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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 22.06.2005
Aktenzeichen: 2 Sa 11/05
Rechtsgebiete: SGB IX


Vorschriften:

SGB IX § 81 Abs. 4

Entscheidung wurde am 07.10.2005 korrigiert: am Ende der Entscheidung stehende Textfragmente wurden entfernt
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 2 Sa 11/05

verkündet am 22.06.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, die ehrenamtliche Richterin Bayerbach und den ehrenamtlichen Richter Breslauer auf die mündliche Verhandlung vom 22.06.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 12.01.2005 - Az.: 4 Ca 229/04 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Flach schleifer zu beschäftigen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger als Flachschleifer zu beschäftigen.

Der am 15.08.1947 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit 07.08.1978 bei einem Bruttomonatsverdienst von zuletzt 2.492,00 € als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Von Dezember 1979 bis Februar 2003 arbeitete der Kläger als Flachschleifer und war zuletzt in der kleinmechanischen Abteilung an der Flachschleifmaschine SF 4 eingesetzt. Dort musste er Werkstücke aus Stahlguss, die an seinen Arbeitsplatz auf Paletten angeliefert werden und die je nach Auftrag sehr geringe Gewichte bis zu Teilgewichten von 20 bis 30 kg haben, von Hand oder per Hebekran auf die Arbeitsfläche der Schleifmaschine heben und von dort per Hand ca. 30 cm hoch zum Magneten führen. Die Schleifscheibe, die je nach Schleifgut ein oder mehrmals am Tag ausgewechselt werden muss, wiegt ca. 9 kg.

Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Seit dem 28.10.2002 ist er einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Der Kläger hat seit längerer Zeit Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und in den Ellbogengelenken bei Wirbelsäule und Ellbogen belastenden Tätigkeiten. Nach einem ärztlichen Attest vom 25.05.2000 soll der Kläger nicht mehr als 5 kg tragen. Nach den nicht widersprochenen Angaben der Beklagten war der Kläger im Jahr 2000 an 30 Arbeitstagen, im Jahr 2001 an 36 Arbeitstagen und im Jahr 2002 an 26 Arbeitstagen arbeitsunfähig. Vom 06.02.2003 bis zum 16.08.2004 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig und bezog zuletzt Krankengeld.

Die Beklagte, die derzeit im Werk H. ca. 1400 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt, ist Systempartner für die Automobil- und blechbearbeitende Industrie, insbesondere im Werkzeugbau. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metallindustrie Nord-Württemberg/Nord-Baden Anwendung. Gemäß § 4.4 des Manteltarifvertrages (Kündigungsschutz für ältere Beschäftigte) kann der Kläger nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Bei der Beklagten besteht ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Nach den nicht widersprochenen Angaben der Beklagten erfüllt sie ihre Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen gemäß § 71 SGB IX.

Anfang Februar 2003 strukturierte die Beklagte die Arbeitsplätze an den Flachschleifmaschinen um. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in einer Schicht acht Arbeitnehmer an jeweils einer Flachschleifmaschine beschäftigt. Ab Februar 2003 müssen nur noch vier Mitarbeiter in einer Schicht jeweils zwei Flachmaschinen, eine größere und eine kleinere Maschine, gleichzeitig bedienen. Dem Flachschleifer der Flachschleifmaschine SF 4 wurde zusätzlich die größere Schleifmaschine SF 20 zugeordnet. An dieser Schleifmaschine, wie an den anderen drei großen Schleifmaschinen, müssen deutlich größere und bis zu 150 kg schwere Werkstücke gehoben und bewegt werden. Die Schleifscheibe wiegt zwischen 20 und 30 kg. An einer solchen großen Schleifmaschine war der Kläger noch nie eingesetzt. Im Zusammenhang mit diesen Umstrukturierungsmaßnahmen arbeitete der Kläger - während seiner Arbeitsunfähigkeit - auf dem Arbeitsplatz eines Gabelstaplerfahrers. Nach drei Tagen musste der Einsatz des Klägers aus gesundheitlichen Gründen abgebrochen werden. Der Kläger legte in diesem Zusammenhang ein Attest vom 11.03.2003 vor (Bl. 7 der erstinstanzlichen Akte).

Am 08.10.2003 gab der Betriebsarzt der Beklagten eine Stellungnahme ab, dass der Kläger für den Arbeitsplatz eines Flachschleifers nicht mehr geeignet sei (Bl. 27 der erstinstanzlichen Akte). Nach einem Attest seines behandelnden Arztes vom 01.06.2004 (Bl. 38 der erstinstanzli-chen Akte) bestand bei dem Kläger Arbeitsfähigkeit ab dem 01.06.2004 für mittelschwere körperliche Tätigkeiten mit Ausschluss von körperlichen Zwangshaltungen.

Am 23.09.2003 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Die Zustimmung wurde mit Bescheid vom 08.10.2003 verweigert. Diesen Bescheid hat die Beklagte nicht angefochten. Seither verfolgt die Beklagte keine Kündigung mehr. Sie beschäftigt den Kläger nicht und bezahlt keine Vergütung.

Mit seiner beim Arbeitsgericht am 30.04.2004 eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Beschäftigung als Flachschleifer. Er ist der Auffassung, dass er auch nach der betrieblichen Umstrukturierung als Flachschleifer arbeiten kann.

Der Kläger hat in der ersten Instanz beantragt,

die beklagte Partei zu verurteilen, den Kläger im Berufsbild des Flachschleifers oder in einem vergleichbaren Berufsbild, insbesondere in dem eines Zerspanungsmechanikers im Bereich Schleiftechnik oder als Maschinen- und Anlagenführer zu einem monatlichen Bruttogehalt von € 2.493,00 zuzüglich anfallender Zuschläge und weiterer betriebsüblicher vermögenswirksamer Leistungen nach Tarifvertrag zu beschäftigen.

Die Beklagte hat in der ersten Instanz beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Meinung, dass bei dem Kläger eine dauerhafte Unmöglichkeit zum Einsatz als Flachschleifer besteht. Der Kläger könne weder an der kleinen noch an der großen Schleifmaschine schwerere Werkstücke schleifen. Zudem sei der Kläger zuletzt als Staplerfahrer eingesetzt worden. Auch diese Tätigkeit könne der Kläger unstreitig nicht mehr ausüben. Ohne Ausspruch einer Kündigung sei die Beklagte auch nicht zur Prüfung von Einsatzmöglichkeiten auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz verpflichtet.

Das Arbeitsgericht hat ein orthopädisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der beauftragte Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 25.10.2004 insbesondere ausgeführt, dass beim Kläger eine kurzbogige linkskonvexe Lumbalskoliose und ein weitgehender Aufbrauch der Lendenbandscheibe LW 2/3 bestehe und wegen dieses Befundes Tätigkeiten mit häufigem Bücken, Heben und Tragen über 10 kg nicht bzw. nicht ohne Gefährdung der Restgesundheit zumutbar seien. Die ebenfalls diagnostizierte knöcherne Ausziehung am Ellenhaken beidseits und die leichte Arthrose im Ellbogengelenk beeinträchtige den Kläger bei schnell aufeinanderfolgenden Bewegungen von Fingern, Hand- und Unterarm sowie bei Handgelenksbelastungen über 10 kg. Der Sachverständige kommt zum Ergebnis, dass die Tätigkeit als Flachschleifer für den Kläger unter bestimmten Bedingungen zumutbar ist, nämlich dann, wenn kleine Werkstücke in den Flachschleifer eingespannt werden müssen. Zumutbar seien dem Kläger leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne häufige Rumpfvorbeugung, ohne Rumpferschütterungen, ohne Heben und Tragen über 10 kg im Stehen und/oder Gehen und/oder Sitzen vollschichtig. Auf den weiteren Inhalt des Sachverständigengutachtens wird Bezug genommen (Bl. 135-147 der erstinstanzlichen Akte).

Das Arbeitsgericht hat außerdem den Zeugen K. zur Arbeitsplatzgestaltung des Klägers vernommen. Insoweit wird auf das Protokoll vom 12.01.2005 verwiesen (Bl. 189 - 191 der erstinstanzlichen Akte).

Das Arbeitsgericht hat im am 12.01.2005 verkündeten Urteil die Klage abgewiesen. Die Klagabweisung hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass der Kläger keinen Anspruch auf Beschäftigung als Flachschleifer habe. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme stehe für die Kammer fest, dass der Kläger den Arbeitsplatz als Flachschleifer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr besetzen könne. Aus dem orthopädischen Sachverständigengutachten gehe hervor, dass dem Kläger hebende und tragende Tätigkeiten mit Werkstücken über 10 kg unzumutbar seien. Aufgrund der Zeugenvernehmung stehe für die Kammer jedoch fest, dass es am Arbeitsplatz eines Flachschleifers bei der Beklagten erforderlich sei, Gewichte von mehr als 10 kg zu heben. Eine Umorganisation des Arbeitsplatzes eines Flachschleifers in der Weise, dass nur noch Werkstücke bis zu 10 kg bearbeitet werden müssen, sei für die Beklagte unzumutbar. Der Zeuge habe nachvollziehbar geschildert, dass eine solche Umorganisation zu einem Durcheinander und zu Wartezeiten führen würden, da Aufträge auseinander gerissen werden müssten und so nicht mehr gewährleistet sei, dass ein Auftrag komplett in die nächste Abteilung, den Werkzeugbau, weitergegeben werden könne. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seite 6 bis 9 angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses dem Kläger am 20.01.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.01.2005 eingelegte und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ausgeführte Berufung des Klägers. In seiner Begründung der Berufung kritisiert der Kläger zunächst, dass sich das orthopädische Sachverständigengutachten nicht mit dem konkreten Arbeitsplatz des Klägers beschäftige. Der Kläger weist darauf hin, dass ein Mitarbeiter der Beklagten, der einen Grad der Behinderung von 80 habe, als Flachschleifer an zwei Schleifmaschinen beschäftigt werde. Dadurch sei eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegeben. Auch der Kläger könne an einer oder an zwei Flachschleifmaschinen bei Fertigungstücken bis zu 10 kg eingesetzt werden. Die Beklagte verletze die besondere Fürsorgepflicht gegenüber dem schwerbehinderten Kläger. Sie habe es unterlassen, den Arbeitsplatz des Klägers so auszustatten, dass er an einer oder an zwei Flachschleifmaschinen arbeiten könne. Im Übrigen handele die Beklagte rechtsmiss-bräuchlich. Nach Ablehnung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung werde der Kläger "kaltgestellt". Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 20.04.2005 verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Flachschleifer zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt insbesondere vor, dass eine Tätigkeit des Klägers als Flachschleifer bei der Beklagten unmöglich sei. Schon an den kleinen Schleifmaschinen, z.B. SF 4, müssten jedenfalls nach der Umstrukturierung im Februar 2003 Werkstücke mit Teilgewichten bis zu 30 kg bearbeitet werden. Das Einrichten der Werkstücke mit einem Hebekran sei ausgeschlossen. Die Werkstücke müssten von Hand 30 cm hochgehoben und zum Magneten geführt werden. Schon diese Tätigkeiten könne der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht verrichten. An den großen Schleifmaschinen sei der Kläger erst recht nicht einsetzbar, da hier die Gewichtsbelastung praktisch immer über 10 kg liege. Es könne von der Beklagten nach der Umorganisation im Februar 2003 auch nicht verlangt werden, den Kläger nur an einer kleinen Schleifmaschine zu beschäftigen. Dann müssten in jeder Schicht fünf Arbeitnehmer eingesetzt werden. Im Übrigen habe die Zuordnung eines Maschinenpaars an einen Flachschleifer seit Februar 2003 den Hintergrund, dass eine komplette Baugruppe, bestehend aus großen und kleinen Werkstücken an einem Maschinenpaar bearbeitet werden könne. Wartezeiten und Verzögerungen würden so auf ein Minimum beschränkt. Ein solcher Auftrag würde zerstückelt, wenn der Kläger nur Werkstücke unter 10 kg bearbeite. Die Beklagte weist darauf hin, dass für den Arbeitnehmer mit einem Grad der Behinderung von 80 keine Atteste vorlägen, aus denen sich eine eingeschränkte Einsatzfähigkeit dieses Arbeitnehmers ergebe. Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf den in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsatz vom 24.05.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gem. § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Beschäftigung als Flachschleifer an den Schleifmaschinen der Beklagten. Zwar hat der Kläger mangels einer Vereinbarung und einer Konkretisierung keinen Anspruch ausschließlich als Flachschleifer beschäftigt zu werden, sondern nur als gewerblicher Arbeitnehmer. Zwischen den Parteien ist jedoch unstreitig, dass der Kläger derzeit - wenn überhaupt - nur auf dem Arbeitsplatz eines Flachschleifers eingesetzt werden kann. Die Beklagte kann dem Kläger aber jederzeit im Rahmen ihres Direktionsrechtes einen anderen Arbeitsplatz eines gewerblichen Arbeitnehmers zuweisen.

1. Der Kläger hat nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX, der am 01.07.2001 in Kraft getreten ist (davor die gleichlautende Gesetzesfassung in § 14 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchwbG), einen Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung. Der schwerbehinderte Mensch hat einen Anspruch darauf, dass er unter Berücksichtigung seiner Vorbildung und seines Gesundheitszustandes einen Arbeitsplatz erhält, an dem er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (BAG, Urteil 03.12.2002 - 9 AZR 481/01 - AP Nr. 2 zu § 81 SGB IX). Weiter hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer einen individuellen, klagbaren Rechtsanspruch auf behindertengerechte Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung (§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4, 5 SGB IX). So umfasst Nr. 4 z.B. die Dauer und Lage der Arbeitszeit und den Ablauf der Fertigungsorganisation. Nr. 5 bezieht sich auf technische Arbeitshilfen wie z.B. Einrichtungen zur Verringerung des Kraftaufwandes (vgl. Erfurter Kommentar-Rolfs, 5. Aufl. § 81 SGB IX Rn. 15 m.w.N.). Bei der Durchführung derartiger Maßnahmen unterstützen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter den Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen (§ 81 Abs. 4 Satz 2 SGB IX). Im Rahmen der durch § 81 Abs. 4 SGB IX kodifizierten und gegenüber der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gesteigerten Fürsorgepflicht kann der Arbeitgeber auch verpflichtet sein, einen vorhandenen Arbeitsplatz behindertengerecht umzugestalten, an dem der vertragliche Beschäftigungsanspruch erfüllt werden kann. Diese Verpflichtung zur Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes, die bereits zur Vermeidung einer krankheitsbedingten Kündigung besteht (BAG Urteil 29.01.1997 - 2 AZR 9/96 - AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit), besteht erst recht gegenüber einem schwerbehinderten Menschen. Um eine Beschäftigung schwerbehinderter Menschen zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, zumutbare organisatorische Veränderungen vorzunehmen und gegebenenfalls den Arbeitsablauf anders zu organisieren (BAG Urteil 14.07.1983 - 2 AZR 34/82 - n.v., veröffentlicht in juris). Dies kann etwa dann verlangt werden, wenn der Arbeitnehmer nur noch einen Teil der geschuldeten Arbeitsleistung erbringen kann. Dann muss der Arbeitgeber die Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen durch eine andere Verteilung der Arbeiten sichern (vgl. Müller-Wenner, Schorn SGB IX § 81 Rn. 71 mit einem praktischen Beispiel; LAG Hamm Urteil 14.01.1999 - 8 Sa 2175/97 - veröffentlicht in juris: kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen nur noch Gewichte bis 15 kg bewegen, so ist eine hierauf gestützte krankheitsbedingte Kündigung sozialwidrig, wenn eine leidensgerechte Beschäftigung durch geringfügige Änderungen der Betriebsorganisation und durch Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Hebehilfen ermöglicht werden kann und die hierfür entstehenden Kosten aus Mitteln der Ausgleichsabgabe aufgebracht werden).

Die zum alten Schwerbehindertenrecht (§ 14 Abs. 3 Satz 1 SchwbG a.F. bis zum Inkrafttreten von § 14 Abs. 3 Satz 1 SchwbG n.F. am 01.10.2000) ergangene Entscheidung des BAG vom 23.01.2001 (9 AZR 287/99 - AP Nr. 1 zu § 81 SGB IX), wonach ein Eingriff in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers nicht zulässig ist, wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigungsquote erfüllt hat und dann keine überobligationsmäßigen Anstrengungen schulde, ist nach Inkrafttreten des § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX überholt. Gemäß § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX steht der Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf behindertengerechte Beschäftigung und Gestaltung von Arbeitsplatz und Arbeitsumgebung unter dem Vorbehalt, dass eine Erfüllung für den Arbeitgeber zumutbar und nicht mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden ist. Eine erforderliche Maßnahme ist nicht mehr zumutbar, wenn die Kosten für den Arbeitgeber - trotz der möglichen finanziellen Unterstützung durch die Bundesagentur für Arbeit und das Integrationsamt aus Mitteln der Ausgleichsabgabe (§§ 77 Abs. 5, 102 Abs. 3 SGB IX) - unverhältnismäßig hoch wären. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine Maßnahme einen erheblichen finanziellen Aufwand erfordert und das Arbeitsverhältnis schwerbehinderten Menschen in absehbarer Zeit aufgrund Befristung oder des Erreichens der Altersgrenze endet. Die wirtschaftliche Lage des Gesamtunternehmens, nicht nur eines Betriebsteils oder eines Betriebs innerhalb eines Unternehmens, ist unter anderem dann unzumutbar belastet, wenn die Maßnahme nur unter der Gefahr des Verlustes anderer Arbeitsplätze durchführbar ist oder sie zu unzumutbaren Belastungen anderer Arbeitnehmer des Unternehmens führt (Rolfs, Die Pflichten des Arbeitgebers und die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer nach § 81 SGB IX, BB 2002, 1260, 1263).

2. Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze steht für die erkennende Kammer fest, dass eine Beschäftigung des Klägers als Flachschleifer an den Schleifmaschinen der Beklagten nicht unmöglich ist und der Vortrag der Beklagten auch nicht die Annahme rechtfertigt, dass eine möglicherweise erforderliche Umorganisation der Schleifarbeitsplätze für die Beklagte nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre.

Zunächst ist davon auszugehen, dass der Kläger, der 24 Jahre lang als Flachschleifer bei der Beklagten gearbeitet hat, Schleifarbeiten qualifikationsmäßig verrichten kann. Nach dem Sachverständigengutachten steht auch fest, dass der Kläger gesundheitlich in der Lage ist, Werkstücke bis zu 10 kg vollschichtig zu bearbeiten. Er kann deshalb an der Schleifmaschine SF 4 bei den überwiegend anfallenden Werkstücken bis 10 kg unproblematisch eingesetzt werden. Die bei der Beklagten insgesamt anfallenden Schleifarbeiten im Bereich der Werkstücke bis 10 kg an allen 8 Schleifmaschinen füllen auch bei Weitem den Umfang eines Arbeitsplatzes aus. Deshalb ist zunächst festzuhalten, dass der Kläger an einer kleinen Schleifmaschine mit Werkstücken bis 10 kg vollschichtig beschäftigt werden kann. Streitig zwischen den Parteien ist, ob die Beklagte durch technische Hilfen (z.B. Hebevorrichtungen) die Schleifmaschine so umgestalten kann, dass der Kläger auch schwerere Werkstücke schleifen kann. Angesichts der beschriebenen Gesetzeslage verwundert die Rechtsansicht der Beklagten, dass sie ohne Ausspruch einer Kündigung nicht zur Prüfung von Einsatzmöglichkeiten auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz verpflichtet sei (Schriftsatz vom 21.07.2004). Die erkennende Kammer ist auch erstaunt, dass die Beklagte bisher in keinem Stadium des Verfahrens die Bundesagentur für Arbeit und das Integrationsamt beratend hinzugezogen und sich nach unterstützenden finanziellen Leistungen erkundigt hat. So ist völlig ungeklärt, ob der Anwendungsbereich der Schleifmaschinen durch technische Vorrichtungen behindertengerecht erweitert werden kann und/oder dem Arbeitgeber finanzielle Leistungen (etwa in Folge der Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers, wenn nicht genügend leichte Werkstücke vorhanden sind) z u-stehen (vgl. § 102 Abs. 3 Nr. 2 SGB IX).

Selbst wenn man aber unterstellt, dass die vorhandenen Schleifmaschinen nicht behindertengerechter gestaltet werden können, steht für die Kammer fest, dass eine leidensgerechte Umorganisation des Arbeitsplatzes an den Schleifmaschinen möglich ist. So könnte der Kläger z.B. an einer oder zwei kleinen Schleifmaschinen oder an einer kleinen und einer großen Schleifmaschine bis 10 kg schwere Werkstücke schleifen. Dazu müsste die Beklagte den Arbeitsablauf so umorganisieren, dass der Kläger aus verschiedenen Aufträgen die leichteren Werkstücke zugeteilt bekommt. Die Kammer verkennt nicht, dass diese Veränderung die unternehmerische Entscheidung, komplette Baugruppen von kleinen und großen Werkstücken von einem Arbeitnehmer an einem Maschinenpaar schleifen zu lassen, beeinträchtigt. Der Vortrag der Beklagten rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass eine solche Umorganisation für die Beklagte unzumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Die teilweise Aufteilung der Aufträge nach dem Gewicht der Werkstücke und die nachherige Zusammenführung der Werkstücke mag mit einem höheren Organisationsaufwand verbunden sein. Zu einem "Durcheinander" oder einer Verzögerung kommt es jedoch nur dann, wenn die getrennte Bearbeitung schlecht organisiert wird. Nach dem Sachvortrag der Beklagten ist für die Kammer jedenfalls nicht erkennbar, dass eine getrennte Bearbeitung von vornherein nicht möglich oder unzumutbar ist. Der Kläger hat deshalb in dem bestehenden Arbeitsverhältnis einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung als Flachschleifer.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 91 ZPO, wonach die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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