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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 13.08.2007
Aktenzeichen: 3 Ta 119/07
Rechtsgebiete: ZPO, AGG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 569 Abs. 1
ZPO § 569 Abs. 2
AGG § 15 Abs. 2
BGB § 611a
BGB § 611a Abs. 2
Keine Diskriminierung nach dem AGG, wenn es an einer subjektiv ernsthaften Bewerbung fehlt.
Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart - Kammern Ludwigsburg - vom 04.06.2007 - 36 Ca 700/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte Ziff. 1 (im folgenden: Kläger) wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der am ... 1952 geborene, ledige Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 10.12.2006 auf die von dem Beteiligten Ziff. 2 (im folgenden: Beklagten) ausgeschriebenen Stelle einer/eines Juristin/Juristen. Die Stelle war bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeitslosengeld II angesiedelt und nach der Entgeltgruppe 10 TVöD dotiert. Erwartet wurden vertiefte Kenntnisse der Leistungsgewährung nach dem SGB II und des Unterhaltsrechts. Für das Bewerbungsschreiben verwendete der Kläger seinen früheren Briefkopf als zugelassener Rechtsanwalt, wobei der Briefkopf mit zahlreichen "xxx" und maschinenschriftlichen Änderungen versehen war. In der Fußzeile des Bewerbungsschreibens war ein Text als "Cetero Censeo" eingefügt, den der Kläger für den größten Teil seiner derzeitigen Geschäftspost einschließlich Bewerbungsschreiben verwendet. Dieser Text lautet wie folgt:

"Im übrigen bin ich der Meinung, dass die Herren Lustmolche und Sittenstrolche, welche als die "Herren Freier" regelmäßig in Bordellen verkehren, zu einer Sonderabgabe (Bordell oder Bordellumsatzsteuer) herangezogen werden müssten. Mit diesem Steueraufkommen sollte die Lebenssituation der Menschen in Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen verbessert werden."

Der Bewerbung war u.a. ein Lichtbild beigefügt, das den Kläger anlässlich eines Schachturniers vor einem Schachbrett sitzend zeigt. Auf dem weiter beigefügten Lebenslauf war im Kopf eingetippt "Einsatzbereit! Lässt sich kein X für ein U vormachen!"

Der Kläger ist von der Ausbildung Volljurist. Er legte am 18.03.1980 sein erstes juristisches Staatsexamen mit der Note "befriedigend" (7,25 Punkte) und am 22.09.1982 sein zweites juristisches Staatsexamen ebenfalls mit der Note "befriedigend" (7,34 Punkte) ab. Von 1982 bis 1998 war er als selbständiger Rechtsanwalt in verschiedenen Bezirken tätig. Am 29.01.1999 verzichtete er aus wirtschaftlichen Gründen auf die Zulassung als Rechtsanwalt. In seinem Lebenslauf ist angegeben: "Seit 01.02.2000 von bezahlter Arbeit ausgeschlossen" und "seit 01.01.2005 im Zuge der sogenannten Reform Harz IV auf Bahnhofspennerniveau verharzt". Des weiteren ist im Lebenslauf vermerkt "Februar 2004 Bewerbung als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, auserwählt: Herr Weise".

Mit Schreiben vom 12.01.2007 bat der Kläger den Beklagten um Mitteilung des Verfahrensstandes des Bewerbungsverfahrens. Mit Schreiben vom 15.01.2007 antwortete der Beklagte, dass sich das Auswahlverfahren verzögert habe. Mit Schreiben vom 20.02.2007 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Stelle leider einer anderen Bewerberin übertragen worden sei.

Mit Schreiben vom 27.02.2007 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er Schadenersatzansprüche in Höhe von 6 Bruttomonatsgehältern geltend mache. Er begründete dies damit, dass der begründete Verdacht einer Diskriminierung wegen seines Alters, seines Geschlechts, seiner Arbeitslosigkeit und seiner politischen Betätigung bestehe.

Mit seiner am 12.04.2007 eingegangenen Klage hat der Kläger Schadenersatz in Höhe von 6 Bruttomonatsgehältern begehrt. Zugleich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Im Rahmen des Gütetermins am 31.05.2007 übergaben die Beklagtenvertreter verschiedene handschriftliche Schreiben des Klägers. In einem Schreiben vom 12.05.2007 hatte der Kläger als Vergleichsmöglichkeit vorgeschlagen, ihn auf die ebenfalls zu besetzende Stelle eines Sozialdezernenten "zu hieven". Auf diese Stelle hatte sich der Kläger ebenfalls beworben.

Mit Beschluss vom 04.06.2007 wies das Arbeitsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den gestellten Antrag zurück. Der Beschluss wurde dem Kläger am 11.06.2007 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 05.06.2007 erweiterte der Kläger die Klage um den Antrag, ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens EUR 4.000,00 zu bezahlen. Im Rahmen dieses Schriftsatzes nahm der Kläger umfangreich dazu Stellung, aus welchen Gründen er in der Fußzeile seiner Geschäftspost den oben angegebenen Text einfüge. Er zitierte hierbei aus seinem Schreiben an das Jobcenter Stuttgart-West vom 19.06.2006, in dem es auszugsweise heißt:

"Nachdem die Rotlichtbranche offenbar boomt, können Sie ja versuchen, weitere arbeitslose junge Damen an Frau "N." (Studio A. in S) zu vermitteln. Vielleicht begegnet dann ja eine so vermittelte im SM-Studio ihrem früheren Chef wieder, der sie gefeuert hat. ... Welch ein "Hallooo" wäre das wohl ....?!"

Der Kläger beantragte, auch für die erweiterte Klage Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Mit Beschluss vom 03.07.2007 wies das Arbeitsgericht diesen Antrag auf weitere Prozesskostenhilfe zurück. Der Beschluss wurde dem Kläger am 10.07.2007 zugestellt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers ging am 10.08.2007 ein; sie ist Gegenstand eines gesonderten Beschwerdeverfahrens.

Am 11.07.2007 legte der Kläger gegen den Erstbeschluss des Arbeitsgerichts über die Zurückweisung von Prozesskostenhilfe beim Landesarbeitsgericht sofortige Beschwerde ein. Nach Rückgabe der Beschwerdeschrift an das Arbeitsgericht half dieses mit Beschluss vom 20.07.2007 der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.

II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft. Sie ist auch gemäß § 569 Abs. 1 und 2, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde ist allerdings unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe für den Antrag aus der Klageschrift zu Recht versagt.

1. Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, 13.03.1990 - 2 BvR 94/88 u. a. - NJW 1991, 413; BVerfG, 07.04.2000 - 1 BvR 81/00 - NJW 2000, 1937; BVerfG, 03.06.2003 - 1 BvR 13055/02 - NJW - RR 2003, 1216) gebietet das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von bemittelten und unbemittelten Parteien bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Hieraus folgt, dass die Fachgerichte die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannen dürfen.

2. Nach diesen Maßstäben hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag aus der Klageschrift zutreffend zurückgewiesen. Hierbei scheitert der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG schon daran, dass nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falls von einer ernsthaften Bewerbung des Klägers um die ausgeschriebene Stelle nicht ausgegangen werden kann. Vielmehr dient die Bewerbung des Klägers ausschließlich dazu, einerseits eine Geldquelle zu erschließen und andererseits - wohl überwiegend - die Behörden und Gerichte aus Frustration über seinen sozialen Abstieg mit scheinbar ernsthaft formulierten Schriftsätzen zu beschäftigen. Letztlich dient das gesamte Verfahren dazu, das System des staatlichen Rechtsschutzes ad absurdum zu führen und der Lächerlichkeit preiszugeben.

a) Eine Benachteiligung im Sinne der Antidiskriminierungsvorschriften kommt nur dann in Betracht, wenn der Bewerber objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt und eine subjektiv ernsthafte Bewerbung vorliegt. Diesen Grundsatz hat das Bundesarbeitsgericht bereits zur früheren Vorschrift des § 611a BGB (betreffend das Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts) entwickelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 12.11.1998 - 8 AZR 365/99 - AP BGB § 611a Nr. 16; BAG 27.04.2000 - 8 AZR 295/99 - zitiert nach Juris) sowie der Instanzgerichte (vgl. nur LAG Berlin 14.07.2004 - 15 Sa 417/04 - NZA-RR 2005, 124; LAG Berlin 30.03.2006 - 10 Sa 2395/05 - LAGE § 611a BGB 2002 Nr. 1) war der Schutzzweck des damaligen § 611a Abs. 2 BGB die Entschädigung des objektiv geeigneten Bewerbers wegen der durch sein Geschlecht bedingten Benachteiligung im Verfahren. Die damalige Vorschrift stellte nicht auf die formale Position eines allein durch die Einreichung eines Bewerbungsschreibens begründeten Status als "Bewerber" ab, sondern auf die materiell zu bestimmende objektive Eignung als Bewerber. Im Besetzungsverfahren konnte danach nur derjenige Bewerber im Rechtssinne benachteiligt werden, der sich subjektiv ernsthaft beworben hatte und objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kam. An dieser Sachlage hat sich durch die Verabschiedung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14.08.2006 nichts geändert. (Schleusener/Suckow/ Voigt, AGG, § 7 Rz 8; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, § 6 Rz. 12).

b) Nach diesen Grundsätzen lässt sich zwar nicht verneinen, dass der Kläger für die ausgeschriebene Stelle einer/eines Juristin/Juristen für die Arbeitsgemeinschaft Arbeitslosengeld II im Team Unterhalt objektiv in Betracht kam. Der Kläger ist Volljurist mit zwei befriedigenden Staatsexamina. Mit dem Unterhaltsrecht hatte sich der Kläger während seiner langjährigen Praxis als Rechtsanwalt befasst. Mit der Leistungsgewährung nach dem SGB II war der Kläger seit 01.01.2005 in eigener Sache vertraut.

c) Hingegen kann von einer subjektiv ernsthaften Bewerbung im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Die Form der Bewerbung und das nachfolgende Verfahren sprechen für sich.

aa) Erstes Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit ist der vom Kläger als "Ceterum Censeo" bezeichnete Text, der im Sachverhalt dieses Beschlusses aufgeführt ist. Gerade als Volljurist und langjähriger Rechtsanwalt war dem Kläger bewusst, dass es gegen jegliche Übung im Geschäftsleben verstößt, derartige Bemerkungen in der Geschäftspost anzubringen. Bemerkenswert ist weiter das beigefügte Lichtbild, das den Kläger vor einem Schachbrett sitzend anlässlich eines Schachturniers zeigt, ferner die Bemerkung im Lebenslauf "seit 01.01.2005 im Zuge der sogenannte Reform Harz IV auf Bahnhofspennerniveau verharzt" und die weitere Angabe über eine erfolglose Bewerbung als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Diese Besonderheiten der Bewerbung mussten bei jedem Arbeitgeber den Eindruck hervorrufen, der Bewerber lege es von vornherein nicht darauf an, in die engere Auswahl zu gelangen. Der Kläger war sich auch dessen bewusst, dass er mit der Form seiner Bewerbung eben diesen Effekt erreichte.

bb) Diese Indizien werden erhärtet durch die im Gütetermin vorgelegten handschriftlichen Schreiben an den Landrat persönlich. Hierin wird im Schreiben vom 12.05.2007 als Vergleichsmöglichkeit aufgezeigt, den Kläger auf die Position eines Sozialdezernenten "zu hieven". Zur Begründung für diesen Vergleichsvorschlag führt der Kläger aus, die Position werde entscheidend dazu beitragen, dass er im Alter nicht der Grundsicherung anheimfalle. Er - der Landrat - werde im Interesse der Steuerzahler/innen handeln, wenn er dem vorgeschlagenen Vergleich nähertrete. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass der Beklagte diesen Vergleichsvorschlag nur als Provokation verstehen konnte.

cc) Als letztes Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung lassen sich die umfangreichen Ausführungen des Klägers zum Hintergrund des in seinen Geschäftsbriefen verwendeten "Ceterum Censeo" anführen. Unter sexuellen Anspielungen befasst sich der Kläger mit den Themen Prostitution, Bordellen, Freiern und Bordellsteuer, führt aber gleichzeitig aus, dies habe mit seiner Bewerbung nichts zu tun. Welche Bedeutung die ab Anlage K 27 vorgelegten Schreiben, betreffend Dominas und Rotlichtmilieu, demnach haben sollen, ist unerfindlich. Die beigelegte Kleinannonce aus einem Berliner Magazin: "Prallärschiges Weib für alles Unanständige gesucht" und "Alter Molch, 57 sucht unmoralische Frauen für Sex und Kultur" sprechen ebenfalls für sich.

Die Gesamtumstände der Bewerbung und des weiteren Verfahrens lassen nur den Schluss zu, dass es dem Kläger neben dem möglichen Motiv des Gelderwerbs in diesem Verfahren vornehmlich darum geht, Aufsehen zu erregen und das System des staatlichen Rechtsschutzes lächerlich zu machen. Es ist zwar durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger darüber frustriert ist, dass er seinen Lebensunterhalt mit Leistungen nach dem SGB II bestreiten muss. Es kann jedoch nicht angehen, angebliche Verstöße gegen das Antidiskriminierungsrecht als Instrument dazu benutzen, um Protest gegen die "Hartz"- Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen. Würde der Staat eine solche Rechtsverfolgung mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe unterstützen, so hätte der Kläger das von ihm angestrebte Ziel erreicht.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Gerichtsgebühren ergeben sich aus der Ziff. 8614 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde waren nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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