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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 26.09.2002
Aktenzeichen: 16 Sa 1189/02
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 18 Abs. 1
KSchG § 18 Abs. 2
Fallen das Ende der Kündigungsfrist und das Ende der Entlassungssperre nach § 18 KSchG auf denselben Tag, wird die Entlassung nicht "vor Ablauf" der Entlassungssperre wirksam; das Arbeitsverhältnis verlängert sich in diesem Fall nicht, auch nicht um einen Tag.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

16 Sa 1189/02

Verkündet am 26.09.2002

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 26.09.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Ziefle-von Jagow und den ehrenamtlichen Richter Streim

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Februar 2002 - 47 Ca 19838/01 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über zwei ordentliche Kündigungen (vom 28.06. und 26.09.2001), die das seit 1994 bestehende Arbeitsverhältnis der Klägerin (als Krankenschwester in der Privatklinik der beklagten OHG) zum 31.12.2001 wegen beabsichtigter - inzwischen vollzogener - Betriebsschließung beenden sollen. Die erste Kündigung hält die Klägerin u.a. deshalb für unwirksam, weil die Beklagte ihrem Betriebsrat anlässlich der Anhörung zur Kündigung der Klägerin und der übrigen (etwa 66) Arbeitnehmer versichert hatte "dass Kündigungen erst und nur dann ausgesprochen werden, wenn in der Einigungsstelle eine Einigung über den Interessenausgleich und Sozialplan erzielt worden ist"; tatsächlich scheiterten die Verhandlungen über einen Interessenausgleich am 27.06.2001; ein Sozialplan kam aber erst am 19.09.2001 zustande. Die zweite Kündigung hält die Klägerin deshalb für unwirksam, weil der vorgesehene Entlassungstermin noch, wie die Klägerin meint, innerhalb der Sperrfrist nach § 18 KSchG gelegen habe; die Massenentlassungsanzeige der Beklagten ist am 30.11.2001 beim Arbeitsamt eingegangen, woraufhin der einschlägige Bescheid des Arbeitsamtes vom 04.12.2001 wie folgt formuliert wurde: "... Damit beginnt die in § 18 Abs. 1 KSchG festgesetzte Frist von einem Monat am 01.12.2001 und endet am 31.12.2001... Die Freifrist läuft vom 01.01.2002 bis 31.03.2002.".

Durch Urteil vom 19.02.2002 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage mit den Anträgen festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin weder durch die Kündigung vom 28.06.2001 noch durch die Kündigung vom 26.09.2001 aufgelöst worden ist, im Wesentlichen abgewiesen und dabei wie folgt tenoriert:

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bis zum 1. Januar 2002 bestanden hat.

II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen ...

Beide Kündigungen seien grundsätzlich wirksam, könnten das Arbeitsverhältnis jedoch erst zum 01.01.2002 beenden, da die Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG bis einschließlich 31.12.2001 gewirkt habe, die Kündigungen deshalb erst zum nächstmöglichen Termin am 01.01.2002 hätten "greifen" können. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 107 ff. d. A.).

Gegen dieses am 31.05.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 28.06.2002 eingegangene und am 25.07.2002 begründete Berufung der Klägerin.

Sie wiederholt ihre Auffassung, die erste Kündigung scheitere bereits daran, dass die Beklagte ihren Betriebsrat bewusst in die Irre geführt, zumindest aber nicht über ihren Sinneswandel nach Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen unterrichtet habe. Die zweite Kündigung scheitere bereits an der Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 KSchG, die eine Entlassung erst zum 01.01.2002 ermöglicht habe, darüber hinaus aber auch an einer fehlerhaften Betriebsratsunterrichtung, weil der Betriebsrat zu einer Kündigung zum 01.01.2002 nicht angehört worden sei und eine Kündigung zu diesem Zeitpunkt im Übrigen nach dem Arbeitsvertrag auch gar nicht möglich gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die Kündigung vom 28.06.2001 noch durch die Kündigung vom 26.09.2001 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die Urteilsbegründung zu eigen und vertieft ihre Auffassung, die anlässlich der ersten Kündigung dem Betriebsrat gegebene Zusicherung habe sich nur auf das Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG bezogen, jedoch nicht auf die Anhörung zur individuellen Kündigung nach § 102 BetrVG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist jedenfalls durch die zweite Kündigung zum 31.12.2001, d. h. mit Ablauf des 31.12.2001 (m.a.W.: in der "logischen Sekunde" zwischen 31.12.2001, 24.00 Uhr und 01.01.2002, 00.00 Uhr) und damit nicht vor Ablauf der Sperrfrist des § 18 Abs. 1 KSchG beendet worden. Die Frage, welche rechtlichen Konsequenzen es haben kann, wenn die Sperrfrist des § 18 KSchG über den in der Kündigung genannten Beendigungstermin hinaus reicht, kann deshalb auf sich beruhen. Da die Beklagte das Urteil des Arbeitsgerichts nicht angegriffen hat und die Klägerin durch die Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses bis zum (Ablauf des) 01.01.2002 nicht beschwert ist, hat es bei dem Urteil sein Bewenden.

1.1 Die Kammer geht davon aus, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der zweiten Kündigung die Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht und damit das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG ebenso wenig bestreiten will wie die Entbehrlichkeit einer Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG. Sie geht im Hinblick auf die Berufungsbegründung weiter davon aus, dass die Klägerin mit Bezug auf die zweite Kündigung nicht weiter geltend machen will, an den Gesellschafterbeschlüssen vom 06.03. und 18.06.2001 über die Stilllegung des Betriebs zum 31.12.2001 habe die von der Geschäftsführung ausgeschlossene Mitgesellschafterin A. B. ebenso beteiligt sein müssen wie an der Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zum Ausspruch der zweiten Kündigung, und dass die zweite Kündigung deshalb auch nicht bereits nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist. Die Kammer geht deshalb davon aus, dass der Streit über die Wirksamkeit der zweiten Kündigung ausschließlich davon abhängt, ob die am 30.11.2001 beim Arbeitsamt eingegangene Massenentlassungsanzeige eine Sperrfrist ausgelöst hat, die über den in der zweiten Kündigung genannten Beendigungstermin hinausreicht und dadurch die Kündigung insgesamt oder wenigstens den beabsichtigten Beendigungstermin zu Fall bringt. Nach Auffassung der Kammer sind diese Fragen zu verneinen:

1.2 Der in der zweiten (wie auch in der ersten) Kündigung genannte Beendigungszeitpunkt liegt nicht innerhalb der Sperrfrist, sondern fällt mit ihrem Ende zusammen: Nach Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt am 30.11.2001 lief die Monatsfrist des § 18 Abs. 1 KSchG an sich mit dem 30.12.2001 ab; da dieser Tag ein Sonntag war, verlängerte sie sich bis zum 31.12.2001 (entsprechend §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 ,193 BGB). Nichts anderes ergibt sich aus dem Bescheid des Arbeitsamts vom 04.12.2001. § 18 Abs. 1 KSchG knüpft aber die Rechtsfolge der (relativen) Unwirksamkeit nur an eine Entlassung, die vor Ablauf der Monatsfrist (oder einer etwaigen längeren Frist nach Absatz 2) vollzogen wird. Das bedeutet, dass eine Entlassung zu einem Zeitpunkt, der mit dem Fristablauf übereinstimmt, möglich sein soll (so offenbar auch Bauer/Powietzka, DB 2000, 1073, deren Berechnungsbeispiele dies voraussetzen, ferner ausdrücklich APS/Moll 2000 (Ascheid u.a., Großkommentar zum Kündigungsrecht), § 18 KSchG Rz. 34). Dem entspricht der arbeitsmarktpolitische, nicht kündigungsschutzrechtliche Zweck der Vorschrift: Die Arbeitsverwaltung soll die genannte Frist ausschöpfen können, um sich auf eine größere Anzahl Arbeitssuchender einzustellen; arbeitslos ist der gekündigte Arbeitnehmer am letzten Tag seines gekündigten Arbeitsverhältnisses noch nicht, sondern erst mit dem Beginn des folgenden Tages, mit dem die Freifrist nach § 18 Abs. 4 KSchG beginnt und an dem frühestens die "Entlassung durchgeführt" werden darf. Diese Voraussetzungen sind eingehalten.

Im Streitfall kann deshalb die - auch nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.04.2000, NZA 2001, 144, nicht geklärte - Frage offen bleiben, welche rechtlichen Konsequenzen es hat, wenn die Massenentlassungsanzeige zwar vor dem Kündigungstermin, jedoch so spät erstattet wurde, dass die Sperrfrist über das vorgesehene Ende des Arbeitsverhältnisses hinausreicht, insbesondere, ob sich dann das Arbeitsverhältnis nur bis zum Ablauf der Sperrfrist verlängert (so die wohl herrschende Meinung, vgl. etwa KR-Weigand, 6. Aufl., § 18 KSchG Rz. 31 a m.w.N.; Bauer/Powietzka, DB 2001, 383) oder bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin fortsetzt (so LAG Hamm vom 25.07.1986, 16 Sa 312/86, RzK I 8 b Nr. 6; LAG Frankfurt DB 1991, 658; Berscheid, AR-Blattei 1020.2, Rz. 270 ff.). Die Auffassung, dass in diesem Fall die Kündigung insgesamt unwirksam sei, wird, soweit ersichtlich, nicht vertreten.

1.3 Ist hiernach jedenfalls die zweite Kündigung zum 31.12.2001 wirksam, bedarf es keiner Entscheidung über die Wirksamkeit der ersten Kündigung.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nach Einschätzung der Kammer nicht vor. Zwar sind der Kammer veröffentlichte Entscheidungen zur Frage der Gleichzeitigkeit des Ablaufs der Kündigungsfrist und der Frist nach § 18 Abs. 1 KSchG nicht aufgefallen. Die Kammer hält die Vorschrift aber für eindeutig und verneint deshalb die "grundsätzliche Bedeutung" des hiesigen Streitfalls.

Ende der Entscheidung

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