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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 21 Sa 104/03
Rechtsgebiete: BetrVG, DÜG, TzBfG, ArbZG, ArbGG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 37
BetrVG § 37 Abs. 2
BetrVG § 37 Abs. 3
BetrVG § 37 Abs. 3 Satz 1
BetrVG § 37 Abs. 3 Satz 3
BetrVG § 37 Abs. 6
BetrVG § 37 Abs. 6 Satz 1
BetrVG § 37 Abs. 6 Satz 2
BetrVG § 37 Abs. 6 Satz 3
BetrVG § 78
DÜG § 1
TzBfG § 2
ArbZG § 2 Abs. 1 Satz 1
ArbZG § 3
ArbZG § 4
ArbGG § 64 Abs. 2 lit. a
BGB § 288 Abs. 1 Satz 2
BGB § 291
Freizeitausgleich eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds; Ausgleichspflichtigkeit von Essens- und Erholungspausen im Rahmen von Schulungs- und Bildungsveranstaltungen gemäß § 37 Abs. 6 Satz 2 und 3 BetrVG.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 21 Sa 104/03

verkündet am 29.01.2004

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer -

durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht und den ehrenamtlichen Richter Bopp und den ehrenamtlichen Richter Kraus

auf die mündliche Verhandlung vom 29.01.2004

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.08.2003 - Aktenzeichen 25 Ca 13831/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds.

Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft v., ist seit dem 01.04.1999 bei der berufungführenden Beklagten, die nicht tarifgebunden ist, als Teilzeitkraft in der Abteilung Korrektur mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 19 Stunden beschäftigt. Die näheren Arbeitsbedingungen enthält der Teilzeit-Arbeitsvertrag vom 28.03.1999 nebst Änderungsvertrag vom 19.09.2000 (Arbeitsgerichtsakte Blatt 9 - 12). Sie arbeitet dienstags (3:50 h., von 8.00 Uhr bis 11.50 Uhr), mittwochs (8:40 h., von 8.00 Uhr bis 17.30 Uhr) und donnerstags (6:30 h., von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr). Sie ist Mitglied des Betriebsrates.

Bei der Beklagten handelt es sich um ein mittelständisches Unternehmen, welches Druckerzeugnisse herstellt, im wesentlichen amtliche Mitteilungsblätter von Städten und Gemeinden. Sie beschäftigt mit unterschiedlichen Arbeitszeiten rund 450 Mitarbeiter. Die regelmäßige Arbeitszeit in der Korrekturabteilung beträgt zwischen 10 und 25 Stunden, die durchschnittliche Arbeitszeit aller Beschäftigten rund 21,5 Stunden. Es gibt eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen, beginnend mit 5 Stunden bis zu 40 Stunden Tätigkeit pro Woche.

Die Klägerin nahm in der Zeit vom 08. - 12.07.2002 an einem von der v.- Bildungsstätte M organisierten Seminar mit dem Thema "Aller Anfang ist... gar nicht so schwer" (Einführung in die Betriebsratsarbeit BR I) in M teil. Sie legte der Beklagten das Seminarangebot (Arbeitsgerichtsakte Blatt 13 ff.) sowie eine Teilnahmebestätigung vom 12.07.2002 (Arbeitgerichtsakte Blatt 15) vor. Ausweislich des Angebots begann das Seminar am 08.07.2002 um 10.30 Uhr und endete am 12.07.2002 gegen 16.00 Uhr. Mit Schreiben vom 06.09.2002 (Arbeitsgerichtsakte Blatt 66) bat die Beklagte den Seminarveranstalter um Auskunft über die täglichen Seminarzeiten sowie über die Dauer der gemachten Pausen, woraufhin sie folgende Mitteilung (Arbeitsgerichtsakte Blatt 67) erhielt:

"Fragen zum Grundseminar M 2805/02 "Aller Anfang ist... gar nicht so schwer" vom 08.-12.07.2002

Sehr geehrte Frau K,

hiermit möchten wir Ihnen die gewünschten Zeiten mitteilen.

Pausenzeiten der Bildungsstätte:

Frühstück 07.45 - 08.30 Uhr

Vitaminpause 10.20 - 11.00 Uhr

Mittagessen 12.30 - 13.00 Uhr, Freitags 12.00 Uhr

Kaffee/Kuchen 14.30 - 15.00 Uhr

Abendessen 18.00 - 18.30 Uhr

Seminarbeginn und Seminarende waren am 08.07.02 bzw. am 12.07.02 mit dem Mittagessen.

Mit freundlichen Grüßen

i.A. S S"

Die Klägerin reiste mit ihrem eigenen Pkw an. Die Rückreise endete nach ihren Angaben am Freitag um 18.00 Uhr. Neben ihr nahmen noch zwei weitere vollzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder der Beklagten an dem Seminar teil. Diese waren für die Seminarwoche freigestellt worden und erhielten - ohne weitere Nachweise - ihre normale Wochenvergütung (für 40 Stunden) vergütet.

Mit Schreiben vom 19.07.2002 (Arbeitsgerichtsakte Blatt 16) teilte die Klägerin der Beklagten Folgendes mit:

"Sehr geehrte Frau C,

vom 08.-12.07.02 befand ich mich auf einer Betriebsrats-Schulung, für die ich eine Woche freigestellt wurde.

Für die, über meine arbeitsvertragliche wöchentliche Arbeitszeit von 19 Stunden hinausreichende Betriebsratstätigkeit bis zur Arbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigten (40 Stunden) gemäß § 37 Abs. 3 und 6 BetrVG möchte ich wie folgt Zeitausgleich nehmen:

am 25.07.02 = 6,5 Std. am 30.07.02 = 4 Std. am 01.07.02 = 6,5 Std. am 07.08.02 = 8,5 Std. 25 Std. 30 Min.

Eine zusätzliche Mehrarbeit von 4,48 Std. ergab sich aus der Wirtschaftsausschusssitzung vom 19.07.02, die im obigen Antrag auf Freizeitausgleich mit berücksichtigt ist."

Beigefügt war ein Formular der Beklagten über den Ausgleich geleisteter Betriebsarbeit (Arbeitsgerichtsakte Blatt 17), worauf der von der Klägerin beantragte Freizeitausgleich mit Datum vom 24.07.2002 durch die Abteilungsleiterin, Frau C, bestätigt wurde.

Die Klägerin blieb daraufhin zu den betreffenden Zeiten der Arbeit fern. Mit Schreiben vom 11.09.2002 wurde sie von der Prokuristin der Beklagten aufgefordert, mitzuteilen, wann und wie lange sie außerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit durchgeführt habe. Gleichzeitig wurde ihr mitgeteilt, dass der entsprechende Nachweis der Voraussetzungen für den Freistellungsanspruch bis Mittwoch, den 18.09.2002, erbracht sein müsse, andernfalls werde die Beklagte den in Anspruch genommenen Freizeitausgleich von 21 Stunden vom Lohn einbehalten. Zwischen den Parteien folgte sodann ein umfangreicher Briefwechsel (Arbeitsgerichtsakte Blatt 19 bis 28) über die Frage, ob die Klägerin verpflichtet sei, die Seminar- und Pausenzeiten nachzuweisen oder ob durch die Vorlage der Teilnahmebescheinigung der Bildungsstätte die Klägerin das ihrerseits Erforderliche zur Geltendmachung des Freistellungsanspruchs getan habe.

Die Klägerin erhielt daraufhin keine Vergütung für die von ihr beantragten und genommenen Freizeitausgleichsstunden, welche einem Betrag von unstreitig € 218,19 brutto entsprach. Diesen Betrag macht die Klägerin mit ihrer am 20.12.2002 beim Arbeitsgericht Stuttgart eingereichten Klage geltend. Sie meint, ihr Ausgleichsanspruch folge aus § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG. Schulungen außerhalb der individuellen Arbeitszeit eines teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds seien stets betriebsbedingt. Dieses sei so zu stellen, wie ein im Umfang von 40 Stunden pro Woche vollzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied. Zwei vollzeitbeschäftigte Kolleginnen, die mit ihr das Seminar besucht hätten, hätten aus der Seminarteilnahme keinerlei wirtschaftliche Nachteile erlitten. Sie habe deshalb Anspruch auf Gewährung eines Freizeitausgleichs in Höhe von 40 Stunden - 19 Stunden, also 21 Stunden. Von den teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern bei Teilnahme an Schulungsmaßnahmen einen Zeitnachweis zu verlangen, entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG. Abgesehen davon habe sie das Seminarangebot und eine Teilnahmebestätigung vorgelegt. Am 08.07.2002 sei sie bereits um 8.00 Uhr von zu Hause weggefahren, das Seminar habe um 10.30 Uhr begonnen, nicht erst nach dem Mittagessen, wie man der Beklagten mitgeteilt habe. Am 12.07. sei sie gegen 16.00 Uhr nach Seminarende wieder nach Hause gefahren, wegen eines Staus auf der Autobahn aber erst gegen 18.00 Uhr in W eingetroffen. Die vorgesehenen Kurzpausen seien entweder nur teilweise oder überhaupt nicht in Anspruch genommen worden. Diese Pausen hätten außerdem in einem notwendigen sachlichen Zusammenhang mit der Schulungsmaßnahme und deshalb zugleich - ähnlich wie Reisezeiten - im Zusammenhang mit der Durchführung von Betriebsratstätigkeit gestanden.

Die Klägerin hat in erster Instanz dementsprechend beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 218,19 brutto nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie meint, die Klägerin habe in den fraglichen 21 Stunden eigenmächtig Freizeitausgleich in Anspruch genommen und deshalb keinen Vergütungsanspruch. Sie könne Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 6 in Verbindung mit § 37 Abs. 3 BetrVG lediglich für die tatsächliche Dauer der Schulung verlangen, dagegen seien weder Pausen noch Reisezeiten auszugleichen.

Aufgrund der Diskrepanz zwischen den ihr von der Klägerin sowie den von der Bildungsstätte mitgeteilten Zeiten habe sie zudem erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der gemachten Angaben. Schließlich sei der Ausgleichsanspruch verfristet, nachdem sich die Klägerin geweigert habe, sie über die tatsächlichen Schulungszeiten aufzuklären und deshalb die beantragte Arbeitsbefreiung nicht innerhalb des Ausgleichszeitraums des § 37 Abs. 3 Satz 3 BetrVG habe gewährt werden können.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 29.08.2003 verkündeten, den Beklagtenvertretern am 09.09.2003 zugestellten Urteil der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, einem teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglied stehe grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch gemäß § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG zu, wenn es außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit, aber innerhalb der Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers an einer Schulungsveranstaltung teilnehme. Dabei sei der Ausgleichsanspruch nicht auf die (Netto-)Vortragszeit zu begrenzen, vielmehr umfasse der Begriff der Schulungs- und Bildungsveranstaltung in § 37 Abs. 6 BetrVG nach seinem Wortsinn nicht nur die tatsächliche Unterrichtszeit, sondern auch die zur Wiederherstellung der Aufnahmefähigkeit der Teilnehmer notwendigen Pausen zwischen den einzelnen Unterrichtseinheiten. "Rauch- und Regenerationspausen" seien als Teil der Schulungsveranstaltung anzusehen, zumal während dieser Unterbrechungen regelmäßig das Gehörte diskutiert und die Zeit zum Erfahrungsaustausch genutzt werde. Auf ihren Umfang und ihre Lage habe der Seminarteilnehmer regelmäßig keinen Einfluss.

Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 37 Abs. 6 in Verbindung mit § 37 Abs. 3 BetrVG die vormalige Schlechterstellung teilzeitbeschäftigter Betriebsratsmitglieder bei der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen beseitigen wollen, so dass es nicht sachgerecht erscheine, dem Anspruch auf Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG, welcher (zwangsläufig) die Pausenzeiten mit umfasse, einen anderen Inhalt beizumessen, als dem Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 3 in Verbindung mit § 37 Abs. 6 BetrVG. Auch die Reise- und Wegezeiten seien Teil der Schulungsveranstaltungen im Sinne von § 37 Abs. 6 BetrVG, jedenfalls solange die Zeiten im angemessenen Verhältnis zur Dauer der Schulung stünden. Die durch die Auslegung des § 37 Abs. 6 BetrVG entstehenden Mehraufwendungen (für Pausen- und Wegezeiten) stellten auch im Lichte des Verfassungsrechts keine unzumutbare Belastung für den Arbeitgeber dar.

Der dem Grunde nach bestehende Ausgleichsanspruch der Klägerin sei auch in der geltend gemachten Höhe gerechtfertigt. Der Ausgleichsanspruch nach § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG sei begrenzt auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers. Allerdings finde sich in dieser Regelung eine Definition der Vollzeitbeschäftigung nicht. Anders als in § 2 TzBfG werde aber nicht auf einen vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer abgestellt. Grundlage für die Berechnung des Ausgleichsanspruchs sei deshalb die Arbeitszeit eines - im Rahmen des § 3 ArbZG - vollschichtig eingesetzten Arbeitnehmers. Nachdem die Beklagte Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit bis zu 40 Stunden beschäftige, liege die "Vollzeit" im Sinne des § 37 Abs. 6 S. 2 BetrVG bei 40 Stunden. Schließlich gebiete es der Gleichbehandlungsgrundsatz, der Klägerin Freizeitausgleich für die gesamte Schulungsdauer ohne Rücksicht auf Wege- und Pausenzeiten - allerdings begrenzt durch die Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten - zu gewähren, nachdem die am Seminar teilnehmende vollzeitbeschäftigten Kolleginnen der Klägerin einschränkungslos von der Verpflichtung zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt worden seien.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 06.10.2003 beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg eingereichten und mit Schriftsatz vom 05.11.2003 (LAG-Akte Blatt 17 bis 25) ausgeführte Berufung. Sie rügt einerseits, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht von den gesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung gedeckt sei, andererseits dass sie auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhe.

Der von der Klägerin geltend gemachte Ausgleichsanspruch bedinge, dass die von ihr wahrgenommene Schulungs- und Bildungsveranstaltung individuelle Arbeitszeit ersetze. Letzteres treffe nur zu für die 19 Stunden am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag entsprechend den festgelegten regelmäßigen Arbeitszeiten der Klägerin. Für einen darüber hinausgehenden Ausgleichsanspruch bedürfe es eines eigenen Rechtsgrundes. Grundsätzlich seien zwar Schulungs- und Bildungszeiten gemäß § 37 Abs. 6 BetrVG der Arbeitszeit gleichzustellen. Aus dem Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG folge aber, dass für ein Betriebsratsmitglied hinsichtlich der Anrechnung von Arbeitszeiten keine anderen Maßstäbe gelten dürften, als für einen sonstigen Arbeitnehmer. Dementsprechend entfalle der Entgeltanspruch und demzufolge auch ein Freizeitausgleichsanspruch, wenn während der Betriebsratstätigkeit die Arbeit ausfalle, wenn nicht das Arbeitsentgelt nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre fortzuzahlen ist. Dies sei ein Ausdruck des Lohnausfallprinzips. Arbeitszeit sei demnach die von der Klägerin zur Erfüllung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung aufgewandte Zeit, nicht aber Pausenzeit, welche die Arbeitszeit von mehr als 15 Minuten unterbreche, was sich aus § 2 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 ArbZG ergebe. Entsprechendes müsse für Schulungszeiten gelten, welche insoweit der Betriebsratstätigkeit während der Arbeitszeit gleichstünden. Die Pausen zwischen den einzelnen Seminarblöcken des von der Klägerin besuchten Seminars dienten der individuellen Erholung und umfassten eine längere Zeit als 15 Minuten. Sie könnten deshalb nicht als Schulungszeit und folglich auch nicht als Arbeitszeit angesehen werden, ohne dass gegen das Begünstigungsverbot des § 78 BetrVG verstoßen würde. Pausen im betrieblichen Arbeitsablauf stellten für die Klägerin ebenfalls keine Arbeitszeit dar, die von ihr, der Beklagten, zu vergüten wäre. Der vom Arbeitsgericht gewählte Argumentationsansatz, dass Schulungsteilnehmer die Unterbrechungen zwischen den Unterrichtseinheiten dazu nutzen würden, das Gehörte zu diskutieren und die Zeit zum Erfahrungsaustausch zu verwenden, sei fehlerhaft, da auch Arbeitnehmer während längerer Pausen erfahrungsgemäß mit Kollegen Sachverhalte aus dem betrieblichen Umfeld diskutierten und gleichwohl niemand auf die Idee käme, derartige Zeiten zur Erfüllung der vertraglichen Arbeitspflicht zu zählen. Im übrigen hätten die Rauch- und Kaffeepausen der eigenen Gestaltungsfähigkeit der Seminarteilnehmer offen gestanden.

Soweit das Arbeitsgericht die Reise- und Wegezeiten ebenfalls als Teil der Schulungsveranstaltungen im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG behandelt habe, habe es im Hinblick auf das Urteil des BAG vom 16.04.2003 - Az: 7 AZR 423/01 - verkannt, dass Reisezeiten außerhalb der individuellen Arbeitszeit nicht ausgleichspflichtig seien.

Ferner habe das Arbeitsgericht die Begrenzung des Ausgleichsanspruchs falsch vorgenommen. Da sie, die Beklagte, nicht tarifgebunden sei, gelte die tarifliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden für Vollzeitbeschäftigte nicht; vielmehr müsse der Ausgleichsanspruch dem Umstand Rechnung tragen, dass die zeitliche Durchschnittsarbeitsleistung im Betrieb unstreitig bei 21,5 Stunden liege, somit eine darüber hinausgehende Anrechnung von Arbeitszeiten einen Verstoß gegen das Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG beinhalten würde. Der Umfang des Ausgleichsanspruchs sei zu begrenzen, um eine Besserstellung der Teilzeitbeschäftigten gegenüber den Vollzeitbeschäftigten zu vermeiden. Allenfalls könne die Anrechnungsgrenze bei der Höchstarbeitszeit der Mitarbeiter in der Korrekturabteilung, nämlich 25 Stunden, verlaufen.

Den hier vorliegenden gesicherten Erkenntnissen zufolge habe das Seminar in M am Montag, dem 08.07.2002 um 13.00 Uhr begonnen und am 12.07. um 12.00 Uhr geendet. Allenfalls könne eine notwendige Anfahrtszeit der Klägerin ab 11.00 Uhr als sachlich notwendig angesehen werden. Deshalb habe ein Ausgleichsanspruch der Klägerin für den Montag allenfalls für die Zeit von 11.00 - 14.30 Uhr sowie von 15.00 - 17.30 Uhr erwachsen können, für den Dienstag von 11.50 - 12.00 Uhr sowie von 13.00 - 14.30 Uhr sowie von 15.00 - 17.40 Uhr, für den Mittwoch sei kein Ausgleichsanspruch entstanden, da die volle individuelle Arbeitszeit anzurechnen sei. Für den Donnerstag bestehe neben dem Ausgleichsanspruch für die ausgefallene persönliche Arbeitszeit allenfalls ein solcher für die Zeit von 15.30 - 17.50 Uhr und für den Freitag für die Zeit von 8.30 - 10.20 Uhr sowie von 11.00 - 12.00 Uhr. Dagegen seien die Ruhe- und Pausenzeiten nicht auszugleichen, ebenso wenig die Reisezeit bei der Rückkehr zwischen 16.00 und 18.00 Uhr, da sie ebenfalls außerhalb der vergleichbaren Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten gelegen hätten. Bestenfalls könnten insgesamt 34,5 Stunden für Schulungstätigkeiten zum Ausgleich kommen, allerdings begrenzt auf die durchschnittliche Arbeitszeit aller Arbeitnehmer, somit auf 21,5 Stunden, höchstens aber begrenzt auf die Höchstarbeitszeit in der Korrekturabteilung der Klägerin.

Der vom Arbeitsgericht angeführte Gleichbehandlungsgrundsatz sei hier nicht einschlägig. Ein vollzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied werde lediglich im Rahmen seiner individuellen Arbeitszeit durch die Bildungsmaßnahme von der Arbeitsleistung freigestellt. In gleicher Weise sei der Klägerin an den Tagen, an denen durch Schulungs- und Bildungsmaßnahmen ihre individuelle Arbeitszeit ausgefallen sei, diese uneingeschränkt angerechnet worden. Für die darüber hinausgehenden Schulungszeiten greife indes § 78 BetrVG ein. Dies führe zu einer sachlichen Differenzierung zwischen einem teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglied und einem Vollzeitbeschäftigten. § 37 Abs. 6 BetrVG sehe nicht vor, dass dem teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglied uneingeschränkt Ansprüche erwachsen sollten wie dem Vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer. Aus der gesetzlichen Regelung ergebe sich implizit, dass das teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglied im Einzelfall nachzuweisen habe, in welchem Umfang auszugleichende Schulungszeit angefallen sei.

Ferner habe sich das Arbeitsgericht ihrem Einwand, die Klägerin habe sich ihre Befreiung von der Arbeitsleistung selbst genehmigt, weshalb ein Befreiungsanspruch dem Grunde nach noch nicht bestehe, keine Aufmerksamkeit gewidmet und letztendlich verkannt, dass die Erklärung der Abteilungsleiterin C vom 24.07.2002 auf dem Formular "Ausgleich von geleisteten Betriebsratsstunden im Monat Juli 02" durch eine Täuschungshandlung herbeigeführt worden sei. Der Klägerin sei im übrigen bekannt, dass die Gewährung und Anerkennung von Ausgleichsansprüchen nicht durch die Abteilungsleitung, sondern durch die Geschäftsleitung erfolge. Die Abteilungsleiterin prüfe lediglich, ob einer Freizeitgewährung betriebliche Belange entgegenstünden. Die Klägerin habe deshalb zu Unrecht Freistellung erhalten, so dass sie dafür zu Recht keine Vergütung erhalten habe.

Die Beklagte beantragt dementsprechend im zweiten Rechtszug:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 29.08.2003 - Aktenzeichen 25 Ca 13831/02 - wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt in erster Linie die angefochtene arbeitsgerichtliche Entscheidung und nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag. Weshalb in der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruches in Höhe der üblichen Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedes und ihrer individuellen Arbeitszeit ein Verstoß gegen § 78 BetrVG liegen soll, sei für sie nicht nachvollziehbar. Hinsichtlich der Frage der Inanspruchnahme von Arbeitszeit sei auf die übliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds abzustellen, die Voraussetzungen des Freizeitausgleiches richteten sich auch nicht nach den Grundsätzen der Betriebsrisikolehre, der Ausgleichsanspruch sei auch nicht auf die sogenannte Nettovortragszeit zu begrenzen. Die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG umfasse nicht nur die tatsächliche Unterrichtszeit, sondern auch die zur Wiederherstellung der Aufnahmefähigkeit der Teilnehmer notwendigen Pausen zwischen den Unterrichtszeiten. Die Argumentation der Beklagten, dass Arbeitnehmer während Mittagspausen Sachverhalte diskutierten und dies auch keine Arbeitszeit sei, liege neben der Sache und entspreche nicht Sinn und Zweck der Gesetzesnorm. Unzutreffend seien auch die Ausführungen der Beklagten zu den Reisezeiten, denn diese hätten der Erfüllung notwendiger Betriebsratsarbeit gegolten und somit in engem Zusammenhang mit der Maßnahme nach § 37 Abs. 6 BetrVG gestanden.

Es treffe nicht zu, dass sie am 25. und 30.07. sowie am 01. und 07.08. ungenehmigt der Arbeit fern geblieben sei. Vielmehr habe sie unter Verwendung des im Betrieb vorgesehenen Formulars Freizeitausgleich beantragt, welcher auch genehmigt worden sei. Diese Freizeitnahme sei nicht rechtsgrundlos erfolgt.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A

Die zugelassene gemäß § 64 Abs. 2 lit. a ArbGG statthafte Berufung der Beklagten wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist ordnungsgemäß ausgeführt (vgl. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO). Sie ist auch im übrigen zulässig.

B

Die Berufung hat jedoch keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht hat der zulässigen Klage mit weitgehend überzeugender Begründung zu Recht voll entsprochen und die Beklagte zur Zahlung von € 219,19 brutto nebst Verzugszinsen verurteilt. Die Klägerin hat auch nach Auffassung des Berufungsgerichts Anspruch auf Vergütung für insgesamt 21 Stunden, hinsichtlich welcher die Abteilungsleiterin C mit Erklärung vom 24.07.2002 Freizeitausgleich am 25.07., 30.07., 01.08. und 07.08.2002 wegen Betriebsratstätigkeit in der Zeit vom 08.07. bis 12.07.2002 angeordnet hatte.

Die von der Beklagten gegen die Erwägungen des Arbeitsgerichts im Berufungsverfahren vorgebrachten Argumente vermögen eine Abänderung des angefochtenen arbeitsgerichtlichen Urteils letztendlich nicht zu rechtfertigen.

I.

Der Hauptanspruch der Klägerin ergibt sich aus § 37 Abs. 6 Satz 2 in Verbindung mit § 37 Abs. 3 BetrVG.

1. Nach § 37 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hat das Betriebsratsmitglied Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der (persönlichen) Arbeitszeit durchzuführen ist. § 37 Abs. 3 BetrVG gilt gemäß § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG entsprechend für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrates erforderlich sind. Nach § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG liegen betriebsbedingte Gründe im Sinne des Abs. 3 auch dann vor, wenn wegen Besonderheiten der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung die Schulung des Betriebsratsmitglieds außerhalb seiner Arbeitszeit erfolgt. Dazu rechnen nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 14/5741, Seite 40, 41) auch die Fälle eines besonderen Umfangs der Arbeitszeit, insbesondere also auch Teilzeitarbeit, da die betriebliche Arbeitszeitgestaltung Teil der betrieblichen Organisation ist (vgl. etwa Wiese/Weber, GK-BetrVG, 7. Auflage 2003, § 37 Rn 140 ff, 204 ff, 212 mit weiteren Nachweisen). Im letzteren Falle ist jedoch der Umfang des Ausgleichsanspruchs im Hinblick auf die Regelung über die Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG pro Schulungstag begrenzt auf die Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers ( § 37 Abs. 6 Satz 2 letzter Teilsatz BetrVG).

Reise- und Wegezeiten des Betriebsratsmitglieds zählen dabei zur Teilnahme an einer Schulungs- oder Bildungsveranstaltung, soweit sie benötigt werden, dass dieses auf angemessene Weise und in angemessener Zeit am Reiseziel eintrifft (vgl. beispielsweise Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt, BetrVG, 21. Auflage, § 37 Rn 91 mit 42).

2. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Klägerin grundsätzlich ein Ausgleichsanspruch für Schulungszeiten zusteht, die außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit angefallen sind; unstreitig ist ferner, dass die Klägerin an einer Schulungsmaßnahme im Sinne des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG teilgenommen hat und ihre Teilnahme daran innerhalb ihrer persönlichen Arbeitszeit nicht möglich gewesen ist. Dementsprechend hatte der Betriebsrat die Geschäftsleitung der Beklagten über die Teilnahme der Klägerin am Seminar der v.-Bildungsstätte in M und dessen zeitliche Lage rechtzeitig informiert, ohne dass diese dagegen Einwände erhoben hätte. Streitig ist allerdings, in welchem Umfang die Klägerin einen Ausgleichsanspruch erworben hat und ob sie diesen noch geltend machen kann. Dabei bestehen insbesondere kontroverse Auffassungen darüber, welche Zeiten der von der Klägerin besuchten Veranstaltung überhaupt ausgleichspflichtig sind und nach welchen Maßstäben eine zeitliche Anspruchsbegrenzung erfolgen soll. Die Streitfragen lassen sich indes nach Auffassung des Berufungsgerichts bei einer unverkrampften, am Gesetzeswortlaut orientierten praktikablen Auslegung des § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG unschwer beantworten.

a) Bei der Gesetzesauslegung ist zunächst auf den Gesetzeswortlaut, den gesetzlichen Regelungszusammenhang und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes abzustellen, darüber hinaus sind Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zu erforschen, wobei die Auslegung insgesamt europarechts- und verfassungskonform zu erfolgen hat (vgl. hierzu etwa BAG AP Nr. 163 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).

b) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist - ausgehend vom Wortlaut des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG ausgleichsfähig diejenige Zeit, welche ein Betriebsratsmitglied für seine Teilnahme an qualifizierten Schulungs- und Bildungsveranstaltungen im Sinne der Bestimmung aufwenden muss. Aus der einschränkungslosen Verweisung auf die Absätze 2 und 3 des § 37 BetrVG erhellt, dass die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen als solche als Betriebsratstätigkeit gilt, nachdem eine nähere Differenzierung in anerkennungswürdige und andere Zeitanteile nicht vorgenommen worden ist. Von einer Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung wird man deshalb immer dann ausgehen müssen, wenn das Betriebsratsmitglied in den vorgegebenen Zeitplan der Veranstaltung eingebunden ist, ohne dass ihm ein hinreichendes Maß an Zeitsouveränität verblieben ist (Zeit zur freien Verfügung, Rahmenprogramme etc.). Offenbar wollte der Gesetzgeber die Zeiten einer Bildungs- und Schulungsveranstaltung generell en bloc als Betriebsratstätigkeit behandelt wissen, wenn man der Veranstaltung nach näherer Prüfung attestiert hat, dass sie Kenntnisse vermittele, welche für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind. Mit der Regelung in § 37 Abs. 6 BetrVG sollte eine effektive Förderung der Qualifizierung der - ständig steigenden Anforderungen ausgesetzten -Betriebsratsmitglieder bewirken, nicht aber einer kleinkarierten demotivierenden Prozesshanselei sowie Erbsenzählerei darüber Vorschub leisten, mit welchen zeitlichen Anteilen eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung einer notwendigen Betriebsratstätigkeit im Sinne des § 37 Abs. 2 BetrVG gleichzustellen ist. Die Teilnahme an einer qualifizierten Schulungs- und Bildungsmaßnahme im Sinne des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG beginnt nach Auffassung der Kammer deshalb mit der (notwendigen) Anreise des Betriebsratsmitglieds zum Veranstaltungsort und endet regelmäßig erst mit seiner Rückkehr an den Ausgangsort. Ausgenommen von diesem weiten zeitlichen Rahmen sind lediglich diejenigen Zeiten, die dem Betriebsratsmitglied zur eigenen Disposition verbleiben. Dazu zählen nach Auffassung der Kammer jedenfalls nicht Zeiten, die einen Umfang von einer Stunde nicht überschreiten. In diesem Rahmen kann ein Seminarteilnehmer normalerweise nicht vernünftig Privates planen. Die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen reduziert sich somit nicht auf die Zeiten der reinen Wissensvermittlung, sondern erfasst sinnvollerweise auch vernünftige oder sogar didaktisch notwendige Essens- und Erholungspausen. Eine andere, engherzige Auslegung der Vorschrift des § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG würde im praktischen Ergebnis den Intentionen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Würde man nämlich darauf abstellen, dass lediglich reine Vortragszeiten unter Ausschluss von Essensund Kaffeepausen zu einem Zeitausgleich führen können, so müsste man ggf. vor dem Hintergrund der geltenden Zivilprozessordnung nach Tagen und Stunde für Stunde getrennt feststellen, inwieweit die Voraussetzungen für einen geltend gemachten Zeitausgleich vorliegen. Damit würde aber dem nach der Normstruktur grundsätzlich darlegungs- und beweisbelasteten Betriebsratsmitglied ein prozessuales Risiko aufgebürdet, welches sich bei der unvoreingenommenen Lektüre des Gesetzestextes nicht unbedingt aufdrängt. Eine solche Lastenverteilung erschiene auch nicht sachgerecht, hat es doch der Teilnehmer an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung regelmäßig nicht in der Hand, Einfluss auf die Inhalte, die Organisation und den Ablauf der Veranstaltung zu nehmen. Nach Auffassung der Kammer ist der Gesetzgeber vielmehr einem anderen Wertungsmuster gefolgt: Ist eine Schulungs- und Bildungsveranstaltung geeignet, einem Betriebsratsmitglied die erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln und ist dessen Teilnahme an der Veranstaltung betrieblich geboten, so soll aufgrund der verwendeten Begrifflichkeit ("Für die Teilnahme an ...") ein großzügiger Maßstab angelegt worden. Die aufgrund des Veranstaltungsprogramms fest verplante Zeit des Betriebsratsmitglieds soll grundsätzlich voll ausgeglichen werden, allerdings - im Fall des teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds - begrenzt auf die (tägliche) Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers.

Vollzeitbeschäftigt im Sinne des § 37 Abs. 6 Satz 2 BetrVG sind nach Auffassung der Kammer, wenn eine betriebliche kollektivrechtliche Arbeitszeitregelung nicht besteht und ein Tarifvertrag nicht zur Anwendung kommt, solche Arbeitnehmer, welche nach übereinstimmender Auffassung der Parteien unstreitig als Vollzeitbeschäftigte angesehen werden. Dies sind vorliegend die Vollzeitbeschäftigten, die auch nach dem Vortrag der Beklagten 40 Stunden pro Woche in der Zeit von 8.00 - 17.30 Uhr arbeitstäglich ohne Pausen 8,5 Stunden (montags bis donnerstags) und freitags von 8.00 - 14.00 Uhr 6 Stunden arbeiten. Diese Definition deckt sich im übrigen mit der überkommenen Vorstellung eines Vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers.

3. Für den vorliegenden Fall bedeuten die obigen Ausführungen Folgendes: Ausgleichspflichtig ist die Beklagte grundsätzlich für die gesamte nach dem Seminarangebot (Arbeitsgerichtsakte Blatt 13/14) und der Mitteilung über die Pausenzeiten der Bildungsstätte verplante Zeit im Zeitraum vom 08. - 12. Juli 2002, also von 10.30 Uhr - 18.30 Uhr am 08.07. sowie für die Zeit von 7.45 - 18.30 Uhr in der Zeit vom 09. - 11.07. und für die Zeit von 7.45 - 16.00 Uhr am 12.07.2002. Hinzu kommen die erforderlichen Wegezeiten für An- und Abfahrt am 08. sowie am 12.07.2002, in Höhe von 2 Stunden, deren Notwendigkeit auch die Beklagte konzediert hat. Diese auszugleichenden Schulungszeiten sind allerdings begrenzt durch die entsprechenden Arbeitszeiten eines Vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in obigem Sinne, also auf 8,5 Stunden für die Tage vom 08.07. bis zum 11.07.2002 und auf 6 Stunden für den 12.07.2002, die Arbeitszeiten - ohne die Pausen - eines Vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers im Betrieb der Beklagten. Ausgleichspflichtig sind somit grundsätzlich insgesamt 40 Stunden. Darauf muss sich die Klägerin allerdings ihre persönliche Arbeitszeit, welche aufgrund der Freistellung zur Teilnahme am Betriebsratsseminar in M am 09., 10. und 11.07. ausgefallen war, anrechnen lassen, also insgesamt 19 Stunden.

Dabei ist zugunsten der Klägerin davon auszugehen, dass sie am Montag, dem 08.07.2002 bereits um 8.00 Uhr von zu Hause mit dem Pkw weggefahren war, um rechtzeitig zum vorgesehenen Seminarbeginn in M einzutreffen. Aufgrund des ihr vorliegenden Seminarangebots (Arbeitsgerichtsakte Blatt 13) durfte die Klägerin nämlich bei gewissenhafter Überlegung und bei ruhiger vernünftiger Abwägung aller Umstände davon ausgehen, dass sie ihre Autofahrt schon um 8.00 Uhr antreten musste, um im Hinblick auf die auf der Autobahn A 81 notorisch bekannten Staugefahren den Seminarbeginn um 10.30 Uhr nicht zu versäumen. Dass der Beklagten mitgeteilt worden war, das Seminar habe am 08.07.2002 erst nach dem Mittagessen um 13.00 Uhr begonnen, ist demgegenüber irrelevant. Zum einen musste die Klägerin von den vorgegebenen Seminarzeiten auf dem Einladungsangebot ausgehen; zum anderen betrifft die der Beklagten erteilte Auskunft offensichtlich eine andere Veranstaltung. Das von der Klägerin besuchte Seminar lief nämlich unter der Seminarnummer 1905-207083, wohingegen das Schreiben der v.-Bildungsstätte M vom 08.09.2002 auf ein Grundseminar M 2805/02 Bezug nimmt. Der Hinweis der Beklagten auf das Auskunftsschreiben vom 08.09.2002 ist deshalb nicht geeignet, den Tatsachenvortrag der Klägerin wirksam zu bestreiten. Dass die v.-Bildung+Beratung gemeinnützige GmbH der Gewerkschaft v. vorsätzlich Seminarangebote mit falschen Schulungszeiten verschickt, hat die Beklagte aber selbst nicht behaupten wollen. Deshalb hat die Klägerin auch nicht über die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Ausgleichsanspruchs getäuscht.

Entsprechendes gilt hinsichtlich der Schulungszeiten vom 12.07.2002. Zugunsten der Klägerin ist wiederum zu unterstellen, dass das Seminar tatsächlich - wie vorgesehen - erst um 16.00 Uhr endete und sie erst gegen 18.00 Uhr zu Hause eintraf.

Die Beklagte kann auch nicht erfolgreich einwenden, die Klägerin könne im Hinblick auf § 78 BetrVG allenfalls einen Ausgleichsanspruch in Höhe der Differenz ihrer persönlichen Arbeitszeit zur durchschnittlichen Arbeitszeit in ihrer Abteilung verlangen. Denn eine Begünstigung des teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieds zu einem vollzeitbeschäftigten ist nicht zu erkennen. Die sachliche Rechtfertigung für eine entsprechende Arbeitsbefreiung wie für ein vollzeitbeschäftigtes Betriebsratsmitglied folgt aus § 37 Abs. 6 Satz 1 und 2 BetrVG.

Summa summarum hat die Klägerin somit einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung ihres Arbeitsentgeltes zum Ausgleich für ihre Teilnahme am Schulungsseminar in M in Höhe von 21 Stunden. Sie hat deshalb am 25. und 30.07. sowie am 01. und 07.08. nicht rechtsgrundlos Freizeit in Anspruch genommen. Vielmehr hatte sie rechtzeitig einen Ausgleichsanspruch in der von der Beklagten vorgesehenen Form geltend gemacht, und die Abteilungsleiterin C hatte den Freizeitausgleich durch ihre Erklärung vom 24.07.2002 (Arbeitsgerichtsakte Blatt 17) angeordnet. Die Beklagte muss sich die Erklärung von Frau C zumindest nach den Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht zurechnen lassen. Aufgrund der Fassung des im Betrieb üblicherweise verwendeten und von der Beklagten entworfenen Formulars durfte die Klägerin davon ausgehen, dass ihre Vorgesetzte den Freizeitausgleich verbindlich festlegen konnte. Dass die Abteilungsleiterin lediglich die Unbedenklichkeit der beantragten Ausgleichszeiten festgestellt habe, legt der Wortlaut der Erklärung gerade nicht nahe. Vielmehr zeigt der Aufbau des Formulars, dass es einer Unterschrift der Geschäftsleitung erst dann bedarf, wenn ein Freizeitausgleich aus betriebsbedingten Gründen nicht erfolgen kann.

Nach allem hat die Beklagte der Klägerin die geltend gemachte Vergütung für die bereits von ihr in Anspruch genommene Arbeitsbefreiung zu zahlen.

II.

Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach allem konnte der Berufung der Beklagten kein Erfolg beschieden sein.

C.

I.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat die Kosten eines erfolglosen Rechtsmittels diejenige Partei zu tragen, die unterlegen ist. Dies ist vorliegend die Beklagte.

II.

Die Zulassung der Revision zum Bundesarbeitsgericht für die Beklagte beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG; der Rechtssache kommt nach Auffassung des Berufungsgerichts im Hinblick auf weitere anhängige Berufungsverfahren und die zwischen den Parteien streitige Auslegung des § 37 Abs. 6 Satz 1 und 2 BetrVG grundsätzliche Bedeutung zu.

Ende der Entscheidung

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