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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 14.09.2000
Aktenzeichen: 21 Sa 25/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VermBG, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 850 a
ZPO § 850 a Nr. 2
ZPO § 850 e Nr. 1
ZPO § 851
BGB §§ 145 ff.
BGB § 366
BGB § 387
BGB § 394
VermBG § 13 Abs. 3 Satz 2
VermBG § 17 Abs. 1
ArbGG § 72 Abs. 2
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
21 Sa 25/00

verkündet am 14. September 2000

In Sachen

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 21. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Leicht, den ehrenamtlichen Richter Jentsch und den ehrenamtlichen Richter Kaspar auf die mündliche Verhandlung vom 14.09.2000 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 28.02.2000 - Aktenzeichen 2 Ca 413/99 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von einer ausführlichen Darstellung des Prozeßstoffes wird im Hinblick auf § 543 Absatz 1 ZPO abgesehen, nachdem das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht unterliegt. Stattdessen wird auf den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen.

Die Parteienstreiten im zweiten Rechtszug weiter über Ansprüche des Klägers auf Zahlung eines restlichen 13. Monatsgehalts, auf Urlaubsgeld sowie auf vermögenswirksame Arbeitgeberleistungen für die Jahre 1997 bis 1999. Ihr Vorbringen im Berufungsverfahren erschließt sich aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 02.05.2000 (LAG-Akte Bl. 18 bis 35) sowie dem des Klägers vom 05.06.2000 (LAG-Akte Bl. 48 bis 52) nebst Anlagen. Hierauf wird Bezug genommen.

Die Beklagte führt im Wesentlichen aus, das Arbeitsgericht habe den Erklärungsgehalt des Gesamtverhaltens des Klägers in Verbindung mit dem Gespräch vom Dezember 1996 falsch bewertet; in Wirklichkeit habe sich dieser mit der Kürzung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes einverstanden erklärt. Ebenfalls sei er nach Treu und Glauben gehindert, seine Ansprüche geltend zu machen, nachdem er in Kenntnis der mangelnden Durchsetzbarkeit einer einseitigen Anspruchskürzung diese über einen sehr langen Zeitraum hingenommen, selbst die Betriebsordnung erstellt und gegenüber allen übrigen Mitarbeitern sie als verbindlich bezeichnet habe. Sie, die Beklagte, habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass er sein eventuell fehlendes Einverständnis mit der Anspruchskürzung kurzfristig offenbaren werde. Zumindest müsse er sich die mit Schreiben vom 30.12.1997 angekündigte Sonderzahlung von DM 1.000,-- anrechnen lassen. Zu keinem Zeitpunkt habe sie nämlich mehr bezahlen wollen, als dem Kläger nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag zugestanden hätte. Mit der Zweckbestimmung "Anerkennung für das Mitschwingen" habe sie zu verstehen gegeben, dass sie die Akzeptanz der Kürzungsmaßnahmen in gewisser Weise honorieren wolle.

Außerdem berühmt sich die Beklagte im Rahmen einer Hilfsaufrechnung einer Schadensersatzforderung in Höhe von DM 18.271,62, weil der Kläger sie in dieser Höhe mit bedingtem Vorsatz geschädigt habe. Sie habe nämlich im Vertrauen auf seine Erklärungen die Arbeitgeberanteile zu seiner privaten Krankenversicherung bezahlt, der Kläger habe jedoch den ihr vorgelegten Antrag auf Befreiung von der Krankenversicherungspflicht niemals bei der zuständigen AOK eingereicht. Gegen die Nettolohnanteile in Höhe von DM 5.368,95 aus dem titulierten Bruttobetrag rechne sie deshalb hilfsweise mit dem ihr zustehenden Schadensersatzanspruch auf. Dieser belaufe sich für 1998 und 1999 auf zusammen DM 5.280,38.

Die Beklagte beantragt dementsprechend im zweiten Rechtszug:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 28.02.2000 - Aktenzeichen 2Ca413/99 - wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er macht sich zuvörderst die Erwägungen des arbeitsgerichtlichen Urteils zu eigen. Zudem sei anzumerken, dass er seine Ansprüche auf Auszahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld immer wieder bei der Prokuristin Hendriks vergeblich geltend gemacht habe. Gerade aus dem Gespräch vom Dezember 1996 habe sie nicht schließen dürfen, dass er auf diese Ansprüche verzichte, nachdem er eindeutig zum Ausdruck gebracht habe, dass er die zur Streichung vorgesehenen Gelder unbedingt benötige. Im Hinblick auf die von der Beklagten behaupteten wirtschaftlichen Situation und ihr Vertrauen auf die Zusage, in besseren Zeiten die ausgesetzten Zahlungen nachzuholen, habe er auf die gerichtliche Geltendmachung seiner Ansprüche verzichtet, um das jederzeit gute Betriebsklima nicht zu gefährden. Er habe die Beklagte in keiner Weise getäuscht, sondern sie darauf hingewiesen, dass die vorgeschlagenen Einsparungsmaßnahmen im Bereich Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie vermögenswirksame Leistungen juristisch nicht einseitig durchsetzbar seien. Das erforderliche Einvernehmen habe die Beklagte jedoch weder bei ihm noch bei den übrigen Mitarbeitern auch nur ansatzweise gesucht. Deshalb verstoße die jetzige gerichtliche Geltendmachung nicht gegen Treu und Glauben. Was die Zahlung in Höhe von DM 1.000,-- im Dezember 1997 angehe, dürfe eine Anrechnung nicht erfolgen, nachdem diese in Anerkennung besonderer Leistungen ohne jeglichen Vorbehalt erfolgt sei. Auch die Hilfsaufrechnung der Beklagten gehe ins Leere. Denn dieser stünden keine Erstattungsansprüche zu. Er sei seit dem Jahr 1995 von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung befreit gewesen, weil sein Jahresarbeitsentgelt die Bemessungsfreigrenze von DM 73.800,-- (bis Ende 1997) überschritten habe. Deshalb habe er ab 1995 eine private Krankenversicherung unterhalten. 1996 und 1997 sei die Beitragsbemessungsgrenze nur auf Grund der erfolgten Sonderzahlungen überschritten worden. Die damit verbundene Problematik sei der Beklagten hinreichend bekannt gewesen. Er habe deshalb darauf vertraut, dass er auch im Jahr 1998 mindestens ein Bruttojahreseinkommen in Höhe von DM 75.600,-- erzielen werde, zumal er durchgehend seine private Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt habe. Nachdem ihm das Arbeitsgericht für das Jahr 1998 weitere DM 5.269,50 zugesprochen habe sei auch für jenes Jahr die Beitragsbemessungsgrenze überschritten worden, so dass eine Nachzahlungspflicht für die Beklagte entfallen sei. Wenn sie gleichwohl auf einen Beitragsbescheid der AOK geleistete und auf Rechtsmittel verzichtet habe, so gehe dies nicht zu seinen Lasten. Dass sie für das Beitragsjahr 1999 überhaupt Beiträge an die AOK bezahlt habe, bestreite er. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte Berufung (§64 Abs.2 ArbGG) wurde form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist ordnungsgemäß ausgeführt (§§66 Abs.1 ArbGG, 518, 519 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig. II. Der Berufung der Beklagtenhat jedoch keinen Erfolg. Zur Recht und mit zutreffenden Erwägungen, denen sich das Berufungsgericht anschließt, hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von DM 16.375,89 brutto nebst Verzugszinsen verurteilt. Denn die Klage ist insoweit zulässig und begründet. Die gegen das arbeitsgerichtliche Urteil im Berufungsverfahren vorgetragenen Angriffe tragen letztendlich nicht.

1. Unstreitig hatte sich die Beklagte arbeitsvertraglich verpflichtet, dem Kläger ein 13. Monatsgehalt, Urlaubsgeld in Höhe von 50 % der jeweiligen Urlaubsvergütung sowie vermögenswirksame Arbeitgeberleistungen zu zahlen. Der Kläger hatte dementsprechend in den Jahren 1996 bis 1998 Ansprüche auf ein 13. Monatsgehalt in Höhe von DM 5.650,-- brutto, im Jahr 1999 einen anteiligen Anspruch in Höhe von DM 3.383,-- brutto sowie auf ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von jeweils DM 3.911,55 brutto bzw. von anteilig DM 2.342,29 für das Jahr 1999 und außerdem Ansprüche auf vermögenswirksame Leistungen für das Jahr 1997 bis zu seinem Ausscheiden in Höhe von DM 1.612,-- brutto erworben. Davon hat das Arbeitsgericht dem Kläger insgesamt DM 16.375,89 brutto zugesprochen, wovon - unter Berücksichtigung des § 366 BGB und des Tilgungszweckes der Sonderzahlungen mit Tilgungswirkung seitens der Beklagten - auf das 13. Monatsgehalt DM 1.357,50 brutto für das Jahr 1998 und DM 3.383,-- brutto für das Jahr 1999, auf die Urlaubsgeldansprüche der Jahre 1997 bis 1999 hingegen DM 2.769,55 brutto, DM 3.311,55 brutto sowie DM 2.342,29 brutto und auf die vermögenswirksamen Leistungen DM 1.612,-- brutto entfallen.

2. Die hiergegen von der Beklagten vorgebrachten Einwendungen greifen nicht.

a) Soweit sie geltend macht, der Kläger habe durch die widerspruchslose Hinnahme der Nichtgewährung des 13. Monatsgehaltes, des Urlaubsgeldes sowie der vermögenswirksamen Leistungen konkludent in eine Abänderung der arbeitsvertraglichen Bestimmungen eingewilligt bzw. auf seine Ansprüche verzichtet, ist ihr Vorbringen unschlüssig. Denn das bloße Schweigen des Klägers auf die betriebliche Umsetzung des Maßnahmenkataloges laut Aushang vom 29.01.1996 und laut Anlage zur Lohnabrechnung 01/96 (Arbeitsgerichtsakte Bl. 26 und 27) - auch wenn der Kläger diesen Katalog vorbereitet hatte - beinhaltet noch keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat. Zudem ist das Unterlassen der Geltendmachung von Ansprüchen keineswegs als Anspruchsverzicht zu werten. Gläubiger können aus den verschiedensten Beweggründen von der Ausübung ihrer Gläubigerrechte absehen, ohne dass sie damit zum Ausdruck brächten, sie wollten sich dadurch ihrer Rechtspositionen begeben. Wird ein Recht längere Zeit nicht in Anspruch genommen, führt dies auch nach dem Verständnis des Gesetzgebers nicht automatisch zum Rechtsuntergang, wie dies die Verjährungsbestimmungen zeigen. Diese eröffnen allenfalls eine Einrede, keine rechtsvernichtende Einwendung auf Grund Zeitablaufs wie etwa das Institut der Verwirkung.

Auch im Hinblick auf die tatbestandlichen Voraussetzungen für das Zustandekommen eines (Abänderungs-) Vertrages gemäß §§ 145 ff. BGB fehlt es an feststellbaren dem Kläger zurechenbaren Erklärungsakten im Sinne der Abgabe eines verbindlichen Änderungsvertragsangebotes oder einer Verzichtserklärung, welches bzw. welche die Beklagte hätte verlässlich annehmen können. Vor dem Hintergrund des das gesamte Privatrecht beherrschende Grundsatzes des "pacta sunt servanda" bedarf es für die Annahme einer Änderung schriftlich vorliegender Vertragsbedingungen durch mündliche Erklärungen der Vertragsparteien der Feststellung eines eindeutigen rechtsgeschäftlichen Parteiwillen. Eine solche Feststellung ist mangels greifbarer konkreter Anhaltspunkte vorliegend nicht möglich.

Eine Inhaltsänderung des schriftlichen Arbeitsvertrages ist auch nicht durch eine anspruchsleugnende betriebliche Übung zustande gekommen. Denn die vom Bundesarbeitsgericht (AP Nr. 55 zu § 242 BGB Betriebliche Übung) entwickelte Rechtsprechung zur Abänderung einer bestehenden betrieblichen Übung betrifft nur solche Rechtspositionen, welche auf Grund eines wiederholten gleichförmigen faktischen Verhaltens entstanden sind, nicht aber durch Rechtsgeschäft begründete vertragliche Regelungen. Denn diese können allenfalls durch einen "actus contarius" oder durch höherrangiges Recht beseitigt oder geändert werden, nicht aber durch eine rangniedrigere Rechtsquelle wie die durch richterliche Rechtsfortbildung begründete "Betriebliche Übung".

Die Beklagte durfte schließlich nicht davon ausgehen, dass der Kläger auf wohl erworbene Rechte verzichten wollte, nachdem er sie längere Zeit nicht geltend gemacht hatte. Dies ergibt sich aus der betrieblichen Situation, aus der heraus die Kürzungsmaßnahmen notwendig geworden waren. So heißt es in der Mitarbeiterinformation 02/96, dass Lohn- und Gehalts-Zusatzleistungen ausgesetzt werden sollten (Urlaubsgeld 50 %, Weihnachtsgeld, vermögenswirksame Leistungen), und es wurde eine entsprechende Sonderleistung in Aussicht gestellt, sollte sich die Ertragslage durch diese Aussetzung und andere Maßnahmen gegen Jahresende verbessert haben. Im Aushang vom 29.01.1996 heißt es ferner am Ende, dass alle Mitarbeiter eine Änderungskündigung erhalten sollten, um die geplanten Streichungsmaßnahmen rechtlich abzusichern. Dazu kam es jedoch nicht. Dies alles deutet darauf hin, dass die sogenannten Kürzungsmaßnahmen nicht endgültig sein sollten, sehr viel eher an eine Stundung der Forderungen gedacht war, so dass die unterbliebene Geltendmachung der Ansprüche weniger auf einen Verzichtswillen des Klägers, sondern auf eine Stundung der geschuldeten Leistungen hindeuten musste.

Dass der Kläger selbst die Streichungsmaßnahmen vorgeschlagen hatte, lässt sein Untätigbleiben nicht in einem anderen Licht erscheinen. Zum einen sagt bereits das Sprichwort, dass der Wegweiser nie mitgehe, zum anderen musste sich der Kläger durch die Art der im Betrieb umgesetzten Kürzungsmaßnahmen nicht unbedingt selbst angesprochen sehen. Denn ihm hatte die Beklagte schließlich vertraglich einen Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt und ein 50%iges Urlaubsgeld sowie auf vermögenswirksame Leistungen zugesichert, wohingegen von der allgemeinen Kürzungsaktion im Betrieb unterschiedslos auch solche Mitarbeiter erfasst wurden, die einen Rechtsanspruch nur auf Grund betrieblicher Übung erworben oder lediglich freiwillige stets widerrufliche Zahlungen erhalten hatten. Auf die Klärung der Frage, ob der Kläger wiederholt bei der Prokuristin H. vorstellig geworden war, um an das ihm zustehende 13. Monatsgehalt und das Urlaubsgeld zu erinnern, kommt es deshalb nicht entscheidungserheblich an, nachdem die Beklagte aus dem Verhalten des Klägers den von ihr behaupteten Verzichtswillen nicht ableiten durfte.

b) Auch der Einwand der Beklagten, dem Kläger sei die Geltendmachung der streitbefangenen Ansprüche aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, ist nicht begründet.

Zwar kann ein Recht verwirken, wenn der Rechtsträger sein Recht längere Zeit nicht ausgeübt hat, der Gegner nach dem früheren Verhalten des Rechtsträgers damit rechnen durfte, dass das Recht nicht mehr geltend gemacht werde und er sich hierauf eingerichtet hat, so dass ihm die Erfüllung des Rechtes nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. BAG AP Nr. 3, 4, 9, 10, 17 zu § 242 BGB Verwirkung) doch liegt ein solcher Fall der illoyal verspäteten Geltendmachung eines Rechts im vorliegenden Streitfall nicht vor. Zwar ist das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment - für dessen Bestimmung es keine generellen für jeden Einzelfall gültigen Zeitgrenzen, sondern nur einen zeitlich Orientierungsrahmen (etwa die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG oder die Länge tarifvertraglicher Verfallfristen) gibt - erfüllt, nachdem der Kläger die streitbefangenen Ansprüche mindestens sechs Monate nach ihrer Fälligkeit nicht mehr geltend gemacht hatte. Doch sind die Voraussetzungen des Umstandsmomentes nicht gegeben. Die Beklagte hat keinerlei konkrete Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass sie sich im Vertrauen auf das bisherige Verhalten des Klägers dahingehend eingerichtet habe, dieser werde die streitbefangenen Ansprüche nicht geltend machen, so dass ihr nunmehr die Anspruchserfüllung unzumutbar geworden sei. Denn nichts ist einfacher, als eine Geldschuld zu begleichen. Das gesamte Schuldrecht geht davon aus, dass man Geld zu besitzen habe. Dass die Beklagte im Vertrauen darauf, dass der Kläger sie nicht mehr in Anspruch nehmen werde, ihren Kreditrahmen bei den Banken völlig erschöpft hätte und eine Verurteilung zur Zahlung der streitbefangenen Beträge sie in den wirtschaftlichen Ruin führen würde, hat sie selbst nicht behauptet. Davon, dass der Verwirkungstatbestand erfüllt wäre, kann deshalb keine Rede sein. Andererseits bestehen auch keine weiteren konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Geltendmachung der Ansprüche aus anderen Gründen (einschließlich des Verhaltens des Rechtsträgers bei der Geltendmachung eines Rechts) eine unzulässige Rechtsausübung beinhalten würde.

c) Der Kläger muss sich auch die im Dezember 1997 erfolgte Sonderzahlung laut Schreiben vom 30.12.1997 ("als Anerkennung für das Mitschwingen") nicht auf das geltend gemachte Urlaubsgeld für 1997 anrechnen lassen. Denn diese Leistung ist auf Grund des - aus der Sicht des Klägers zu bestimmenden - objektivierten Erklärungswerts der Leistungsbestimmung nicht als Erfüllung vertraglicher Ansprüche des Klägers zu qualifizieren, sondern als zusätzliche (freiwillige) Leistung in Anerkennung besonderer Dienste im abgelaufenen Kalenderjahr und in Erwartung weiterer partnerschaflicher Zusammenarbeit. Dies ergibt sich vor allem aus einem Vergleich des Schreibens vom 30.12.1997 mit dem vom 27.11.1997, in dem dem Kläger eine "Sonderzahlung 1997" unter Anrechnung auf eventuelle vertragliche Ansprüche zugesagt worden war.

Hätte die Beklagte tatsächlich mit der Zahlung der eingangs genannten DM 1.000,-- zugleich eventuell bestehende vertragliche Ansprüche erfüllen wollen, hätte eine dementsprechende eindeutige Leistungsbestimmung vorgenommen werden müssen. Dies hat die Beklagte versäumt, so dass eventuelle Unklarheiten zu ihren Lasten gehen.

d) Auch der Aufrechnungseinwand der Beklagten ist unbegründet. Die erklärte Hilfsaufrechnung mit einer Schadensersatzgegenforderung ist unzulässig.

Zwar bestimmt § 387 BGB, dass - wenn zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind - jeder Teil seine Forderungen gegen die Forderungen des anderen Teiles aufrechnen kann, soweit er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann; gemäß § 394 BGB findet eine Aufrechnung gegen eine Forderung allerdings nicht statt, soweit diese der Pfändung nicht unterworfen ist. Inwieweit eine Forderung der Pfändung unterworfen ist oder nicht, bestimmt sich insbesondere nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 850 ff. ZPO).

Wer eine Aufrechnung gegen eine Vergütungsforderung erklärt, ist im Prozess darlegungs- und im Streitfall beweisbelastet hinsichtlich des pfändbaren Vergütungsanteiles derselben. Er hat vor allem darzulegen, welche Vergütungsanteile der Pfändung und damit der Aufrechnung entzogen sind und die unmittelbar auf Grund steuer- und sozialrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten des Schuldners abzuführenden oder ihnen gleichgestellte Beträge (vgl. § 850e Nr. 1 ZPO) aufzuzeigen.

Dies hat die Beklagte vorliegend nicht hinreichend bedacht. Die Aufrechnung scheitert nämlich schon an § 394 BGB in Verbindung mit § 850a Nr. 2 und § 851 ZPO in Verbindung mit §§ 13 Abs. 3 Satz 2, 17 Abs. 1 des 5. Vermögensbildungsgesetzes. Der dem - dem Kläger zugesprochenen - titulierten Forderungsbetrag von DM 16.375,89 brutto entsprechende (richtige!) Nettobetrag von DM 5.152,19 (vgl. den in der Nachzahlungsberechnung B13 ausgewiesenen Nettobetrag) ist nämlich unpfändbar. Für die Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens gilt gemäß § 850e Nr. 1 folgendes: Nicht mitzurechnen sind die nach § 850a der Pfändung entzogenen Bezüge, ferner Bezüge, die unmittelbar auf Grund steuerrechtlicher oder sozialrechtlicher Vorschriften zu Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind. Danach sind von dem ausgewiesenen Bruttobetrag die darin enthaltenen nach § 850 a Nr. 2 ZPO unpfändbaren Urlaubsgeldbeträge in Höhe von insgesamt DM 9.022,89 (DM 2.769,05 plus DM 3.911,55 plus DM 2.342,29) in Abzug zu bringen, außerdem die in der Anlage B 13 ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von DM 2.576,14, die Lohnsteuer in Höhe von DM 7.619,--, die Kirchensteuer in Höhe von DM 609,52 und der Solidaritätszuschlag in Höhe von DM 419,04. Außerdem wäre auszuklammern der auf die vermögenswirksamen Leistungen entfallende Betrag in Höhe von DM 1.612,-- im Hinblick auf § 851 ZPO. Somit bleibt kein pfändbarer Vergütungsanteil mehr übrig. Dieses Ergebnis folgt daraus, dass der gesamte auf dem gepfändeten Arbeitseinkommen lastende Steuerbetrag (Lohnsteuer, Kirchensteuer, Solidaritätsbeitrag) sowie die den Arbeitnehmer treffenden Anteile der Soziallasten abgezogen werden, ohne dass eine Zerlegung dieser Beträge in die auf die unpfändbaren Vergütungsanteile und die auf den Schuldner verbliebenen Vergütungsanteile entfallenden Steuern und Soziallasten vorgenommen werden würde (vgl. hierzu Hense, Rechtspfleger 1980, 456). Nachdem somit im vorliegenden Fall keine pfändbaren Vergütungsanteile aus dem titulierten Bruttoanspruch übrig bleiben, muss auch die von der Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung ins Leere gehen. Ob der Beklagten tatsächlich die geltend gemachte Aufrechnungsforderung wegen Schadensersatz gegen den Kläger zusteht, brauchte deshalb nicht geklärt zu werden. Dies bedeutet aber auch, dass eine Sachentscheidung über diese Forderung mit dem vorliegenden Urteil nicht getroffen wurde. Die Beklagte kann deshalb einen evtl. bestehenden Schadensersatzanspruch in einem gesonderten Verfahren gegen den Kläger erneut geltend machen.

Nach allem konnte der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts kein Erfolg beschieden sein.

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Absatz 1 ZPO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Partei zur Last, die es eingelegt hat. Dies ist vorliegend die Beklagte.

2. Die Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht war wegen des Einzelfallcharakters der Entscheidung vorliegend nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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