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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 10.05.2005
Aktenzeichen: 21 Sa 121/04
Rechtsgebiete: InsO, BetrVG, ZPO


Vorschriften:

InsO § 9 Abs. 3
InsO § 61
InsO § 113
InsO § 113 Abs. 1
InsO § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
InsO § 208 Abs. 2 Satz 2
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 209 Abs. 2 Nr. 2
InsO § 209 Abs. 2 Ziff. 2
InsO § 209 Abs. 1 Ziff. 3
InsO § 210
BetrVG §§ 102 ff.
BetrVG § 102 Abs. 1
BetrVG §§ 111 ff.
BetrVG § 113
BetrVG § 113 Abs. 3
ZPO § 531 Abs. 2 Ziff. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Teilurteil

Aktenzeichen: 21 Sa 121/04

verkündet am 10.05.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht, den ehrenamtlichen Richter Jaenisch und den ehrenamtlichen Richter Vollmer auf die mündliche Verhandlung vom 10.05.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.10.2004 - Aktenzeichen 5 Ca 3498/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung des Beklagten vom 21.03.2003 und über Vergütungsansprüche.

Die am 15.07.1949 geborene ledige Klägerin war ab dem 01.04.1970 für die Insolvenzschuldnerin und deren Rechtsvorgänger als Fertigungskraft gegen ein durchschnittliches Entgelt von € 2 210,00 monatlich tätig. Die Insolvenzschuldnerin befasste sich mit der Entwicklung und der Herstellung sowie dem Vertrieb von elektronischen Systemen und Technologieprodukten, insbesondere von hochlagigen und komplexen Leiterplatten.

Nach Anordnung von Sicherungsmaßnahmen durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 06.06.2002 wurde am 01.09.2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten mit Schreiben vom 16.09.2002 hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschloss der Beklagte, die betriebliche Organisation und die Arbeitsabläufe zu straffen und 346 von 838 Arbeitskräften abzubauen. Am 18.09.2002 wurde die Klägerin von der Arbeit freigestellt. Am 07.11.2002 schloss der Beklagte mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan (Blatt 48 bis 59 der erstinstanzlichen Akte). In Anlage 1 zu dieser Betriebsvereinbarung sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufgeführt, deren Arbeitsverhältnis gekündigt werden soll, darunter die Klägerin. Im Interessenausgleich der Vereinbarung vom 07.11.2002 ist aufgeführt, dass der Geschäftsbetrieb in erheblich eingeschränktem Umfang zunächst befristet bis zum 31.01.2003 fortgeführt werden soll. Weiter ist niedergelegt, dass der Betriebsrat zu allen Kündigungen ordnungsgemäß angehört und beteiligt worden und das Verfahren nach §§ 102 ff. BetrVG abgeschlossen ist. In IV. Nr. 1 (Inkrafttreten) der Vereinbarung vom 07.11.2002 haben die Betriebsparteien Folgendes niedergelegt:

"Diese Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft und gilt bis zur Zweckerreichung. Die Wirksamkeit dieses Interessenausgleichs und Sozialplans steht unter der auflösenden Bedingung, dass es dem Insolvenzverwalter gelingt, bei einem Geldinstitut den zur Fortführung des Geschäftsbetriebs dringend erforderlichen Kredit zu erhalten."

Am 17.03.2003 schlossen die Betriebsparteien eine weitere Vereinbarung (Blatt 102 und 103 der erstinstanzlichen Akte), die auszugsweise lautet:

"1. Der Zweck der Aufnahme der Bedingung in Ziff. IV Nr. 1 der Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vom 07.11.2002, nämlich die Fortführung des Geschäftsbetriebs bis Januar 2003, wenn nicht sogar bis März 2003 zu gewährleisten, wurde erreicht.

2. Die Beteiligten sind sich daher rechtstatsächlich einig, dass die Bedingung in Ziff. IV. Nr. 1 der Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und Sozialplan vom 07.11.2002 keine Wirkung mehr entfaltet; sie wird einvernehmlich mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung aufgehoben. Damit wird die Betriebsvereinbarung über den Interessenausgleich und Sozialplan einschließlich der Anlage 1, Buchstabe A und B vom 07.11.2002 wirksam."

Nach erneuter Anhörung zur beabsichtigten Kündigung des Arbeitsverhältnisses am 14.03.2003 sprach der Beklagte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 21.03.2003 eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses "aus betrieblichen Gründen außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist, die der in § 113 Absatz 1 InsO vorgesehenen Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende entspricht" zum 30.06.2003 aus. Die wegen endgültiger Stilllegung des Geschäftsbetriebes am 31.07.2003 ausgesprochene weitere Kündigung des Beklagten vom 23.06.2003 zum 30.09.2003 griff die Klägerin zuletzt nicht mehr an.

Am 31.03.2003 hat die Klägerin Kündigungsfeststellungs- und Weiterbeschäftigungsklage beim Arbeitsgericht Stuttgart eingereicht und mit Klagerweiterung vom 17.09.2003 Arbeitsvergütung für die Zeit vom 18.09.2002 bis 30.09.2003 verlangt. Sie hält die Kündigung des Beklagten vom 21.03.2003 für unwirksam und rügt insbesondere die soziale Auswahl als grob fehlerhaft. Sie hat zwei vergleichbare Mitarbeiterinnen ihrer Abteilung benannt, eine Frau N. R. oder B. und eine Frau B. P., die jeweils in Doppelverdiener-Ehe verheiratet sind, eine kürzere Betriebszugehörigkeit und ein geringeres Lebensalter aufweisen. Außerdem hat die Klägerin zuletzt die gerichtliche Feststellung begehrt, dass ihr der Beklagte das Arbeitsentgelt für die Zeit vom 18.09.2002 bis zum 28.02.2003 als Masseverbindlichkeit schulde, zum anderen begehrt sie die Zahlung des Arbeitsentgeltes für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.09.2003 als Neumasseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 2 InsO. Der Beklagte habe es nämlich unterlassen, das Arbeitsverhältnis zum ersten Termin nach der behaupteten Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen.

Dementsprechend hat die Klägerin in erster Instanz zuletzt beantragt:

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 21.03.2003 nicht beendet wurde,

2. festzustellen, dass der Beklagte der Klägerin Arbeitsvergütung für die Zeit vom 18.09.2002 bis 28.02.2003 in Höhe von € 12 148,10 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 4 410,94 als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Absatz 1 Ziffer 3 InsO schuldet,

3. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.09.2003 in Höhe von € 15 846,62 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 5 769,44 nebst Jahreszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit (05.08.2004) zu bezahlen.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt:

Er hält die Kündigung vom 21.03.2003 für wirksam und verweist auf die namentliche Bezeichnung der Klägerin in der Anlage zum Interessenausgleich vom 07.11.2002. Die getroffene Sozialauswahl sei jedenfalls nicht grob fehlerhaft. Er hat erstinstanzlich eingewendet, eine Arbeitnehmerin namens R. oder B. sei nicht im Betrieb der Insolvenzschuldnerin beschäftigt gewesen und ihm unbekannt. Frau B. P. habe als schwerbehinderter Mensch erst nach der von ihm beantragten und durch Bescheid vom 30.07.2003 erteilten Zustimmung des Integrationsamtes eine Kündigung erhalten können. Dies sei dann am 05.08.2003 der Fall gewesen. Bezüglich der Zahlungsklage verweist der Beklagte auf das Vollstreckungsverbot des § 210 InsO. Die Vergütungsansprüche der Klägerin seien als übrige Masseverbindlichkeiten nach § 209 Absatz 1 Nr. 3 InsO zu qualifizieren. Die Voraussetzungen des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO seien nicht gegeben, da er mit dem Betriebsrat am 07.11.2002 eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Interessenausgleiches und Sozialplanes vereinbart habe und er das Arbeitsverhältnis infolge dessen zu diesem Zeitpunkt noch nicht habe kündigen können, ohne dass dies wegen der Entstehung von Nachteilsausgleichsansprüchen im Sinne des § 113 BetrVG arbeitsrechtliche Nachteile für die Masse gehabt hätte. Zu deren Schonung habe ihm bereits vor Ausspruch der Kündigung ein insolvenzspezifisches Freistellungsrecht zugestanden, welches er im Hinblick auf den abgeschlossenen Interessenausgleich und Sozialplan korrekt ausgeübt habe.

Das Arbeitsgericht hat mit seinem am 19.10.2004 verkündeten und den Vertretern der Parteien am 16.12.2004 zugestellten Urteil die Kündigungsschutzklage und damit die Vergütungsklage für den Zeitraum vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 abgewiesen, im Übrigen der Zahlungsklage in Höhe von € 8 888,57 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 3 289,12 sowie vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von € 88,68 nebst Zinsen entsprochen und bei Klagabweisung im Übrigen festgestellt, dass der Beklagte der Klägerin Arbeitsentgelt für die Zeit vom 18.09.2002 bis zum 28.02.2003 in Höhe von € 11 948,57 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 4 410,94 zuzüglich € 120,46 vermögenswirksamer Leistungen als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 3 InsO schuldet. Zur Begründung hat es unter anderem angeführt, dass gemäß dem vorliegend anwendbaren § 125 Absatz 1 Nr. 2 InsO die soziale Auswahl nicht grob fehlerhaft sei. Trotz ihrer insoweit gegebenen Darlegungs- und Beweislast habe die Klägerin keinerlei Nachweis für die Existenz der von ihr als vergleichbar und anhand der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten als deutlich weniger schutzwürdig qualifizierten Arbeitnehmerinnen N. R. oder B. erbracht. Die weitere von ihr ebenfalls als minder schutzwürdig apostrophierte Arbeitnehmerin B. P. sei aufgrund der seinerzeit noch nicht erteilten Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen.

Was das Feststellungsbegehren der Klägerin angehe, so habe diese ein rechtlich geschütztes Interesse daran, ihre grundsätzlich aus der Masse zu befriedigenden Entgeltforderungen im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 3 InsO für die Zeit ab ihrer Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum 28.02.2003 gerichtlich feststellen zu lassen. Einer primär zu erhebenden Leistungsklage hätte wegen des in § 210 InsO normierten Vollstreckungsverbotes das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden müssen. Für die Zeit ab 01.03.2003 greife § 210 InsO nicht. Der Klägerin stünden für die Zeit vom 01.03.2003 bis 30.06.2003 Masseforderungen im Sinne des § 209 Absatz 2 Ziffer 2 in Verbindung mit Absatz 1 Ziffer 2 InsO zu. Nach Abschluss der Vereinbarung vom 07.11.2002 habe der Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist gemäß § 113 InsO zum 28.02.2003 kündigen können. Alle Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, insbesondere die Anhörung des Betriebsrates, hätten vorgelegen. Der Einwand des Beklagten, er habe das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nicht früher als geschehen kündigen können, da die Masse ansonsten mit Nachteilsausgleichsansprüchen gemäß § 113 BetrVG belastet worden wäre, gehe fehl; zwar sei ihm zu konzedieren, dass mit dem Begriff des "Könnens" im Sinne des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können gemeint sei, doch habe der Beklagte sowohl faktisch als auch rechtlich die Möglichkeit gehabt, bereits am 07.11.2002 mit dem Betriebsrat einen unbedingten und von Anfang an rechtswirksamen Interessenausgleich und Sozialplan abzuschließen. Im Übrigen weise die Klägerin zutreffend darauf hin, dass § 113 Absatz 3 BetrVG nur dann zum Tragen komme, wenn der Insolvenzverwalter vor der Entlassung von Arbeitnehmern nicht einmal den Versuch unternommen habe, über die Betriebsänderung einen Interessenausgleich im vorgeschriebenen Verfahren herbeizuführen.

Wegen der weiteren Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Seiten 6 bis 8 des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses Urteil richten sich die ordnungs- und fristgerecht eingelegten und ausgeführten Berufungen der Parteien, die es jeweils verteidigen, soweit es ihnen günstig erscheint.

Zur Kündigung vom 21.03.2003 macht die Klägerin nach wie vor geltend, dass die getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft sei. Die von ihr erstinstanzlich benannte Arbeitnehmerin N. R. oder B. heiße richtigerweise N. B., sei in Doppelverdiener-Ehe verheiratet, im Kündigungszeitpunkt etwa 47 Jahre alt und höchstens 15 Jahre bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt gewesen, wohingegen sie, die Klägerin, zum Kündigungszeitpunkt 53 Jahre alt gewesen sei, eine Betriebszugehörigkeit von 33 Jahren aufweise und als Alleinstehende wirtschaftlich nicht durch das Einkommen eines Ehemannes abgesichert sei, außerdem habe Frau B. nicht einmal den besonderen Kündigungsschutz des Manteltarifvertrages für die Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden genossen.

Teilweise klagerweiternd macht die Klägerin außerdem Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.07.2003 bis 30.09.2003 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes sowie Verzugszinsen und vermögenswirksame Leistungen geltend. Sie ist nach wie vor der Auffassung, dass es sich bei den streitigen Vergütungsansprüchen im Zeitraum 01.03.2003 bis 30.09.2003 um Masseschulden gemäß § 209 Absatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Absatz 2 Nr. 2 InsO handele. Alle Voraussetzungen für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit ihr hätten im November 2002 vorgelegen. § 113 Absatz 3 BetrVG verlange vom Arbeitgeber nur den Versuch eines Interessenausgleiches. Dieser Versuch sei am 07.11.2002 gemacht worden. Die Vereinbarung einer Bedingung sei rechtlich bedeutungslos, weil ein Interessenausgleich grundsätzlich nicht erzwingbar sei. Das Hinausschieben der rechtlich möglichen Kündigung habe deshalb im Widerspruch zur Pflicht des Beklagten gestanden, die Masse zu erhalten.

Wegen des weiteren Vorbringens der Klägern im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 09.02.2005 sowie vom 27.12.2004 (LAG-Akte Blatt 16 bis 19 bzw. 6) sowie vom 22.02.2005 (LAG-Akte Blatt 34 bis 37) verwiesen.

Die Klägerin beantragt dementsprechend in zweiter Instanz sinngemäß:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.10.2004 - Aktenzeichen 5 Ca 3498/03 - wird teilweise abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 21.03.2003 nicht beendet worden ist.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weiteres Arbeitsentgelt für die Zeit vom 01.07.2003 bis zum 30.09.2003 in Höhe von brutto € 6 702,86 abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 2 480,32 sowie vermögenswirksame Leistungen von € 66,51, jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2003 zu bezahlen.

4. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte beantragt seinerseits,

1. die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

2. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 19.10.2004 - Aktenzeichen 5 Ca 3498/03 - festzustellen, dass der Klägerin Arbeitsvergütung für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 30.06.2003 als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Absatz 1 Ziffer 3 InsO in Höhe von € 8 888,57 brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von € 3 289,12 sowie vermögenswirksame Leistungen im Betrag von € 88,68 zustehen.

Er führt gegen das angefochtene Urteil im Wesentlichen ins Feld, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass bei der Interpretation des Begriffes "Können" im Sinne des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO das rechtliche Können gemeint sei. Aufgrund der Regelung in IV. 1. der Betriebsvereinbarung vom 07.11.2002 sei er solange gehindert gewesen, die Arbeitsverhältnisse der namentlich benannten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also auch das der Klägerin, zu kündigen, solange die Bedingung nach IV. 1. der Betriebsvereinbarung nicht eingetreten gewesen sei. Die Kündigungssperre sei deshalb erst mit Abschluss der Vereinbarung vom 17.03.2003 beseitigt worden. Erst hierdurch sei der Versuch eines Interessenausgleiches mit der Folge unternommen worden, dass er ohne Sanktionsgefahren nach § 113 BetrVG das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin habe kündigen können. Nachdem er somit die erste Kündigungsmöglichkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit wahrgenommen habe, stellten die Vergütungsansprüche der Klägerin für die Zeit bis 30.06.2003 insgesamt nachrangige Masseverbindlichkeiten nach § 209 Absatz 1 Nr. 3 InsO dar.

Die vor Ausspruch der Kündigung vom 21.03.2003 durchgeführte Sozialauswahl sei nicht grob fehlerhaft gewesen. Die gesetzliche Tatsachenvermutung des § 125 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 InsO habe die Klägerin nicht widerlegt. Der mit der Berufungsbegründung von der Klägerin gehaltene Vortrag sei im Hinblick auf § 531 Absatz 2 Ziffer 3 ZPO nicht zuzulassen, weil die Klägerin den Namen ihrer Arbeitskollegin unschwer bereits in erster Instanz hätte ermitteln können und das neue Vorbringen somit auf einer Nachlässigkeit beruhe. Auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens lasse die Sozialauswahl aber nicht jegliche Ausgewogenheit vermissen. Der Schwerpunkt der Gewichtung der Sozialkriterien habe auf den Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen gelegen. Frau B. sei verheiratet, laut Lohnsteuerkarte einem Kind zum Unterhalt verpflichtet und Hauptverdienerin, was sich aus der Lohnsteuerkarte 3 ergebe. Dass ihr Ehemann bei der Firma D. beschäftigt sei, bestreite er mit Nichtwissen. Außerdem sei Frau B. seit 01.07.1980 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt gewesen. Die um 10 Jahre längere Betriebszugehörigkeit der Klägerin führe nicht zur groben Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Sozialauswahl, nachdem die Klägerin keine Unterhaltspflichten zu erfüllen habe.

Wegen des weiteren Vorbringens des Beklagten im zweiten Rechtszug wird auf die in der mündlichen Verhandlung in Bezug genommenen Schriftsätze vom 20.01.2005 und 11.02.2005 (LAG-Akte Blatt 22 ff. bzw. 15) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

A - Berufung der Klägerin

Die zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache noch nicht zur Entscheidung reif. Über sie wird erst nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit Schlussurteil befunden werden.

B - Berufung des Beklagten

Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin die der Höhe nach unstreitigen Vergütungsansprüche für die Zeit vom 01.03.2003 bis zum 30.06.2003 als Masseforderungen im Sinne des § 209 Absatz 2 Ziffer 2 in Verbindung mit Absatz 1 Ziffer 2 InsO verlangen kann.

Bei den Vergütungsansprüchen der Klägerin vom 01.03.2003 bis 30.06.2003 handelt es sich um Masseforderungen im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 2 InsO, die mit der Leistungsklage verfolgt werden können (vergleiche BAG 04.06.2003 - 10 AZR 586/02 - AP Nr. 2 zu § 209 InsO). Die Vergütungsansprüche sind Masseforderungen im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO. Sie stammen aus einem Dauerschuldverhältnis für die Zeit nach dem ersten Termin, zu dem der Verwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte (§ 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO). Diese Ansprüche gelten ebenfalls als Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Absatz 1 Nr. 2 InsO. Sie sind so zu behandeln, als wären sie nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründet worden.

Im vorliegenden Verfahren hat der Beklagte die Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht mit Schreiben vom 16.09.2002 ordnungsgemäß angezeigt (§ 208 Absatz 1 Satz 1 InsO). Die Klägerin hat auch nicht bestritten, dass diese Anzeige ordnungsgemäß öffentlich bekannt gemacht worden ist (§ 208 Absatz 2 in Verbindung mit § 9 Absatz 1 InsO). Ob den Massegläubigern die Anzeige förmlich zugestellt wurde, wie es § 208 Absatz 2 Satz 2 InsO vorschreibt, ist unerheblich, weil gemäß § 9 Absatz 3 InsO die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten genügt, auch wenn dieses Gesetz neben ihr eine besondere Zustellung vorschreibt (vergleiche BAG 31.03.2004 -10 AZR 253/03 - NZA 2004, 1093, 1096). Sobald Masseunzulänglichkeit droht oder eintritt, muss der Insolvenzverwalter ein Arbeitsverhältnis, das er für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötigt, unverzüglich kündigen. Dabei ist für die früheste Kündigungsmöglichkeit die objektive Lage entscheidend. Mit dem Begriff des "Könnens" im Sinne des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO ist nicht ein tatsächliches, sondern ein rechtliches Können gemeint. Ist der Betriebsrat vor einer Kündigung anzuhören (§ 102 BetrVG), sind diese Voraussetzungen, die andernfalls die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge hätten, zunächst herbeizuführen. Ferner hat der Insolvenzverwalter vor dem Ausspruch von Kündigungen Interessenausgleichsverhandlungen zu führen, wenn die §§ 111 ff. BetrVG eingreifen, da er die Masse sonst mit Nachteilsausgleichsansprüchen gemäß § 113 BetrVG belasten würde (BAG 04.06.2003 a. a. O., BAG 31.03.2004 a. a. O., S. 1097).

Die erkennende Kammer ist wie die Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts in dem vergleichbaren Verfahren 2 Sa 29/04 der Auffassung, dass der Beklagte mit der Kündigung vom 21.03.2003 das Arbeitsverhältnis nicht zum ersten Termin im Sinne des § 209 Absatz 2 Nr. 2 InsO gekündigt hat. Mit dem Abschluss des Interessenausgleiches und Sozialplanes und der Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Absatz 1 BetrVG am 07.11.2002 waren objektiv alle Voraussetzungen erfüllt, um das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2003 kündigen zu können.

Der Beklagte war auch nicht aufgrund der Regelung in IV. 1. der Vereinbarung vom 07.11.2002 gehindert, das Arbeitsverhältnis im November 2002 zu kündigen. Die Bestimmung in IV. 1. stellt den Interessenausgleich und Sozialplan bei Würdigung der objektiven Interessenlage unter die aufschiebende (nicht auflösende) Bedingung, dass es dem Insolvenzverwalter gelingt, den zur Fortführung des Betriebs erforderlichen Kredit zu erhalten. Das heißt aber nicht, dass der Interessenausgleich vom 07.11.2002 schwebend unwirksam gewesen wäre. Der Beklagte hat mit Abschluss der Vereinbarung am 07.11.2002 den Versuch eines Interessenausgleiches gemacht. Zu diesem Zeitpunkt "konnte" der Beklagte eine betriebsbedingte Kündigung gegenüber der Klägerin aussprechen. Für die Fortführung des Betriebes ist die Aussetzung der vorgesehenen Kündigung der bereits am 18.09.2002 freigestellten Klägerin nicht erforderlich gewesen. Im Interessenausgleich ist auch keine Bestimmung enthalten, dass der Insolvenzverwalter bis zur Kreditgewährung nicht kündigen darf. Ein derartiges Kündigungsverbot wäre im Insolvenzverfahren auch problematisch. Im Interesse der Erhaltung der Masse darf es der Insolvenzverwalter nämlich auf keinen Fall versäumen, Dauerschuldverhältnisse nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu kündigen, wenn er den Vertragsgegenstand für die Abwicklung des masseunzulänglichen Verfahrens nicht mehr benötigt. Unterlässt der Verwalter eine solche Kündigung, obwohl er das Vertragsverhältnis für die Masse nicht mehr benötigt, kann er sich schadensersatzpflichtig im Sinne des § 61 InsO machen (BAG 04.06.2003 a. a. O., mit weiteren Nachweisen). Eine vom Beklagten behauptete Verpflichtung zur Aussetzung der Kündigung bis zu der Vereinbarung vom 17.03.2003, die allerdings dem Interessenausgleich vom 07.11.2002 nicht entnommen werden kann, hätte der Beklagte deshalb nicht eingehen dürfen. Da der Beklagte deshalb das Arbeitsverhältnis zum 28.02.2003 hätte kündigen können, fallen die Vergütungsansprüche der Klägerin vom 01.03.2003 bis zum 30.06.2003 unter § 209 Absatz 1 Nr. 2 InsO.

Nach allem war die Berufung des Beklagten deshalb durch Teilurteil zurückzuweisen.

I. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

II. Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Absatz 2 Nr. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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