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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 23.02.2001
Aktenzeichen: 4 Sa 105/00
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, GKG


Vorschriften:

ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 2
ArbGG § 60 Abs. 1
ArbGG § 64 Abs. 2 b n.F.
ArbGG § 72a
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 256 Abs. 2
ZPO § 321
GKG § 25 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 Sa 105/00

verkündet am 23. Februar 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -4. Kammer- durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Pfitzer, den ehrenamtlichen Richter Buchau und den ehrenamtlichen Richter Maser im schriftlichen Verfahren nach der Sachlage am 30. Januar 2001 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - vom 11. Oktober 2000 - 13 Ca 98/00 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

Wert des Gegenstands im 2. Rechtszug: 10.445,00 DM

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Frage, ob der vertragsgemäße Stundenlohn der Klägerin 21.00 DM oder 22,70 DM brutto beträgt.

Die Klägerin ist bei der Beklagten, die ein Textilunternehmen führt, als Hilfsarbeiterin, und zwar zunächst als Kettlerin in der Serienfertigung im Akkord, zu einem Stundenlohn, der zuletzt bis einschließlich 30. Juni 1995 22,70 DM brutto betrug, beschäftigt. Die Anwendung der einschlägigen Tarifverträge der Textilindustrie ist vereinbart. In der Folge vergütete die Beklagte die Arbeitsleistungen der Klägerin im Zeitlohn in übertariflicher Höhe mit einem Stundenlohn von 21,00 DM.

Im Juni 1995 kam es bei der Beklagten zu Umstrukturierungsmaßnahmen, die dazu führten, dass die Klägerin wegen Wegfalls der Serienfertigung seither als Musternäherin beschäftigt wird. Diese Arbeiten werden nicht im Akkord ausgeführt. Zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits fanden Gespräche statt wegen der Höhe der Vergütung, wobei allerdings Streit besteht, ob eine Einigung über den von der Beklagten ab Juli 1995 bezahlten Stundenlohn in Höhe von 21,00 DM brutto zustande gekommen ist.

Mit der Klage hat die Klägerin die gerichtliche Feststellung begehrt, dass der Stundenlohn weiterhin 22,70 DM beträgt, und außerdem im Wege der Zahlungsklage die Differenz zwischen dem tatsächlich bezahlten Stundenlohn von 21,00 DM und geforderten 22,70 DM für die Monate Dezember 1999 sowie Januar und Februar 2000 geltend gemacht.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszug, was zwischen den Parteien unstreitig ist, was sich aber weder aus dem Verhandlungsprotokoll des Arbeitsgerichts noch aus dem Tatbestand des Urteils - dieses enthält keinen solchen - ergibt, folgende Anträge gestellt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 282,20 brutto zu bezahlen nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01.01.2000.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 293,68 brutto zu bezahlen nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01.02.2000.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin DM 294,53 brutto zu bezahlen nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 01.03.2000.

4. Es wird festgestellt, dass der Klägerin ein Stundenlohn in Höhe von DM 22,70 zusteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat ihre Auffassung vorgetragen, es sei ein Änderungsvertrag mit der Klägerin zustande gekommen. Nachdem sie zunächst mit einem ihr angebotenen niedrigeren Stundenlohn nicht einverstanden gewesen sei, habe man sich auf den schließlich bezahlten Stundenlohn geeinigt. Die Klägerin habe sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr bei ihr wegen des Lohnes gemeldet und habe sich weder gegen das Schreiben vom 17. Juli 1995 (Fotokopie Bl. 23 der Akte des Arbeitsgerichts) noch gegen die Lohnabrechnungen gewandt. Jedenfalls aber sei der Anspruch der Klägerin verwirkt.

Die Klägerin hat dieses Vorbringen bestritten und hat vorgetragen, die Beklagte habe ihr im Zusammenhang mit der Umstrukturierung mitgeteilt, man könne nur noch einen Stundenlohn von DM 21,00 bezahlen. Die Klägerin möge eine entsprechende Vereinbarung unterschreiben. Dies habe sie aber verweigert. Ein Einverständnis liege damit nicht vor. Wenn es eine solche Vereinbarung gegeben hätte, wäre das Schreiben vom 17. Juli 1995 nicht erforderlich gewesen. Schweigen stelle aber keine Zustimmungserklärung dar. Auch von einer Verwirkung könne nicht ausgegangen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Inhalt der Akte des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Im angefochtenen Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, den Streitwert auf 870,41 DM festgesetzt und die Berufung nicht zugelassen. Es hat angenommen, der Anspruch der Klägerin sei verwirkt. Wegen der Einzelheiten der Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 31 bis 33 der Akte des Arbeitsgerichts) Bezug genommen.

Gegen dieses der Klägerin am 23. Oktober 2000 zugestellte Urteil hat diese mit am 23. November 2000 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie auch sogleich begründet hat.

Die Klägerin hält die Berufung für zulässig und wendet sich im Einzelnen gegen die Auffassung des Arbeitsgerichts, die Forderungen der Klägerin seien verwirkt. Wegen der Einzelheiten ihres Vortrags wird auf den Inhalt der Berufungsschrift vom 22.11.2000 (Bl. 5 bis 10 der Berufungsakte) und den Schriftsatz vom 12.12.2000 (Bl. 17/18 der Berufungsakte) verwiesen.

Die Klägerin stellt den Antrag,

das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg, Kammern Villingen-Schwenningen, abzuändern und nach den Schlussanträgen I. Instanz zu erkennen.

Die Beklagte stellt den Antrag,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und tritt den Ausführungen der Klägerin entgegen. Vielmehr habe die Klägerin eine entsprechende Vereinbarung selbst eingeräumt. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens wird auf ihre Berufungserwiderungsschrift vom 20. Dezember 2000 (Bl. 25 bis 30 der Berufungsakte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen, weil der eingeklagte Anspruch nicht besteht.

Die Berufung ist zwar vom Arbeitsgericht nicht zugelassen worden, gleichwohl ist sie aber nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG n.F. im engeren Sinn statthaft, weil der vom Arbeitsgericht nach § 60 Abs. 1 ArbGG festgesetzte Streitwert nicht bindet. Er ist offensichtlich falsch festgesetzt und liegt ebenso offensichtlich oberhalb von 1.200,00 DM. Das Arbeitsgericht hat nämlich den Feststellungsantrag der Klägerin (Klageantrag Ziff. 4) bei der Bemessung des Streitwerts nicht berücksichtigt. Dieser ist aber nach § 12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG als wiederkehrende Leistung (Stundenlohn) in Höhe des dreijährigen Bezugs festzusetzen. Allerdings ergibt sich weder aus dem Protokoll noch mangels Tatbestands aus dem Urteil, über welche Anträge das Arbeitsgericht entschieden hat. Auch die Ausführungen in den Entscheidungsgründen halten sich insoweit bedeckt. Es muss aber mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass über alle Ansprüche eine Entscheidung erging, sonst hätte das Arbeitsgericht ein Teilurteil erlassen. Es wollte aber offensichtlich über alle Klageanträge entscheiden. Wenn dies der Fall ist, hat es auch die Feststellungsklage abgewiesen und damit liegt die Beschwer der Klägerin offenbar oberhalb von 1.200,00 DM. In Betracht käme aber auch, dass das Arbeitsgericht den Feststellungsantrag übersehen hat. Mangels rechtzeitigen Antrags auf Erlass eines Ergänzungsurteils im Sinne des §321 ZPO wäre dann die Rechtshängigkeit der Feststellungsklage erloschen. Da aber das arbeitsgerichtliche Urteil nicht erkennen lässt, ob es über die Feststellungsklage entschieden hat oder ob es diesen Anspruch übergangen hat, vielmehr die Klage in toto abgewiesen hat, läge die Beschwer der Klägerin darin, dass das angefochtene Urteil zumindest den Rechtsschein erweckt, es sei auch die Feststellungsklage abgewiesen worden, und zwar, wenn kein Rechtsmittel möglich wäre, rechtskräftig. Jedenfalls aus diesem Umstand ergibt sich die Zulässigkeit der Berufung, weil dann die Klägerin ein schützenswertes Interesse an der Beseitigung dieses Rechtsscheins hätte. Dann ist die Klägerin insoweit aber auch frei, sämtliche erstinstanzlich angekündigten Anträge im Wege einer etwaigen Klageerweiterung zur Entscheidung zu stellen.

Dem steht auch nicht die Auffassung der Beklagten entgegen, es werde erstmals im zweiten Rechtszug geltend gemacht, dass es sich um Anträge auf wiederkehrende Leistungen gehandelt haben soll. Das Wort "zukünftig" fehle beim Feststellungsantrag. Darauf kommt es nicht an, weil sich ein solcher Inhalt der Feststellungsklage unmittelbar aus ihrem Sinn und Zweck erschließt. Damit soll ja gerade im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO Klarheit über den Inhalt des vorgreiflichen Rechtsverhältnisses erlangt werden. Damit ist ohne weiteres die Zukunftskomponente Inhalt der begehrten Entscheidung.

Die sonach im engeren Sinne statthafte und auch sonst zulässige Berufung hat deshalb den Weg zu einer sachlichen Prüfung des Anspruchs eröffnet, ist aber in der Sache nicht gerechtfertigt, weil der geltend gemachte Anspruch nicht besteht.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesichtspunkt der Verwirkung die vom Arbeitsgericht getroffene Entscheidung rechtfertigen kann. Sofern für die Vergangenheit ohnehin nicht Ausschlussfristen eingreifen, käme dies nur für vergangenheitsbezogene Einzelansprüche in Betracht, nicht aber für das "Stammrecht" und nicht für Ansprüche nach Geltendmachung für die Zukunft. Denn dann musste sich die Beklagte ja darauf einrichten und konnte solche Forderungen in ihre Kalkulation einbeziehen. In Betracht hätte der Gesichtspunkt der Verwirkung für die Zukunft nur dann gezogen werden können, wenn die Beklagte hätte geltend machen können und wollen, sie hätte anderenfalls zeitgerecht eine Änderungskündigung ausgesprochen, von deren Ausspruch sie aber durch das Verhalten der Klägerin abgehalten worden sei, und diese für die Zukunft nicht mehr möglich sei. Auf diese Frage kommt es aber nicht an, weil von einer Änderungsvereinbarung im Sinne des Hauptvorbringens der Beklagten auszugehen ist.

Zu Recht meint allerdings die Klägerin, dass aus dem Schweigen auf ein Vertragsangebot nicht ohne weiteres eine Zustimmungserklärung hergeleitet werden kann. Dies ist allerdings dann der Fall, wenn auf Grund der schon bestehenden rechtlichen Beziehungen eine Ablehnungsäußerung für den Fall des fehlenden Einverständnisses zu erwarten war. Der Arbeitnehmer, der sich zu dem Angebot einer verschlechternden Vertragsänderung durch den Arbeitgeber nicht äußert, sondern widerspruchslos die Arbeit fortsetzt, hat durch schlüssiges Verhalten jedenfalls dann die Änderung des Arbeitsvertrages angenommen, wenn er von der Durchführung der nachteiligen Vertragsgestaltung unmittelbar und sogleich betroffen wird (vgl. BAG, Urteil vom 20. Mai 1976 - 2 AZR 202/75 - AP Nr. 4 zu § 305 BGB). Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann etwa bei einer modifizierten Auftragsbestätigung in der widerspruchslosen Entgegennahme der Vertragsleistung eine stillschweigende Annahme des geänderten Antrags (§ 150 Abs. 2 BGB) insbesondere dann gesehen werden, wenn die Gegenseite vorher deutlich zum Ausdruck gebracht hat, daß sie nur unter ihren Bedingungen zur Leistung bereit ist (BGH, Urteil vom 22. März 1995 - VIII ZR 20/94 - NJW 1995, 1671-1672 m.w.Nw.). Dies gilt also auch schon in einem Vertragsverhältnis, in dem die Parteien nicht in einer Dauerrechtsbeziehung verstärkten Bindungen und gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten unterliegen.

Vorliegend handelt es sich um einen vergleichbaren Fall. Die Beklagte hat gegenüber der Klägerin mit dem Schreiben vom 17. Juli 1995 zum Ausdruck gebracht, dass sie den Vertragsinhalt in dieser Weise fixieren möchte. Es mag sein, dass die Klägerin, wie sie vorträgt, sich zunächst gegen eine Herabsetzung ihres Lohns gewendet hat. Sie hat aber nicht vorgetragen, dass sie sich nach Erhalt des Schreibens vom 17. Juli 1995 gegen dieses Ansinnen gewendet hätte. Vielmehr hat sie in der unmittelbaren Folgezeit rügelos die Abrechnungen, die den herabgesetzten Stundenlohn auswiesen, und die danach berechnete Vergütung entgegengenommen und gleichwohl ihre vertragliche Arbeitsleistung erbracht. Hinzu kommt noch, dass die Klägerin ja auf Grund der von ihr selbst erwähnten Gespräche ersehen konnte, dass die Beklagte nach Änderung der abverlangten Arbeitsleistung auch die Bemessung der Vergütung einer Änderung unterwerfen wollte. Das Verhalten der Klägerin im Anschluss an die Neuberechnung ihres Lohnanspruchs durfte die Beklagte so verstehen, dass die Klägerin letztendlich doch mit der geringeren Vergütung einverstanden ist. Sonst hätte sie ja der Beklagten gegenüber mindestens einen Vorbehalt erklärt.

Demnach hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend die Klage abgewiesen. Deshalb ist auch die Berufung der Klägerin mit der Kostenfolge des §97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Der nach § 25 Abs. 2 GKG in jedem Verfahren festzusetzende Gebührenstreitwert richtet sich in der Höhe nach §12 Abs. 7 Satz 2 ArbGG. Maßgeblich ist für die Feststellungsklage die dreifache Jahresdifferenz der streitigen Lohnhöhe. Dies entspricht dem zwölffachen Betrag der für ein Vierteljahr erhobenen Zahlungsklage. Der Wert der Zahlungsklage ist wegen wirtschaftlicher Identität mit dem Wert der Feststellungsklage nicht zu addieren.

Ende der Entscheidung

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