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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 30.10.2003
Aktenzeichen: 16 Sa 1052/03
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
KSchG § 1 Abs. 3 Satz 2
Ermittelt ein Handelsunternehmen (Drogeriemarktkette) einen verminderten Bedarf an Anwesenheitsstunden des gesamten Verkaufspersonals um 20 %, kann es gegenüber allen Verkaufskräften - ohne Durchführung einer Sozialauswahl - Änderungskündigungen aussprechen mit dem Ziel, die Arbeitszeit und das Entgelt um 20 % zu kürzen. Das Kündigungsschutzgesetz zwingt nicht dazu, stattdessen eine geringere Anzahl von Beendigungskündigungen auszusprechen.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

16 Sa 1052/03

Verkündet am 30. Oktober 2003

In dem Rechtsstreit

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 28.08.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzender sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn Hein und Herrn Jung

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19.03.2003 - 3 Ca 24531/02 - geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Änderungskündigung der Beklagten, mit der die Arbeitszeit und das Arbeitsentgelt der Klägerin um 20 % reduziert werden sollen.

Die Beklagte, die bundesweit in vier (als Betriebe organisierten) Verkaufsregionen zahlreiche Drogeriemärkte betreibt, hat nach ihren (von der Klägerin des vorliegenden Verfahrens nicht bestrittenen) Angaben seit Juli 2001 bundesweit drastische Umsatz- und Ertragseinbrüche verzeichnet, und sie hat im Rahmen eines umfassenden Sanierungsplanes im Frühjahr 2002 ein "Personalmanagementkonzept II" beschlossen, das eine lineare Kürzung der bezahlten Arbeitszeiten um 20 % vorsah für sämtliche Verkaufskräfte außer den Filialleiterinnen, Auszubildenden, geringfügig Beschäftigten, Praktikanten, Umschülern und "EU-Rentnern". Ausgehend von der Entscheidung, die Filialen (im Gegensatz etwa zum Konkurrenten Sch.) grundsätzlich während der Öffnungszeiten mit zwei Verkaufskräften zu besetzen, errechnete die Beklagte für sämtliche Filialen bundesweit, gestaffelt nach Umsatz, sogenannte Abdeckungsfaktoren, und kam mit deren Hilfe und unter Berücksichtigung von gleichzeitig beschlossenen Filialschließungen zu dem Ergebnis, dass die tatsächlich geleisteten Stunden um 20 % zu kürzen seien, ohne dass das Grundkonzept einer Besetzung mit zwei Verkaufskräften gefährdet sei.

Unter dem 8. August 2002 schloss die Beklagte mit dem Berliner Betriebsrat (der 53 Filialen im Stadtgebiet und vier Filialen in angrenzenden Orten betreut) eine "Betriebsvereinbarung und Interessenausgleich", worin - bis zur Untergrenze von 65 Monatsstunden - auf der Basis des "PMK II" die lineare Stundenkürzung um 20 % für sämtliche Verkaufskräfte, darunter die Klägerin, vorgesehen ist; auf den Wortlaut wird Bezug genommen (Bl. 39 ff. d.A.). Mit der überwiegenden Anzahl der in Berlin betroffenen Mitarbeiter schloss die Beklagte in der Folgezeit, ebenso wie in den übrigen Verkaufsregionen, entsprechende Änderungsverträge; etwa 70 Arbeitnehmer in der Verkaufsregion Berlin weigerten sich, derartige Änderungsverträge zu schließen, worauf die Beklagte im August 2002 mit jeweiliger vertraglicher Kündigungsfrist entsprechende Änderungskündigungen (mit Betriebsratszustimmung) aussprach. Die Kündigung der Klägerin (Kopie Bl. 50 ff. d.A.) datiert vom 26. August 2002, ist am 29. August 2002 zugegangen und soll zum 31. März 2003 wirken. Die Klägerin hat die Vorbehaltserklärung nach § 2 KSchG abgegeben.

Durch Urteil vom 19. März 2003, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 141 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht Berlin antragsgemäß festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 26. August 2002 sozial ungerechtfertigt und unwirksam ist.

Zwar sei die Errechnung eines Abdeckungsfaktors von 2,2 bei der zugrunde gelegten Beispielsfiliale (Bl. 108 ff. d.A.) nachvollziehbar, die dortige Sollstundenzahl plausibel. Die Beklagte habe aber die Übertragung ihres Konzeptes auf die Filialen in der Region Berlin nicht nachvollziehbar dargelegt, insbesondere nicht dargelegt, weshalb die umsatzabhängigen höheren Abdeckungsfaktoren ausreichten, um den Personalbedarf der umsatzstärkeren Filialen zu decken; die Umsatztabellen hätten nachvollziehbar erläutert werden müssen. Auch die Berliner Zahlen seien nicht nachvollziehbar. Weiter sei das PMK II insoweit "nicht mehr stringent", als die Beklagte im Falle einer künftigen Umsatzerhöhung eine filialbezogene Veränderung der Arbeitszeiten in Betracht ziehe. Schließlich sei die Umsetzung des Konzeptes in der konkreten Filiale der Klägerin ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 146 ff. d.A.).

Gegen dieses am 25. April 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 21. Mai 2003 eingegangene und am 19. Juni 2003 begründete Berufung der Beklagten.

Sie bemängelt, das Arbeitsgericht habe ihr keine Gelegenheit gegeben, die (erst) im Urteil zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegenüber ihrem Zahlenwerk auszuräumen. Sie präzisiert ihre Berechnung eines Stundenüberhangs von 20,4 % im Erhebungsmonat Mai 2002 (Seite 7 bis 9 der Berufungsbegründung, Bl. 171 bis 173 d.A.) und verweist darauf, dass die Rückführung dieses Stundenüberhangs nach ihrem Konzept nicht von einem Monat zum anderen, sondern in einem längeren Prozess im Zeitraum August 2002 bis September 2003 stattfinden sollte und tatsächlich (bundesweit erfolgreich) durchgeführt worden ist. Sie präzisiert im Übrigen die erstinstanzlichen Zahlenangaben für die Filiale der Klägerin, deren Arbeitsstunden-Soll im Hinblick auf eine positive Umsatzentwicklung auf 777 Stunden festgesetzt worden sei und in der - entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts - nicht 8, sondern 7 Arbeitnehmerinnen (einschließlich Filialleiterin) beschäftigt seien, deren reduzierte Arbeitszeit nunmehr 770 Wochenstunden umfasse, demnach nahezu genau im Plan liege.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die Urteilsbegründung zu eigen ohne sich mit dem Zahlenwerk der Beklagten näher zu befassen, und rügt in allgemeiner Form eine mangelhafte Betriebsratsunterrichtung, da nicht bekannt sei, welche Tatsachen dem Betriebsrat bekannt gewesen sein sollten.

Wegen weiterer Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung nebst Anlagen (Bl. 165 ff. d.A.) und auf die (inhaltlich etwa eine Seite umfassende) Berufungserwiderung (Bl. 201 f. d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist begründet. Unter Zugrundelegung des Beklagtenvortrags, dem die Klägerin inhaltlich nicht entgegengetreten ist, ist die streitgegenständliche Änderungskündigung rechtlich nicht zu beanstanden.

1.1. Eine betriebsbedingte Änderungskündigung ist nach §§ 1 Abs. 2, 2 KSchG nicht sozial ungerechtfertigt (und damit nicht rechtlich wirkungslos), wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, was dann der Fall ist, wenn für die Beschäftigung eines Arbeitnehmers in der bisherigen Art und Weise und/oder im bisherigen Umfang betriebswirtschaftlich kein Bedarf mehr besteht und dem Arbeitnehmer nicht günstigere Bedingungen angeboten werden können, als sie im Änderungsangebot enthalten sind. Dabei kann sich der Wegfall des bisherigen Beschäftigungsbedarfs unmittelbar durch äußere Einflüsse ergeben (wie etwa dem Wegfall eines bestimmten Auftrages, mit dessen Durchführung der Arbeitnehmer befasst war) wie auch durch eine unternehmerische Entscheidung, selbst wenn sie nur der Steigerung eines vorherigen Gewinnes dient (wie etwa die freiwillige Aufgabe einer bestimmten Produktion oder Dienstleistung oder organisatorische Änderungen zum Zwecke der besseren Ausnutzung vorhandener Kapazitäten).

1.2. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts geht die Berufungskammer davon aus, dass die streitgegenständliche Kündigung diesen Anforderungen genügt.

Zwar rechtfertigt der drastische Umsatz- und Gewinnrückgang, den die Beklagte - nach ihrem nicht bestrittenen Sachvortrag - bundesweit seit 1. Juli 2001 zu verzeichnen hatte, für sich genommen nicht die Reduzierung der bezahlten Arbeitszeit der gesamten Verkaufsbelegschaft oder auch nur einer einzelnen Verkaufskraft um einen bestimmten Prozentsatz. Denn es gibt betriebswirtschaftlich ersichtlich zahlreiche verschiedene, zum Teil gegensätzliche Strategien, um einer solchen betriebswirtschaftlichen Situation zu begegnen: Es können einzelne, besonders umsatzschwache und kostenintensive Filialen ersatzlos geschlossen werden. Es können neue, an besonders günstigen Stellen gelegene Filialen eröffnet werden. Es kann die Produktpalette verändert werden. Die vorherige Produktpalette kann mit Werbemaßnahmen besonders gefördert werden. Es kann die Beratung der Kunden intensiviert werden, es kann aber auch gegenläufig das Beratungsangebot ausgedünnt und stärker auf Selbstbedienung gesetzt werden. Die Ladenöffnungszeiten können entsprechend der Kundenfrequenz verändert werden, und vieles andere mehr. Keine dieser Maßnahmen wird durch einen Umsatz- und Gewinnrückgang zwingend vorgezeichnet, und die Beklagte behauptet dies auch nicht. Kündigungsschutzrechtlich entscheidend ist deshalb nicht die Ausgangssituation, sondern die Entscheidung, die der Unternehmer zur Änderung dieser Situation trifft, und diese Entscheidung unterliegt der arbeitsgerichtlichen Kontrolle nur daraufhin, ob sie tatsächlich getroffen worden ist oder ob sie (was bei dem Umfang nach kleineren Kündigungsmaßnahmen vorkommt) vorgeschoben ist.

Im Streitfall hat es die Beklagte betriebswirtschaftlich für richtig gehalten, einerseits ihre Verkaufsfilialen während der (offenbar beibehaltenen) Öffnungszeiten grundsätzlich mit zwei Verkaufskräften zu besetzen (im Gegensatz etwa zum Konkurrenten Sch., der seine Filialen mit einer Verkaufskraft besetzt), andererseits deren Anwesenheitszeiten auf das dazu notwendige Maß zu begrenzen. Dieses notwendige Maß hat sie mit einem Zeitumfang von 20 % unter dem bisherigen Ist-Zustand ermittelt, und sie hat deshalb die unternehmerische Entscheidung getroffen, die Anwesenheit der Verkaufskräfte (ohne Filialleiterinnen, Auszubildende und geringfügig Beschäftigte) insgesamt um 20 % zu reduzieren.

Diese unternehmerische Entscheidung ist vom Arbeitsgericht nicht auf ihre betriebswirtschaftliche Sinnhaftigkeit zu überprüfen, sondern ohne weiteres hinzunehmen. Angesichts des ausführlich dargestellten "Personalmanagementkonzepts II", angesichts der unstreitigen Umsetzung dieses Konzepts in den übrigen Verkaufsregionen und angesichts der "Betriebsvereinbarung und Interessenausgleich" vom 8. August 2002 für die Verkaufsregion Berlin unterliegt es keinem Zweifel, dass diese Entscheidung vor Ausspruch der Kündigung getroffen worden ist. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte den Umfang der Arbeitszeitreduzierung vorgeschoben hätte und in Wahrheit von einer längerfristig höheren Auslastung ihrer Verkaufskräfte (und damit von einer geringeren Arbeitszeitreduzierung) ausgegangen wäre oder ausgehen müsste. Mit dem Arbeitsgericht geht die Berufungskammer davon aus, dass der "Abdeckungsfaktor" von 2,2 für die Beispielsfiliale (Umsatz 600.000,-- €, Öffnungszeit 52 Wochenstunden) nachvollziehbar errechnet worden ist. Nach Auffassung der Berufungskammer gilt dies aber auch für die höheren Abdeckungsfaktoren der umsatzstärkeren Filialen. Die Frage, wie sich - bei überwiegend gleich bleibendem (überwiegend kleinpreisigem) Warenangebot - ein höherer Umsatz (möglicherweise in Verbindung mit größerer Verkaufsfläche) auf den Personalbedarf auswirkt (und umgekehrt), unterliegt in erster Linie der unternehmerischen Beurteilung. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass der Arbeitskräfte-(Arbeitszeit-) Bedarf nicht proportional identisch mit dem Umsatz verläuft, dass also ein doppelter Umsatz keineswegs einem doppelten Arbeitskräftebedarf entspricht. Dass das bisher schon nicht so war, ergibt sich unmittelbar aus der "Gesamtübersicht" der "Ist-Umsätze" und der "alten Abdeckungsfaktoren" (Anlage B zum Beklagtenschriftsatz vom 3. Februar 2003, Bl. 109 d.A.), der die Klägerin inhaltlich nicht widersprochen hat. Dann aber sind die "neuen Abdeckungsfaktoren" auch für die umsatzstärkeren Filialen vom Gericht ebenso hinzunehmen wie für die Beispielsfiliale mit dem Umsatz von 600.000,-- €. Einer nachvollziehbaren Erläuterung der Umsatztabellen bedarf es dazu nicht. Es sind jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte bewusst oder auch nur objektiv von irrealen Voraussetzungen ausgegangen wäre. Dagegen spricht im Übrigen nicht nur die unstreitige Umsetzung der Maßnahme in den übrigen Verkaufsregionen, sondern auch die "Betriebsvereinbarung und Interessenausgleich" vom 8. August 2002, in der der Berliner Betriebsrat die Prämissen der Beklagten ausdrücklich akzeptiert hat. Soweit das Arbeitsgericht beanstandet, die Berliner Zahlen seien nicht nachvollziehbar, ist dies jedenfalls nach dem Berufungsvortrag der Beklagten nicht mehr berechtigt. Die Beklagte hat auf Seite 7 bis 9 der Berufungsbegründung (Bl. 171 bis 173 d.A.) genau vorgerechnet, wie sie - unter Berücksichtigung von Filialschließungen und -neueröffnungen sowie der Beendigung von Arbeitsverhältnissen - auf einen Arbeitsstundenüberhang von 9.452 Stunden gekommen ist und dass dies 20,4 % des bisherigen (tatsächlichen) Stundenaufkommens der betreffenden Verkaufskräfte entspricht. Mit diesen Zahlen hat sich die Klägerin nicht auseinandergesetzt. Sie sind nach § 138 Abs. 3 ZPO der Entscheidung zugrunde zu legen.

Soweit das Arbeitsgericht beanstandet, das Personalmanagementkonzept II sei insoweit "nicht mehr stringent", als die Beklagte bei künftigen Umsatzsteigerungen eine filialbezogene Veränderung der Arbeitszeiten in Betracht ziehe, sieht die Kammer darin kein entscheidendes Argument zu Lasten der Beklagten. Das Personalmanagementkonzept II basiert auf einer Bestandsaufnahme per Mai bzw. August 2002. Es hat damit zwangsläufig einen statischen Bezugspunkt. Dieser macht das Konzept nicht wertlos, wenn künftige (positive) Veränderungen nicht mit bestimmten Konsequenzen eingearbeitet sind, sondern lediglich allgemein in Betracht gezogen werden.

Soweit schließlich das Arbeitsgericht (in Übereinstimmung mit der Klägerin) beanstandet, das Konzept der Beklagten sei auch bezogen auf die Filiale der Klägerin nicht nachvollziehbar umzusetzen, erscheint auch dies nach dem Berufungsvorbringen der Beklagten nicht berechtigt. Die Beklagte hat (Seite 13 bis 15 der Berufungsbegründung, Bl. 177 bis 179 d.A.), von der Klägerin nicht bestritten, richtig gestellt, dass in der fraglichen Filiale nicht 8, sondern 7 Verkaufskräfte beschäftigt sind, dass infolge einer positiven Umsatzentwicklung dort von einem Arbeitsstundensoll von 777 Wochenstunden ausgegangen werde und dass nach Umsetzung der Maßnahme dort 770 Arbeitsstunden geleistet werden. Dies entspricht dem Konzept. Dagegen kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, dass es sich bei ihrer Filiale um eine "Problemfiliale" handele in einer Gegend, in der besonders viele Arbeitslose oder Alkohol- bzw. Drogensüchtige vorhanden seien. Es ist ausschließlich Sache der Beklagten, ob sie auf derartige Umstände mit einem stärkeren Personaleinsatz reagiert oder nicht. Das Gesamtkonzept (die Bedarfsermittlung für den Gesamtbetrieb) wird dadurch nicht in Frage gestellt.

1.3. Die Kündigung ist auch nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG unwirksam, weil die Beklagte die von ihr errechnete, betriebswirtschaftlich für notwendig gehaltene Reduzierung des gesamtbetrieblichen Verkaufsstundenvolumens gleichmäßig mit demselben Prozentsatz auf alle Verkaufskräfte (ohne Filialleiterinnen, Auszubildende und geringfügig Beschäftigte) verteilt und dadurch eine Sozialauswahl vermieden hat. Zwar wäre es theoretisch möglich gewesen, dem Stundenüberhang von 9.452 Stunden eine bestimmte Anzahl von Voll- oder Teilzeitkräften zuzuordnen, eine entsprechende Anzahl von (Voll-) Kündigungen auszusprechen und das verbleibende (Soll-) Stundenvolumen auf die verbleibenden Verkaufskräfte im Rahmen ihrer bestehenden Verträge zu verteilen. Die Beklagte hätte in diesem Fall die Arbeitnehmerinnen mit längerer Betriebszugehörigkeit, höherem Lebensalter und höheren Unterhaltsverpflichtungen sowohl vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes als auch vor einer Reduzierung ihres Einkommens bewahren können. Da die Beklagte aber eine Überbesetzung nahezu jeder Filiale errechnet hat, hätte sie in diesem Fall ein umfangreiches Umsetzungskarussell in Gang setzen müssen, und dies überwiegend nicht bezogen auf ganze (Voll- oder Teilzeit-) Stellen, sondern bezogen auf Teile dieser Stellen, d.h., sie hätte nahezu allen verbleibenden Beschäftigten zumuten müssen, ihre vertragliche Arbeitszeit auf verschiedene Filialen zu verteilen. Selbst wenn dies objektiv möglich gewesen sein sollte, erscheinen die praktischen Auswirkungen auf den betrieblichen Ablauf so gravierend, dass ihre Vermeidung als betriebstechnisches Bedürfnis im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG, das einer Sozialauswahl entgegensteht, anzuerkennen ist (möglicherweise a.A. BAG 2 AZR 697/01 vom 05.12.2002, NZA 2003, 849). Unabhängig hiervon geht die Kammer aber davon aus, dass es bei einer Situation wie im Streitfall der (unternehmerischen) Entscheidung des Arbeitgebers überlassen bleibt, ob er statt einer größeren Anzahl von Änderungskündigungen eine geringere Anzahl von Beendigungskündigungen ausspricht. Für bzw. gegen beide Varianten sprechen unter sozialen Gesichtspunkten gleichgewichtige Argumente, und das Kündigungsschutzgesetz zeichnet nach Auffassung der Kammer keinen Weg vor (so wohl auch BAG - 2 AZR 371/94 - vom 26.01.1995, NZA 1995, 626; 2 AZR 584/92 vom 19.05.1993, NZA 1993, 1075; 2 AZR 341/98 vom 03.12.1998, NZA 1999, 431; 2 AZR 12/99 vom 12.08.1999, NZA 2000, 30; ferner LAG Hamm 10 Sa 141/95 vom 22.03.1996, LAGE § 2 KSchG Nr. 19).

1.4. Die Kündigung scheitert schließlich nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG an einer mangelhaften Betriebsratsunterrichtung. Die diesbezügliche Rüge der Klägerin, die sie in denkbar allgemeiner Form erhoben hat, erscheint unsubstantiiert. Die Beklagte hat in ihrer schriftlichen Betriebsratsunterrichtung vom 12. August 2002 (Anlage IV zum erstinstanzlichen Beklagtenschriftsatz vom 18.10.2002, Bl. 49 d.A.) nicht nur die Sozialdaten der Klägerin mitgeteilt und auf die konkreten beabsichtigten Änderungen für die Klägerin hingewiesen, sondern auf die Betriebsvereinbarung vom 8. August 2002 (die derselbe Betriebsrat soeben abgeschlossen hatte) Bezug genommen, in deren Präambel das Personalmanagementkonzept II ausdrücklich erwähnt und in deren Ziffer II. die lineare Stundenreduzierung um 20 % angesprochen worden ist. Angesichts dieser Umstände hätte die Klägerin schon konkreter als geschehen ausführen müssen, welche Informationen dem Betriebsrat gefehlt haben oder gefehlt haben könnten, um ihren eigenen Kündigungsvorgang angemessen zu beurteilen, zumal der Betriebsrat selbst der Kündigung zugestimmt und keinen Anlass zu einer diesbezüglichen Beanstandung gesehen hat.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

3. Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen; die Frage einer etwaigen Priorität einer geringeren Anzahl von Beendigungskündigungen gegenüber einer größeren Anzahl von Änderungskündigungen erscheint höchstrichterlich nicht geklärt.



Ende der Entscheidung

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