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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Urteil verkündet am 30.10.2009
Aktenzeichen: 6 Sa 219/09
Rechtsgebiete: AEntG, SGB III, BGB, BRTV, TV Mindestlohn


Vorschriften:

AEntG § 1a
SGB III § 187 S. 1
BGB § 401 Abs. 1
BRTV § 15 Nr. 1 S. 1
TV Mindestlohn § 1 Abs. 2
TV Mindestlohn § 1 Abs. 3
TV Mindestlohn § 2 Abs. 2
TV Mindestlohn § 2 Abs. 5
Zur Bürgenhaftung des auftraggebenden Unternehmers gem. § 1a AEntG in der Insolvenz des Nachunternehmers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit.
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg Im Namen des Volkes Urteil

6 Sa 219/09 6 Sa 311/09

Verkündet am 30. Oktober 2009

In dem Rechtsstreit

hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Kammer 6, auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht C. sowie die ehrenamtlichen Richter A. und Ah.

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Dezember 2008 - 10 Ca 16711/08 - geändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.291,56 € (achtzehntausendzweihunderteinundneunzig 56/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 23. Oktober 2008 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht als Bürgin für Ansprüche von Arbeitnehmern einer Nachunternehmerin der Beklagten auf Nettomindestlohn in Anspruch.

Die Beklagte hatte ihre Nachunternehmerin mit der Erbringung von Estricharbeiten für drei Bauvorhaben beauftragt, wofür diese bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 16. Juli 2007 insgesamt 14 Arbeitnehmer in unterschiedlichem zeitlichem Umfang einsetzte. Für die Zeit ab 16. April bzw. in einem Fall ab 14. Mai 2007 beantragten die Arbeitnehmer bei der Klägerin Insolvenzgeld. Diese meldete daraufhin mit Schreiben vom 31. Juli 2007 (Ablichtung Bl. 347 d. A.) ihre auf 300 T€ geschätzte Forderung beim Insolvenzverwalter an, der unter dem 09. August 2007 für sämtliche Arbeitnehmer Insolvenzgeldbescheinigungen über deren Lohnansprüche (Ablichtung Bl. 350-391 d. A.) erteilte. Mit Schreiben vom 03. September 2008 (Ablichtung Bl. 177 und 178 d. A.) wandte sich die Klägerin an die Beklagte wegen Erstattung des inzwischen gezahlten Insolvenzgeldes in Höhe des Nettomindestlohnes in Höhe von 18.360,87 €.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, mögliche Ansprüche der Klägerin seien wegen Versäumung der sechsmonatigen Ausschlussfrist des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) verfallen, da die Geltendmachung erst mit Schreiben vom 03. September 2008 erfolgt sei. Dass der Insolvenzverwalter die Lohnansprüche mit seinen Bescheinigungen anerkannt habe, stehe nicht entgegen, weil ein Bürge eine Einrede nicht dadurch verliere, dass der Schuldner auf diese verzichte, was sinngemäß auch gelte, wenn der Schuldner die Schuld anerkenne.

Gegen dieses ihr am 22. Januar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. Februar 2009 eingelegte und am 23. März 2009, einem Montag, begründete Berufung der Klägerin. Sie meint, dass es sich bei der Anwendung einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist nicht um eine Einrede handele, und sieht in der Erteilung einer Insolvenzgeldbescheinigung auch keine rechtsgeschäftliche Erweiterung der Verpflichtung des Bürgen. Zudem sei durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an die Stelle der tarifvertraglichen Verfallfrist die insolvenzrechtliche Frist zur Anmeldung zur Tabelle getreten, die sie eingehalten habe. Eine Auswertung der auf den Bautagesberichten beruhenden sog. Lohnabrechnungen habe ergeben, dass sogar noch etwas mehr Arbeitsstunden ohne Wege- und Wartezeiten geleistet worden seien, als der Berechnung der Klageforderung zugrunde lägen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an sie 18.291,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Oktober 2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Inanspruchnahme als Bürgin für insolvenzgesicherte Ansprüche der Arbeitnehmer von Nachunternehmern. Während zwei Kolonnenführer und ein Vorarbeiter in höhere Lohngruppen als LG 2 einzugruppieren gewesen seien, gäbe es für die Tätigkeit eines "Assistenten der Bauleitung" überhaupt keinen Mindestlohn, weil es sich hierbei um Angestelltentätigkeit handeln dürfte. Unter Hinweis auf ein Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart in einem denselben Nachunternehmer betreffenden Rechtsstreit der Klägerin (Ablichtung Bl. 601-606 d. A.) beanstandet die Beklagte, dass bereits nicht hinreichend klar sei, dass ihre Nachunternehmerin ein Baubetrieb i. S. d. Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin kann von der Beklagten Zahlung von 18.291,56 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verlangen.

1.1 Die Beklagte haftet der Klägerin gemäß § 1a Satz 1 AEntG als Bürge für Ansprüche, die gemäß § 187 Satz 1 SGB III auf diese übergegangen sind.

1.1.1 Nach § 1a Satz 1 AEntG, dem Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen, in der bis zum 30. Juni 2007 gültigen Fassung haftete ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen i. S. d. § 175 Abs. 2 SGB III beauftragte, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers zur Zahlung des Mindestentgelts an einen Arbeitnehmer wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die ab 01. Juli 2007 geltende Fassung ist über die Erbringung von Bauleistungen hinaus auf Werk- oder Dienstleistungen jedweder Art erstreckt worden. Diese Voraussetzungen waren für den im Streit befindlichen Zeitraum vom 16. April bis 15. Juli 2007 erfüllt.

1.1.1.1 Die Beklagte ist ein Unternehmen i. S. v. § 1a Satz 1 AEntG, weil sie auf drei Baustellen, auf denen die Arbeitnehmer der von ihr beauftragten späteren Insolvenzschuldnerin eingesetzt waren, für dritte Auftraggeber tätig geworden und nicht etwa selbst als Bauherr aufgetreten ist (zu dieser Unterscheidung BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 617/01 - BAGE 113, 149 = AP AEntG § 1a Nr. 2 zu III 2 b d. Gr.).

1.1.1.2 Die spätere Insolvenzschuldnerin hat als anderes Unternehmen für die Beklagte auf den drei Baustellen mit den dort geleisteten Estricharbeiten Bauleistungen i. S. d. § 175 Abs. 2 SGB III und damit auch Werkleistungen erbracht. Bauleistungen sind nach Satz 2 des § 175 Abs. 2 SGB III alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.

1.1.1.3 Die spätere Insolvenzschuldnerin war den von ihr eingesetzten Arbeitnehmern zur Zahlung des Mindestentgelts verpflichtet.

1.1.1.3.1 Nach § 1 Satz 1 der auf § 1 Abs. 3a AEntG gestützten Fünften Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 29. August 2005 (BAnz. 2005 Nr. 164 S. 13199) finden die Rechtsnormen des Tarifvertrages zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (TV Mindestlohn) vom 27. Mai 2005 auf alle an ihn nicht gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung, die unter seinen am 01. September 2005 gültigen Geltungsbereich fallen, wenn der Betrieb überwiegend Bauleistungen i. S. d. § 175 Abs. 2 SGB III erbringt.

1.1.1.3.2 Es war davon auszugehen, dass die spätere Insolvenzschuldnerin unter den betrieblichen Geltungsbereich des TV Mindestlohn fiel, der sich nach seinem § 1 Abs. 2 mit dem betrieblichen Geltungsbereich des BRTV in der jeweiligen Fassung deckt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 Abschnitt V Nr. 11 BRTV in der Fassung vom 19. Mai 2006 gehören zu den Betrieben des Baugewerbes u. a. solche, in denen Estricharbeiten ausgeführt werden.

1.1.1.3.2.1 Dass die spätere Insolvenzschuldnerin ihre gewerblichen Arbeitnehmer arbeitszeitlich überwiegend mit solchen Tätigkeiten beschäftigt hat, war zwischen den Parteien erstinstanzlich unstreitig, wie sich der Feststellung des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung entnehmen ließ, der TV Mindestlohn sein unstreitig einschlägig. Dies entsprach auch der personellen Zusammensetzung der Belegschaft aus 18 Estrichlegern, 7 Bauhelfern, 12 (Werk)Polieren, 4 technischen Sachbearbeitern, 9 Sachbearbeitern im kaufmännischen Bereich und 3 Niederlassungsleitern gemäß dem Zitat des Klägervertreters aus dem Insolvenzgutachten im Verhandlungstermin vom 11. September 2009.

1.1.1.3.2.2 Dass sich die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 19. August 2009 auf ein sodann im Verhandlungstermin vom 11. September 2009 überreichtes Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 18. Mai 2009 - 4 Ca 8173/08 - bezogen hat, wonach in einem dieselbe Insolvenzschuldnerin betreffenden Verfahren der Klägerin nicht hinreichend klar sei, dass diese einen Baubetrieb i. S. d. BRTV führe, war prozessual unerheblich. Sofern in der ausdrücklich als informatorisch bezeichneten Mitteilung überhaupt ein ausreichendes Bestreiten i. S. d. § 138 Abs. 3 ZPO oder eine Erklärung mit Nichtwissen i. S. d. § 138 Abs. 4 ZPO zu sehen war und nicht bloß eine Beanstandung nicht ausreichenden Vortrags der Klägerin, handelte es sich um ein neues Verteidigungsmittel, das die Beklagte gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG mit ihrer Berufungsbeantwortung hätte vorgebracht haben müssen, die ihre verschiedenen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsätzen vom 21. und 24. April 2009 eingereicht haben.

1.1.1.3.2.3 Das Verteidigungsmittel der Beklagten war auch nicht nach Satz 2 des § 67 Abs. 4 ArbGG ausnahmsweise zuzulassen. Auch wenn das herangezogene Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ergangen ist und seine Entscheidungsgründe der Beklagten möglicherweise erst im August 2009 bekannt geworden sind, war sie darauf doch für ein Bestreiten oder eine Erklärung mit Nichtwissen nicht angewiesen gewesen. Damit war zugleich mangelndes Verschulden ausgeschlossen. Schließlich hätte eine Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert, weil der Klägerin Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vortrages hätte gegeben und sodann darüber Beweis erhoben werden müssen.

1.1.1.3.3 Von den 14 Arbeitnehmern der späteren Insolvenzschuldnerin waren 13 unstreitig Arbeiter, die eine nach dem SGB VI versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten und deshalb gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 TV Mindestlohn unter den persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fielen. Dies traf aber auch auf den Arbeitnehmer zu, der sich in seinem Antrag auf Insolvenzgeld (Ablichtung Bl. 122-125 d. A.) als Assistent der Bauleitung bezeichnet hat. Ausweislich der als Lohnabrechnung bezeichneten Wochenarbeitszeitbögen (Ablichtung 126 und 128 d. A.) ist er als einfaches Mitglied einer dreiköpfigen Estrichkolonne beschäftigt worden, und ist dementsprechend für ihn von seinem Arbeitgeber eine monatliche Lohnsumme ermittelt worden (Ablichtung Bl. 127 und 129 d. A.), die dann Grundlage für die vom Klägervertreter im Verhandlungstermin vom 11. September 2009 in Ablichtung zur Akte gereichte "Lohn- und Gehaltsabrechnung" für Juli 2007 (Bl. 608 d. A.) geworden ist. Dass der dort ausgewiesene Stundenlohn von 13,42 € brutto über der LG 3 Ost lag, besagte entgegen der Ansicht der Beklagten im nachgereichten Schriftsatz vom 01. Oktober 2009 nichts für eine Angestelltentätigkeit. Der dortige Beweisantritt, diesen Arbeitnehmer zu seiner Tätigkeit zu vernehmen, entsprach mangels jeglicher Angabe, was dieser denn statt oder etwa überwiegend neben der dokumentierten und allein abgerechneten und von ihm seinem Insolvenzgeldantrag zugrunde gelegten Tätigkeit als Estrichleger für Angestelltentätigkeit entfaltet haben soll, nicht den Anforderungen des § 373 ZPO.

1.1.1.4 Das Mindestentgelt der 14 Arbeitnehmer belief sich für die Zeit vom 16. April bis 15. Juli 2007 insgesamt auf jedenfalls den eingeklagten Betrag von 18.291,56 €.

1.1.1.4.1 Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 TV Mindestlohn sind die Gesamttarifstundenlöhne der LG 1 und 2 nach § 5 Nr. 3 BRTV zugleich Mindestlöhne i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 AEntG für alle vom persönlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages erfassten Arbeitnehmer. Da vom persönlichen Geltungsbereich des TV Mindestlohn gemäß dessen § 1 Abs. 3 Satz 1 gewerbliche Arbeitnehmer (Arbeiter) ohne Begrenzung auf bestimmte Lohngruppen erfasst werden, müssen davon folglich auch Arbeiter mit Löhnen nach einer höheren Lohngruppe erfasst sein, die jedoch nur im Umfang des Gesamttarifstundenlohns der LG 2 als Mindestlohn garantiert sind. Deshalb war es entgegen der Ansicht der Beklagten unerheblich, dass drei der Estrichleger zugleich als Kolonnenführer bzw. Vorarbeiter fungierten, selbst wenn sie dafür tarifvertraglich Anspruch auf Lohn nach LG 3 oder noch höher gehabt haben sollten. Für dieses Ergebnis spricht schließlich noch Satz 2 des § 2 Abs. 2 TV Mindestlohn. Wenn danach höhere Lohnansprüche aufgrund anderer Tarifverträge unberührt bleiben, so bedeutet dies zugleich, dass der Anspruch auf Mindestlohn dadurch seinerseits ebenfalls nicht berührt wird. Dass dies für höhere Lohnansprüche aufgrund des BRTV anders sein soll, ist nicht erkennbar und erschiene auch mit dem auch von den Tarifvertragsparteien zu beachtenden Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.

1.1.1.4.2 Das Mindestentgelt, hinsichtlich dessen den auftraggebenden Unternehmer eine Bürgenhaftung trifft, umfasst gemäß § 1a Satz 2 AEntG nur das Nettoentgelt. Außerdem bezieht sich die Bürgenhaftung allein auf den Mindestlohnanspruch nach § 1 Abs. 1 AEntG, der jedoch nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung erworben wird, weil die Rechtsnormen des durch Rechtsverordnung für allgemein anwendbar erklärten TV Mindestlohn nur insoweit international zwingend i. S. v. Art. 34 EGBGB sind (vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 617/01 - BAGE 113, 149 = AP AEntG § 1a Nr. 2 zu IV 2 c dd (4) d. Gr.). Zeiten für An- und Abfahrt, für die der Arbeitnehmer gemäß § 7 Nr. 4.3 BRTV Anspruch auf den Gesamttarifstundenlohn hat, und Wartezeiten, für die gemäß § 615 Satz 1 und 3 BGB sog. Verzugslohn zu zahlen ist, fallen nicht darunter. Anders verhält es sich dagegen mit dem im Gesamttarifstundenlohn enthaltenen Bauzuschlag, durch den besondere Belastungen vergütet werden sollen, die allgemein mit der Arbeit auf Baustellen verbunden sind (Deckers NZA 2008, 321, 323).

1.1.1.4.3 Da die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Juni 2009 die Behauptung der Klägerin zum zeitlichen Umfang der auf ihren Baustellen von den 14 Arbeitnehmern der späteren Insolvenzschuldnerin tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden ausdrücklich unstreitig gestellt hat, soweit es sich dabei nicht um in den "Lohnabrechnungen" als solche vermerkte Zeiten der An- und Abfahrt oder Wartezeiten gehandelt, brauchte der zuvor im schriftlichen Verfahren gefasste Beweisbeschluss vom 12. Juni 2009 (Bl. 524 d. A.) nicht mehr ausgeführt zu werden. Die sich aus diesen "Lohnabrechnungen" ergebende Stundenzahl beträgt insgesamt 2.685, wie sich der zusammenfassenden Aufstellung der Klägerin im nachgereichten Schriftsatz vom 01. Oktober 2009 auf Seite 3 (Bl. 619 d. A.) entnehmen lässt. Diese Zahl liegt jedoch immer noch über der aus der Klageschrift von 2.630,1 Stunden. Dass es dabei zu geringfügigen Verschiebungen von Monat zu Monat, aber auch zwischen einzelnen Arbeitnehmern gekommen ist, war unschädlich, weil der rechnerische Puffer immerhin (2.685 - 2.630,1 =) 54,9 Stunden betrug, wodurch auch eine gewisse Verschiebung der Stundenzahl von Arbeiten nach LG 2 zu solchen nach LG 1 kompensiert worden ist.

Da es sich hierbei nur um Berechnungsposten eines aus demselben Lebenssachverhalt abgeleiteten Anspruchs handelt, ergaben sich insoweit auch keine prozessualen Bedenken gegen die durch die Einlassung der Beklagten veranlasste Umstellung.

1.1.1.4.4 Die Richtigkeit des aus dem tariflichen Mindestlohn errechneten Nettoentgelts der einzelnen Arbeitnehmer ist von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden. Der sich daraus ergebende Gesamtbetrag konnte trotz der in gewissem Umfang vorgenommenen Verschiebung der Stundenzahl mit Rücksicht auf den rechnerischen Puffer von 54,9 Stunden weiterhin im Ergebnis als zutreffend angesehen werden.

1.1.2 Die Ansprüche der 14 Arbeitnehmer gegen die Beklagte aus Bürgschaft für das Mindestentgelt in Höhe des Nettoentgelts für geleistete Arbeit sind infolge Übergangs ihrer Ansprüche auf (volles) Arbeitsentgelt gegen die spätere Insolvenzschuldnerin ebenfalls auf die Klägerin übergegangen.

1.1.2.1 Gemäß § 187 Satz 1 SGB III gehen Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, mit dem Antrag auf Insolvenzgeld auf die Klägerin über.

1.1.2.1.1 Anspruch auf Insolvenzgeld haben Arbeitnehmer gemäß § 183 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Anspruch auf Arbeitsentgelt haben. Dies war bei den 14 Arbeitnehmern des von der Beklagten beauftragten Unternehmens in der Zeit ab 16. April bzw. 14. Mai bis 15. Juli 2007 der Fall.

1.1.2.1.2 Von den noch offenen Lohnansprüchen waren die Ansprüche auf Mindestlohn gemäß § 2 TV Mindestlohn als Teilmenge umfasst.

1.1.2.1.3 Die 14 Arbeitnehmer haben nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Auftragnehmerin der Beklagten in der Zeit vom 25. bis 31. Juli 2007 ihre Anträge auf Insolvenzgeld gestellt.

1.1.2.2 Die auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche auf Mindestlohn sind nicht wegen Versäumung einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen.

1.1.2.2.1 Gemäß § 15 Nr. 1 Ts. 1 BRTV verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Hiervon sieht § 2 Abs. 5 TV Mindestlohn eine Abweichung dergestalt vor, dass Ansprüche von Arbeitnehmern in den LG 1 und 2 (erst) sechs Monate nach ihrer Fälligkeit verfallen. Damit wird einerseits die Regelung des § 15 BRTV als solche zum Bestandteil des TV Mindestlohn gemacht, zugleich aber hinsichtlich der Dauer der Ausschlussfrist modifiziert.

1.1.2.2.2 Eine Geltendmachung zur Wahrung der tarifvertraglichen Ausschlussfrist war mit Rücksicht auf die vom Insolvenzverwalter am 09. August 2007 erteilten Insolvenzgeldbescheinigungen (Ablichtung Bl. 350-391 d. A.) und die zuvor schon von der späteren Insolvenzschuldnerin erteilten Lohnabrechnungen wie die im Verhandlungstermin vom 11. September 2009 überreichte (Ablichtung Bl. 608 d. A.) entbehrlich. Dass von solchen Bescheinigungen diese Wirkung ausgeht, ist grundsätzlich anerkannt (BAG, Urteil vom 08.08.1979 - 5 AZR 660/77 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 67 zu II 3 b d. Gr.; Urteil vom 20.10.1982 - 5 AZR 110/82 - BAGE 40, 258 = AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 76 zu 1a d. Gr.; Urteil vom 10.07.1991 - 5 AZR 382/90 - zu II 2 a d. Gr.). Entgegen dem angefochtenen Urteil muss sich dies auch ein für die bescheinigte Forderung haftender Bürge wie die Beklagte entgegenhalten lassen. Denn bei der Streitlosstellung einer Forderung vor deren Verfall handelt es sich nicht um den Verzicht auf eine Einrede i. S. v. § 768 Abs. 2 BGB, sondern um die Abgabe einer schriftlichen Wissenserklärung in Erfüllung der Pflicht aus § 108 GewO bzw. § 314 Abs. 1 SGB III. Darin liegt demnach auch kein Rechtsgeschäft des Schuldners nach Übernahme der Bürgschaft, das gemäß § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB die Verpflichtung des Bürgen nicht erweitern kann. Das Haftungsrisiko der Beklagten ist vielmehr unverändert geblieben.

1.1.2.2.3 Die tarifvertragliche Ausschlussfrist brauchte zudem mit Rücksicht auf die eingetretene Insolvenz der Nachunternehmerin der Beklagten ohnehin nicht mehr beachtet zu werden.

1.1.2.2.3.1 Tarifvertragliche Ausschlussfristen gelten zwar auch in der Insolvenz, wenn es um Masseforderungen geht, finden jedoch auf Insolvenzforderungen keine weitere Anwendung (BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 9 AZR 78/04 - BAGE 113, 371 = AP InsO § 108 Nr. 4 zu II 3 a d. Gr.). Für diese genügt die fristgemäße Anmeldung zur Insolvenztabelle (vgl. BAG, Urteil vom 18.12.1984 - 1 AZR 588/82 - BAGE 47, 343 = AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 88 zu II 3 b d. Gr.).

1.1.2.2.3.2 Bei den auf die Klägerin übergegangenen Ansprüchen auf Mindestlohn handelte es sich um Insolvenzforderungen i. S. v. § 38 InsO, weil sie in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 16. Juli 2007 entstanden sind. Die sechsmonatige Ausschlussfrist aus § 2 Abs. 5 TV Mindestlohn war zu dieser Zeit auch für Ansprüche aus April 2007 noch nicht abgelaufen. Die Anmeldung aller auf sie übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt zur Insolvenztabelle durch die Klägerin mit Schreiben vom 31. Juli 2007 (Ablichtung Bl. 347 d. A.) in Höhe von geschätzten 300 T€ umfasste die Ansprüche auf Mindestlohn.

1.1.2.3 Gemäß § 401 Abs. 1 BGB der gemäß § 412 BGB auf die Übertragung einer Forderung kraft Gesetzes entsprechende Anwendung findet, gehen auch Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über (i. E. ebenso bereits beiläufig BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 617/01 - BAGE 113, 149 = AP AEntG § 1a Nr. 2 zu IV 2 d bb (1) d. Gr.).

1.1.2.3.1 Als bestellt i. S. d. § 401 Abs. 1 BGB ist im Hinblick auf den Zweck dieser Norm, unselbständige Sicherungsrechte auf den neuen Gläubiger zusammen mit der Hauptforderung übergehen zu lassen, auch eine gesetzliche angeordnete Bürgenhaftung anzusehen. Dem entspricht es, dass § 401 Abs. 1 BGB auch auf einen gesetzlichen Schuldbeitritt gemäß § 28 HGB analoge Anwendung findet (dazu BAG, Urteil vom 23.01.1990 - 3 AZR 171/88 - BAGE 64, 62 = AP BetrAVG § 7 Nr. 56 zu III 2 b d. Gr.). Die analoge Anwendung dieser Vorschrift auf nicht ausdrücklich genannte Nebenrechte ist im Gesetzgebungsverfahren als selbstverständlich vorausgesetzt worden (BGH, Urteil vom 07.12.2006 - IX ZR 161/04 - NJW-RR 2007, 845 zu II 2 a bb d. Gr.).

1.1.2.3.2 Entgegen der auf ein zur Akte gereichtes Rechtsgutachten (Abschrift Bl. 430-476 d. A.) gestützten Ansicht der Beklagten war weder eine teleologische Reduktion noch eine verfassungskonforme Auslegung geboten, im Falle eines gesetzlichen Forderungsüberganges gemäß § 187 Satz 1 SGB III den Übergang der Bürgenhaftung nach § 1a AEntG davon auszunehmen. Soweit die Beklagte aus dem Zusammentreffen von Rückgriffsansprüchen und der Finanzierung der Insolvenzsicherung durch die von den Arbeitgebern gemäß § 358 SGB III erhobene Umlage hat herleiten wollen, dies widerspreche dem Gedanken des Solidarbeitrages, weil einzelne Unternehmen oder eine Gruppe von Unternehmen ohne erkennbaren sachlichen Grund zusätzlich belastet würden, hat sie außer Acht gelassen, dass sich durch die Übertragung eines Teils der Werk- oder Dienstleistungen auf Nachunternehmer bereits der Umfang der Umlage des übertragenden Unternehmens entsprechend gemindert hat. Zudem befreit auch die eigene Insolvenz trotz der bis dahin gezahlten Umlage nicht von einem Rückgriff durch die Klägerin gemäß § 187 Satz 1 SGB III. Die Insolvenzsicherung dient eben nicht der Entlastung des Arbeitgebers oder dessen Auftraggebers, der die Möglichkeit hat, sich durch Auswahl und Überwachung seiner Nachunternehmer, insbesondere durch Vorlage von Zahlungsnachweisen, vor einer Inanspruchnahme als Bürge zu schützen, und selbst dann noch durch Sicherheitseinbehalte für eine Milderung der Folgen einer Insolvenz sorgen kann (BAG, Urteil vom 12.01.2005 - 5 AZR 617/01 - BAGE 113, 149 = AP AEntG § 1a Nr. 2 zu IV 2 c dd (2) d. Gr.). Aus diesen Gründen vermochte die Kammer in der gesetzlichen Bürgenhaftung gemäß § 1a AEntG auch im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers weder einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG noch einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit zu sehen (offen gelassen BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 - 1 BvR 1047/05 - NZA 2007, 609 R 54 a. E.).

1.1.3 Die auf die Klägerin übergegangenen Ansprüche aus § 1a AEntG sind schließlich auch nicht selbst wegen Versäumung einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Dass die Klägerin die Beklagte erst mit Schreiben vom 03. September 2008 zur Zahlung aufgefordert hat, war mithin unschädlich. § 15 Nr. 1 Ts. 1 BRTV erfasst Ansprüche aus Bürgenhaftung gemäß § 1a AEntG entgegen der Ansicht der Beklagten nicht. Diese gehören nicht zu den beiderseitigen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis oder solchen, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen. Wie sich auch der Regelung über die sich anschließende Klagefrist in Nr. 2 Satz 1 des § 15 BRTV entnehmen lässt, geht es ausschließlich um Ansprüche, die sich gegen die Gegenpartei des Arbeitsvertrages richten, mögen diese auch auf einem zusätzlichen Vertrag beruhen. Ein gesetzliches Schuldverhältnis zu einem Dritten steht ohnehin außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien (BAG, Urteil vom 19.11.2003 - 10 AZR 110/03 - BAGE 108, 367 = AP InsO § 129 Nr. 1 zu B II 3 d. Gr.).

1.2 Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz stehen der Klägerin gemäß §§ 187 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB, §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1, 495 ZPO, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ab 23. Oktober 2008 zu, weil die Klage der Beklagten am Vortag zugestellt worden ist.

2. Die von beiden Parteien innerhalb wie außerhalb der dafür gesetzten Frist nachgereichten Schriftsätze enthielten keinen erheblichen Sachvortrag und gaben schon deshalb keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 ZPO wieder zu eröffnen.

3. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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