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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 27.10.2004
Aktenzeichen: 2 Sa 29/04
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 209 Abs. 2 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

2 Sa 29/04

verkündet am 27.10.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 2. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hensinger, den ehrenamtlichen Richter Huhn und den ehrenamtlichen Richter Kolb auf die mündliche Verhandlung vom 06.10.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.01.2004 (Az.: 28 Ca 3441/03) abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 zu bezahlen in Höhe von 79,77 € vermögenswirksame Leistungen sowie 6.732,00 € brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von 2.741,60 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2003.

2. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 1/4, der Beklagte zu 3/4.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung des Beklagten vom 21.03.2003 und über Vergütungsansprüche.

Der am 23.01.1947 geborene, verheiratete und einem Kind unterhaltsverpflichtete Kläger war seit dem 01.08.1973 für die Insolvenzschuldnerin und deren Rechtsvorgänger als Fertigungskraft in der Betriebsabteilung Bohren/Fräsen gegen ein durchschnittliches Entgelt von mindestens 2.210,00 € monatlich tätig (Beklagte zuletzt: 2.445,82 €). Die Insolvenzschuldnerin befasste sich mit der Entwicklung und der Herstellung sowie dem Vertrieb von elektronischen Systemen und Technologieprodukten, insbesondere von hochlagigen und komplexen Leiterplatten.

Nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 06.06.2002 wurde am 01.09.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten mit Schreiben vom 16.09.2002 ist zwischen den Parteien streitig. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschloss der Beklagte, die betriebliche Organisation und die Arbeitsabläufe zu straffen und 346 von 838 Arbeitskräften abzubauen. Am 18.09.2002 wurde der Kläger von der Arbeit freigestellt. Am 07.11.2002 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan (Blatt 24 bis 35 der erstinstanzlichen Akte). In Anlage 1 zu dieser Betriebsvereinbarung sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeführt, deren Arbeitsverhältnis gekündigt werden soll, darunter der Kläger. Im Interessenausgleich der Vereinbarung vom 07.11.2002 ist aufgeführt, dass der Geschäftsbetrieb in erheblich eingeschränktem Umfang zunächst befristet bis zum 31.01.2003 fortgeführt werden soll. Weiter ist niedergelegt, dass der Betriebsrat zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört und beteiligt worden und das Verfahren nach §§ 102 ff. BetrVG abgeschlossen ist. In IV. Nr. 1 (Inkrafttreten) der Vereinbarung vom 07.11.2002 haben die Betriebsparteien Folgendes niedergelegt:

Diese Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft und gilt bis zur Zweckerreichung. Die Wirksamkeit dieses Interessenausgleichs und Sozialplans steht unter der auflösenden Bedingung, dass es dem Insolvenzverwalter gelingt, bei einem Geldinstitut den zur Fortführung des Geschäftsbetriebs dringend erforderlichen Kredit zu erhalten.

Am 17.03.2003 schlossen die Betriebsparteien eine weitere Vereinbarung (Blatt 45 und 46 der erstinstanzlichen Akte), die auszugsweise lautet:

1. Der Zweck der Aufnahme der Bedingung in Ziff. IV Nr. 1 der Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vom 07.11.2002, nämlich die Fortführung des Geschäftsbetriebs bis Januar 2003, wenn nicht sogar bis März 2003 zu gewährleisten, wurde erreicht.

2. Die Beteiligten sind sich daher rechtstatsächlich einig, dass die Bedingung in Ziff. IV. Nr. 1 der Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vom 07.11.2002 keine Wirkung mehr entfaltet; sie wird einvernehmlich mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung aufgehoben. Damit wird die Betriebsvereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan einschließlich der Anlage 1, Buchstabe A und B vom 07.11.2002 wirksam.

Nach erneuter Anhörung zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 14.03.2003 sprach der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 21.03.2003 eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2003 aus. Die wegen endgültiger Stilllegung des Geschäftsbetriebs am 31.07.2003 ausgesprochene weitere Kündigung des Beklagten vom 23.06.2003 zum 30.09.2003 griff der Kläger nicht an.

Der Kläger hält die Kündigung vom 21.03.2003 für unwirksam und rügt insbesondere die soziale Auswahl als grob fehlerhaft. Der Kläger benennt acht Mitarbeiter seiner Abteilung mit kürzerer Betriebszugehörigkeit und geringerem Lebensalter. Er behauptet, dass er innerhalb kurzer Einarbeitungszeit Tätigkeiten der benannten Kollegen hätte übernehmen können. Der Kläger begehrt die Zahlung der Vergütung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 30.09.2003 aus Annahmeverzug. Die Vergütungsansprüche für diesen Zeitraum seien Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Beklagte habe es unterlassen, das Arbeitsverhältnis zum ersten Termin nach der behaupteten Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen.

Die Beklagte hält die Kündigung vom 21.03.2003 für wirksam und verweist auf die namentliche Bezeichnung des Klägers in der Anlage zum Interessenausgleich vom 07.11.2002. Die getroffene Sozialauswahl sei jedenfalls nicht grob fehlerhaft. Bezüglich der Zahlungsklage verweist der Beklagte auf das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO. Die Vergütungsansprüche des Klägers seien als übrige Masseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu qualifizieren. Die Voraussetzungen des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO seien nicht gegeben. Die Betriebsparteien seien am 07.11.2002 davon ausgegangen, dass zur befristeten Fortführung des Rumpfbetriebes bis Januar oder März 2003 die Bewilligung eines Kredits erforderlich sei. Dieser Umstand sei deshalb zur Wirksamkeitsbedingung der Vereinbarung vom 07.11.2002 gemacht worden. Erst nach Feststellung der anderweitigen Zweckerreichung am 17.03.2003 habe der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis des Klägers kündigen können.

Das Arbeitsgericht hat im am 29.01.2004 verkündeten Urteil die Kündigungsschutzklage und damit die Vergütungsklage für den Zeitraum vom 01.07. bis zum 30.09.2003 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht u.a. angeführt, dass gemäß dem vorliegend anwendbaren § 125 Nr. 2 InsO die soziale Auswahl nicht grob fehlerhaft sei. Der insoweit darlegungsbelastete Kläger habe nur pauschal eine gleichwertige Qualifikation mit den bezeichneten Kollegen behauptet und nur unsubstanziiert zur erforderlichen Einarbeitungszeit vorgetragen. Die Zahlungsklage auf Vergütung für die Zeit vom 01.03. bis zum 30.06.2003 hat das Arbeitsgericht als begründet erachtet. Dem Kläger stehe eine Masseforderung im Sinne des § 209 Abs. 2 Ziff. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Ziff. 2 InsO zu. Nach Abschluss der Vereinbarung vom 07.11.2002 habe der Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO zum 28.02.2003 kündigen können. Alle Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Anhörung des Betriebsrates, hätten vorgelegen. Auch ein Abweichen vom Interessenausgleich führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO sollten nur solche Masseverbindlichkeiten nachrangig sein, deren Entstehung der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht verhindern kann, nicht dagegen solche, zu denen er sich nach dieser Anzeige mit dem Betriebsrat "bekannt" hat. Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf Seite 5 bis 11 des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses dem Beklagten am 30.01.2004 und dem Kläger am 02.02.2004 zugestellte Urteil richten sich die ordnungs- und fristgerecht eingelegten und ausgeführten Berufungen der Parteien. Zur Kündigung vom 21.03.2003 trägt der Kläger vor, dass die getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft sei. Der Kläger habe in der Vergangenheit sowohl an Bohr- und Fräsmaschinen gearbeitet und den sogenannten HMVT-Test durchgeführt. Er sei deshalb mit den von ihm namentlich benannten Mitarbeitern vergleichbar. Die grobe Fehlerhaftigkeit der vom Beklagten getroffenen Sozialauswahl sei insbesondere im Hinblick auf den nicht gekündigten Mitarbeiter M. evident. Herr M. sei am 14.12.1977 geboren und 1993 bei der Rechtsvorgängerin der Insolvenzschuldnerin eingestellt worden. Der Kläger ist der Auffassung, dass er deshalb einen Vergütungsanspruch für den Zeitraum vom 01.03. bis zum 30.09.2003 gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 InsO habe. Alle Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger hätten im November 2002 vorgelegen. § 113 Abs. 3 BetrVG verlange vom Arbeitgeber nur den Versuch eines Interessenausgleichs. Dieser Versuch sei am 07.11.2002 gemacht worden. Die Vereinbarung einer Bedingung sei rechtlich bedeutungslos, weil ein Interessenausgleich grundsätzlich nicht erzwingbar sei. Das Hinausschieben der rechtlich möglichen Kündigung habe deshalb im Widerspruch zur Pflicht des Beklagten gestanden, die Masse zu erhalten. Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 24.03.2004 und vom 23.04.2004 (Blatt 10 - 14 und Blatt 33 - 35 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird der Beklagte verurteilt, an den Kläger Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 zu bezahlen in Höhe von € 79,77 vermögenswirksamer Leistungen sowie € 6.732,00 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 2.741,60 zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.10.2003.

2. Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

1. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wird festgestellt, dass dem Kläger Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 30.06.2003 als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Ziff. 3 InsO zusteht in Höhe von € 8.742,85 abzüglich der von der Bundesagentur für Arbeit in diesem Zeitraum gewährten Leistungen.

2. Die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Bezüglich der Kündigung vom 21.03.2003 trägt der Beklagte in der Berufungsinstanz vor, dass die vom Beklagten durchgeführte Sozialauswahl - wenn man die Vergleichbarkeit des Klägers mit den von ihm benannten Mitarbeitern unterstelle - nicht grob fehlerhaft sei. Im Vergleich zum benannten Herrn M., der für seine nichtverdienende Ehefrau und ein minderjähriges Kind unterhaltsverpflichtet sei, seien in dessen Lohnsteuerkarte nur die Lohnsteuerklasse IV, aber keine unterhaltspflichtigen Kinder eingetragen.

Bei den Vergütungsansprüchen des Klägers für den Zeitraum vom 01.03. bis zum 30.06.2003 handele es sich um sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Der Beklagte sei mangels kollektivrechtlicher Voraussetzungen im November 2002 noch nicht kündigungsfähig gewesen. Bis zum Abschluss der Vereinbarung vom 17.03.2003 habe ein wirksamer Interessenausgleich nicht vorgelegen. Wegen des weiteren Vorbringens des Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 30.03.2004 und 29.04.2004 (Blatt 25 - 29 und 44 - 48 der zweitinstanzlichen Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A. Berufung des Klägers

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg.

I.

Der Kläger hat im Zeitraum vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 Anspruch auf Arbeitsvergütung. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.03.2003 mit Ablauf des 30.06.2003 beendet worden, sondern erst mit Ablauf des 30.09.2003 durch die (nicht angegriffene) weitere Kündigung des Beklagten. Die betriebsbedingte Kündigung vom 21.03.2003 ist unwirksam, weil die vom Beklagten vorgenommene Sozialauswahl grob fehlerhaft im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist.

Das Arbeitsgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass der gem. § 4.4 Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metallindustrie in Nord-Württemberg/Nord-Baden altersgeschützte Kläger, dem nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden konnte, im Insolvenzverfahren gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 InsO unter Einhaltung der Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende gekündigt werden kann. § 113 Abs. 1 InsO geht nicht nur Tarifverträgen mit längeren Kündigungsfristen vor, sondern auch einer tarifvertraglich vereinbarten Unkündbarkeit für ältere Arbeitnehmer mit längerer Betriebszugehörigkeit. § 113 Abs. 1 InsO verdrängt tarifvertragliche Regelungen, mit denen ab einem bestimmten Lebensalter und einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit die ordentliche Kündigung solcher Arbeitnehmer ausgeschlossen oder beschränkt wird (BAG 19.01.2000 - 4 AZR 70/99 - AP Nr. 5 zu § 113 InsO).

Weiter hat die erste Instanz zutreffend ausgeführt, dass der Kläger, der im Interessenausgleich vom 07.11.2002 namentlich bezeichnet worden ist, die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt hat und die Kündigung deshalb durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die vom Beklagten getroffene Sozialauswahl jedoch grob fehlerhaft im Sinne des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Müssen im Insolvenzverfahren betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, gilt zunächst § 1 Abs. 3 KSchG. Folge des Insolvenz-Interessenausgleichs nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist jedoch, dass im Individualprozess die Auswahl der Arbeitnehmer nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflicht nachgeprüft wird, und zwar auch dies nur auf grobe Fehlerhaftigkeit hin. Eine grobe Fehlerhaftigkeit liegt vor, wenn die Gewichtung der Kriterien Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten jede Ausgewogenheit vermissen lässt (BAG 02.12.1999 - 2 AZR 757/98 - AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl).

Die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass jedenfalls der Mitarbeiter S. M. unter Berücksichtigung der arbeitsplatzbezogenen Merkmale mit dem Kläger vergleichbar und die Auswahl zur Kündigung des Klägers im Vergleich zu Herrn M. grob fehlerhaft gewesen ist. Der Kläger hat im Rahmen seiner Darlegungslast (§ 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG) vorgetragen, dass er in der Vergangenheit genauso wie der Mitarbeiter S. M. Bohr- und Fräsmaschinen bedient und den sogenannten HMVT-Test durchgeführt hat. Dieser Vortrag des Klägers ist vom Beklagten nicht bestritten worden (der Beklagte hat im Schriftsatz vom 15.07.2003, S. 7 lediglich vorgetragen, dass Herr M. mit dem Kläger nicht vergleichbar ist). Nach dem unstreitigen Sachvortrag ist deshalb davon auszugehen, dass der Kläger und Herr M. nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen austauschbar gewesen sind. Wenn man dann die Sozialdaten des Klägers denen von Herrn M. gegenüberstellt, ist die erkennende Kammer der Meinung, dass die vorgenommene Sozialauswahl grob fehlerhaft ist. Der Kläger ist 30 Jahre älter und 20 Jahre länger im Betrieb. Die eindeutig sozial schutzbedürftigere Position des Klägers wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass Herr M. einem minderjährigen Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist. Dagegen sind sowohl der Kläger als auch Herr M. ihren Ehefrauen gegenüber unterhaltsverpflichtet. Die vom Beklagten vorgenommene Sozialauswahl lässt damit nach Auffassung der erkennenden Kammer jede Ausgewogenheit vermissen, so dass die Kündigung vom 21.03.2003 unwirksam ist.

II.

Da deshalb zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis im Zeitraum vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 bestanden hat, hat der Kläger einen Anspruch auf die der Höhe nach unstreitige Vergütung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 BGB).

III.

Bei den Vergütungsansprüchen des Klägers vom 01.07.2003 bis 30.09.2003 handelt es sich um Masseforderungen im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die mit der Leistungsklage verfolgt werden können (vgl. BAG 04.06.2003 - 10 AZR 586/02 - AP NR. 2 zu § 209 InsO). Die Vergütungsansprüche des Klägers sind Masseforderungen im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO. Sie stammen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Diese Ansprüche gelten ebenfalls als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Sie sind so zu behandeln, als wären sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden. Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht mit Schreiben vom 16.09.2002 ordnungsgemäß angezeigt (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Kläger hat auch nicht bestritten, dass diese Anzeige ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden ist (§ 208 Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 InsO). Ob den Massegläubigern die Anzeige förmlich zugestellt wurde, wie es § 208 Abs. 2 Satz 2 InsO vorschreibt, ist unerheblich, weil gem. § 9 Abs. 3 InsO die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten genügt, auch wenn dieses Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt (vgl. BAG 31.03.2004 - 10 AZR 253/03 - NZA 2004, 1093, 1096). Sobald Masseunzulänglichkeit droht oder eintritt, muss der Insolvenzverwalter ein Arbeitsverhältnis, das er für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötigt, unverzüglich kündigen. Dabei ist für die früheste Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend. Mit dem Begriff des "Könnens" im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO ist nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können gemeint. Ist der Betriebsrat vor einer Kündigung anzuhören (§ 102 BetrVG), sind diese Voraussetzungen, die andernfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätten, zunächst herbeizuführen. Ferner hat der Insolvenzverwalter vor dem Ausspruch von Kündigungen Interessenausgleichsverhandlungen zu führen, wenn die §§ 111 ff. BetrVG eingreifen, da er die Masse sonst mit Nachteilsausgleichsansprüchen gem. § 113 BetrVG belasten würde (BAG 04.06.2003 a.a.O., BAG 31.03.2004 a.a.O., S. 1097).

Die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass der Beklagte mit der Kündigung vom 21.03.2003 das Arbeitsverhältnis nicht zum ersten Termin im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO gekündigt hat. Mit dem Abschluss des Interessenausgleichs und Sozialplans und der Anhörung des Betriebsrats gem. § 102 Abs. 1 BetrVG am 07.11.2002 waren objektiv alle Voraussetzungen erfüllt, um das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2003 kündigen zu können.

Der Beklagte war auch nicht aufgrund der Regelung in IV.1. der Vereinbarung vom 07.11.2002 gehindert, das Arbeitsverhältnis im November 2002 zu kündigen. Die Bestimmung in IV.1. stellt eine aufschiebende (nicht auflösende) Bedingung des Interessenausgleichs und Sozialplans dar, dass es dem Insolvenzverwalter gelingt, den zur Fortführung des Betriebs erforderlichen Kredit zu erhalten. Das heißt aber nicht, dass der Interessenausgleich vom 07.11.2002 schwebend unwirksam gewesen ist. Der Beklagte hat mit Abschluss der Vereinbarung am 07.11.2002 den Versuch eines Interessenausgleichs gemacht. Zu diesem Zeitpunkt "konnte" der Beklagte eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber dem Kläger aussprechen. Für die Fortführung des Betriebs ist die Aussetzung der vorgesehenen Kündigung des bereits am 18.09.2002 freigestellten Klägers nicht erforderlich gewesen. Im Interessenausgleich ist auch keine Bestimmung enthalten, dass der Insolvenzverwalter bis zur Kreditgewährung nicht kündigen darf. Ein derartiges Kündigungsverbot wäre im Insolvenzverfahren auch problematisch. Im Interesse der Erhaltung der Masse darf es der Insolvenzverwalter nämlich auf keinen Fall versäumen, Dauerschuldverhältnisse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen, wenn er den Vertragsgegen-stand für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötigt. Unterlässt der Verwalter eine solche Kündigung, obwohl er das Vertragsverhältnis für die Masse nicht mehr benötigt, kann er sich schadenersatzpflichtig im Sinne des § 61 InsO machen (BAG 04.06.2003 a.a.O., m.w.N.). Eine vom Beklagten behauptete Verpflichtung zur Aussetzung der Kündigung bis zu der Vereinbarung vom 17.03.2003, die allerdings dem Interessenausgleich vom 07.11.2002 nicht entnommen werden kann, hätte der Beklagte deshalb nicht eingehen dürfen. Da der Beklagte deshalb das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2003 hätte kündigen können, fallen die Vergütungsansprüche des Klägers (auch) vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 unter § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

B. Berufung des Beklagten

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger die der Höhe nach unstreitigen Vergütungsansprüche für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 30.06.2003 als Masseforderung im Sinne des § 209 Abs. 2 Ziff. 2 i.V.m. Abs. 1 Ziff. 2 InsO verlangen kann. Insoweit wird auf die obigen Ausführung unter A. III. verwiesen.

C.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte gem. § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung für die erste Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wonach die Kosten nach dem Obsiegen verhältnismäßig zu teilen sind. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nunmehr mit der Kündigungsschutzklage und der Zahlungsklage vom 01.03.2003 bis zum 30.09.2003 Erfolg hat.

D.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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