Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 03.03.2000
Aktenzeichen: 3 SHa 1/00
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG, GVG, HGB, BGB


Vorschriften:

ZPO § 13
ZPO § 29
ZPO § 32
ZPO § 33
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 145 Abs. 2
ZPO § 577 Abs. 2 Satz 1
ArbGG § 48 Abs. 1 Satz 1
GVG § 17 a Abs. 4 Satz 3
HGB § 60
HGB § 61
BGB § 269
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
3 SHa 1/00

Beschluss vom 03.03.2000

In dem Verfahren

betreffend die Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts für den Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Höfle ohne mündliche Verhandlung am 03.03.2000

beschlossen:

Tenor:

Das Arbeitsgericht Dessau wird als das örtlich zuständige Arbeitsgericht bestimmt.

Gründe:

A.

Die Beklagten waren bei der Klägerin, einem sogenannten Zeitarbeitsunternehmen, angestellt und im "Vertriebsbereich" beschäftigt. Sie hat die Vertragsverhältnisse wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens fristlos gekündigt. Die Beklagten haben -unter anderem- hierwegen Klage zum Arbeitsgericht Dessau erhoben. Dieses hat die Rechtsstreitigkeiten an das Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- verwiesen, da der Arbeitgeber seinen Sitz nach 78479 Reichenau verlegt gehabt habe.

Der Arbeitgeber hat in beiden Verfahren Widerklage erhoben, mit der unter gesamtschuldnerischer Haftung Schadenersatz wegen -zusammenfassend- wettbewerblichen Verhaltens beansprucht wird.

Das Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- hat in beiden (Ursprungs-) Ausgangsverfahren durch am 15.11.99 verkündeten Beschluss die Widerklage abgetrennt und durch am selben Tag verkündetes Urteil über die Klagen entschieden.

Es hat die -abgetrennten- Widerklagen mit neuen Aktenzeichen versehen, dieselben verbunden, sich insoweit für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Dessau verwiesen.

Dieses hat seinerseits seine örtliche Unzuständigkeit ausgesprochen. Es hat die Sache zur Bestimmung des örtlich zuständigen Arbeitsgerichts vorgelegt.

Im unterstellten Einverständnis der Parteien des -nunmehrigen- Ausgangsverfahrens, die sich zu diesem Punkt bereits gegenüber dem Arbeitsgericht Dessau geäußert haben, wurde davon abgesehen, (ausdrücklich) Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme zu geben.

B.

Als örtlich zuständiges Arbeitsgericht war das Arbeitsgericht Dessau zu bestimmen.

Die Vorlage ist an sich statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache kann dem vorlegenden Gericht nicht beigetreten werden.

I. Zur Entscheidung ist vorliegend das Landesarbeitsgericht berufen (§ 36 Abs. 1, 2 ZPO in der Fassung des SchiedsVfG vom 22.12.97, BGBl. I S. 3224 i.V.m. § 46 Abs. 1, 2 ArbGG), und zwar das für das Bundesland Baden-Württemberg, denn mit der im ersten Rechtszug allein noch rechtshängigen (ursprünglich Wider-) Klage, war das Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- zuerst befasst. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ergeht (gem. § 37 Abs. 1 ZPO) ohne mündliche Verhandlung und deshalb durch den Vorsitzenden allein (§ 48 Abs. 1 Nr. 2, e contrario, i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG).

II. Nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist -wie hier auf Vorlage eines Gerichts- das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. So liegt es hier.

1. Das Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- hat in den (ursprünglichen) Ausgangsverfahren 3 Ca 77/99 und 3 Ca 103/99 (jeweils) die Widerklage abgetrennt und diese Rechtsschutzbitten mit neuen Aktenzeichen, nämlich 3 Ca 558/99 und 3 Ca 559/99 versehen. Es hat sodann diese Verfahren verbunden, durch Beschluss vom 15.11.99 seine örtliche Unzuständigkeit ausgesprochen und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Dessau verwiesen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 48 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und damit im Sinne der genannten Bestimmung rechtskräftig. Eine sogenannte außerordentliche Beschwerde wegen -behaupteter- greifbarer Gesetzeswidrigkeit ist nicht eingelegt; das kann angesichts dessen, dass die Zweiwochenfrist des § 577 Abs. 2 Satz 1 ZPO sowohl originär als auch im Rahmen von § 48 Abs. 1 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG längst verstrichen ist, in sachbescheidungsfähiger Weise auch nicht mehr geschehen.

2. Das Arbeitsgericht Dessau hat sich durch Beschluss vom 24.02.2000 -10 Ca 557/99- ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt. Diese Entscheidung ist für die Parteien gleichfalls unanfechtbar, und die Frage, ob das Arbeitsgericht Dessau an den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lörrach -Kammern Radolfzell- gebunden ist, stellt sich erst im Rahmen der Prüfung, welches der beiden Gerichte zur Entscheidung berufen ist.

III. Das Arbeitsgericht Dessau ist an den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Lörrach -Kammern Radolfzell- gebunden (§ 48 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG).

Diese Bindungswirkung entfällt nur, wenn den Parteien das rechtliche Gehör versagt wurde oder die Entscheidung auf -objektiver- Willkür beruht (BGH vom 26.08.92 -XII ARZ 22/92; siehe auch v. 26.11.97 -XII ARZ 34/97; Musielak-Foerste, ZPO, § 281 Rnr. 17).

Davon kann nicht ausgegangen werden.

1. Dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör wurde Genüge getan. Ausweislich der jeweiligen Sitzungsniederschrift haben in beiden (Ursprungs-) Ausgangsverfahren (Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- 3 Ca 77/99 und 3 Ca 103/99) die Kläger/Widerbeklagten beantragt, die Widerklage abzutrennen und den -abgetrennten- Rechtsstreit zu verweisen. Die Beklagte hatte Gelegenheit, sich zu diesem Punkt zu erklären. Überdies war in dem (Ursprungs-) Ausgangsverfahren 3 Ca 103/99 seitens des Vorsitzenden darauf hingewiesen worden, die Beklagte habe "zum Zeitpunkt der Klageeinreichung" sowie "in den Jahren zuvor ... keinen Sitz in der Reichenau, sondern nur in Güsten" gehabt, weshalb das Arbeitsgericht Dessau zuständig gewesen sei.

Die Parteien hatten bei dieser Sachlage in Betracht zu ziehen, es werde entsprechend dem Antrag des jeweiligen Klägers verfahren werden, wobei die Verweisung an das Arbeitsgericht Dessau erfolgen könne.

2. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hat verschiedentlich angenommen, der Fall der Willkür sei gegeben, wenn der Verweisungsbeschluss -wie hier- nicht mit einer Begründung versehen und die Entscheidung deshalb nicht überprüfbar sei (vgl. die Nachweise bei Musielak-Foerste, a.a.O. § 281 FN. 85; s. auch Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl. § 48 Rnr. 68). Da die Entscheidung keinem Rechtsmittel unterliegt, hat die Begründung, vorliegend von Bedeutung, die Funktion, dem Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen wurde, die Prüfung zu ermöglichen, ob es an den Verweisungsbeschluss gebunden sei. Kann das auf der Grundlage des sonstigen Akteninhalts geschehen, ist der Mangel der fehlenden Begründung insoweit unschädlich. So liegt es hier.

3. Ausgangspunkt ist die Maßnahme des verweisenden Gerichts, die beiden Widerklagen abzutrennen. Das widerspricht der Bestimmung des § 145 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist das Gericht zur Trennung befugt, wenn der mit der Widerklage verfolgte Anspruch mit dem Klagebegehren nicht in rechtlichem Zusammenhang steht. Ein solcher war in den (Ursprungs-) Ausgangsverfahren jedoch gegeben. Den Arbeitnehmern war fristlos gekündigt worden, weil sie sich -behaupteterweise- noch während des Bestehens des Arbeitsvertrages zur Gründung des Konkurrenzunternehmens Euro Tec Personalservice GmbH mit Sitz in Güsten verbunden und dem Arbeitgeber zahlreiche Mitarbeiter "ausgespannt" haben. Mit der Widerklage wird der Ersatz des dadurch verursachten Schadens beansprucht. Klage und Widerklage entstammen also im Sinn der Rechtsprechung des BGH (Z 53, 166 [168, 169]) demselben Rechtsverhältnis, ohne dass es auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise (vgl. Stein-Jonas-Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 33 Rnr. 18) ankäme.

Da die Trennungsentscheidung jedoch nicht nichtig ist, muss sie als existenter gerichtlicher Akt behandelt werden. Er erzeugt Tatbestandswirkung in dem Sinne, dass die Widerklagen von diesem Zeitpunkt an als (eigenständige) Klagen zu behandeln sind.

4. Das Arbeitsgericht Lörrach -Kammern Radolfzell- ist im Sinne des von den Klägern jeweils gestellten Antrags ersichtlich davon ausgegangen, als Folge der Wandlung der Rechtsschutzbitte von der Widerklage zur Klage habe es (erneut) zu prüfen, ob es für diese Klage örtlich zuständig sei. Diese Frage hat es -isoliert betrachtet- zutreffend verneint, wie sich begründungslos erschließt.

5. a)

Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Dessau folgt hinsichtlich des nunmehrigen Beklagten zu Nr. 1) aus § 13 ZPO.

b)

Für den Beklagten zu Nr. 2) rechtfertigt sich das vom verweisenden Arbeitsgericht gefundene Ergebnis aus § 29 ZPO. Der Arbeitgeber verfolgt einen Schadenersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung einer Unterlassungspflicht (Wettbewerbsverbot; vgl. -unter anderem- §§ 60, 61 HGB, analog). Als Erfüllungsort (§ 269 BGB) wird zwar der Wohnsitz des Schuldners angesehen, wenn dieser die fragliche Handlung "überall" zu unterlassen hat (vgl. BGH, LM Nr. 3 zu § 269 BGB; Staudinger-Selb (1995) § 269 Rnr. 15), doch weist der Streitfall demgegenüber eine wesentliche Besonderheit auf. Nach dem Vortrag des Arbeitgebers wurden die Verletzungshandlungen, fokussierend in der Gründung des Konkurrenzunternehmens mit Sitz in Güsten, dort begangen. Das rechtfertigt es, die Schädiger vor dem Gericht auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen, in dessen Bezirk sich dieser Ort befindet; das ist das Arbeitsgericht Dessau. Dabei ist zu bedenken, dass dieser Gerichtsstand der Nähe des Gerichts zur Streitsache zu dienen bestimmt ist (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 57. Aufl. § 29 Rnr. 1) und der hier gegebene Sachverhalt dem Bilde nach der Gestaltung -jedenfalls- nahekommt, die § 32 ZPO vor Augen hat, welche Regelung gleichfalls von dem Gesichtspunkt der Sachnähe des Gerichts bestimmt ist.

Auch wenn man dem nicht folgt, kann doch im Hinblick auf den hier anzulegenden Prüfungsmaßstab nicht von -objektiver- Willkür gesprochen werden.

Angesichts dessen muss nicht erörtert werden, ob Gegenstand der Widerklage (auch) ein deliktischer Anspruch ist, der nach dem Vorgesagten die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Dessau aus § 32 ZPO begründete.

6. Allerdings hat das verweisende Gericht übersehen, dass die Trennung seine, wenn auch allein aus § 33 ZPO folgende örtliche Zuständigkeit unberührt lässt (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; vgl. Stein-Jonas-Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 145 Rnr. 21; Thomas-Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 145 Rnr. 4). Dieser Umstand nimmt seiner Entscheidung ihre Bindungswirkung jedoch nicht.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, denn etwaige Kosten dieses Bestimmungsverfahrens sind solche der Hauptsache (Patzina, in: Münchener Kommentar § 37 Rnr. 9).

Diese Entscheidung unterliegt keinem Rechtsmittel (§ 37 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

Zurück