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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss verkündet am 11.06.2004
Aktenzeichen: 3 Ta 95/04
Rechtsgebiete: GKG, ZPO, BRAGO


Vorschriften:

GKG § 12 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 2
GKG § 25 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 3
ZPO § 286
ZPO § 287
BRAGO § 9 Abs. 1
BRAGO § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Beschluss

Aktenzeichen: 3 Ta 95/04

Stuttgart, 11. Juni 2004

Im Beschwerdeverfahren mit den Beteiligten

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 3. Kammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer ohne mündliche Verhandlung am 11. Juni 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 wird der Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 29. April 2004 - 1 Ca 713/03 - abgeändert:

Der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Wert wird auf 500,00 EUR festgesetzt.

Ihre weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Festsetzung des Gebührenstreitwerts im Wertfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts nach § 25 Abs. 2 GKG. Das Ausgangsverfahren hat durch Klagerücknahme geendet.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 richtet sich gegen die Bewertung der von ihm namens der Beteiligten zu 2 (Klägerin im Ausgangsverfahren) erhobenen Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte.

Die Beteiligte zu 2 (Klägerin) stand bei der Beteiligten zu 3 (Beklagte) als "Montagearbeiterin" in einem Arbeitsverhältnis. Ihre Vergütung belief sich auf 1.170,00 EUR pro Monat. Mit der am 03. Dezember 2003 erhobenen Klage hat sich die Klägerin gegen zwei von der Beklagten ausgesprochene Abmahnungen, die beide in einem Schreiben vom 22. Oktober 2003 aufgeführt sind, gewandt, in denen ihr zum einen die Tatsache vorgehalten wird, dass sie sich entgegen einer entsprechenden Weisung bei einer Unklarheit nicht an eine Kollegin, sondern an eine Vorgesetzte zu wenden habe, zum anderen, dass sie bestimmte Prüfanweisungen entweder nicht oder falsch angewandt habe. Für den Fall der Wiederholung der behaupteten Pflichtverletzung hat die Beklagte jeweils arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses angedroht.

Das Arbeitsgericht hat im angefochtenen Beschluss den Gebührenwert für diese Klage unter Hinweis auf eine angebliche diesbezügliche Rechtsprechung der Beschwerdekammer auf 250,00 EUR festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Gebührenwert auf 1.170,00 EUR festzusetzen. Sie weisen darauf hin, dass es bei der Klage nicht lediglich um die Entfernung eines Schriftstücks aus einer Akte gegangen sei, sondern um die Berechtigung der zugrunde liegenden Vorwürfe. Außerdem erfordere die Bearbeitung des Falles denselben Aufwand wie bei einer verhaltensbedingten Kündigung. Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem kleineren Teil in der Sache gerechtfertigt.

Zu bewerten ist der mit der Klage geltend gemachte Antrag im Ausgangsverfahren. Der Gebührenwert ist nach Abschluss des Verfahrens gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG vom Prozessgericht festzusetzen. Soweit es zulässig sein Ermessen ausgeübt hat, kann das Beschwerdegericht dessen Ermessensentscheidung übernehmen. Deshalb wird in solchen Fällen vom Beschwerdegericht eine entsprechende Entscheidung ungeachtet dessen respektiert, ob der festgesetzte Gebührenwert nach diesseitiger Auffassung zu hoch oder zu niedrig angenommen worden ist, wenn sich die "Richtigkeit" eines bestimmten Werts nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, sondern Ergebnis einer richterlichen Schätzung ist, die auch von subjektiven Wertungselementen abhängt. Eine noch hinreichend begründete Ermessensentscheidung liegt aber weder im angegriffenen Beschluss noch in der Nichtabhilfeentscheidung des Arbeitgerichts vor.

Insoweit zutreffend ist allerdings das Arbeitsgericht von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammer ausgegangen, dass bei der Bewertung einer auf die Entfernung einer (richtig wohl: Mehrfertigung einer) Abmahnung aus der Personalakte nicht auf das monatliche Arbeitseinkommen des Arbeitnehmers abgestellt werden kann. Nach ständiger und langjähriger Rechtsprechung gilt Folgendes: "Den Bewertungsmaßstab gibt (nach § 12 Abs. 1 GKG) die Vorschrift des § 3 ZPO. Es ist mithin das unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu würdigende Interesse der Klagpartei an der erstrebten Entscheidung zu bewerten. Die dafür relevanten Tatsachen sind festzustellen und sodann ist ihre wertbildende Bedeutung zu bestimmen. Für eine formelhafte "Konkretisierung" dahin, Wert des Antrags der Klage auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte = Betrag eines Monatsgehalts, gibt es auch im Lichte der über §§ 286, 287 ZPO hinaus reichenden Freiheit ("freies Ermessen") bei der Entscheidung keinen diskussionsfähigen methodischen Ansatz. Der denkbaren Anknüpfung an den so genannten Anscheinsbeweis steht die Vielgestaltigkeit der zu bewältigenden Lebensverhältnisse entgegen. Das hier wesentliche Interesse wird durch eine unbestimmte Vielzahl von Einzelumständen bestimmt, die ihre Gewichtung jeweils aus den in der Person des einzelnen Klägers gegebenen Umständen gewinnen. Es gibt weder auf der - sie soll so bezeichnet sein - Tatbestands - noch auf der Wertfolgenseite typische Sachverhalte, die es rechtfertigten, dem Ergebnis nach im Sinne der Beschwerde zu verfahren" (vgl. Beschluss vom 12. Juni 2001 - 3 Ta 75/01 - www.lagbw.de/Ta/3ta7501).

Eine solche Einzelbewertung hat das Arbeitsgericht aber nicht vorgenommen. Es hat vielmehr einen Pauschalwert durch einen anderen ersetzt. Die tatsächlichen Umstände, die das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der Entfernung der Abmahnung konstituiert haben, hat das Arbeitsgericht nicht in den Blick genommen.

Andererseits sind auch die Argumente der Beschwerdeführer nicht sachdienlich. Soweit auf den Aufwand (wohl der der Beschwerdeführer selbst) abgestellt wird, ist dieser nur bei einer Bewertung im Rahmen von § 10 BRAGO von Bedeutung. Vorliegend geht es aber um die Bestimmung des für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Werts (§ 25 Abs. 2 GKG), der nach § 9 Abs. 1 BRAGO auch für die Anwaltsgebühren maßgeblich ist. Bei der vorliegenden Klage handelt es sich nach allgemeiner Überzeugung um einen vermögensrechtlichen Anspruch. Wenn es nicht um einen nicht vermögensrechtlichen Anspruch geht, für den § 12 Abs. 2 GKG maßgeblich ist, ist für die Bewertung im Rahmen des § 3 ZPO (§ 12 Abs. 1 GKG) ausschließlich das wirtschaftliche oder persönliche Ziel der das Verfahren einleitenden Partei maßgeblich. Weder der mit dem Verfahren verbundene Aufwand der Partei oder ihrer Prozessbevollmächtigten noch der des Gerichts noch sonstige außerhalb des Verfahrensziels liegende Umstände sind für die Bewertung maßgeblich. Eine auf Zahlung von 10,00 EUR gerichtete Klage ist mit diesem Betrag zu bewerten, auch wenn es sich um einen höchst komplizierten oder aufwendigen Rechtsstreit handeln sollte. Nichts anderes gilt aber auch bei nicht bezifferten oder bezifferbaren vermögensrechtlichen Ansprüchen.

Ein wesentliches Indiz für die Höhe des Gegenstandswerts ist die Angabe der Partei persönlich. Sofern diese Angaben nicht völlig übersetzt sind oder ausschließlich der Schädigung des Prozessgegners dienen sollen oder auch dem Interesse der Partei, die Kosten des Rechtsstreits durch einen zu niedrig angegebenen Streitwert zu minimieren, sondern wenn sie plausibel das eigene Interesse beschreiben, können diese für die Schätzung herangezogen werden, wenn sie sich auf nachvollziehbare Umstände zurückführen lässt. Denn maßgeblich ist das wirtschaftliche Interesse dessen, der ein Verfahren einleitet. Dieses ist zu bewerten ungeachtet der Tatsache, ob er mit seinem Begehren durchdringt, insbesondere ohne Rücksicht auf die Zulässigkeit oder Schlüssigkeit seines Begehrens. Maßgeblich ist zwar der objektive Wert, der gegebenenfalls durch Schätzung zu ermitteln ist; ein Liebhaberwert oder Phantomwert, der von demjenigen, der ein Verfahren einleitet, angegeben wird, ist nicht verbindlich. Es kommt also nicht nur auf dessen Wertvorstellungen an. Allerdings sind diese ein erhebliches Indiz für den wahren Streitwert. Wird dieser angegeben, bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die diesen Wert als unrichtig erscheinen lassen.

Eine unmittelbare Äußerung der Partei fehlt vorliegend. Soweit die Beschwerdeführer bestimmte Vorstellungen entwickelt haben, beruhen sie nicht auf den Vorstellungen der Partei, sondern auf nicht maßgeblichen Umständen. Denn dass es bei dem Anspruch auf Entfernung einer (Mehrfertigung einer) Abmahnung aus der Personalakte, wie die Beschwerdeführer ausführen, nicht lediglich darum geht, "dass irgendein beliebiges Schriftstück aus der Personakte entfernt wird", sondern dass die Entscheidung von der Berechtigung der Abmahnung abhängt, führt für die Bewertung nicht weiter. Maßgeblich kommt es darauf an, welche Beeinträchtigungen mit den fraglichen Abmahnungen für die Klägerin verbunden sind, wenn das Schriftstück in der Personalakte verbleibt.

Auszugehen ist nämlich vom konkreten Antrag. Gegenstand dieses Antrags war entsprechend der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (ausschließlich) die Entfernung des Schreibens aus der Personalakte, das die von der Klägerin als unrechtmäßig angesehenen Abmahnungen enthielt. Der Grund dafür, weshalb die schriftliche Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen gewesen sein sollte, ist nicht Teil des Streitgegenstandes, sondern Begründung des Klageanspruchs. Die Frage der Rechtmäßigkeit der Abmahnung - unbeschadet ihrer Form - ist nicht zu einem selbstständigen Gegenstand der Klage gemacht worden. Dies ist weder der Formulierung des Antrags noch der dazu gegebenen Begründung zu entnehmen. Der Antrag ging nur dahin, das Abmahnungsschreiben aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen (vgl. BAG, Beschluss vom 14. Dezember 1994 - 5 AZR 696/93 - AP Nr 14 zu § 611 BGB Abmahnung).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht, auch soweit er Rechte ausübt, auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Er muss daher unter Umständen auch besondere Maßnahmen treffen, die die Entstehung eines Schadens und damit eine Beeinträchtigung des Fortkommens seines Arbeitnehmers verhindern können. Deshalb muss der Arbeitgeber im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dafür Sorge tragen, dass die Personalakten ein richtiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlichen und persönlichen Beziehungen vermitteln (vgl. BAG, Urteil vom 27. November 1985 - 5 AZR 101/84 - AP Nr 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht).

Ausgehend von diesen Umständen ist also zu prüfen, welche Nachteile der Klägerin erwachsen, wenn das fragliche Schriftstück noch für einen längeren Zeitraum in der Personalakte verbleibt. Bestandsrechtlich sind die fraglichen Vorgänge, wenn man darauf abstellen will, durch eben die fragliche Abmahnung konsumiert. Dass sich die Klägerin anderweitig bewerben will, ist nicht ersichtlich. Eine berufliche Alternative, die für sie in Frage käme und durch die fragliche Abmahnung, die sich auf die Darstellung behaupteter Pflichtverletzungen beschränkt, die die Klägerin abstreitet und von denen also für die Klägerin, wenn sie sich, wie sie behauptet, weiterhin pflichtgemäß verhält, keinerlei Gefahr ausgeht, beeinträchtigt oder ganz verbaut wäre, ist nicht in Sicht. Die Klägerin hat als Montagearbeiterin auch keine berufliche Stellung inne, aus der sich ausweislich des Akteninhalts ergeben könnte, dass ihr durch das in der Personalakte verbleibende Schriftstück eine berufliche Weiterentwicklung versperrt werden könnte. Die Vorwürfe sind auch nicht ehrenrührig und beinhalten kein Unwerturteil bezüglich der Fähigkeiten oder der Redlichkeit der Klägerin. Auch insoweit ist die Beeinträchtigungswirkung der in der Personalakte etwa verbleibenden Abmahnung gering. Maßgeblich für die Klägerin kann demnach nur eine Art Genugtuungsinteresse bezüglich des von ihr als unzutreffend beurteilten Vorwurfs eines Pflichtenverstoßes sein. Außerdem kann wegen des geringen Gewichts der einen behaupteten Pflichtverletzung und der Einmaligkeit eines etwaigen Fehlverhaltens wegen der anderen Pflichtverletzung ein Interesse daran festgestellt werden, die Personalakte sozusagen sauber zu halten. Dieses Interesse hat aber keine übermäßige wirtschaftliche oder persönliche Bedeutung für die Klägerin und wird deshalb mit einem Betrag von 500,00 EUR für angemessen bewertet erachtet. Die weiter gehende Beschwerde ist als Folge hiervon zurückzuweisen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 25 Abs. 4 GKG).

Ende der Entscheidung

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