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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 10.06.2009
Aktenzeichen: 6 SHa 977/09
Rechtsgebiete: AEntG, VTV, ArbGG, ZPO


Vorschriften:

AEntG § 1a Satz 1
VTV § 27
ArbGG § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Es ist keinesfalls offensichtlich gesetzwidrig, gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 VTV die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Wiesbaden anzunehmen für die Inanspruchnahme eines Unternehmers als Bürgen gem. § 1a Satz 1 AEntG (nunmehr: § 14 AEntG 2009) wegen der von seinem Auftragnehmer der ULAK geschuldeten Sozialkassenbeiträge.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Beschluss

6 SHa 977/09

Im Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Kammer 6, durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. am 10. Juni 2009 beschlossen:

Tenor:

Als örtlich zuständiges Gericht wird das Arbeitsgericht Wiesbaden bestimmt.

Gründe:

1. Der Kläger nimmt die Beklagte, ein Unternehmen mit Sitz im Bezirk des Arbeitsgerichts Eberswalde, aus sog. Bürgenhaftung für Mindestbeiträge eines von der Beklagten beauftragten polnischen Bauunternehmens für die Zeit von August bis Dezember 2005 in Anspruch.

Das dafür angegangene Arbeitsgericht Eberswalde hat sich durch Beschluss vom 22. Januar 2009 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Wiesbaden verwiesen. Dieses hat sich nach Anhörung der Parteien durch Beschluss vom 31. März 2009 seinerseits für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Eberswalde zurückverwiesen, das sich daraufhin zwecks Bestimmung des zuständigen Gerichts an das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg gewandt hat.

2. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines Bestimmungsverfahrens nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG sind erfüllt. Es haben sich zwei Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt. Beide Beschlüsse sind gem. § 48 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG unanfechtbar. Das Gesuch um eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann auch durch eines der beteiligten Gerichte gestellt werden (BAG, Beschluss vom 01.03.1984 - 5 AS 5/84 - AP ZPO § 36 Nr. 35 zu II 2 der Gründe). Zur Entscheidung berufen ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO das LAG Berlin-Brandenburg, weil das zunächst mit der Sache befasste ArbG Eberswalde zu seinem Bezirk gehört.

3. Das Arbeitsgericht Wiesbaden ist als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen.

3.1 Der Beschluss des Arbeitsgerichtes Eberswalde vom 22. Januar 2009 ist aufgrund seiner Unanfechtbarkeit auch im Bestimmungsverfahren als verbindlich zugrunde zu legen. Nur dann, wenn eine Verweisung wegen krasser Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar ist, kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung in Betracht (vgl. BAG, Beschluss vom 19.03.2003 - 5 AS 1/03 - BAGE 105, 305 = AP ZPO § 36 Nr. 59 zu I 1 der Gründe).

3.2 Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Eberswalde ist keinesfalls offensichtlich gesetzwidrig. Dagegen spricht bereits, dass auch diverse andere Arbeitsgerichte (z.B. ArbG Hannover, Beschluss vom 17.09.2003 - 12 Ca 472/03 - EzAÜG AEntG § 1a Nr. 3) im Anschluss an eine Stimme in der Literatur (Koberski/Asshoff/Hold, AEntG, 2. Aufl. 2002, § 1a R 31) mit näherer Begründung die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Wiesbaden angenommen haben. Diese Ansicht dürfte zudem sogar der Rechtslage entsprechen.

3.2.1 Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 20. Dezember 1999 (VTV) ist Wiesbaden Erfüllungsort und Gerichtsstand für Ansprüche des Klägers gegen Arbeitgeber und deren Arbeitnehmer sowie für Ansprüche der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegen den Kläger.

3.2.1.1 Grundlage für § 27 Abs. 1 Satz 1 VTV ist § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG, der die in § 4 Abs. 2 TVG vorgesehene Schaffung gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien verfahrensrechtlich flankiert. Aufgrund § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG kann in einem Tarifvertrag die Zuständigkeit eines an sich örtlich unzuständigen Gerichts festgelegt werden für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus dem Verhältnis einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu den Arbeitnehmern oder Arbeitgebern. Dies umfasst auch Ansprüche gegen Dritte, die gemäß § 3 ArbGG vor den Gerichten für Arbeitssachen als Rechtsnachfolger von Arbeitgeber oder Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden können, was für Bürgen der Fall ist (dazu Schwab/Weth/Walker, ArbGG, 2. Aufl. 2008, § 3 R 16), da nach Sinn und Zweck des § 3 ArbGG genügt, dass der Dritte die Erfüllung eines arbeitsrechtlichen Anspruchs zusätzlich schuldet (BAG, Urteil vom 23.10.1990 - 3 AZR 23/90 - AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 18 zu II 1 der Gründe). Hierfür lässt sich in gleicher Weise an § 8 AEntG anknüpfen, der neben der internationalen auch die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Streitigkeiten gegen ein Unternehmen begründet, das nach § 1a AEntG für die Erfüllung der tarifvertraglichen Beitragspflicht wie ein Bürge haftet (dazu BAG, Beschluss vom 11.09.2002 - 5 AZB 3/02 - BAGE 102, 343 = AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 82 zu II 1 a und b der Gründe).

3.2.1.2 Allerdings regelt § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG nicht ausdrücklich, dass eine tarifvertragliche Gerichtsstandsklausel auch auf den Rechtsstreit zwischen einer gemeinsamen Einrichtung und dem Rechtsnachfolger eines Arbeitnehmers oder eines Arbeitgebers oder einem für die Frage der Zuständigkeit wie ein Rechtsnachfolger behandelten Dritten erstreckt werden kann. Indes gilt diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut im Gegensatz zu allen anderen Zuständigkeitsregelungen in §§ 2, 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ArbGG nicht "zwischen" einer gemeinsamen Einrichtung und Arbeitnehmern oder Arbeitgebern. Vielmehr erlaubt sie tarifvertragliche Gerichtsstandsklauseln für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten "aus dem Verhältnis" einer gemeinsamen Einrichtung zu den Arbeitnehmern oder Arbeitgebern und erfasst damit alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die in einem solchen Verhältnis wurzeln. Diese am Wortsinn orientierte Auslegung stimmt auch mit der Zielsetzung des Gesetzes überein, dem Interesse der Tarifvertragsparteien an einer einheitlichen Auslegung der Tarifverträge und einschlägigen Vorschriften im Wege der Konzentration aller Streitigkeiten bei einem einzigen Gericht Rechnung zur tragen (BAG, Urteil vom 07.10.1981 - 4 AZR 173/81 - BAGE 36, 274 = AP ArbGG 1979 § 48 Nr. 1).

3.2.1.3 Von der ihnen durch § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG eingeräumten Regelungsmacht haben die Parteien des VTV mit dessen § 27 Abs. 1 Satz 1 Gebrauch gemacht. Indem sie Wiesbaden als Erfüllungsort und Gerichtsstand für Ansprüche des Klägers gegen Arbeitgeber und deren Arbeitnehmer sowie für Ansprüche der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegen den Kläger bestimmt haben, ist ihr Wille deutlich zum Ausdruck gelangt, für sämtliche Ansprüche aus diesem Tarifvertrag den Gerichtsstand am Sitz des Klägers zu begründen, weil allein dies ihrer erkennbaren Interessenlage entspricht, die schon Anlass für die Schaffung der gesetzlichen Ermächtigung in § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ArbGG gewesen war (ebenso zu einer gleich lautenden Klausel in einem anderen Tarifvertrag BAG, Urteil vom 07.10.1981 - 4 AZR 173/81 - BAGE 36, 274 = AP ArbGG 1979 § 48 Nr. 1). Dies umfasst dann auch Ansprüche gegen Dritte, die gem. § 1a AEntG wie Bürgen für Beitragsansprüche gegen den Arbeitgeber haften.

3.2.1.4 Aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung erfasst eine tarifvertragliche Gerichtsstandsklausel wie § 27 VTV gemäß § 5 Abs. 4 TVG auch sog. Außenseiter (BAG, Urteil vom 19.03.1975 - 4 AZR 270/74 - BAGE 27, 78 = AP TVG § 5 Nr. 14 zu 3 der Gründe). Solche Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV in seiner jeweiligen, insoweit unveränderten Fassung sind für den streitigen Zeitraum am 17. Januar 2000 und 30. Oktober 2002 im Bundesanzeiger bekannt gemacht worden (Nr. 20 S. 1385 bzw. Nr. 218 S. 25297).

3.2.2 Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes Wiesbaden ist jedenfalls nicht offensichtlich gem. § 27 Abs. 2 VTV ausgeschlossen. Danach ist abweichend von Abs. 1 Berlin Gerichtsstand für Ansprüche des Klägers gegen Arbeitgeber mit Betriebssitz im Gebiet der fünf neuen Bundesländer und deren Arbeitnehmer sowie für Ansprüche dieser Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegen den Kläger. Die Beklagte wird nun aber nicht selbst als Arbeitgeber in Anspruch genommen, sondern als Bürge für Ansprüche gegen ihren polnischen Subunternehmer, die unzweifelhaft gem. § 27 Abs. 1 VTV in die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes Wiesbaden fallen. Es entspricht dem erkennbaren Konzentrationsinteresse der Tarifvertragsparteien, es der Klägerin zu ermöglichen, den gem. § 1a AEntG als Bürgen haftenden Unternehmer ebenso wie dessen Subunternehmer in seiner Stellung als Arbeitgeber nicht an dessen Betriebssitz verklagen zu müssen, sondern dasjenige Gericht anzurufen, das auch für eine Klage gegen den Arbeitgeber selbst zuständig wäre (im Ergebnis ebenso Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 31.03.2008 - 15 Ca 63287/07 - das in der entsprechenden Vorschrift des § 27 Abs. 3 VTV für Arbeitgeber mit Sitz in Berlin eine eng auszulegende Sonderregelung sieht).

4. Eine Vorlage an das Bundesarbeitsgericht nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO, der gem. § 495 BGB, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG im Falle nicht originärer Bestimmungszuständigkeit nach § 36 Abs. 2 ZPO entsprechende Anwendung findet, war mangels Abweichung von der Entscheidung eines anderen Landesarbeitsgerichts oder des Bundesarbeitsgerichts nicht angezeigt.

5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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