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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 11.06.2001
Aktenzeichen: 6 Sa 3/01
Rechtsgebiete: HGB, BGB, KSchG, EFZG, ZPO


Vorschriften:

HGB §§ 74 bis 75 e
BGB § 615 Satz 2
BGB § 276
KSchG § 9 b
EFZG § 3
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
6 Sa 3/01

verkündet am 11. Juni 2001

In dem Rechtsstreit

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 6. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stolz, den ehrenamtlichen Richter Muhl und den ehrenamtlichen Richter Schlund auf die mündliche Verhandlung vom 11.06.2001 für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 01.12.2000 - 3 Ga 83/00 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. ...

Tatbestand:

Nachdem das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Revision nicht unterliegt, wird von der Darstellung des Sachverhalts abgesehen (§ 543 Abs. 1 ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 01.12.2000 - 3 Ga 83/00 - ist statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 1 und 2, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 518, 519 ZPO). Sie konnte aber keinen Erfolg haben.

Zwar ist es entgegen der Ansicht der ersten Instanz fraglich, ob der Erlass einer einstweiligen Verfügung schon am Vorliegen eines Verfügungsgrundes scheitern könnte, wenn auch bei der auf Erfüllung gerichteten Leistungsverfügung strenge Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes zu stellen sind. Bei einem Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung anderweitiger Arbeit, die durch Gesetz oder Vertrag zur Hauptpflicht erhoben worden ist, wie es bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot zutrifft, kann der Arbeitgeber diese Verpflichtung allerdings durch einstweilige Verfügung geltend machen (Zöller ZPO, 21. Aufl., Rn. 8 zu § 940 ZPO).

Der Verfügungsgrund einer Sicherungsverfügung besteht in der objektiv begründeten Besorgnis, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung des Rechts des Gläubigers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ausgehend von dem Vortrag der Berufungsklägerin, dass ein wirksames nachvertragliches Wettbewerbsverbot in der Vereinbarung der Parteien vom 26.07.1991 zu sehen sei, würde durch die unstreitige Arbeitsaufnahme des Berufungsbeklagten bei einer Konkurrenzfirma eine wesentliche Gefährdung der Rechte der Beklagten eintreten, der nur durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung begegnet werden könnte. Entgegen dem Arbeitsgericht kann vorliegend die Dringlichkeit nicht schon deswegen verneint werden, weil die Berufungsklägerin erst ca. 3 1/2 Wochen ab Kenntniserlangung von der Wettbewerbstätigkeit ihres früheren Arbeitnehmers den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hat. Das Verstreichenlassen dieser Frist dürfte ebenso wenig wie das Ausschöpfen der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist in zweiter Instanz der Eilbedürftigkeit entgegenstehen.

Letztendlich kommt es aber auf das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht an, da kein Verfügungsanspruch dargetan ist, an dessen Prüfung gerade bei der Leistungsverfügung strenge Anforderungen zu stellen sind (Zöller Rn. 6 zu § 940 ZPO).

Ein Verfügungsanspruch wäre nur dann gegeben, wenn das mit Vertrag vom 26.07.1991 vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot für den Kläger verbindlich wäre.

Nach Ziff. 5 erhält der Arbeitnehmer für die Dauer des Wettbewerbsverbots nach Maßgabe der §§ 74 b und 74 c HGB eine Entschädigung in Höhe von 50 % der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen.

Die Verpflichtung zur Zahlung der Entschädigung entfällt, soweit der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft Einkommen erwirbt oder zu erwerben schuldhaft unterlässt und die Entschädigung unter Zurechnung dieses anderweitigen Erwerbs das zuletzt bezogene Gehalt um mehr als 1/10, bei einer wegen des Wettbewerbsverbots notwendig gewordenen Wohnsitzverlegung um mehr als 1/4 übersteigen würde.

Nach Ziff. 8 gelten im Übrigen für das Wettbewerbsverbot die Bestimmungen der §§ 74 bis 75 e HGB.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Auslegung des von der gesetzlichen Regelung in § 74 c Abs. 1 HGB abweichenden Begriffs des "schuldhaften" Unterlassens anderweitigen Erwerbs zum Nachteil des Arbeitnehmers von der gesetzlichen Formulierung des "böswilligen" Nichterwerbs abweicht.

Der Begriff der "Böswilligkeit" im Sinn des § 74 c Abs. 1 Satz 1 HGB ist kein anderer als der des § 615 Satz 2 BGB und des § 9 b KSchG. Danach ist das Unterlassen anderweitigen Erwerbs dann böswillig, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der objektiven Umstände, nämlich Arbeitsmöglichkeit, Zumutbarkeit der Arbeit und Nachteilsfolge für den Arbeitgeber vorsätzlich untätig bleibt oder gegen zu geringe Vergütung arbeitet (BAG vom 23.01.1967 AP Nr. 1 zu § 74 c HGB). Damit setzt der Begriff der "Böswilligkeit" Vorsatz des Arbeitnehmers und Kenntnis der nachteiligen Auswirkungen für den Arbeitgeber voraus. Der Begriff des Verschuldens umfasst demgegenüber die Merkmale der Fahrlässigkeit und des Vorsatzes, so wie es sich auch aus § 276 BGB, der für Vertragsverletzungen gilt, ergibt. Dem Hinweis der Berufungsklägerin auf § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, der auch von Verschulden spricht, aber in dem Sinne ausgelegt wird, dass nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließen, kann nicht gefolgt werden. Diese Bestimmung kann nicht vergleichend zur Auslegung herangezogen werden, da § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz ein Verschulden gegen sich selbst beinhaltet, das dann weitere Rechtsfolgen nach sich zieht, während das Verschulden beim Unterlassen anderweitigen Erwerbs ebenso wie bei Vertragsverletzungen im Hinblick auf den Vertragspartner zu sehen ist. Aber auch eine Begriffsbestimmung im Sinne des § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz würde nicht der gesetzlichen Formulierung der Böswilligkeit in § 74 c HGB entsprechen, da wie bereits ausgeführt, nur Vorsatz und Kenntnis der nachteiligen Auswirkungen für den Arbeitgeber diesen Begriff ausfüllen. Es ist nicht ersichtlich, wie auch das Arbeitsgericht ausführt, aus welchem Grund vorliegend dennoch das Wort "schuldhaft" im Sinne von "böswillig" auszulegen sein sollte. Eine Versicherung dergestalt, dass die Berufungsklägerin im Streitfalle die Anrechnung anderweitigen Erwerbs auf die Karenzentschädigung nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 74 c HGB vorgenommen hätte, kann vorliegend zu keiner anderen Beurteilung führen, denn die Auslegung hat vorab objektiv vom Empfängerhorizont aus unter Beachtung der Verkehrsanschauung zu erfolgen, die ungewisse spätere Handhabung, die von einer Partei nachträglich im Prozess vorgetragen wird, kann nicht herangezogen werden.

Auch der Hinweis der Berufungsklägerin auf Ziff. 8 der Vereinbarung vom 26.07.1991, in der im Übrigen für das Wettbewerbsverbot die Bestimmungen der §§ 74 bis 75 e HGB gelten sollen, spricht nicht für, sondern gegen die Meinung der Arbeitgeberin, da die Wendung "im Übrigen" gerade zum Ausdruck bringt, dass diese Vorschriften nur soweit zur Anwendung kommen, als nichts Abweichendes ausdrücklich vereinbart worden ist. Da aber unter der Ziff. 5 der Wortlaut des § 74 c HGB mit den abweichenden Formulierungen "entfällt" anstelle von "anrechnen lassen" und "schuldhaft" für "böswillig" wiedergegeben worden ist, kann nur davon ausgegangen werden, dass diese anders lautenden Wendungen bewusst aufgenommen worden sind, um insoweit auch vom Gesetzeswortlaut unterschiedene Rechtsfolgen zu regeln.

Auf den Vergleich der Begriffe "entfallen" und "anrechnen lassen" kommt es insoweit nicht mehr an, da schon die Ersetzung des Ausdruckes "böswillig" durch "schuldhaft" eine wesentliche Abweichung der Anrechnungsvorschrift des § 74 c HGB zum Nachteil des Arbeitnehmers enthält.

Diese abweichende Regelung unter Ziff. 5 der Vereinbarung der Parteien vom 26.07.1991 führt auch zur Unverbindlichkeit der Wettbewerbsabrede für den Berufungsbeklagten.

Nach § 75 d HGB kann sich der Arbeitgeber auf eine Vereinbarung, durch die von den Vorschriften der §§ 74 bis 75 c HGB zum Nachteil des Arbeitnehmers abgewichen wird, nicht berufen. Es ist der Berufungsklägerin zuzugeben, dass der Begriff der Vereinbarung in § 75 d HGB nicht eindeutig klar bestimmt ist. Wie schon das Arbeitsgericht ausgeführt hat, ergibt jedoch eine systematische Auslegung des § 75 d HGB, dass nicht nur die einzelne vom Gesetzeswortlaut zum Nachteil des Arbeitnehmers abweichende Regelung unverbindlich sein soll, sondern dass mit Vereinbarung im Sinne § 75 d HGB die gesamte Wettbewerbsvereinbarung gemeint ist. So ist der Verweis auf § 75 c HGB zutreffend, indem auch von Vereinbarung die Rede ist, wobei in diesem Zusammenhang klar zum Ausdruck kommt, dass nicht die einzelne Regelung, sondern die gesamte Wettbewerbsklausel in Bezug genommen wird. Auch dem Hinweis des Arbeitsgerichts auf die genau unterschiedenen Begriffe der Nichtigkeit, teilweisen und vollständigen Unverbindlichkeit eines Wettbewerbsverbots in den entsprechenden Vorschriften des HGB kann nur beigepflichtet werden. So geht die herrschende Meinung (Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Rn. 3 zu § 75 d HGB, Baumbach/Hopt HGB 29. Aufl., Anm. 1 zu § 75 d HGB, BAG vom 22.05.1990 - 3 AZR 647/88 -) auch davon aus, dass ein solches Wettbewerbsverbot insgesamt für den Arbeitnehmer unverbindlich ist, und dass der Arbeitnehmer bei einem unverbindlichen Verbot eine Wahlmöglichkeit hat, dass er sich entscheiden kann, ob er sich vom Wettbewerbsverbot lösen und in seiner weiteren beruflichen Entwicklung frei sein will. Er kann aber auch den Arbeitgeber am Wettbewerbsverbot festhalten, seine Unterlassungspflicht erfüllen und die vereinbarte Karenzentschädigung fordern.

Es ist des Weiteren davon auszugehen (BAG vom 22.05.1990 a.a.O.), dass der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich erklären muss, wie er von seinem Wahlrecht Gebrauch macht, es reicht aus, wenn der Arbeitnehmer seine Entscheidung konkludent durch seine Handlungsweise zum Ausdruck bringt, indem er z.B. seiner Unterlassungsverpflichtung nachkommt oder wie vorliegend eine Arbeitsstelle bei einer Konkurrenzfirma aufnimmt. Damit hat der Berufungsbeklagte gegenüber der Berufungsklägerin dargetan, dass er sich nicht an das für ihn unverbindliche Wettbewerbsverbot halten will. Die Unklarheiten eines unverbindlichen Wettbewerbsverbots dürfen nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gehen.

Ein Verfügungsanspruch der Berufungsklägerin ist somit nicht gegeben, die Berufung der Arbeitgeberin gegen das zutreffende Urteil des Arbeitsgerichts war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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