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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 07.04.2006
Aktenzeichen: 13 Sa 94/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
BGB § 626 Abs. 2
Ist ein ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer in der Vergangenheit wegen unterschiedlicher Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen und führt der Arbeitgeber nach dessen Arbeitsfähigkeit ein Krankengespräch mit ihm, nach dessen Inhalt er nach seiner Behauptung davon ausgehen muss, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft arbeitsunfähig krank sein werde, muss er eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist binnen 2 Wochen nach Kenntnis vom Kündigungssachverhalt aussprechen.

Im Gegensatz zu einer dauerhaften Erkrankung, einer dauernden Leistungsunfähigkeit oder einer auf einem Grundleiden beruhenden dauernden Krankheitsanfälligkeit liegt in diesem Fall kein so genannter Dauertatbestand vor.


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

13 Sa 94/06

Verkündet am 07.04.2006

In Sachen

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 13. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 07.04.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Fenski als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn Schramm und Herrn Dykczak

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2005 - 44 Ca 7710/05 - wird auf ihre Kosten bei einem Streitwert von 6360,-- € in beiden Instanzen zurückgewiesen.

II. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Die am ....1959 geborene Klägerin ist seit dem 10.04.1984 bei der Beklagten zuletzt als Vorfrau für ein monatliches Bruttoentgelt von 2.120,10 € beschäftigt. Die Klägerin wird von der Beklagten, die deutschlandweit Flugzeug-Catering betreibt und in ihrem Betrieb am Flughafen Berlin-T. ca. 190 Mitarbeiter beschäftigt, in der Besteckwickelecke eingesetzt. Ihre Aufgabe besteht darin, Bestecke in Stoffservietten einzuwickeln und in Boxen zu legen. Ferner hat sie Salz und Pfeffer in kleine Tütchen zu packen. Die fertig gepackten Boxen werden schließlich auf einen Rollwagen oder in Trolleys gepackt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV Nr. 14 für das Bodenpersonal, gültig ab 1.10.1992, Anwendung. In § 41 heißt es:

" (3) Nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren ist eine ordentliche Kündigung einschließlich der ordentlichen Änderungskündigung durch DLH/LSG/G-TVG ausgeschlossen...."

Die Klägerin ist seit dem Jahr 2000 wegen unterschiedlicher Erkrankungen arbeitsunfähig gewesen. Wegen der Krankheitszeiten und der daraus resultierenden Lohnfortzahlungskosten wird auf die tabellarische Aufstellung der Beklagten in den Schriftsätzen vom 06.06.2005, S. 2-4 (Bl. 31-33 d. A.) und vom 26.02.2006, S. 3-5 (Bl. 128-130 d. A.), wegen der Krankheitsursachen auf die tabellarische Auskunft der Krankenkasse vom 05.09.2005 (Bl. 62 d. A.) verwiesen.

Zuletzt war die Klägerin wegen einer "lang dauernden depressiven Reaktion" vom 30.10.2004 bis Samstag, den 05.02.2005 arbeitsunfähig krank. Seit dem 06.02.2005 ist die Klägerin bis auf einen krankheitsbedingten Fehltag bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin am 07.04.2006 arbeitsfähig und hat bei der Beklagten gearbeitet.

Am Dienstag, den 08.05.2005, fand ein Gespräch zwischen der Klägerin, dem Personalleiter Herrn J. von der Beklagten und dem Betriebsratsvorsitzenden statt. In diesem Gespräch machte die Klägerin keine näheren Angaben zu ihren Krankheiten. Sie teilte mit, dass sie alles, wozu ihr die Ärzte rieten, befolge. Auf Nachfrage erläuterte sie, dass ihr die Beklagte nach wie vor nicht bei der Reduzierung ihrer Fehlzeiten behilflich sein könne und dass die Behandlungen kürzer andauern würden, wenn in den Krankenhäusern eher Betten frei wären.

Nach der Anhörung des bei ihr bestehenden Betriebsrats mit Schreiben vom 04.03.2005 (vgl. die Anhörung in Kopie Bl. 38-45 d. A.) kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14.03.2005 der Klägerin außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2005 (vgl. dazu das Kündigungsschreiben in Kopie Bl. 3 d. A.). Gegen diese Kündigung hat sich die am 29.03.2005 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangene Klage gerichtet.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 14.12.2005 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.03.2005 mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2005 nicht aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung nicht davon ausgehen durfte, dass für die geleistete Entgelt- bzw. Entgeltfortzahlung in absehbarer Zeit von der Klägerin keine nennenswerte Gegenleistung erbracht werden würde und somit das Austauschverhältnis gestört sei. Zwar habe die Klägerin in den vergangenen Jahren erhebliche Fehlzeiten gehabt. Diese seien jedoch nicht so hoch gewesen, dass von einem gestörten Austauschverhältnis gesprochen werden könne, das die Beklagte zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigte. So habe die Klägerin in den Jahren 1998, 1999, 2000 und 2003 an 52, 57, 64 und 59 Tagen gefehlt, sei also weit mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit pro Kalenderjahr arbeitsfähig gewesen. Die Anzahl der Arbeitstage, an denen sie arbeitsunfähig krank war, sei auch nicht von Jahr zu Jahr angestiegen, sondern habe geschwankt, so dass die Beklagte auch nicht davon habe ausgehen können, dass sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten erhöhen würden. Da die Klägerin seit Ausspruch der Kündigung bis zum Termin der mündlichen Verhandlung ununterbrochen arbeitsfähig gewesen sei, sei eine negative Zukunftsprognose jedenfalls widerlegt. Eine Prüfung der betrieblichen Belastungen bzw. der Interessenabwägung entfalle daher.

Wegen der weiteren konkreten Begründung des Arbeitsgerichts und des Parteivortrags 1. Instanz wird auf das Urteil Bl. 84-89 d. A. verwiesen.

Gegen dieses ihr vollständig erst am 17.01.2006 zugestellte Urteil richtet sich die beim Landesarbeitsgericht Berlin am 18.01.2006 eingegangene und am 21.02.2006 begründete Berufung der Beklagten.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil aus Rechtsgründen für falsch und meint, dass die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt sei. Sie habe von einer negativen Zukunftsprognose ausgehen dürfen, die auch in Zukunft außerordentlich hohe wirtschaftliche Belastungen durch die Entgeltfortzahlungskosten erwarten lasse. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie stets versucht habe, der Klägerin bei der Reduzierung ihrer krankheitsbedingten Fehlzeiten behilflich zu sein. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Krankheitszeiten der übrigen Mitarbeiter im Betrieb Tegel deutlich niedriger liegen würden (vergl. dazu die tabellarische Aufstellung Bl. 136-137 d. A.).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 14. Dezember 2005 - 44 Ca 7710/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verweist darauf, dass nach ihrer Auffassung die Kündigung bereits wegen der abgelaufenen Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB unwirksam sei. Diese habe spätestens ab 08.02.2005 zu laufen begonnen.

Wegen des weiteren konkreten Vortrags der Parteien in der 2. Instanz wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21.02.2006 (Bl. 126 ff d. A.) und der Klägerin vom 27.03.2006 (Bl. 153 ff d. A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2; 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe c, Abs. 6; 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG; 519; 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO zulässige Berufung ist insbesondere formgerecht und fristgemäß eingelegt und begründet worden.

II.

In der Sache hat die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg. Die außerordentliche Kündigung vom 14.03.2005 mit sozialer Auslauffrist zum 30.09.2005 ist bereits deshalb unwirksam, weil die Beklagte die Kündigung nicht innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen hat.

1. Gemäß § 626 Abs. 2 S. 1 BGB kann die fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen. Die Frist beginnt gemäß § 626 Abs. 2 S. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt. Bei der krankheitsbedingten Kündigung ist dabei nach den Kündigungsgründen zu unterscheiden: Handelt es sich um eine Kündigung wegen dauernder Leistungsunfähigkeit (vgl. dazu die den Entscheidungen des BAG vom 27.11.2003 - 2 AZR 601/02 - EzA § 626 BGB 2002 Krankheit Nr. 1 und 13.05.2004 - 2 AZR 36/04 - EzA, aaO, Nr. 2 zu Grunde liegenden Fälle) oder um eine Kündigung wegen einer lang andauernden Erkrankung (vgl. dazu den der Entscheidung des BAG vom 21.03.1996 - 2 AZR 455/95 - EzA § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 10 zu Grunde liegenden Fall) oder um eine Kündigung wegen einer auf dem selben Grundleiden beruhenden dauernden Krankheitsanfälligkeit (vgl. dazu den der Entscheidung des BAG vom 18.10.2000 - 2 AZR 627/99 - EzA § 626 BGB Krankheit Nr. 3 zu Grunde liegenden Fall) liegt ein so genannter Dauertatbestand vor, der sich fortlaufend neu verwirklicht und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht beginnen lässt (vgl. dazu die zitierten Entscheidungen am angegebenen Ort).

2. Ein solcher Dauertatbestand liegt hier nicht vor.

a) Bei einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger kurzer oder auch längerer Krankheiten, jedoch keiner Dauererkrankung, ist die Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn zum Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen, die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen und eine Interessenabwägung ergibt, dass diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (vgl. statt vieler nur BAG 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 50, zu B I 2 b der Gründe).

b) Diese der krankheitsbedingten Kündigung zu Grunde liegende Prognose verwirklicht sich im Gegensatz zu den oben unter II 1 genannten Fällen bei unterschiedlichen Erkrankungen nicht jeden Tag wieder neu, vielmehr kann sich die Prognose bei Zeiten längerer Arbeitsfähigkeit gerade nach einer Zeit eines längeren Krankenhausaufenthalts anders stellen. Bezogen auf den vorliegenden Fall hätte sich die Prognose der Beklagten etwa am 14.05.2005 anders gestellt als am 14.03.2005, da dann die Klägerin nach einem längeren Krankenhausaufenthalt bereits mehr als 3 Monate ununterbrochen gearbeitet hätte.

c) Würde man dies anders sehen, also etwa jede krankheitsbedingte Kündigung wegen der Prognose einer Krankheitsanfälligkeit in der Zukunft als Dauertatbestand ansehen, würde dies einen Wertungswiderspruch bedeuten: Da jede Kündigung eine Prognoseentscheidung ist, würde auch eine verhaltensbedingte Kündigung etwa wegen Diebstahls wegen des Vertrauensverlustes des Arbeitgebers auch nach vollständiger Klärung des dem Diebstahl zu Grunde liegenden Sachverhalts und der Kenntnis des Kündigungsberechtigten auch noch nach Wochen vorliegen, weil sich der Vertrauensverlust ständig neu verwirklicht. Für derartige Konstellationen besteht aber die einhellige Meinung, dass der Arbeitgeber nicht den Vertrauensverlust " auf Vorrat anlegen" darf, er muss nach Klärung des Sachverhalts binnen 2 Wochen kündigen (vgl. dazu nur KR-Fischermeier, 7. Auflage, § 626 Rz. 328; RGRK-Corts 12. Aufl., § 626 Rz. 210 jeweils mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

d) Eine andere Lösung wäre auch nicht mit dem Sinn und Zweck des § 626 Abs. 2 BGB in Einklang zu bringen. Denn dieser stellt einen gesetzlich konkretisierten Verwirkungstatbestand dar. Der Arbeitnehmer darf ab 2 Wochen nach Kenntnis des Arbeitgebers vom Kündigungssachverhalt (Zeitmoment) darauf vertrauen, dass der Arbeitgeber keine außerordentliche Kündigung mehr ausspricht (Umstandsmoment).

e) Nach diesen Grundsätzen konnte die Beklagte nach dem Krankengespräch am 08.02.2005 nach ihrer Behauptung die Prognose aufstellen, dass die Klägerin auch in Zukunft wieder arbeitsunfähig sein würde, da die Klägerin nicht angab, an welcher Krankheit sie konkret litt. Eine weitere Aufklärung war für die Beklagte nicht nötig. Sie hatte somit nach ihrer Behauptung ausreichend Kenntnis von den Tatsachen, die eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen konnten. Sie musste somit innerhalb von 2 Wochen der Klägerin die Kündigung zugehen lassen, da auch die Klägerin nach dem Krankengespräch am 08.02.2005 und ihrer bereits davor und danach bestehenden Arbeitsfähigkeit wiederum davon ausgehen durfte, dass die Beklagte keine außerordentliche Kündigung aussprechen würde.

III.

Die Beklagte trägt die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert ergibt sich aus dem dreifachen Monatsentgelt der Klägerin.

IV.

Für die Beklagte war die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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