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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 19.08.2005
Aktenzeichen: 13 Sa 1081/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77
BetrVG § 112
1. Verweist ein Sozialplan auf die Inhaltsnormen einer anderen Betriebsvereinbarung "in der jeweils gültigen Fassung", handelt es sich um eine sogenannte Blankettverweisung. Eine solche ist jedenfalls insoweit wirksam, als sie auf die normativen Regelungen verweist, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans in Kraft waren (im Anschluss an BAG 23.6.1992 - 1 ABR 9/92 -).

2. Der Inhalt der in Bezug genommenen Regelungen bleibt auch dann maßgebend, wenn deren Geltung aufgehoben oder sie durch eine andere Regelung ersetzt worden sind.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 1081/05

Verkündet am 19.08.2005

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 19.08.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Frau Krombholz und Herrn Kraska

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. April 2005 - 8 Ca 17682/04 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Zahlung von Treuegeld.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 6. April 2005 der Klage sowohl hinsichtlich des Leistungs- als auch des Feststellungsantrages für die Zukunft stattgegeben.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger Treuegelder in unstreitiger Höhe von 200,-- € brutto pro Jahr aus Ziffer 6.16 BO/A (A.-Betriebsordnung) in Verbindung mit Ziffer 3.5 der Betriebsvereinbarung 86.1 "Rundungen auf glatte Euro-Beträge" in Verbindung mit Ziffer 3 des Versetzungssozialplans vom 9./10. Januar 1995 zustünden. In diesen Vereinbarungen heißt es unter anderem:

Versetzungssozialplan

"... 3. Besitzstandsicherung zur Betriebsordnung

Die Betriebsordnung der A. Aktiengesellschaft (BO/A) wird in ihrer jeweils gültigen Fassung weiter angewendet. Dies gilt für die freiwilligen sozialen Leistungen wie für die Ordnungsvorschriften gleichermaßen. ..."

A.-Betriebsordnung (BO/A)

"... 6.16 Treuegeld

Bei langjährigen Dienstzeiten werden nachstehende Beträge einmal jährlich gezahlt:

Mitarbeiter des Tarifkreises mit 20 bis 24 Dienstjahren erhalten DM 100,--

Mitarbeiter des Tarif- und des AT-Kreises mit 26 bis 39 Dienstjahren erhalten DM 375,--

Mitarbeiter des Tarif- und des AT-Kreises mit 41 und mehr Dienstjahren erhalten DM 600,--

Die Auszahlung erfolgt jeweils mit der Mai-Abrechnung. Diese geldlichen Zuwendungen werden im Jubiläumsjahr nicht gezahlt. ..."

Betriebsvereinbarung Nr. 86.1

Rundungen auf glatte Euro-Beträge

"... 3.5 Treuegeld

Im Mai d.J. Einmalbetrag

20 - 24 Dienstjahre 60,-- €

26 - 29 Dienstjahre 200,-- €

41 - ....Dienstjahre 300,-- € ..."

Zwar sei die BO/A seitens der Beklagten gekündigt worden. Sie wirke jedoch gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt worden sei. Eine Nachwirkung trete vorliegend trotz der Regelung von freiwilligen Leistungen ein, weil die Beklagte ein neues Sozialleistungssystem installieren und die freiwilligen Leistungen an ihren unterschiedlichen Standorten harmonisieren wolle.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Vortrags der Parteien erster Instanz wird auf das Urteil vom 6. April 2005 (Bl. 125-132 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 2. Mai 2005 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 25. Mai 2005 eingegangene und am 1. Juli 2005 begründete Berufung der Beklagten. Sie greift das Urteil aus Rechtsgründen an.

Nach Kündigung der A.-Betriebsordnung bestehe ein Anspruch aus dem Versetzungssozialplan nicht mehr. Die Betriebsparteien hätten mittels der dynamischen Verweisung im Sozialplan auf die "jeweils gültige" Betriebsordnung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die von der Versetzung aufgrund der Betriebsstilllegung in Spandau betroffenen Arbeitnehmer nicht schlechter gestellt werden sollten als alle weiterhin unter den Geltungsbereich der Betriebsordnung fallenden anderen Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer sollten durch die Versetzung in einen Betrieb, in dem die Sozialleistungen der A. AG nicht erbracht wurden, keine Nachteile erleiden, aber auch nicht besser gestellt sein als die Mitarbeiter, die nicht von einer Versetzung betroffen waren; dies folge im Übrigen auch aus der Überschrift der Erklärung der Geschäftsführung zum Versetzungssozialplan ("Besitzstandsicherung zur Betriebsordnung"). Deshalb hätten die Betriebsparteien durch den Verweis auf die jeweils gültige Regelung das Schicksal der Sozialleistungen davon abhängig gemacht, ob auch die anderen ehemaligen Betriebe der A. AG solche Leistungen weiterhin gewährten.

Die Beklagte hätte die Betriebsordnung unstreitig in allen ihren Betrieben gekündigt, in denen sie noch kollektivrechtlich gegolten hätte. Auch in den Betrieben, die die Beklagte nicht von der A., sondern von anderen Unternehmen übernommen hätte, hätte sie die dort geltenden Betriebs- und Sozialordnungen gekündigt.

Darüber hinaus gelte die A.-Betriebsordnung aber auch außerhalb des Bereichs Schienenfahrzeuge nirgends mehr.

Eine Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG scheide aus, weil es sich bei den Treuegeldern um freiwillige soziale Leistungen handele. Wolle der Arbeitgeber solche Leistungen ersatzlos streichen, so könne es nach dem Wirksamwerden der Kündigung zu einer Nachwirkung einer solchen Betriebsvereinbarung kommen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 6. April 2005 - 8 Ca 17682/04 - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und weist darauf hin, dass die Beklagte nie Partei der Gesamtbetriebsvereinbarung unter der Bezeichnung "A.-Betriebsordnung" gewesen sei. Die Parteien des Sozialplans von 1995 hätten auf das Regelwerk, das Dritte vereinbart hätten, nur Bezug genommen. Deshalb könne die Beklagte dieses Regelwerk auch nicht kündigen.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der zweiten Instanz wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 1. Juli 20005 (Bl. 142 ff. d.A.) und den des Klägers vom 8. Juli 2005 (Bl. 168 ff. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b), Abs. 6; 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG; §§ 510; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht sowohl der Leistungsklage als auch der zulässigen Feststellungsklage, mit der ein Streit für die nächsten vier Jahre, in denen der Kläger noch Anspruch auf das Treuegeld hat, vermieden wird, stattgegeben. Der Anspruch des Klägers auf das Treuegeld folgt aus Ziffer 3 des Versetzungssozialplans in Verbindung mit Ziffer 6.16 BO/A in Verbindung mit der Rundungsvereinbarung. Alle drei normativen Grundlagen sind weiterhin wenigstens zum Teil wirksam.

1.

Der Versetzungssozialplan besteht weiter fort, da er von der Beklagten nicht gekündigt worden ist. Ausweislich des Kündigungsschreibens vom 25. Juni 2003 (vgl. dazu das Schreiben in Kopie Bl. 61 d.A.) ist die "A. Betriebsordnung") gekündigt worden.

a)

Durch die Verweisung in Ziffer 3 des Versetzungssozialplans auf die "jeweils gültige Fassung" der BO/A haben die Parteien des Sozialplans eine sogenannte dynamische oder Blankettverweisung vorgenommen. Eine solche Blankettverweisung ist grundsätzlich unwirksam, da die Betriebsparteien sich ihrer gesetzlichen Normsetzungsbefugnis entäußern (BAG 23.6.1992 - 1 ABR 9/92 - EzA § 77 BetrVG Nr. 49 für die Verweisung auf den Tarifvertrag). Wirksam bleibt die Verweisung jedoch, soweit die Betriebsparteien auf die normative Regelung verwiesen haben, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Sozialplans in Kraft war. Dies gilt schon deshalb, weil die Beteiligten am Tage des Abschlusses des Sozialplans nicht gehindert gewesen sind, die entsprechenden Regelungen über die Treuegelder abzuschreiben und damit zum Inhalt des Sozialplans zu machen. Verweisen die Beteiligten auf eine geltende Betriebsvereinbarung, machen sie nichts anderes, als sich dieses "Abschreiben" zu ersparen. Sie verzichten nicht auf ihr Recht und die Pflicht, die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer inhaltlich zu gestalten (siehe BAG, a.a.O., zu B II 2 b) der Gründe).

b)

Ist damit die Bezugnahme auf die BO/A nichts anderes als ein Implementieren von anderen Normen einer anderen Betriebsvereinbarung in den Sozialplan, bleibt der Inhalt der in Bezug genommenen Regelungen auch dann maßgebend, wenn deren Geltung abgelaufen oder sie durch eine andere Regelung ersetzt worden sind (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 22. Aufl. 2004, § 77 Rz. 24; GK-Kreutz, BetrVG, 7. Aufl. 2002, § 77 Rz. 47; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock, BetrVG, 6. Aufl. 2003, § 77 Rz. 120).

2.

a)

Es kommt damit auf die Kündigung der in Bezug genommenen BO/A vom 25. Juni 2003 seitens der Beklagten nicht an.

b)

Unabhängig davon konnte die Beklagte die BO/A, die eine Gesamtbetriebsvereinbarung für das Unternehmen A. darstellt, nicht gegenüber dem Betriebsrat des Werkes Hennigsdorf kündigen. Denn die BO/A galt im Betrieb Hennigsdorf kollektivrechtlich nicht. Der Betriebsrat in Hennigsdorf war weder selbst Vertragspartner der BO/A noch konnte er, da der Betrieb in Hennigsdorf nie zur A. gehörte, Rechtsnachfolger eines solchen aufgrund eines identitätserhaltenden Betriebsübergangs sein, wobei selbst ein Betriebsübergang vorliegend zweifelhaft ist. Eine Kündigung der "A. Betriebsordnung" gegenüber dem Hennigsdorfer Betriebsrat ging daher ins Leere (insoweit zutreffend bereits die Kammer 9 des Arbeitsgerichts Berlin im Urteil vom 12.1.2005 - 9 Ca 15821/04 - zu I 2 b) aa) der Gründe).

3.

Endlich ist die Rundungs-BV Nr. 86.1 nicht gekündigt worden.

III.

Die Beklagte trägt die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO bei einem Streitwert von 1000,- EUR in beiden Instanzen.

IV.

Für eine Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.

Ende der Entscheidung

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