 15.05.2003 (ETV) Anwendung.

§ 2 ETV (Entgelt) lautet auszugsweise:

2.1 Mit Wirkung ab 01. Juni 2002 erhöht sich das Tarifvolumen um insgesamt 4 %, mit Wirkung ab 01. Juni 2003 um weitere 3,1 %. Diese Erhöhungen werden jeweils wie folgt auf zwei Komponenten verteilt:

Mit Wirkung ab 01. Juni 2002 werden die Entgelte (Löhne und Gehälter) um 3,1 % erhöht, mit Wirkung ab 01. Juni 2003 um weitere 2,6 %. Das restliche Erhöhungsvolumen von 0,9 % bzw. 0,5 % fließt in ERA-Strukturkomponenten.

....

§ 4 ETV (ERA-Strukturkomponente) lautet auszugsweise:

4.1 Die Beschäftigten und Auszubildenden erhalten für die Periode vom 01. Juni 2002 bis 31. Dezember 2003 ERA-Strukturkomponenten als Einmalzahlung für

a) den Zeitraum vom 01. Juni 2002 bis 31. Dezember 2002 mit der Abrechnung vom Juli 2002, die sich folgendermaßen berechnet: 8,24 x 0,9 % : 1,031 multipliziert mit dem

b) den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis 31. Mai 2003 mit der Abrechnung vom April 2003, die sich folgendermaßen berechnet: 5,00 x 0,9 % : 1,031 multipliziert mit dem

c) den Zeitraum vom 01. Juni 2003 bis 31. Dezember 2003 mit der Abrechnung vom September 2003, die sich folgendermaßen berechnet: 8,24 x 0,5 % : 1,026 multipliziert mit dem individuellen regelmäßigen Monatsentgelt.....

Die Beklagte hat die Gehälter der Kläger nicht gemäß § 2.1 ETV erhöht und folglich auch keine ERA-Strukturkomponenten bezahlt.

Die Eingruppierung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei der Beklagten erfolgt auf der Basis der von einer paritätischen Kommission ermittelten Arbeitsplatzwerte der Tätigkeit. Dabei werden Arbeitsplatzwerte von 1 - 13 einer Tarifgruppe des ETV zugeordnet. Die Tätigkeiten der Kläger vor ihrer Freistellung als Betriebsrat entsprachen jeweils einem Arbeitsplatzwert von 15.

Die Kläger sind der Auffassung, dass der ETV auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet und sie deshalb die ERA-Strukturkomponenten beanspruchen können.

Die Beklagte ist der Meinung, dass die Kläger keinen Anspruch auf Zahlung der ERA-Strukturkomponenten haben. Die Kläger erhielten ein (außertarifliches) Gehalt, das nicht auf einem Tarifgehalt aufbaue. An die Kläger müsse deshalb nicht eine Tariferhöhung weitergegeben werden.

Das Arbeitsgericht hat im am 02.09.2004 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Urteil insbesondere an, dass sich die Vergütung der Kläger nicht aus einem Tarifgehalt, einer Leistungszulage und einer freiwilligen Zulage zusammensetze. Die von den Klägern vor ihrer Freistellung ausgeübte Tätigkeit sei von den Tarifvertragsparteien nicht bewertet und deshalb seien auch keine entsprechenden tariflichen Eingruppierungsmerkmale festgelegt worden. Die Tarifvertragsparteien hätten deshalb darauf verzichtet, für bestimmte hochwertige Tätigkeiten eine tarifliche Entgeltregelung zu treffen. Wegen des erstinstanzlichen Sachverhaltes und der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Gegen dieses den Klägern nicht vor dem 21.09.2004 zugestellte Urteil (das Empfangsbekenntnis der Prozessbevollmächtigten der Kläger enthält kein Datum) richtet sich die am 12.10.2004 eingelegte und am 22.11.2004, einem Montag, begründete Berufung der Kläger. Zur Begründung der Berufung tragen die Kläger insbesondere vor, dass sie in den persönlichen Geltungsbereich des einschlägigen Manteltarifvertrages und des ETV fielen. Die Kläger seien keine AT-Angestellte. Gemäß den Bestimmungen des MTV habe die Beklagte die Gehaltsbestandteile der Kläger nach Grundgehalt, Leistungszulage und übertariflicher Zulage aufzuschlüsseln. Da dies die Beklagte unterlassen habe, sei zugunsten der Kläger davon auszugehen, dass es sich bei dem Entgelt, das über dem Grundgehalt liege, um eine Leistungszulage handele. Eine Verrechnung der Leistungszulage mit einer ERA-Strukturkomponente scheitere an der fehlenden Zweckidentität der jeweiligen Entgeltbestandteile. Auch übertarifliche Entgeltbestandteile dürften aus demselben Grund nicht mit einer ERA-Strukturkomponente verrechnet werden. Wegen des weiteren Vorbringens der Kläger im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 22.11.2004 (Bl. 6 - 9 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird die Beklagte verurteilt, an die Kläger jeweils € 1.046,78 brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank aus € 475,29 seit 25. Juli 2003, aus 169,43 € seit 01.10.2003, aus € 194,10 seit 01. April 2004, sowie aus € 207,96 seit 01. November 2004, zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt in der zweiten Instanz insbesondere vor, dass die Kläger bei der Beklagten aufgrund eines außertariflichen Anstellungsvertrages als sogenannte AT-Angestellte beschäftigt würden. Sie unterfielen zwar dem persönlichen Geltungsbereich des einschlägigen Manteltarifvertrages. Das Gehalt der Kläger sei jedoch individuell vereinbart worden und gliedere sich nicht in ein tarifliches Gehalt und eine außertarifliche Zulage. Für die von den Klägern ausgeübte Tätigkeiten existierten keine tariflichen Entgeltregelungen. An sie müssten deshalb Tariferhöhungen nicht weitergegeben werden. Sie hätten deshalb auch keinen Anspruch auf Bezahlung der ERA-Strukturkomponenten. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 27.12.2004 (Bl. 26 - 31 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Kläger ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung der Kläger keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Bezahlung der ERA-Strukturkomponente im Zeitraum 2002 bis 2004 gemäß § 4 ETV.

Zwar unterfallen beide Kläger dem persönlichen Geltungsbereich des ETV (§ 1.1.3 ETV). Beide Kläger haben jedoch sogenannte außertarifliche Anstellungsverträge abgeschlossen, die im fraglichen Zeitraum 2002 bis 2004 weit über dem Tarifgehalt der höchsten Tarifgruppe K 7 liegende Vergütungen vorsehen. Beim Kläger E. lag die Grundvergütung im Zeitraum vom 01.06.2002 bis 31.12.2003 zwischen 5.854,29 € und 6.139,88 € brutto. Beim Kläger I. lag die Grundvergütung in diesem Zeitraum zwischen 5.675,34 € und 5.956,28 € brutto. Das Tarifgehalt der Tarifgruppe K 7 betrug ab 01.06.2002 € 3.738,49 brutto, ab 01.06.2003 € 3.835,69 brutto und ab 01.03.2004 € 3.893,23 brutto zuzüglich der Leistungszulage für Angestellte. Dabei muss die Leistungszulagensumme im Durchschnitt aller Tarifangestellten eines Betriebes 10 % der Tarifgehaltssumme betragen.

Entgegen der Auffassung der Kläger, dass sich ihre Vergütung aus einem Tarifgehalt der Tarifgruppe K 7, der Leistungszulage und einer übertariflichen Zulage zusammensetze, ist in den beiden "außertariflichen Anstellungsverträgen" jedoch unabhängig von der tariflichen Gehaltsskala ein einheitliches übertarifliches (nicht außertarifliches) Gehalt vereinbart worden.

Den Klägern ist zuzustimmen, dass sich eine übertarifliche Vergütung auch aus einem Tarifgehalt und einer übertariflichen Zulage zusammensetzen kann. Das muss aber nicht so sein. Nicht in jedem Fall, in dem kraft Tarifbindung Anspruch auf das Tarifgehalt besteht, kann angenommen werden, dass mit einem übertariflichen Gehalt stillschweigend zugleich vereinbart ist, dass sich dieses Gehalt aus dem Tarifgehalt und einer übertariflichen Zulage zusammensetzt. Eine solche Vereinbarung setzt vielmehr voraus, dass die Arbeitsvertragsparteien bei der Festlegung des frei vereinbarten Gehaltes auf dem Tarifgehalt aufgebaut haben. Das Tarifgehalt muss zumindest als Rechnungsposten berücksichtigt worden sein. Hiervon ist der Fall zu unterscheiden, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber völlig unabhängig von der tariflichen Gehaltsskala einen Gehaltsbetrag vereinbaren. Hat das Tarifgehalt erkennbar keine Rolle gespielt, so kann auch eine Zulage zum Tarifgehalt nicht Gegenstand der Vereinbarung sein. Die Annahme der stillschweigenden Vereinbarung einer zum Tarifgehalt hinzutretenden Zulage würde den Vertragsparteien eine Regelung unterstellen, die sie nicht treffen wollten. Haben sich die Vertragsparteien bei der Gehaltsvereinbarung über die tarifgerechte Eingruppierung des einzelnen Arbeitnehmers keinerlei Gedanken gemacht, so ist dies ein deutliches Indiz gegen die stillschweigende Vereinbarung einer Zulage zum Tarifgehalt. Wer eine Zulage vereinbart, muss sich auch über die Basis einigen, auf welche die Zulage aufgestockt werden soll (BAG 28.09.1994 - 1 AZR 870/93 - AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung, Gründe III).

Wenn man unter diesen Gesichtspunkten die beiden "außertariflichen Anstellungsverträge" betrachtet, ist festzustellen, dass in beiden Anstellungsverträgen ein einheitliches übertarifliches Gehalt vereinbart worden ist, das auf keine Tarifgruppe aufbaut. Die Vertragsparteien haben vereinbart, dass das Gehalt "außer Tarif" liegt. Eine Tarifgruppe ist im Anstellungsvertrag nicht einmal erwähnt. Auch eine übertarifliche Zulage, die zwingend ein Tarifgehalt voraussetzt, ist nicht angesprochen worden. Die Vertragsparteien haben somit eine einheitliche Vergütung unabhängig von Tarifgehalt, Leistungszulage und übertariflicher Zulage vereinbart.

Entgegen der Ansicht der Kläger, wonach der Manteltarifvertrag bestimme, dass eine vereinbarte Vergütung nach Grundgehalt, Leistungszulage und übertariflicher Zulage aufzuschlüsseln sei, können die Parteien des Arbeitsvertrages von diesen tarifvertraglichen Bestimmungen zugunsten des Arbeitnehmers abweichen und eine (hier deutlich) höhere einheitliche übertarifliche Vergütung vereinbaren (§ 4 Abs. 3 TVG, sog. Günstigkeitsprinzip). Aus diesem Grund ergibt sich für die Kläger vorliegend kein Anspruch auf eine Erhöhung der Vergütung gemäß § 2 ETV (weder linear noch in Form der ERA-Strukturkomponenten), weil selbst das höchste Tarifgehalt nebst tariflicher Leistungszulage im maßgeblichen Zeitraum weit unterhalb der von den Klägern bezogenen Gehältern lag.

Es kommt im vorliegenden Rechtsstreit deshalb auch nicht auf die Frage an, ob eine übertarifliche Zulage mit einer Tariferhöhung in Form einer ERA-Strukturkomponente verrechnet werden kann, wenn die Zulage und die Einmalzahlung einen übereinstimmenden Zweck haben (vgl. BAG 14.08.2001 - 1 AZR 744/00 - AP Nr. 4 zu § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede).

III.

Da somit die Berufungen der Kläger keinen Erfolg haben konnten, haben sie die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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