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Gericht: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urteil verkündet am 04.01.2005
Aktenzeichen: 8 Sa 50/04
Rechtsgebiete: HGB, SGB III, ArbGG


Vorschriften:

HGB §§ 74 ff.
HGB § 74c
HGB § 74c Abs. 1 Satz 1
SGB III § 3 Abs. 1 Nr. 4
SGB III § 57
SGB III § 118 Abs. 1 Nr. 1
ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Im Namen des Volkes Urteil

Aktenzeichen: 8 Sa 50/04

verkündet am 04.01.2005

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg - 8. Kammer - durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Kaiser, den ehrenamtlichen Richter Mayer und den ehrenamtlichen Richter Weßbecher auf die mündliche Verhandlung vom 04.01.2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 16.07.2004, Az. 8 Ca 24/04, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen Anspruch auf Karenzentschädigung für die Zeit von Januar 2004 bis März 2004. Wegen des Parteivortrages und der Sachanträge erster Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 16.07.2004 (Bl. 77 ff. d. Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, das Überbrückungsgeld sei als anrechenbare Leistung im Sinne des § 74c HGB anzusehen. Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, das eine Anrechnung für Übergangsgeld, welches nicht als Abgeltung von Arbeitsleistung angesehen werden kann verneint, eine Anrechnung von Arbeitslosengeld als Lohnersatzleistung aber bejaht habe, da der Arbeitnehmer hier dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe, sei davon auszugehen, dass auch das Überbrückungsgeld Lohnersatzfunktion in diesem Sinne habe. Zwar sei das Überbrückungsgeld auch Anschubfinanzierung für die Selbständigkeit. Es werde aber nur sechs Monate bezahlt nämlich so lange der Selbständige typischerweise noch keine oder geringe Einkünfte erziele und habe in dieser Zeit Lohnersatzfunktion. Vor und nach dem Förderzeitraum könne Anspruch auf Arbeitslosengeld gegeben sein; es bestehe deshalb ein hinreichender Bezug zum Arbeitslosengeld, dessen Anrechenbarkeit auf die Karenzentschädigung feststehe. Auch schade nicht, dass das Überbrückungsgeld im Ermessen der Agentur für Arbeit liege, da der Arbeitnehmer ansonsten in der Regel Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Schließlich werde das Überbrückungsgeld ebenso wie Arbeitslosengeld an Arbeitswillige und Arbeitsfähige bezahlt und weise daher einen engen Bezug zur Verwertung der Arbeitskraft auf. Auch die Höhe des Überbrückungsgeldes, die sich nach Arbeitslosengeld richte, spreche für den Lohnersatzcharakter dieser Leistung.

Das Urteil ist dem Kläger am 27.07.2004 zugestellt worden. Mit der am 24.08.2004 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen und am 24.09.2004 ausgeführten Berufung rügt der Kläger, es sei falsch, dass der Antragsteller von Überbrückungsgeld "statt dessen" in der Regel Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Eine selbständige Tätigkeit sei eine Beschäftigung im Sinne des § 118 Abs.1 Nr. 1 SGB III und schließe den Anspruch auf Arbeitslosengeld gerade aus. Auch stehe der Kläger als Selbständiger dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, sondern verwerte seine Arbeitskraft gerade dadurch, dass er sich selbständig seinen Lebensunterhalt verdiene. Überbrückungsgeld sei eine Sozialleistung der Sozialgemeinschaft und damit ebenso wie Übergangsgeld nicht anrechenbar. Das Überbrückungsgeld erwerbe der Kläger auch nicht etwa durch Verwertung seiner Arbeitskraft. § 74c HGB lasse aber nur die Anrechnung von Einnahmen aus einer Tätigkeit zu. Der Kläger meint, gesetzgeberischer Zweck des § 74c HGB sei der Schutz des typischerweise schwächeren Handlungsgehilfen vor übermäßiger Beschränkung seiner beruflichen Freiheit. Es sei sehr wohl maßgeblich, dass das Überbrückungsgeld nur nach Ermessen und nach einer Bescheinigung über die Tragfähigkeit des Konzepts zur Existenzgründung gewährt werde.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte wird verurteilt an den Kläger 3.978,69 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz jeweils aus 1.326,23 € seit dem 01.02.2004, seit dem 01.03.2004, und 01.04.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und meint, es sei unerheblich, ob der Antragsteller von Überbrückungsgeld "statt dessen" in der Regel Anspruch auf Arbeitslosengeld habe. Da der Empfänger von Überbrückungsgeld am Arbeitsprozess teilnehme, sei der Prüfungsschritt, ob er dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehe, hier nicht nötig. Das Überbrückungsgeld sei auch keine Sozialleistung, da es auf der Verwertung der Arbeitskraft beruhe, bei anderen Sozialleistungen der Arbeitnehmer aber gerade nicht am Arbeitsprozess teilnehme. Die Beklagte meint, der Kläger habe das Überbrückungsgeld durch Verwertung seiner Arbeitskraft erworben. Der Gesetzeszweck von § 57 SGB III und § 74c HGB seien identisch, nämlich die Sicherung des bisherigen Lebensstandards auf einem bestimmten Niveau.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 12 ff. d. Akte) und die Berufungserwiderung (Bl. 40 ff. d. Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, in gehöriger Form und Frist eingelegte und ausgeführte Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass dem Kläger keine weitere Karenzentschädigung für die Monate Januar bis März 2004 zusteht, weil er sich das in dieser Zeit bezogene Überbrückungsgeld in Höhe von 2.493,12 € brutto monatlich auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muss.

Der Kläger war ausweislich § 1 des Arbeitsvertrages vom 01.06.2001 (Bl. 6 d. Akte) kaufmännischer Außendienstmitarbeiter; für das zwischen den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot sind daher die §§ 74 ff. HGB anzuwenden. Nach § 74c HGB muss sich der "Handlungsgehilfe" (kaufmännische Angestellte) auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen was er während des Zeitraums, für den die Entschädigung gezahlt wird, durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwirbt soweit die Entschädigung unter Hinzurechnung dieses Betrags den Betrag der zuletzt von ihm bezogenen vertragsmäßigen Leistungen um mehr als ein Zehntel übersteigen würde. Ausgehend von einer monatlichen Karenzentschädigung von 1.326,23 € ergibt sich der Betrag der zuletzt vom Kläger bezogenen vertragsmäßigen Leistungen mit 2.652,46 €. 110% dieses Betrages sind 2.917,70 €. Die Summe von Karenzentschädigung und Überbrückungsgeld (2.493,12 €) beträgt 3.819,35 € und übersteigt damit das 110-fache der letzten monatlichen Bezüge; die Differenz zwischen dem Überbrückungsgeld und 110% der letzten vertraglichen Bezüge beträgt 424,58 €, für sechs Monate (Oktober 2003 bis März 2004) sind das 2.547,48 €. Tatsächlich hat die Beklagte aber bereits 3.978,69 €, nämlich in den Monaten Oktober bis Dezember 2003 jeweils 1.326,23 € bezahlt.

Ein weiterer Anspruch auf Karenzentschädigung steht dem Kläger daher nur zu, wenn das Überbrückungsgeld nicht auf die Karenzentschädigung anzurechnen ist.

Die Anrechnung von Sozialleistungen auf die Karenzentschädigung ist nicht abschließend geklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, ist bei Sozialleistungen danach zu differenzieren, ob diese Lohnersatzfunktion haben (BAG AP Nr. 15 zu § 74c HGB). Aufgrund richterlicher Rechtsfortbildung hat das Bundesarbeitsgericht so insbesondere das Arbeitslosengeld dem Arbeitseinkommen im Sinne des § 74c HGB gleichgestellt (BAG AP Nr. 11 zu § 74c HGB). Arbeitslosengeld wird Arbeitslosen gewährt, wenn sie der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen, die Anwartschaftszeit erfüllen, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt haben (§ 117 SGB III). Da dem Gesetzgeber bei der Regelung der nachvertraglichen Wettbewerbsverbote die Gewährung von Arbeitslosengeld noch unbekannt war, hat das Bundesarbeitsgericht eine Regelungslücke in § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB angenommen und ausgeführt, es komme zu Wertungswidersprüchen, wenn anderweitiges Einkommen angerechnet werde nicht dagegen das es ersetzende Arbeitslosengeld. Es müsse vermieden werden, dass ein Arbeitnehmer sich arbeitslos meldet um neben dem Arbeitslosengeld Karenzentschädigung zu beziehen und damit seine Einnahmen gegenüber denen aus dem fortbestehenden Arbeitsverhältnis zu erhöhen.

Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass das Überbrückungsgeld ebenfalls Lohnersatzfunktion in diesem Sinne hat. Zwar beschränkt sich der Zweck des Überbrückungsgeldes nicht auf den Lohnersatz, sondern dient auch der Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung des Existenzgründers und seiner Angehörigen in der Zeit nach der Existenzgründung (Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts). Es ist andererseits aber unabhängig von der Bedürftigkeit des Beziehers und unterscheidet sich dadurch grundsätzlich von echten Sozialleistungen. So ist es ohne weiteres denkbar, dass der Bezieher bereits unmittelbar nach der Existenzgründung ausreichende Einkünfte aus seiner selbständigen Tätigkeit bezieht, ohne dass dies den Bezug von Überbrückungsgeld schmälern würde. Daran zeigt sich, dass das Überbrückungsgeld vorrangig eine Leistung der aktiven Arbeitsförderung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 SGB III ist. Solche Leistungen werden gerade zur Vermeidung der sonst erforderlichen Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts gewährt (§ 5 SGB III). Wird das Überbrückungsgeld aber anstelle des sonst zu zahlenden Arbeitslosengeldes gewährt und hat dieses, wie oben ausgeführt, Lohnersatzfunktion, so kann auch das Überbrückungsgeld ohne weiteres als Lohnersatz angesehen werden.

Erhebliche Unterschiede zwischen dem Überbrückungsgeld und dem Arbeitslosengeld, das eine Anrechnung ausschließen würde, bestehen nach Auffassung der Kammer nicht. Zwar steht der Bezieher von Überbrückungsgeld dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, weil er seine Arbeitskraft zum Aufbau und der Durchführung seiner selbständigen Tätigkeit benötigt. Der Kläger konnte diese selbständige Tätigkeit ab Oktober 2003 aber allein deshalb aufnehmen, weil sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten beendet war. Die Situation stellt sich deshalb nicht anders dar als wenn er Verdienst aus einer anderweitigen Verwendung seiner Arbeitskraft bezogen hätte, den er ebenfalls nicht hätte erzielen können, wenn er aus dem Hauptarbeitsverhältnis eine Arbeitsleistung hätte erbringen müssen (ebenso für die Anrechnung von Überbrückungsgeld auf den Anspruch auf Annahmeverzugslohn: LAG Köln, Urteil v. 15.10.2003 - 7 Sa 163/03 -, ZTR 2004, S. 326).

Unerheblich ist nach Auffassung der Kammer, dass die Gewährung von Überbrückungsgeld unter einem Ermessensvorbehalt steht. Dies hat für den Charakter der Leistung als Lohnersatzleistung oder sonstige Sozialleistung keinen Aussagewert.

Die Berufung des Klägers ist deshalb zurückgewiesen worden.

II.

Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 ZPO).

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Frage der Anrechnung von Überbrückungsgeld auf die Karenzentschädigung ist über den Einzelfall hinaus von Bedeutung und höchstrichterlich nicht geklärt.

Ende der Entscheidung

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