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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 11.06.2004
Aktenzeichen: 13 Sa 754/04
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO


Vorschriften:

ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 233
Reicht ein Prozessbevollmächtigter am letzten Tag der Berufungsfrist per Fax um 12.18 Uhr die Berufung beim Arbeitsgericht Berlin ein, darf er nicht verschuldensausschließend darauf vertrauen, dass die Berufung noch am selben Tag an das Landesarbeitsgericht Berlin weitergeleitet wird.
13 Sa 754/04 13 Sa 864/04

Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

Verkündet am 11.06.2004

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 11.06.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Frau Lorra und Herrn Oehmke

für Recht erkannt:

Tenor:

1) Die Berufungen der Klägerin vom 25. März 2004 und vom 13. April 2004 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Januar 2004 - 84 Ca 12740/03 - werden als unzulässig verworfen.

2) Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Eigenkündigung der Klägerin, die diese wegen Täuschung und Drohung angefochten hat.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 13. Januar 2004 die Klage nach einer Beweisaufnahme abgewiesen. Wegen der konkreten Begründung wird auf das Urteil vom 13. Januar 2004 (Bl. 55-59 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses ihr am 25. Februar 2004 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25. März 2004 per Telefax und im Original Berufung eingelegt. Die Berufung ist an das Arbeitsgericht Berlin adressiert. Das Telefax ist am 25. März 2004 um 12.18 Uhr in der Gemeinsamen Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin (Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Berlin) eingegangen, das Originalschreiben am 26. März 2004. Das Telefax ist der Geschäftsstelle der Kammer 84 des Arbeitsgerichts Berlin vorgelegt worden. Von dort ist es erneut über die Poststelle beim Landesarbeitsgericht Berlin am 26. März 2004 eingegangen.

Nach § 7 Abs. 1 der Geschäftsordnung für die Wachtmeisterei und die gemeinsame Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen Berlin vom 9. November 1989 in der Fassung vom 18. Juli 1995 und der Änderung vom 3. Februar 1999 (im Folgenden: GO Briefannahme) sind Posteingänge dem auf der Anschrift benannten Gericht zuzuleiten. Die Briefannahmestelle hat sich einer Zuständigkeitsprüfung zu enthalten. In § 16 GO Briefannahme heißt es:

"1) Bevorzugt zu bearbeiten und den Empfangsstellen unverzüglich zuzuleiten sind Eingänge, die

a) ausdrücklich als Eilsachen bezeichnet oder als solche erkennbar,

b) nach anderen Bestimmungen beschleunigt zu bearbeiten sind.

2) Alle übrigen Eingänge werden in der Reihenfolge ihres Eingangs bearbeitet.

3) Für die Bearbeitung der Eingänge des Landesarbeitsgerichts Berlin gilt die Regelung des Geschäftsverteilungsplans dieses Gerichts."

In einer Verfügung der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15. Dezember 1995 zum Eingang von Rechtsmittelschriften bei der Gemeinsamen Briefannahmestelle der Gerichte für Arbeitssachen heißt es:

"Um zu vermeiden, dass Rechtsmittelfristen versäumt werden, sind ab sofort irrtümlich an das Arbeitsgericht gerichtete Berufungen sowie Beschwerden gegen die Instanz beendenden Beschlüsse in BV-Verfahren unverzüglich von d. zuständigen Geschäftsstellenverwalter/in, in Zweifelsfällen unter Einschaltung d. Abteilungsleiters/Abteilungsleiterin, d. Kammervorsitzenden oder bei dessen/deren Abwesenheit d. Richter/in des Tagesdienstes nach Möglichkeit zusammen mit der Prozessakte vorzulegen.

Im Anschluss daran sind derartige Eingänge sofort der Gemeinsamen Briefannahmestelle zuzuleiten, damit sie dort den Eingangsstempel vom gleichen Tage erhalten.

Die Eingänge sind von Hand zu Hand zu reichen; der Transport über den Abtragsdienst ist in diesen Fällen nicht zulässig. ..."

Diese Verfügung ist inhaltsgleich vom Präsidenten des Arbeitsgerichts mit Verfügung vom 30. August 2002 unter Aufhebung der Verfügung vom 15. Dezember 1995 wiederholt worden.

Auf Anfrage des Vorsitzenden hat der für die Kammer 84 des Arbeitsgerichts Berlin zuständige Verwaltungsangestellte Herr D. erklärt:

"Die Verfügung der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 1995 bezüglich des Eingangs von Rechtsmittelschriften ist mir bekannt.

Wegen des 1 1/2 Monate zurückliegenden Sachverhalts und der Häufigkeit der anstehenden Vertretungen kann ich mich jedoch nicht mehr daran erinnern, wie diese Akte behandelt wurde. ..."

Nach Hinweis des Vorsitzenden, dass die Berufung beim Landesarbeitsgericht verspätet einging, welcher am 2. April 2004 bei der Klägerin einging, hat diese mit Schriftsatz vom 13. April 2004, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und erneut Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich auf ein Versehen der bei ihrem Prozessbevollmächtigten angestellten Frau R. berufen, die die falsche Adressierung eingegeben hätte, und dies glaubhaft gemacht.

Die Klägerin beantragt,

ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren sowie das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 13. Januar 2004 - 84 Ca 12740/03 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 5. Februar 2003 nicht aufgelöst wurde, sondern über den 31. März 2003 hinaus fortbesteht.

die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen bzw. diese als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufungen vom 25. März 2004 und 13. April 2004 sind verspätet gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG eingelegt worden und waren daher als unzulässig zu verwerfen. Dem Wiedereinsetzungsantrag war nicht stattzugeben.

1. Die Berufungen vom 25. März 2004 und 13. April 2004 sind verspätet beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangen. Denn gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB hätte die Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin am 25. März 2004 eingehen müssen, tatsächlich ist sie jedoch am 26. März 2004 bzw. erst am 13. April 2004 eingegangen. Die an das Arbeitsgericht Berlin adressierte Berufung ist trotz der Gemeinsamen Briefannahmestelle von Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht Berlin beim Arbeitsgericht Berlin und nicht beim Landesarbeitsgericht Berlin eingegangen (vgl. dazu ausführlich BAG 29.8.2001 - 4 AZR 388/00 - AP Nr. 24 zu § 66 ArbGG 1979 = EzA § 519 ZPO Nr. 12 zu dem Parallelfall der falsch adressierten Berufungsbegründungsschrift, der beim Arbeitsgericht Berlin einging).

2. Dem form- und fristgemäß eingelegten Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin war nicht stattzugeben, da die Klägerin nicht ohne Verschulden im Sinne von § 233 ZPO gehindert war, die Notfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG einzuhalten.

a) Der Klägerin ist das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Denn für die zutreffende Adressierung des Schriftsatzes vom 25. März 2004 trug der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Verantwortung (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu nur BAG 30.3.1995 - 2 AZR 1020/94 - BAGE 79, 379 = AP Nr. 11 zu § 66 ArbGG 1979; BAG 20.8.1997 - 2 AZR 9/97 - AP Nr. 19 zu § 66 ArbGG 1979 = EzA § 233 ZPO Nr. 40; BAG 29.8.2001, a.a.O., zu II 1 b) aa) der Gründe mit weiteren Nachweisen). Dabei kann es dahinstehen, ob er vorliegend den Schriftsatz ohne Adressierung unterschrieben hat, welcher dann mit einer falschen Adressierung durch die Rechtsanwalts- und Notargehilfin Frau R. versehen wurde, oder ob er den von Frau R. falsch adressierten Schriftsatz unterschrieben hat. In beiden Fällen liegt ein Anwaltsverschulden vor.

b) Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durfte verschuldensausschließend auch nicht darauf vertrauen, dass die von ihm beim Arbeitsgericht Berlin am 25. März 2004 um 12.18 Uhr per Fax eingereichte Berufung noch am selben Tag an das Landesarbeitsgericht Berlin weitergeleitet werden würde. Denn das Ausgangsgericht hat seiner Fürsorgepflicht auch in diesem Fall genügt. Nach den vom Bundesverfassungsgericht in Hinblick auf die Grundsätze des fairen Verfahrens aufgestellten Rechtsgrundsätze darf der Rechtssuchende nur darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Nur wenn der Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befasst gewesenen Gericht eingeht, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht (vgl. BVerfG 20.6.1995 - 1 BvR 166/93 - BverfGE 93, 99 = AP Nr. 15 zu § 9 ArbGG 1979, zu C II 2 b) der Gründe; BAG 20.8.1997, a.a.O.).

c) Ein derartig zeitiger Eingang ist vorliegend nicht gegeben, da der Faxschriftsatz erst um 12.18 Uhr bei der Gemeinsamen Briefannahmestelle einging. Es konnte daher nicht erwartet werden, dass der Schriftsatz noch am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Berlin eingehen würde.

d) Daran ändern auch die Verfügungen der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts und des Präsidenten des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Dezember 1995 bzw. 30. August 2002 nichts, die eine besonders schnelle Handhabung bei falsch adressierten Rechtsmittelschriften vorsehen. Denn ein Verstoß gegen die Verfügung ist vorliegend weder zu erkennen noch indiziert. Der Verwaltungsangestellte Herr D. konnte sich an den Vorgang glaubhaft nach 1 1/2 Monaten nicht mehr erinnern. An ihm muss eine etwaige Verzögerung auch nicht gelegen haben. Es ist durchaus denkbar, dass die Post mit dem Schriftsatz vom 25. März 2004 die Geschäftsstelle ohne Verstoß gegen die Grundsätze des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs erst so spät erreichte, dass eine Bearbeitung auch nach den Verfügungen der Präsidentin des Landesarbeitsgerichts bzw. des Präsidenten des Arbeitsgerichts am 25. März 2004 nicht mehr möglich war.

II.

Die Klägerin trägt daher die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO.

III.

Für eine Zulassung der Revision bestand gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG in Hinblick auf die oben zitierten grundsätzlichen Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht keine Veranlassung.



Ende der Entscheidung

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