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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.05.2004
Aktenzeichen: 10 Sa 519/04
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 66
ZPO § 233
Eine "starke Arbeitsüberlastung" des Prozessbevollmächtigten kann Grund für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sein; sie darf allerdings nicht nur pauschal behauptet, sondern muss durch substantiellen Sachvortrag schlüssig dargelegt werden.
Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

10 Sa 519/04

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 10. Kammer, ohne mündliche Verhandlung am 10.5.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Binkert als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Richter-Rose und Kreller

beschlossen:

Tenor:

I. Die Berufung des Klägers vom 1.3.2004 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.12.2003 - 50 Ca 13851/03 - wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Vergütungszahlung in Anspruch.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.12.2003 die Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Kläger am 29.01.2004 zugestellt.

Mit einem am 01. März 2004 (Montag) bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Berufung eingelegt.

Mit einem beim Landesarbeitsgericht am 29.03.2004 per Fax um 23.26 Uhr eingegangenem Schriftsatz (Bl. 130 d. A.) beantragt der Klägervertreter, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der insoweit bisher zur Verfügung gestandene Zeitraum auf Grund einer starken Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten nicht ausreichend gewesen sei. Dies werde anwaltlich versichert.

Mit Beschluss vom 01.04.2004 (Bl. 131 d. A.) ist der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass der Hinweis auf die "starke Arbeitsüberlastung" keine hinreichende Begründung im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG sei, da hieraus nicht ausreichend zu erkennen sei, dass diese Gründe "erheblich" seien. Für den Bereich des LAG Berlin sei bekannt, dass derartige Anträge zurückgewiesen werden könnten (LAG Berlin vom 14.12.2000, MDA 2001, 770).

Mit einem beim Landesarbeitsgericht am 16. April 2004 eingegangenem Schriftsatz begründet der Kläger seine Berufung und stellt des Weiteren den Antrag, ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird vorgetragen, dass der Prozessbevollmächtigte darauf habe vertrauen dürfen, dass die zur Begründung des Antrages auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist angeführte und durch eine entsprechende anwaltliche Versicherung auch glaubhaft gemachte "starke Arbeitsüberlastung" in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtssprechung bzw. Handhabung auch durch das Landgericht Berlin und das Kammergericht sowie im Einklang mit der Literatur als erheblicher Grund im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG auch von der für das vorliegende Berufungsverfahren zuständigen Kammer des LAG Berlin bzw. dessen Vorsitzenden als ausreichend angesehen werde. Der Kläger sei deshalb ohne eigenes oder zuzurechnendes Verschulden an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen.

In einem weiteren Schriftsatz vom 08.05.2004 hat der Kläger diesbezüglich auf verfassungsrechtliche Grundsätze verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18.12.2003 war unzulässig, da sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG begründet worden war, §§ 522 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 2 ArbGG.

Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand konnte diesbezüglich nicht gewährt werden.

1.

Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, u.a. eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Ob ein Verschulden der Partei oder ihres Vertreters vorliegt, ist dabei nach einem objektiv-abstrakten Maßstab, nämlich demjenigen des § 276 Abs. 2 BGB, zu beurteilen. Maßgeblich ist die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei. Anwaltliches Verschulden ist der Partei gemäß 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Bezogen auf das Gesuch zur Fristverlängerung, etwa im Hinblick auf die Berufungsbegründungsfrist, muss der Rechtsanwalt durch einen rechtzeitigen Antrag auf Fristverlängerung zunächst dafür sorgen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird. Ein etwaiges Verlängerungsgesuch erfordert dann aber auch die schlüssige Angabe erheblicher Gründe" im Sinne der §§ 224 Abs. 2, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG (Zöller-Greger, ZPO, § 233 Rnr. 23).

2.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Beschluss vom 27. September 1994 (BAG vom 27.09.1994 - 2 AZB 18/94 - NZA 1995, 189) ausgeführt, ein Prozessbevollmächtigter könne jedenfalls solange auf eine positive Entscheidung über seinen Antrag auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist beim LAG vertrauen, als im Vergleich zu einer höchstrichterlichen Rechtssprechung (BGH) nicht eine deutlich restriktivere Praxis des LAG in dessen Bezirk bekannt geworden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, dass bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand die Anforderungen an das, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, nicht überspannt werden dürfen, denn der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutz verbiete es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren. Eine derartige Erschwerung liege aber vor, wenn Gerichte bei der Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ein Verhalten als schuldhaft ansehen, das nach der Rechtssprechung eines obersten Bundesgerichts eindeutig nicht zu beanstanden sei, es sei denn, dem betroffenen Prozessbevollmächtigten habe bekannt sein müssen, dass bei dem angerufenen Gericht eine strengere Handhabung von Verfahrensvorschriften zu erwarten sei (BVerfG vom 30.04.2002 - 2 BvR 1797/00, n.v.). In dem Beschluss vom 13. März 2000 (BVerfG vom 13.03.2000 - 1 BvR 211/00 - NJW - RR 2000, 1366) hat das Bundesverfassungsgericht - auf der Grundlage einer Ausgangsentscheidung des LAG Berlin vom 17.12.1999 - erklärt, dass im Streitfalle noch nicht davon ausgegangen werden könne, dass bei der Versagung der Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand Maßstäbe angelegt worden seien, die den Zugang der Beschwerdeführer zur Berufungsinstanz in unzumutbarer Weise erschwert hätten. Aus früheren Verfahren habe dem Beschwerdeführer nämlich bekannt sein müssen, dass - anders als möglicherweise aus der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts abzuleiten - bei dem angerufenen Gericht jedenfalls bei der Frage der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eine strengere Handhabung von Verfahrensvorschriften zu erwarten sei.

3.

Unter Beachtung und in Anwendung dieser Grundsätze war das Wiedereinsetzungsgesuch im Streitfalle zurückzuweisen.

Das Fristverlängerungsgesuch ist (alleine) mit einer "starken Arbeitsüberlastung" des Prozessbevollmächtigten begründet worden. Nach der Rechtssprechung des LAG Berlin (LAG Berlin vom 14.12.2000 - 16 Sa 2059/00 - MDR 2001, 770 = FA 2001, 279) ist jedoch davon auszugehen, dass die bloß schlagwortartige Benennung einer "erheblichen Arbeitsüberlastung" den Anforderungen an Substantiierung eines Verlängerungsantrages nach § 66 Abs. 1 Satz4 ArbGG nicht genügt. Dies findet neben den gesetzlichen Wertungen seine Rechtfertigung unter anderem auch daraus, dass bei den kurzen Terminsständen bei den Kammern des LAG Berlin eine entsprechende Fristverlängerung in aller Regel zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt, was bei der Entscheidung über den Verlängerungsantrag wenigstens mit zu berücksichtigen ist.

Eine "starke Arbeitsüberlastung" des Prozessbevollmächtigten kann Grund für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sein; sie darf allerdings nicht nur pauschal behauptet, sondern muss durch substantiellen Sachvortrag schlüssig dargelegt werden.

Diese Rechtsauffassung des LAG Berlin ist in mehreren Entscheidungen veröffentlicht (vgl. u.a. LAGE Nr. 8 zu § 66 ArbGG 1979); hierzu ist auch eine ausdrückliche Mitteilung der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin an die Berliner Rechtsanwaltskammer erfolgt, auf die im Berliner Anwaltsblatt 2000, Seite 47 hingewiesen worden ist.

Diesen Anforderungen an einen schlüssig begründeten Fristverlängerungsantrag genügte der Schriftsatz des Klägers vom 29.03.2003 nicht, in welchem nur - pauschal - auf eine "starke Arbeitsüberlastung" hingewiesen wird.

Der Klägervertreter konnte auch nicht darauf vertrauen, dass seinem Fristverlängerungsgesuch, welches am letzten Tag der Frist kurz vor Mitternacht per Fax beim Berufungsgericht eingegangen ist, entsprochen werde. Seine Hinweise auf die gängige Praxis beim Landgericht Berlin oder beim Kammergericht Berlin greifen nicht durch; denn es geht um die Praxis gerade des erkennenden Gerichts, auf die sich der Klägervertreter hätte einstellen müssen.

Ein richterlicher Hinweis im Sinne von § 139 ZPO auf die so gegebene Rechtslage war nicht möglich, da der Fristverlängerungsantrag am letzten Tag der Frist kurz vor Mitternacht per Fax bei Gericht eingegangen ist.

4.

War Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht zu gewähren, erwies sich die Berufung als unzulässig, da sie nicht innerhalb der Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG begründet worden war. Sie war gemäß §§ 522 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 2 ArbGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde gegeben, welches wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Substantiierungspflicht beim Fristverlängerungsantrag zugelassen worden ist.

Ende der Entscheidung

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