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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 25.03.2009
Aktenzeichen: 2 Sa 94/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG, ArbGG, StGB, BetrVG, AGG, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
BetrVG § 104
BetrVG § 104 Satz 1
ArbGG § 64 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 6
ArbGG § 69 Abs. 2
StGB § 130 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG § 75 Abs. 1
BetrVG § 80 Abs. 1 Nr. 7
BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 6
BetrVG § 104
AGG § 1
AGG § 12 Abs. 3
KSchG § 15 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 11.11.2008 - 5 Ca 4882/08 - wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer hilfsweise auch als ordentliche erklärten außerordentlichen Kündigung vom 23.06.2008.

Der am ... 1965 geborene Kläger, der verheiratet und Vater von drei minderjährigen Kindern ist, trat im September 1984 eine Stelle als Arbeiter bei der Pkw herstellenden und dafür allein in ihrem Betrieb in S. mehrere tausend Arbeitnehmer, darunter mehr als 10 % türkischer Herkunft, beschäftigenden Beklagten an. Die von ihm ausgeübte Tätigkeit (Nacharbeit im PMP-Prüffeld) wurde zuletzt mit ca. EUR 4.450,00 brutto pro Monat entlohnt. Von 2005 bis Ende Mai 2008 nahm der über Jahre hinweg auch als gewerkschaftlicher Vertrauensmann tätig gewesene Kläger, der sich in seiner Freizeit als Fußball-Jugendtrainer in einem multikulturell geprägten Sportverein engagiert, als Ersatzmitglied des Betriebsrats an ca. fünf bis sechs Sitzungen dieses Gremiums teil.

Mitte April 2008 wurde dem Personalressort aus Kreisen der Abteilung PMP eine Kopie von zwei Fotoaufnahmen zugeleitet, auf denen die Beschriftung der Wand einer Betriebstoilette im ersten OG des Treppenhauses zur Kantine zu sehen ist. Über und unter einer Art Balkenkreuz zeigen diese auf Bl. 30 der erstinstanzlichen Akte dokumentierten Fotos folgende Inschriften:

Nicht jeder Nazi hat eine Glatze!

Aber jedem Türken fehlt die Vorhaut!

- Besser Vorhaut als Gehirn - Die Juden haben wir nur vergast!

Aus den Türken machen wir Fernwärme!

Aufgrund anonymer Hinweise auf eine Urheberschaft des Klägers glich die Beklagte die Schrift an der Toilettenwand mit in seiner Personalakte vorhandenen Unterlagen ab. Da ihr Anfangsverdacht gegen ihn dadurch Nahrung gefunden hatte, gab sie danach in Abstimmung mit dem Betriebsrat ein graphologisches Gutachten in Auftrag. Am 20.05.2008 teilte ihr die Schriftsachverständige nach einer ersten Prüfung mit, dass mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von ca. 90 % von der Übereinstimmung der Handschriften auf der Toilettenwand und in den Personalakten auszugehen sei. Zur weiteren Abklärung empfahl sie die Einholung einer aktuellen Schriftprobe. Am 02.06.2008 hörte die Beklagte in Anwesenheit von 3 Betriebsratsmitgliedern den wegen Produktionsschließung in der 21. und einem Ein-Schicht-Betrieb in der 22. Kalenderwoche erst an jenem Tag wieder bei der Arbeit gewesenen Kläger zu dem gegen ihn bestehenden Verdacht an. Nach Rücksprache mit Betriebsratsmitgliedern räumte der Kläger daraufhin ein, die ersten beiden Zeilen (Beklagte: Die ersten drei Zeilen) an die Toilettenwand geschrieben zu haben. Im Übrigen stellte er seine Täterschaft in Abrede, der Beklagten aber wunschgemäß eine aktuelle Schriftprobe zur Verfügung. Am Ende des Gesprächs ließ ihn die Beklagte wissen, dass sie auf der Grundlage dieser Schriftprobe ein umfassendes Gutachten einholen, und dass sie im Falle einer dergestalten Bestätigung des Verdachts eine außerordentliche Kündigung in die Wege leiten werde.

Am 10.06.2008 ging ihr das aus Bl. 31 - 45 der erstinstanzlichen Akte ersichtliche Gutachten einer Sachverständigen für Handschriftenvergleich zu, demzufolge die "Schreibleistungen" mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (ca. 90 %) insgesamt vom Kläger stammen.

Die Beklagte bat den Kläger nunmehr am 17.06.2008 zu einem weiteren Gespräch, bei dem 2 Mitglieder des Betriebsrats anwesend waren, in dessen Verlauf er zugab, auch die Zeilen "Die Juden haben wir nur vergast!" und "Aus den Türken machen wir Fernwärme!" an die Toilettenwand geschrieben zu haben.

Vor diesem Hintergrund informierte die Beklagte den Betriebsrat am 18.06.2008 über den Sachverhalt. Sie teilte mit, dass dem Kläger deswegen außerordentlich, hilfsweise ordentlich gekündigt, und dass die Kündigung sowohl als Tat-, als auch als Verdachtskündigung erklärt werden solle. Der Betriebsrat meldete unter Bezugnahme auf die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung an und empfahl stattdessen, es mit einer Abmahnung gut sein zu lassen.

Nach Erhalt dieser Stellungnahme kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23.06.2008 fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2008.

Mit der am 01.07.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage greift der Kläger diese Kündigung in allen Erscheinungsformen als rechtsunwirksam an.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt ,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt ,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die vorliegende Kündigung wirksam ist.

Mit Urteil vom 11.11.2008 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das angefochtene Urteil im Wesentlichen aus, dass die vom Kläger zugestandenen Wandschmierereien das Gebot zur Wahrung des Betriebsfriedens gröblichst verletzten und sich als permanente irreparable Störung der arbeitsvertraglichen Beziehungen auswirkten. Sie stellten auch ohne vorausgegangene Abmahnung einen wichtigen Kündigungsgrund dar. Kein Arbeitnehmer könne erwarten, sein Arbeitgeber werde Handlungen wie die vom Kläger zu vertretenden dulden oder erst im Wiederholungsfall mittels einer Kündigung darauf reagieren. Es bestehe auch eine Negativprognose, weil beim Kläger, dem nach dessen Bekunden rechtsradikale oder volksverhetzenden Tendenzen wesensfremd seien, davon ausgegangen werden müsse, dass er in bestimmten Situationen nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Auch nach einer umfassenden Abwägung der beiderseitigen Interessen habe die außerordentliche Kündigung Bestand. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses dem Kläger am 03.12.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 30.12.2008 eingelegte und am 02.02.2009 ausgeführte Berufung des Klägers. Der Kläger bringt im Wesentlichen vor, bei der Beschriftung der Toilettenwand mit den vier mit Ausrufezeichen versehenen Sätzen im November 2007 habe er das von ihm als stilisiertes Hakenkreuz empfundene Kreuz und die andere Zeichnung bereits vorgefunden. Aufgrund eines belastenden familiären Ereignisses (Entscheidung als Betreuer über die Beendigung des Lebens seines Großvaters) und des ungewohnten Alkoholgenusses (zwei Flaschen Bier und Sekt) anlässlich einer an dem Tag im Betrieb veranstalteten Geburtstagsfeier eines Kollegen, bei der er eine streitige Auseinandersetzung mit einem türkischen Mitbürger über verschiedene Fragen der Integration gehabt habe, aufgewühlt, habe er sich durch die o. a. Zeichnung zu ausländerfeindlichen Parolen inspirieren lassen, die weder zu seiner Überzeugung passen, noch zu seinem Repertoire gehören würden. Er sei im Gegenteil jemand, der seine demokratische Gesinnung sowie seine positive Einstellung, seine Kontaktfreude und seine Hilfsbereitschaft ausländischen Mitbürgern gegenüber zum einen im Rahmen seiner Tätigkeit als Betriebsratsersatzmitglied und als Vertrauensmann und zum anderen im privaten Bereich als Jugendtrainer und Elternbeirat wiederholt unter Beweis gestellt habe. Nicht von ungefähr hätten sich im Betrieb knapp 100 Arbeitnehmer, darunter etliche ausländischer Herkunft, auf einer Unterschriftenliste für seinen Verbleib ausgesprochen. Unter Berücksichtigung dessen, des Prognoseprinzips und des Umstandes, dass ähnliche Toilettenschmierereien auf allen Toiletten im Betrieb anzutreffen seien, sei die Kündigung überzogen. Eine Abmahnung wäre seines Erachtens ausreichend gewesen. Aus § 104 BetrVG sei herzuleiten, dass erst im Wiederholungsfall eine Kündigung ausgesprochen werden kann. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt.

Wegen des weiteren Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf dessen Schriftsätze vom 02.02.2009 und 17.03.2009 verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

und verteidigt das angefochtene Urteil. Sie führt im Wesentlichen aus, bei seiner Anhörung am 17.06.2008 habe der Kläger ein Geständnis hinsichtlich sämtlicher an die Toilettenwand geschriebener Äußerungen abgelegt. Seine an Rassismus, Antisemitismus und Menschenverachtung nicht zu überbietenden Schmierereien hätten ihr die weitere Zusammenarbeit mit ihm völlig unzumutbar gemacht. Dies gelte umso mehr, als in dem Z. Betrieb ihres international ausgerichteten Unternehmens mehr als 400 Arbeitnehmer türkischer Nationalität beschäftigt seien, die vor dergleichen Handlungen geschützt werden müssten. Dass die Toiletten im Betrieb massenweise durch nicht entfernte Parolen verunstaltet seien, sei unrichtig. Die Verbreitung solcher Hetze sei von ihr noch niemals geduldet worden. Ihr Interesse an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege damit dasjenige des Klägers, dessen nach ihrem Dafürhalten irrelevantes Sozialverhalten mit Nichtwissen zu bestreiten sei. § 104 BetrVG hindere den Arbeitgeber nicht, schon bei einer einmaligen schwerwiegenden Vertragsverletzung eine Kündigung auszusprechen. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf deren Schriftsatz vom 03.03.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist fristgerecht eingelegt und ausgeführt worden. Im Übrigen sind Bedenken an der Zulässigkeit der Berufung nicht veranlasst.

II.

In der Sache hat die Berufung des Klägers keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 23.06.2008 beendet worden, da diese Kündigung rechtswirksam ist.

1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass bereits die vom Kläger unstreitig an die Toilettenwand geschriebenen Zeilen, insbesondere die beiden letzten Zeilen, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung darstellen. Die mit Ausrufezeichen versehenen und an Menschenverachtung kaum mehr zu überbietenden Zeilen "Die Juden haben wir nur vergast!" und "Aus den Türken machen wir Fernwärme" erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) und sind geeignet, den Betriebsfrieden zu stören.

Mit der Äußerung "Die Juden haben wir nur vergast!" relativiert und verharmlost ("nur") der Kläger den millionenfachen Massenmord insbesondere an Menschen jüdischen Glaubens in Konzentrationslagern während der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die Zeile "Aus den Türken machen wir Fernwärme!" soll nach dem Willen des Urhebers eine Steigerung darstellen (das Wort "nur" in der Vorzeile kündigt ein "sogar" an) und den industriellen Massenmord an einer größeren Bevölkerungsgruppe in Deutschland, den aus der Türkei stammenden Menschen, ankündigen und gutheißen. Diese Wandschriften in einer betriebsöffentlich stark frequentierten Herrentoilette vor der Kantine eines Betriebes mit mehreren tausend Arbeitnehmern erfüllt die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB "geeignet den öffentlichen Frieden zu stören" (Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg - Lieben, StGB, 27. Auflage, § 130 Rdnr. 10; § 126 Rdnrn. 8, 11) und "den Angriff auf die Menschenwürde anderer" (Schönke/Schröder, a.a.O., § 130 Rdnr. 5 c ff.). Eine derart begangene Straftat ist grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

2. Angesichts der als gravierend zu bewertenden Tat des Klägers und den Tatumständen ist zu befürchten, dass sich dieser Vorfall auch auf die weiteren Arbeitsbeziehungen der Parteien nachhaltig auswirkt. Zu den Grundsätzen des Kündigungsrechts gehört das Prognoseprinzip. Danach sind verhaltensbedingte Leistungsstörungen in der Regel nur dann kündigungsrelevant, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind oder von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (KR-Fischermeier, 8. Auflage, § 626 BGB Rdnr. 111). Das Bundesarbeitsgericht hat bei einem tätlichen Angriff auf einen Arbeitskollegen folgende Rechtssätze aufgestellt, die sich die erkennende Kammer zu Eigen macht: bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit einer fristgerechten Kündigung wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Arbeitskollegen darf nicht allein auf die Frage abgestellt werden, ob und gegebenenfalls der Arbeitgeber mit einem weiteren Angriff des betreffenden Arbeitnehmers auf diesen oder einen anderen Arbeitskollegen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen hat. Da der Arbeitgeber alle Arbeitnehmer seines Betriebes vor tätlichen Angriffen zu schützen hat, muss seine Reaktion auf eine Tätlichkeit im Betrieb geeignet sein, weitere derartige Vorfälle möglichst zu verhindern. Der Arbeitgeber darf deshalb auch berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Schon ein einmaliger tätlicher Angriff auf einen Arbeitskollegen kann deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, zu der Frage der Wiederholungsgefahr weitere Umstände vorzutragen (BAG, Urteil vom 24.10.1996 - 2 AZR 900/95 -, Juris, Rdnr. 17).

Diese Rechtsgrundsätze sind auch auf den vorliegenden Lebenssachverhalt anzuwenden, der von der Berufungskammer als schwerwiegender als die Tätlichkeit gegenüber einem Arbeitskollegen eingestuft wird. Danach wirkt sich nicht nur der an Menschenverachtung kaum zu überbietende Unwertgehalt der Tat störend auf die weiteren Arbeitsbeziehungen der Parteien aus, sondern auch die weiteren Tatumstände. Der Kläger hat in dem Personalgespräch in Anwesenheit von mehreren Betriebsratsmitgliedern am 02.06.2008 geleugnet, die beiden besonders schwer wiegenden Zeilen auf die Toilettenwand geschrieben zu haben. Erst nach einem weiteren aufwändigen graphologischen Gutachten hat der Kläger am 17.06.2008 auch die Urheberschaft für die beiden Zeilen gestanden. Er hat also nach Konfrontierung mit den Vorwürfen nicht sogleich die Tathandlung gestanden und sich dafür entschuldigt. Er hat vielmehr durch die Leugnung der Tat aufwändige und kostenintensive Ermittlungen durchführen lassen, wohl auch in der Hoffnung, dass man ihm die Urheberschaft dieser beiden Zeilen nicht nachweisen können wird. Neben der aus diesen Gründen eingetretenen fortwährenden Belastung der Arbeitsbeziehungen ist das Arbeitsgericht auch aufgrund der Einlassungen des Klägers zu Recht zu einer Negativprognose gelangt. Auch das Berufungsgericht geht von der Behauptung des Klägers aus, dass er keine rechtsradikale und ausländerfeindliche Gesinnung habe. Auch wenn kein Gericht die Gedanken eines Menschen lesen kann und auch nicht zu prüfen hat, spricht der Vortrag des Klägers in der Tat dafür, dass er bisher noch nicht mit menschenverachtenden Äußerungen aufgefallen ist: der Kläger ist einem multikulturell geprägten Sportverein als Jugendtrainer tätig, er ist Elternvertreter in einer Schule mit einem hohen Migrantenanteil, er behauptet ein gutes Verhältnis mit ausländischen Nachbarn und Arbeitskollegen zu haben, er ist gewerkschaftlicher Vertrauensmann gewesen, mehrere Arbeitskollegen - darunter auch Migranten - haben sich für sein Verbleiben bei der Beklagten eingesetzt. Im Gegensatz zu vielen in der Rechtsprechung entschiedenen Fällen mit rassistischem Hintergrund (z. B. BAG, Urteil 01.07.1999 - 2 AZR 676/98 - AP Nr. 11 zu § 15 BBiG), wo eine entsprechende neofaschistische Einstellung unstreitig gewesen ist und sich schon daraus eine Wiederholungsgefahr ergeben hat, ist dies vorliegend - zugunsten des Klägers unterstellt - nicht gegeben. Das Arbeitsgericht hat aber eine Wiederholungsgefahr zu Recht aus dem Umstand abgeleitet, dass nach dem Vortrag des Klägers die Annahme bestehe, der Kläger sei in bestimmten Konfliktsituationen nicht mehr Herr seiner Sinne.

Wie die vom Kläger beschriebene aufgewühlte Stimmung am Tattag aufgrund der zum Tode seines Großvaters führenden Ereignisse zu der Formulierung von derart rassistischen Sprüchen geführt haben kann, ist für die Kammer in keinster Weise nachvollziehbar. Der von niemandem verschuldete Tod eines nahestehenden Menschen kann nicht mit rassistischen Äußerungen in einen vernünftigen Zusammenhang gebracht werden. Auch die "Auseinandersetzung mit einem türkischen Mitbürger über verschiedene Fragen der Integration" einhergehend mit Alkoholkonsum auf einer Betriebsfeier kann allenfalls Anlass gewesen sein, sich zu derart menschenverachtenden Äußerungen hinreißen zu lassen. Die erkennende Kammer weiß, dass die zitierten Zeilen unsägliche Standardsprüche der neofaschistischen Szene sind. Diese Sprüche musste der Kläger am Tattag in seinem Unterbewusstsein internalisiert gehabt haben, um sie bei einem Konflikt mit einem Migranten sofort abrufen zu können. Deshalb ist in der Tat zu befürchten, dass der Kläger in bestimmten Konfliktsituationen auch in Zukunft "ausrastet".

3. Das Arbeitsgericht hat auch zu Recht entschieden, dass es vor Ausspruch der vorliegenden außerordentlichen Kündigung keiner Abmahnung bedurft hatte.

Zwar hat grundsätzlich vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung eine vergebliche Abmahnung zu ergehen (§ 314 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nach der ständigen Rechsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Abmahnung jedoch u. a. dann entbehrlich, wenn es sich um schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei denen eine Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil 31.03.1993 - 2 AZR 492/92 - AP Nr. 32 zu § 626 BGB Ausschlussfrist; Juris, Rdnr. 41). So liegt es hier: der Kläger konnte und durfte nicht erwarten, dass die Beklagte solche schwerwiegenden rassistischen Äußerungen duldet oder hinnimmt. Zwar hat der Kläger behauptet, dass sich in den Toiletten der Beklagten oft monatelang ausländerfeindliche und sexistischen Wandschmierereien befänden, bevor sie entfernt würden. Die Beklagte hat diese Behauptung des Klägers bestritten. Einer Beweisaufnahme über die völlig unsubstanziierten Behauptungen des Klägers bedurfte es nicht, weil nicht alle ausländerfeindlichen und sexistischen Dummsprüche den hier vorliegenden Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die kündigungsberechtigte Personalabteilung der Beklagten diese Schmierereien toleriert hat, weil sie davon keine Kenntnis hatte. Im vorliegenden Fall jedenfalls hat die Personalabteilung der Beklagten nach Kenntnis der Fotos und des anonymen Hinweises unverzüglich Ermittlungen eingeleitet. Die erkennende Kammer geht davon aus, dass die Beklagte bei ähnlich gravierenden Vorfällen auch in der Zukunft Konsequenzen zieht (was nicht unbedingt sofort eine außerordentliche Kündigung zur Folge haben muss).

4. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers kann aus § 104 Satz 1 BetrVG nicht hergeleitet werden, dass ein Arbeitgeber erst im Wiederholungsfall eine (außerordentliche) Kündigung aussprechen darf. § 104 BetrVG verfolgt eine ganz andere Zielrichtung: diese Norm gibt dem Betriebsrat ein Mittel zur Durchsetzung des Betriebsfriedens. Er ergänzt auf dem Gebiet der personellen Einzelmaßnahmen die Vorschrift des § 99 Abs. 2 Nr. 6 BetrVG. Dieses Initiativrecht des Betriebsrats nach § 104 BetrVG schafft keinen neuen Kündigungsgrund, sondern setzt einen solchen voraus (KR-Etzel, 8. Auflage, § 104 BetrVG Rdnr. 14; Fitting, 24. Auflage, § 104 Rdnr. 10).

5. Die vorliegende außerordentliche Kündigung ist auch nach einer umfassenden Interessenabwägung rechtswirksam.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB ist eine außerordentliche Kündigung nur dann wirksam, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Deshalb verlangt die Rechtsprechung eine umfassende Interessenabwägung, d. h. die Berücksichtigung aller vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände des Einzelfalles. Zu den regelmäßig im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umständen werden insbesondere folgenden Gesichtspunkte auf Arbeitnehmerseite gezählt: Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers. Dabei verkennt auch das Berufungsgericht nicht, dass auf Seite des Klägers eine sehr lange Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Unterhaltsverpflichtung für eine fünfköpfige Familie stehen. Dagegen befindet sich der Kläger noch in einem Lebensalter, in dem die Vermittelbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt altersbedingt (gerade) noch nicht eingeschränkt ist. Die Berufungskammer verkennt jedoch nicht, dass die ausgesprochene Kündigung die wirtschaftliche Existenz des Klägers und seiner Familie erheblich beeinträchtigen kann.

Allerdings bewertet das Berufungsgericht die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses als höher. Die Beklagte ist gemäß §§ 75 Abs. 1, 80 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, 12 Abs. 3 AGG i.V.m. § 1 AGG verpflichtet, derart schwerwiegende rassistische Äußerungen wie im vorliegenden Fall zu verhindern und zu ahnden. Die (außerordentliche) Kündigung ist dazu eine geeignete Maßnahme. Zwar hätte es aus Sicht der Kammer auch andere geeignete Maßnahmen gegeben, das berechtigte Interesse der Beklagten an einer erheblichen Sanktionierung des Vorfalls mit dem Bestandsinteresse des Klägers zu verbinden (Vergleichsvorschlag der Kammer im Berufungstermin). Nachdem eine solche Einigung von der Beklagten, wohl aus übergeordneten betriebspolitischen Gründen, abgelehnt worden ist, ist die ausgesprochene außerordentliche Kündigung rechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat Verständnis dafür, dass die Beklagte als international tätiges Unternehmen mit einem hohen Anteil von Arbeitnehmern türkischer Herkunft den Vorfall sehr ernst nimmt und in die (Betriebs-)Öffentlichkeit signalisieren möchte, dass sie derartige Vorfälle unter keinen Umständen hinnimmt und hart sanktioniert.

6. Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (Gründe unter 4.) gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

7. Auch gegen die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung bestehen keine Bedenken.

8. Auf die Beurteilung der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung der Beklagten kommt es nicht mehr an. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass die ordentliche Kündigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG unwirksam ist, nachdem der Kläger als Ersatzmitglied des Betriebsrates zuletzt Ende Mai 2008 Vertretungsaufgaben wahrgenommen hat.

III.

Da somit die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben konnte, hat er die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht ist nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) dafür nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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