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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 05.09.2001
Aktenzeichen: 2 Sa 2/01
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 543
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 72 a
BGB § 242
BGB § 291
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 611
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
2 Sa 2/01

verkündet am 05. September 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Keiper und den ehrenamtlichen Richter Wössner auf die mündliche Verhandlung vom 05.09.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 06.12.2000 - Az.: 22 Ca 5475/00 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.501,27 brutto zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 17.07.2000 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO abgesehen, da das Urteil des Berufungsgerichts der Revision nicht unterfällt.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers Erfolg. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts stehen dem Kläger für den Zeitraum Januar bis April 2000 Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 1.501,27 DM brutto auf Grund betrieblicher Übung zu.

1. Der geltend gemachte Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 611 BGB auf Grund betrieblicher Übung.

Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auch für die Zukunft gewährt werden. Die betriebliche Übung enthält eine Willenserklärung des Arbeitgebers, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB). Auf Grund dessen erwachsen vertragliche Ansprüche der Arbeitnehmer auf die üblich gewordene Vergünstigung. Die Bindungswirkung tritt ein, wenn die Arbeitnehmer auf Grund des Verhaltens des Arbeitgebers darauf vertrauen durften, die Leistung solle auch für die Zukunft gewährt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts z. B. BAG 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk; 26.07.1996 - 3 AZR 352/95 - AP Nr. 7 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung; 05.02.1971 - 3 AZR 28/70 - AP Nr. 10 78 § 242 BGB Betriebliche Übung). Auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers kommt es nicht an. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin dem Verhalten des Arbeitgebers einen Verpflichtungswillen entnehmen kann. Eine irrtümliche Zahlung des Arbeitgebers verhindert nur dann die Entstehung einer Betriebsübung, wenn der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin aus den Umständen den Irrtum erkennen kann (BAG 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - a.a.O., zu II 2 c der Gründe; BAG 11.11.1997 - 3 AZR 163/96 - n.v.).

Bei einer irrtümlichen Zahlung des Arbeitgebers, auf die sich die Beklagte im vorliegenden Fall beruft, differenziert die Rechtsprechung zwischen Arbeitgebern des Öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft.

Für den Bereich des Öffentlichen Dienstes, wo die Arbeitgeber durch Festlegungen des Haushaltsplans gehalten sind, die Bedingungen des Tarifrechts und die Haushaltsvorgaben bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen zu beachten, gilt der Grundsatz, dass ein Arbeitnehmer dort regelmäßig davon ausgehen muss, sein Arbeitgeber wolle nur die Leistungen gewähren, zu denen er rechtlich verpflichtet ist (BAG 14.09.1994 - 5 AZR 679/93 - AP Nr. 46 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 1 b der Gründe). Er kann deshalb nicht darauf vertrauen, dass ihm ohne tarifliche Grundlage eine Zulage als übertarifliches Entgelt auf Dauer gezahlt wird (BAG 10.04.1985 - 7 AZR 36/93 - AP Nr. 19 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Ein Irrtum bei der Anwendung des Tarifrechts begründet im Allgemeinen keinen Vertrauensschutz, das übertarifliche Entgelt sei Vertragsbestandteil geworden (zum Vorstehenden auch: Richardi, Münchener Handbuch Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 13 Rz. 27 m.w.N.).

Dagegen besteht nach der neueren und gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Privatwirtschaft, wo übertarifliche Leistungen generell nicht unüblich sind - so auch bei der Beklagten - ein Anspruch aus betrieblicher Übung grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitgeber sich über die Voraussetzungen der Zahlung geirrt hat (BAG 03.08.1982 - 3 AZR 503/79 - AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; 09.07.1985 - 1 AZR 631/80 - AP Nr. 16 zu § 75 BPersVG; 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - AP Nr. 3 zu 12 AVR Diakonisches Werk; 11.11.1997 - 3 AZR 163/96 - n.v.; Richardi, Münchener Handbuch Arbeitsrecht a.a.O. § 13 Rz. 20; Singer, Neue Entwicklungen im Recht der Betriebsübung, ZfA 93, 487 ff. [495]). Für das Entstehen der betrieblichen Übung genügt im Bereich der Privatwirtschaft, dass der Arbeitgeber wesentlich den objektiven Tatbestand einer betrieblichen Übung, d.h. der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen, gesetzt hat, den die begünstigten Arbeitnehmer als Zusage einer dauernden, auch künftig zu gewährenden Leistung verstehen durften. Für die Bindungswirkung der betrieblichen Übung entscheidend ist deshalb nur die Frage, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen musste (BAG 09.07.1985 - 1 AZR 631/80 - a.a.O.). Eine irrtümliche Zahlung, von der der Arbeitgeber jederzeit wieder einseitig abrücken darf, verhindert das Entstehen einer betrieblichen Übung nur dann, wenn der Arbeitnehmer aus den Umständen den Irrtum erkennen konnte (BAG 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - a.a.O.). Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn ein Arbeitgeber im Widerspruch zu eigenen Erklärungen höhere Leistungen erbringt oder einzelnen Arbeitnehmern im Gegensatz zu vergleichbaren Arbeitnehmern ohne erkennbaren Grund übertarifliche Leistungen bezahlt werden.

Wenn ein Anspruch auf Grund betrieblicher Übung entstanden ist, ist die Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden und kann durch einfache Zahlungseinstellung nicht aufgehoben werden (BAG 26.05.1993 - 4 AZR 130/93 - a.a.O.). Auch ein einseitiger Widerruf ist nicht möglich, wenn ein Widerrufsvorbehalt nicht Vertragsbestandteil geworden und zulässig ist.

2. Bei Anwendung der vorstehend genannten Rechtsgrundsätze steht für die erkennende Kammer fest, dass dem Kläger die Mehrarbeitszuschläge aus dem Grundsatz der betrieblichen Übung zustehen.

Die Beklagte hat dem Kläger seit über 17 Jahren regelmäßig und gleichförmig übertarifliche Samstagszuschläge bezahlt. Auch wenn man den von der Beklagten bestrittenen Vortrag des Klägers, wonach ihm die übertariflichen Samstagzuschläge von der Beklagten mündlich zugesichert worden und der Beklagten jedenfalls seit längerer Zeit bekannt gewesen seien, außer Acht lässt, sind für die Kammer nach dem Sachvortrag der Beklagten keine Anhaltspunkte erkennbar, dass der Kläger den von der Beklagten behaupteten Irrtum erkennen konnte. Sein Vertrauen, dass sein Arbeitgeber die langjährige Handhabung auch künftig einhalten werde, ist schutzwürdig. Da die übertariflichen Samstagzuschläge Bestandteil des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsvertrags geworden sind, konnte die Zahlung auch nicht mehr - schon gar nicht rückwirkend - von der Beklagten einseitig eingestellt werden.

3. Dem Kläger stehen Samstagszuschläge für die Monate Januar bis April 2000 in Höhe von 1.501,27 DM brutto zu. Die darüber hinaus gehende Forderung des Klägers war abzuweisen.

Der Betrag errechnet sich folgendermaßen:

Januar 2000: 12 Stunden à 25 %, 23 Stunden à 50 %, Stundenlohn 34,45 DM

12 x 8,61 DM = 103,32 DM

33 x 17,23 DM = 396,29 DM

499,61 DM

Februar 2000: 12 Stunden à 25 %, 22,75 Stunden à 50 %, Stundenlohn 34,45 DM

12 x 8,61 DM = 103,32 DM

22, 75 X 17,23 DM = 391,98 DM

495,30 DM

März 2000: 9 Stunden à 25 %, 17 Stunden à 50 %, Stundenlohn 34,45 DM

9 x 8,61 DM = 77,49 DM

17 x 17,23 DM = 292,91 DM

370,40 DM

April 2000: 3 Stunden à 25 %, 6 Stunden à 50 %, Stundenlohn 36,25 DM

3 x 9,06 DM = 27,18 DM

6 x 18,13 DM = 108,78 DM

135,95 DM

Gesamtsumme: 1.501,27 DM

Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Der beantragte Zinssatz mit 4 % bleibt hinter dem seit dem 01.05.2000 geltenden Zinssatz zurück.

III.

1. Die Kosten des Rechtsstreits waren der Beklagten gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 92 Abs. 2 ZPO aufzuerlegen.

2. Ein Rechtsmittel ist gegen dieses Berufungsurteil nicht gegeben. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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