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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 24.10.2000
Aktenzeichen: 8 Sa 3/00
Rechtsgebiete: BetrVG, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BetrVG § 75
ZPO § 97 Abs. 1
ArbGG § 72a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
8 Sa 3/00

verkündet am 24. Oktober 2000

In Sachen

pp.

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg -8. Kammer- durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Kaiser, den ehrenamtlichen Richter Homann und den ehrenamtlichen Richter Dr. Münstermann auf die mündliche Verhandlung vom 24.10.2000 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgericht Stuttgart vom 20.10.1999 - Az.: 1 Ca 4474/99 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, weil dieses Urteil nicht der Revision unterliegt.

Entscheidungsgründe:

Die an sich statthafte und in der gehörigen Form und Frist eingelegte und ausgeführte und damit zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg; die Klägerin hat keinen über den Betrag von 1.900,-- DM hinausgehenden Anspruch auf eine Sozialplanabfindung.

Die den Sozialplananspruch der im Erziehungsurlaub befindlichen Klägerin regelnde Ziff. 4 des Sozialplans ist wirksam; sie verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot nach § 75 BetrVG; sie diskriminiert die Klägerin auch nicht wegen ihres Geschlechts.

1. Die Betriebspartner sind bei der Vereinbarung eines Sozialplans frei in ihrer Entscheidung, welche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer in welchem Umfang ausgeglichen oder gemildert werden sollen (BAG AP Nr. 7, 45 zu §112 BetrVG 1972). Sie müssen dabei die Grundsätze des § 75 BetrVG wahren, wonach eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen in vergleichbarer Lage unzulässig ist. Eine Differenzierung ist sachfremd, wenn es für sie keine sachlichen und billigenswerten Gründe gibt, die unterschiedliche Behandlung sich vielmehr als sachwidrig und willkürlich erweist. Eine Differenzierung auf Grund bestehender tatsächlicher und für die jeweilige Regelung erheblicher Gesichtspunkte ist aber zulässig (BAG AP Nr. 56 zu § 112 BetrVG 1972). Die Prüfung einer unterschiedlichen Behandlung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen hat sich am Zweck der Sozialplanleistungen zu orientieren, mit denen wirtschaftliche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert, nicht aber erbrachte Leistungen für den Betrieb oder eine Betriebszugehörigkeit nachträglich vergütet werden sollen (BAG AP Nr. 96 zu § 112 BetrVG 1972). Die Sozialplanabfindung ist eine Entschädigung des einzelnen dafür, dass er auf Grund der Betriebsänderung seinen Arbeitplatz einbüßt und im Laufe des Arbeitsverhältnisses erworbene Vorteile verliert; zugleich ist der Sozialplan auf die Zukunft gerichtet und hat Überleitungs- und Vorsorgefunktion (BAG AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972). In der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird nur noch auf diese Überbrückungsfunktion abgestellt (BAG NZA 91, S.111). Diese Überleitungs- und Vorsorgefunktion des Sozialplans zwingt indessen nicht dazu, in jedem Einzelfall die konkreten Nachteile abzuwarten und aufzusummieren. Pauschalierungen und Staffelungen sind zulässig (ganz herrschende Meinung, vgl. BAG AP Nr. 6, 26 zu § 112 BetrVG 1972).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht die Differenzierung zwischen Erziehungsurlaubern und "aktiven" Beschäftigten zu Recht für zulässig erachtet. Es ist evident, dass die aktiven Mitarbeiter mit Ablauf der Kündigungsfrist ihr laufendes Einkommen verlieren und (für den Fall, dass sie nicht unmittelbar ein Anschlussarbeitsverhältnis finden) auf das erheblich geringere Arbeitslosengeld angewiesen sind. Dagegen bestreiten die Erziehungsurlauber ihren Lebensunterhalt jedenfalls aktuell eben nicht aus dem Arbeitseinkommen. Auch wenn sie durch die Betriebsänderung wirtschaftliche Nachteile erleiden können, so sind diese jedenfalls nicht in gleichem Maße akut wie bei den aktiven Mitarbeitern. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Betriebspartner die Überbrückungsbedürftigkeit der aktiven Arbeitnehmer höher eingeschätzt haben als die der Erziehungsurlauber und die zum Ausgleich gewährten Abfindungen zwischen diesen beiden Gruppen unterschiedlich ausgestaltet haben.

2. Die Klägerin wird auch nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt, was den Sozialplan insoweit unwirksam machen würde. Die Kammer neigt zwar entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten dazu, eine Sozialplanabfindung in der Tat als Entgelt im Sinne von Art. 119 Abs. 2 EG-Vertrag anzusehen (so wohl die Rechtsprechung des EuGH, vgl. zuletzt: Urteil vom 9. Februar 1999, C - 167/97, EuGH E I 1999, 623 ff. sowie JURIS). Nachdem Art. 119 EG-Vertrag auch nicht nur solche Diskriminierungen verbietet, die sich unmittelbar aus der ausdrücklich nach dem Geschlecht differenzierenden jeweiligen Regelung ergeben, sondern auch gerade solche Regelungen, die zwar geschlechtsneutral formuliert, tatsächlich jedoch aus Gründen, die auf dem Geschlecht oder der Geschlechterrolle beruhen, wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig treffen ist diese Vorschrift hier einschlägig. Denn es ist allgemein bekannt, dass überwiegend Frauen und nicht Männer Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Allerdings liegt ein Verstoß gegen Art. 119 EG-Vertrag nicht vor, wenn für die Differenzierung zwischen Männern und Frauen objektiv rechtfertigende Gründe bestehen, die nichts mit einer Diskriminierung auf Grund des Geschlechts zu tun haben (BAG AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Solche objektiven Gründe sind vorliegend gegeben und oben dargestellt: der Zweck der Sozialplanabfindungen als Überbrückungshilfe rechtfertigt die Differenzierung zwischen aktiven Arbeitnehmern und solchen wie der Klägerin als Erziehungsurlauberin, die ihren Lebensunterhalt nicht aktuell aus dem Arbeitsverhältnis beziehen.

3. Schließlich ist auch die Differenzierung innerhalb der Gruppe der Erziehungsurlauber/-innen nach der verbleibenden Dauer des Erziehungsurlaubs nicht zu beanstanden. Es liegt auf der Hand, dass die Überbrückungsbedürftigkeit für solche Erziehungsurlauber/-innen deren Erziehungsurlaub demnächst nach Auslaufen der Kündigungsfrist endet, höher ist als die derjenigen, die noch über einen längeren Zeitraum hinweg im Erziehungsurlaub sind und damit einerseits auch weiterhin und auf absehbare Zeit vom Arbeitseinkommen nicht abhängig sind und denen außerdem ein erheblich längerer Zeitraum zur Suche eines Anschlussarbeitsverhältnisses oder aber zur Organisation einer sonstigen Erwerbsquelle zur Verfügung steht. Dass möglicherweise einige dieser Erziehungsurlauber/-innen beabsichtigen, entgegen dem gestellten Antrag vorzeitig aus dem Erziehungsurlaub zurückzukehren, macht die Sozialplanregelung ebenfalls nicht unzulässig. Ein solcher geheimer Vorbehalt, wie ihn angeblich die Klägerin hegte, kann den Betriebspartnern naturgemäß nicht bekannt sein. Sie konnten und mussten eine solche Fallkonstellation beim Abschluss des Sozialplans nicht berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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