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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 22.01.2004
Aktenzeichen: 16 Sa 2066/03
Rechtsgebiete: JazTV Deutsche Bahn AG


Vorschriften:

JazTV Deutsche Bahn AG § 9 Abs. 8 Satz 5
1. Ein Dienstplan kann in zeitlicher Hinsicht für den Einsatz der Arbeitnehmer sowohl exakte Zeiten ("von ... bis ...") als auch "Zeitfenster" ("Arbeitsbeginn in der Zeit von ... bis ..." oder "Arbeitsende in der Zeit von ... bis ...") vorsehen.

2. Die Aktualisierung bzw. Änderung eines langfristig aufgestellten Dienstplans durch sogenannte "Dienständerungsblätter" für eine größere Anzahl von Arbeitnehmern ist selbst wiederum Dienstplan, wenn sie in ausreichender Zeit vor dem effektiven Einsatz bekannt gegeben wird; dieser Einsatz ist dann nicht "außerplanmäßig".


Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

16 Sa 2066/03

Verkündet am 22.01.2004

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 16. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 22.01.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kießling als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Hans und Streim

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.06.2003 - 42 Ca 36412/02 - wird auf seine Kosten zurück-gewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die tarifgebundenen Parteien streiten über tarifliche Arbeitszeitzuschläge für Kurzschichten (Schichten mit einer Dauer von weniger als sechs Stunden) durch Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers, und zwar im rechnerisch unstreitigen Umfang von 22 Stunden und 24 Minuten (in erster Instanz versehentlich mit 22 Stunden und 28 Minuten berechnet) für neun derartige Kurzschichten im Zeitraum 28. Januar bis 12. Mai 2002. Der Streit geht insbesondere um die Auslegung des Begriffs "außerplanmäßige Kurzeinsätze" im Sinne des § 9 Abs. 8 Satz 5 des Tarifvertrages zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der DB AG (JazTV).

Seit 1998 wird der Kläger als Streckenlokomotivführer ("Triebfahrzeugführer") beschäftigt und ist dem Wahlbetrieb F.I.08 mit Arbeitsort Berlin-Hauptbahnhof zugeordnet. Er ist dort nicht in einen festen Dienstplan eingebunden, sondern wird im sogenannten örtlichen Zusatzbedarf (ÖZB) beschäftigt. Das ÖZB-Personal ist dazu vorgesehen, Ausfälle des regulären Personals (etwa durch Krankheit, Kuren, Urlaub) sowie zusätzlichen Arbeitsanfall in Spitzenzeiten abzudecken. Während für die regulären Lokführer ein auf den Fahrplan abgestimmter Dienstplan mit exakten Tagesarbeitszeiten halbjährlich im Voraus erstellt wird (Beispiel: Anlage K 9 zum Klägerschriftsatz vom 26.2.2003, Bl. 55 d.A.), erhalten die ÖZB-Kräfte mit entsprechendem zeitlichen Vorlauf einen (in der betrieblichen Praxis so bezeichneten) "Ruhetagsplan", in dem Ruhetage kalendermäßig festgelegt sind, für die Einsatztage aber in sogenannten "Schichtfenstern" nur die Angaben "Früh-Vormittag-Mittag-Tag-Spät-Nacht" aufgeführt sind (Beispiel: Anlage B 1 zum Beklagtenschriftsatz vom 15.4.2003, Bl. 91 d.A.). In einem in der Berufungsverhandlung überreichten Ruhetagsplan (Bl. 189 d.A.) sind die Begriffe wie folgt definiert: Früh = Dienstbeginn vor 4.00 Uhr, Vormittag = Dienstbeginn 4.00 Uhr bis 8.00 Uhr, Tag = Dienstbeginn 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr, Mittag = Dienstende vor 23.00 Uhr, Spät = Dienstende nach 23.00 Uhr, Nacht = überwiegend 23.00 Uhr bis 4.00 Uhr. Der tatsächliche zeitliche Einsatz wird den ÖZB-Kräften (wie auch den regulären Lokführern) durch sogenannte "Dienständerungsblätter" mit einem zeitlichen Vorlauf von in der Regel acht bis zehn Tagen, manchmal jedoch auch weniger, bekanntgegeben (Beispiel: Das in der Berufungsverhandlung überreichte Exemplar für den 20.1.2004, Bl. 185-187 d.A.). Die in den Dienständerungsblättern angegebenen Einsätze werden gelegentlich, zum Teil sehr kurzfristig, noch geändert. Wann der Kläger die im Rechtsstreit relevanten Kurzeinsätze konkret erfahren hat, hat er nicht angegeben; er räumt insoweit nur ein, dass dies jeweils vor dem Ende der vorletzten Schicht war. An den fraglichen Tagen war der Kläger jeweils in Vertretung für einen dienstplanmäßig vorgesehenen regulären Lokführer eingesetzt. An keinem der Tage deckt sich der fragliche Kurzeinsatz mit den Angaben im "Schichtfenster" des für den Kläger geltenden "Ruhetagsplanes" ("Früh-Vormittag" usw.).

Mit seiner am 27. Dezember 2002 beim Arbeitsgericht Berlin eingereichten Klage nimmt der Kläger die Beklagte darauf in Anspruch, ihm für die neun Einsätze, in denen seine Schicht jeweils weniger als sechs Stunden gedauert hat, die in § 9 Abs. 8 Satz 5 JazTV vorgesehene Zeitgutschrift zu erteilen.

Er ist der Auffassung, sein Anspruch ergebe sich aus der genannten Tarifbestimmung i.V.m. § 2 Abs. 4 a) und b) der "Dienstdauervorschrift" (DDV) der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn in der zuletzt geltenden Fassung (Wortlaut Bl. 28 ff. d.A.). Die Tarifparteien seien sich über die Auslegung des tariflichen Begriffs "außerplanmäßige Kurzeinsätze" in § 9 Abs. 8 Satz 5 JazTV nicht einig. Sie hätten daher anlässlich von Tarifverhandlungen am 16. September 1999 informell vereinbart, einerseits über eine Konkretisierung des Begriffs zu verhandeln, andererseits bis zum Abschluss dieser Verhandlungen "die derzeitigen Regelungen des § 2 Abs. 4 DDV in der betrieblichen Verfahrensweise bezüglich des Arbeitszeitzuschlags beizubehalten" (so das "Ergebnisprotokoll" vom 22.9.1999, Anlage K 6 zur Klageschrift, Bl. 26 d.A.). Aus § 2 Abs. 4 DDV ergebe sich, dass es nicht darauf ankomme, ob die Kurzschicht für den Mitarbeiter kurzfristig und für ihn unvorhersehbar sei, ausschlaggebend sei nur das tatsächliche Vorliegen einer Kurzschicht. Die "Kurzfristigkeit" der Bekanntgabe und ihre Relevanz für den Zeitzuschlag sei nur beim Arbeitsausfall (§ 9 Abs. 8 Satz 1 bis 3 JazTV) bedeutsam.

Durch Urteil vom 23. Juni 2003, auf dessen Tatbestand wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen wird (Bl. 134 ff. d.A.), hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Nach der Verabredung der Tarifparteien am 16. September 1999 sei als primäre Anspruchsgrundlage § 2 Abs. 4 DDV zu prüfen. Deren Voraussetzungen lägen nicht vor. Die vom Kläger geleisteten Schichten seien keine "Sonderdienstschichten" bzw. "Sonderleistungen" im Sinne von § 2 Abs. 4 a) und b) DDV. Der Kläger habe sie als Planvertreter geleistet, sie seien also ursprünglich in einem Dienstplan eingeplant gewesen. Auch aus der Sicht des Klägers selbst handele es sich um reguläre Arbeit, nicht um Sonderdienst. Auch aus § 9 Abs. 8 JazTV lasse sich der Klageanspruch nicht ableiten. Die fraglichen Schichten seien keine "außerplanmäßige" Kurzeinsätze gewesen. Sie seien sowohl ursprünglich in regulären Dienstplänen der jeweils vertretenen Mitarbeiter enthalten gewesen, als auch für den Kläger selbst an den jeweiligen Tagen planmäßig gewesen, da für ihn ein entsprechender Dienst in Früh-, Spät- oder Nachtschicht vorgesehen gewesen sei, der lediglich einige Tage vorher konkretisiert worden sei.

Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen (Bl. 141 ff. d.A.).

Gegen dieses am 2. Oktober 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 16. Oktober 2003 eingelegte und am 19. November 2003 begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger macht geltend: Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts seien die Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Buchst. b) DDV gegeben. Während Buchst. a) Einsätze betreffe, die in keinem Dienstplan eines Arbeitnehmers enthalten seien (unvorhersehbare Einsätze), regele Buchst. b) genau seinen Fall, nämlich die Übernahme eines Dienstes, der für den Vertretenen planmäßig war, für ihn, den Kläger, aber nicht. Die Beklagte unterscheide selbst zwischen festen Dienstplänen und ÖZB-Dienstplänen. Letztere seien keine Dienstpläne im eigentlichen Sinne, da sie die Schichten des Arbeitnehmers keiner konkreten Transportaufgabe zuordneten; sie seien nur hinsichtlich der Ruhetage konkret (weshalb sie zutreffend auch als "Ruhetagsplan" bezeichnet würden). Dass dieser Ruhetagsplan im Falle des Klägers nicht als Dienstplan angesehen werden könne, ergebe sich auch daraus, dass die Kurzeinsätze des Klägers an den streitrelevanten Tagen sämtlich außerhalb der ursprünglich vorgesehenen "Schichtfenster" liegen (was die Beklagte nicht bestreitet). Auch die Anwendung von § 9 Abs. 8 JazTV (ohne Heranziehung der DDV) führe zu keinem anderen Ergebnis. Bei der Frage, was "außerplanmäßige" Kurzeinsätze seien, könne es nicht darauf ankommen, ob die Einsätze in irgendwelchen Dienstplänen geregelt seien oder nicht, sondern ausschließlich darauf, ob sie innerhalb oder außerhalb des Dienstplanes des jeweils anspruchsberechtigten Arbeitnehmers liegen. Letzteres sei hier schon deshalb der Fall, weil der "Ruhetagsplan" nicht als Dienstplan angesehen werden könne. Zumindest müsse dies aber gelten, da die streitrelevanten Tage sämtlich außerhalb der im Ruhetagsplan enthaltenen Schichtfenster lägen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm 22 Stunden und 24 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto 2001/2002 gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie macht sich die Urteilsbegründung zu eigen und verweist darauf, dass für die ÖZB-Kräfte eine exaktere dienstplanmäßige Bestimmung der Arbeitszeit bereits zum Zeitpunkt der Erstellung des ÖZB-Dienstplanes nicht möglich sei. Durch die acht bis zehn Tage vor dem tatsächlichen Einsatz herausgegebenen "Dienständerungsblätter" werde die bis dahin nur in den Zeitfenstern umrissene Arbeitszeit konkretisiert. Dies genüge, um die hier relevanten Schichten als planmäßige Leistungen für den Kläger anzusehen. Ein Kurzeinsatz, der dem Kläger spätestens bis zum Ende der jeweils vorletzten Schicht vor dem Einsatztag bekannt gegeben werde, könne keinen Zeitzuschlag auslösen.

Wegen weiterer Einzelheiten des beiderseitigen Berufungsvorbringens wird auf die Berufungsbegründung (Bl. 156 ff. d.A.) und die Berufungserwiderung (Bl. 178 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1.

Die Berufung ist nicht begründet. Nach Auffassung der Berufungskammer kommt als Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren allein § 9 Abs. 8 Satz 5 JazTV in Frage. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor, da der Kläger an den in der Klageschrift bezeichneten Tagen zwar weniger als sechs Stunden gearbeitet und damit Kurzeinsätze geleistet hat; diese waren aber nicht "außerplanmäßig". Grundlage der Entscheidung ist der unstreitige Sachverhalt.

1.1

Was zunächst das streitrelevante Vorschriftengefüge angeht, hat sich der Kammer nicht erschlossen, weshalb § 2 Abs. 4 der Dienstdauervorschriften für das Betriebs- und Verkehrspersonal der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn als eigenständige Anspruchsgrundlage in Frage kommen soll. Bei diesen Vorschriften handelt es sich um eine auf beamtenrechtlicher Grundlage getroffene einseitige Regelung der Rechtsvorgängerin der Beklagten für ihre Beamten, die tarifvertraglich auf Arbeiter und Angestellte übertragen worden war (vgl. zur Geschichte die ausführliche Darstellung in den Gründen des BAG-Urteils 2 AZR 503/63 vom 14.4.1966, AP Nr. 2 zu § 13 AZO). Sie hatte nach der Privatisierung der Bahn zunächst fortgegolten, ist jedoch für das angestellte Fahrpersonal - bis auf § 8 Abs. 3 und 4 DDV sowie § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 DDV - durch § 9 JazTV abgelöst worden (vgl. § 14 Abs. 5 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft - Artikel 1 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes vom 27.12.1993, BGBl. I, 2378, 2389 - § 9 A Abs. 2 JazTV). § 9 JazTV ist in seiner jetzigen Fassung durch den 39. Tarifvertrag zur Änderung der Tarifverträge für die Arbeitnehmer der DB AG zwischen den Tarifvertragsparteien am 15. Oktober 1999 vereinbart und am 1. Januar 2000 in Kraft gesetzt worden. Wenn die Tarifparteien - wie das vom Kläger vorgelegte "Ergebnisprotokoll" vom 22. September 1999 (Anlage K 7 zur Klageschrift, Bl. 26 d.A.) nahe legt - gesehen haben, dass sie dem (in Kürze Tarifvertrag werdenden) Begriff "außerplanmäßige Kurzeinsätze" unterschiedliche Bedeutung beimessen bzw. ihn für unpräzise halten, und wenn sie deshalb lieber die frühere Regelungen der DDV (deren Auslegung ihrerseits umstritten gewesen zu sein scheint) fortgelten lassen wollten, hätten sie dies in den Tarifvertrag schreiben müssen, statt es informell (und ohne die für Tarifverträge vorgeschriebene Schriftform) zu vereinbaren. Nachdem sie die tarifvertragliche Regelung aber einmal wirksam geschaffen haben, hat diese ein normatives Eigenleben. Die DDV kann zwar, ebenso wie das genannte Ergebnisprotokoll vom 22. September 1999, eine historische Auslegungshilfe sein. Als eigenständige Anspruchsgrundlage scheidet sie aber nach Auffassung der Kammer aus.

1.2

Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 8 Satz 5 JazTV sind im Streitfall nicht erfüllt. Darüber, dass der Kläger als Streckenlokomotivführer zum Transportpersonal gehört, dass die in der Klageschrift genannten Einsätze weniger als sechs Stunden gedauert haben und damit "Kurzeinsätze" waren (und dass der Kläger die über zwei Stunden hinausgehende Arbeitszeit in seiner Berechnung berücksichtigt hat), besteht zwischen den Parteien kein Streit. Streitentscheidend ist damit allein, ob es sich um "außerplanmäßige" Einsätze gehandelt hat. Das ist nach Auffassung der Kammer zu verneinen.

1.2.1

Es bedarf keiner näheren Begründung, dass sich das Adjektiv "außerplanmäßig" nicht auf die Fahrpläne bezieht, nach denen die Beklagte ihre Züge verkehren lässt, sondern auf Dienstpläne, nach denen sie ihr Transportpersonal einsetzt.

1.2.2

Die hier relevanten Einsätze des Klägers waren nicht schon deshalb (dienst-)planmäßig (wie die Beklagte und wohl auch das Arbeitsgericht anzunehmen scheinen), weil sie jeweils im festen Dienstplan eines anderen ("regulären") Lokführers vorgesehen waren, der Kläger also, wie die Beklagte unwidersprochen behauptet, "Planvertreter" war. Wenn es um Zuschläge für einzelne Arbeitnehmer geht, kann es nicht darauf ankommen, ob die fragliche Arbeitsleistung für einen anderen Arbeitnehmer ursprünglich einmal als regulärer, nicht zuschlagspflichtiger Einsatz vorgesehen war; Zuschläge machen nur Sinn, wenn dem anspruchstellenden Arbeitnehmer etwas abverlangt wird, was außerhalb der normalerweise von ihm zu erwartenden Leistung liegt. Außerplanmäßig ist damit nicht nur ein Einsatz, der in (überhaupt) keinem Dienstplan enthalten ist, sondern auch ein solcher, der im Dienstplan eines anderen, jedoch nicht in dem des anspruchstellenden Arbeitnehmers vorgesehen ist.

Für diese Betrachtungsweise spricht auch, dass die vorherige Regelung in der DDV (die die Tarifparteien ausweislich des "Ergebnisprotokolls" vom 16.9.1999 möglicherweise nicht wirklich inhaltlich ändern wollten) beide Fälle vom Grundsatz her als zuschlagspflichtig angesehen haben: In § 2 Abs. 4 Buchst. a) ist von "Sonderdienstschichten" die Rede; dies kann mit dem Arbeitsgericht unter Rückgriff auf die Regelung in § 15 Abs. 5 Ziffer 1.a des Lohntarifvertrages als eine besondere Arbeitsleistung außerhalb des regelmäßigen Arbeitsverlaufs für irgendeinen Arbeitnehmer angesehen werden. In § 2 Abs. 4 Buchst. b) DDV ist dagegen von "dienstplanmäßigen Leistungen als Sonderleistungen" die Rede, was nur Sinn macht, wenn auf die Sicht des vertretenden, nicht auf die Sicht des vertretenen Arbeitnehmers abgestellt wird. Auch die Leistung des Vertreters war, wenn auch mit gewisser Einschränkung, zuschlagspflichtig.

Für ein Abstellen auf die Sicht des anspruchstellenden Arbeitnehmers, d.h. dafür, auf seinen, nicht auf irgendeinen Dienstplan abzustellen, spricht auch der Zweck jedenfalls der vorhergehenden Regelung in § 2 Abs. 4 a und b DDV. Mit dem Arbeitszeitzuschlag sollte, soweit für die Kammer erkennbar, ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass der Arbeitnehmer kurzfristig zu einer für ihn nicht planbaren Arbeitsleistung herangezogen wurde, ohne wenigstens diejenige Gegenleistung (Geldzahlung oder Zeitgutschrift) zu erhalten, die er an für ihn "normalen" Arbeitstagen erzielen kann. Deshalb ist es unerheblich, ob der Einsatz für einen anderen Arbeitnehmer ein dienstplanmäßiger Einsatz gewesen wäre oder nicht.

1.2.3

Auf der anderen Seite waren die streitrelevanten Einsätze nicht schon deshalb (wie der Kläger annimmt) außerplanmäßig, weil für ihn ein (exakter) Dienstplan wie für die regulären Lokführer nicht existiert hätte. Auch der "Schichtfenster"- bzw. "Ruhetags"-Plan ist ein Dienstplan. Darunter versteht die Kammer eine schriftlich formulierte Aufstellung, in der Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit mehrerer Arbeitnehmer (selbstverständlich: Im Voraus) festgehalten sind und die sich von einer Einzelanweisung unterscheidet. Der Begriff "Plan" sagt nichts darüber aus, ob er exakte Anfangs- und Endzeiten nach Stunden und Minuten angeben muss, oder ob die Arbeitszeiten auch rahmenmäßig eingegrenzt werden können, wie die Beklagte es mit ihren Schichtfenstern für die ÖZB-Kräfte getan hat ("Früh-Vormittag-Mittag" usw.). Dienstplan ist damit nicht nur der den "regulären" Lokführern halbjährlich im Voraus mitgeteilte Plan, sondern auch der den ÖZB-Kräften mitgeteilte Schichtfenster-Plan bzw. Ruhetagsplan. Ein Plan, in dem nur Ruhetage angegeben sind, wäre zwar noch kein Dienstplan. Eine Aufstellung jedoch, in der die Arbeitszeiten an den "Nicht-Ruhetagen" auf ungefähre Schichtzeiten eingegrenzt werden, verdient durchaus die Bezeichnung "Dienstplan".

1.2.4

Allerdings hat der Kläger in der Berufungsinstanz ausgeführt, dass die streitrelevanten Kurzeinsätze in keinem Fall seinem Schichtfenster- bzw. Ruhetagsplan entsprachen, mit anderen Worten: dass die Kurzeinsätze, für die er mit der Klage die tariflichen Zeitzuschläge verlangt, außerhalb der Schichtfenster liegen, die der ihm langfristig mitgeteilte Plan ursprünglich vorsah. Die Beklagte hat dem nicht widersprochen, obwohl das Arbeitsgericht sein klageabweisendes Urteil auch darauf gestützt hatte, dass der Schichtfenster-/Ruhetagsplan eingehalten sei. Sie hat - erstaunlicherweise - auch nichts dazu ausgeführt, ob die Nichteinhaltung der Schichtfenster ausnahmsweise erfolgte, oder ob - wie der Kläger mit seinem Vortrag nahe legt - der Schichtfensterplan tatsächlich ein reiner Ruhetagsplan ist, dessen Schichtfenster nur auf dem Papier stehen und von der Realität nur zufällig getroffen werden.

Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidend an. Nach Auffassung der Berufungskammer ergeben nämlich die "Dienständerungsblätter" den für den Kläger letztlich verbindlichen Dienstplan, von dem die Beklagte in den streitrelevanten Fällen nicht abgewichen ist. Es greift zu kurz, jede Abweichung von dem einmal aufgestellten Plan bereits als außerplanmäßig anzusehen. Die Beklagte ist in außerordentlich hohem Maße ihrer Kundschaft gegenüber verpflichtet, ihre Züge pünktlich entsprechend dem langfristig bekannt gegebenen Fahrplan verkehren zu lassen. Zwar stellt sie ihre Dienstpläne darauf ein; es ist aber unmöglich, den Einsatz der arbeitenden Menschen genauso exakt zu planen wie den Einsatz der Züge. Es liegt in der Natur der Sache, dass Dienstpläne, die auf Monate hinaus im Voraus aufgestellt werden, geändert werden müssen, weil Arbeitnehmer/Arbeitnehmerinnen krank werden, schwanger werden, Kuren beanspruchen, Sonderurlaub in Anspruch nehmen u.ä.. Je längerfristig ein Dienstplan aufgestellt wird, desto häufiger werden Änderungen nötig. Dem wird die Beklagte dadurch gerecht, dass sie mit einem Vorlauf von acht bis zehn Tagen ihre "Dienständerungsblätter" herausgibt, in denen die langfristige Dienstplan-Planung auf den aktuellen Stand gebracht wird. Die Dienständerungsblätter enthalten, wie bereits der Wortlaut ergibt, eine Änderung des Dienstplans und werden damit zum Bestandteil desselben. Mit anderen Worten: Auch die im Dienständerungsblatt aufgeführten Dienste sind Gegenstand des (nunmehr geänderten) Dienstplanes und damit nicht außerplanmäßig. Ein Dienstplan, der mit einem Vorlauf von acht bis zehn Tagen aufgestellt wird, ist immer noch ein Dienstplan, keine Einzelanordnung. Je näher allerdings die "Dienständerung" an den konkreten Einsatz zeitlich heranrückt, desto näher begibt sie sich an den "Qualitätssprung" vom "Plan" zur "Einzelanordnung". Ob diese Grenze, wie die Beklagte (in Anlehnung an Ziffer 3. der Ausführungsbestimmungen zu § 2 DDO, Bl. 30 R d.A.) annimmt, erst überschritten ist, wenn die Dienständerung dem Arbeitnehmer erst am Tag vor dem Einsatz mitgeteilt wird, kann dahingestellt bleiben. Denn der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit für die fraglichen neun Kurzschichten nicht angeben können, wann genau ihm jeweils die in der Anlage K 2 zur Klageschrift aufgeführten Kurzschichten bekannt gegeben worden sind. Es kann deshalb auch nicht angenommen werden, dass es sich um eine Zeitspanne von (zwar mehr als einem Tag aber) weniger als einer Woche gehandelt hat. Ein Woche Vorlauf reicht aber für die Annahme einer "Planmäßigkeit" allemal aus.

1.2.5

Soweit der Kläger seinen Klageanspruch auch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz herleitet, kann er damit keinen Erfolg haben. Auf die diesbezüglichen Ausführungen unter I. 3. des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 144 f. d.A.) wird ausdrücklich zustimmend Bezug genommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein als Springer eingesetzter Arbeitnehmer nicht denselben Arbeitsrhythmus vorfindet wie ein dienstplanmäßig "regulär" eingesetzter Arbeitnehmer. Wenn dies nach Arbeitsvertrag und Tarifvertrag nicht untersagt ist, liegt darin kein relevanter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass dem Vortrag des Klägers nicht substantiiert entnommen werden kann, dass er überhaupt in größerem Umfang als seine mit regulärem Dienstplan tätigen Kollegen zu Kurzeinsätzen herangezogen wird. Selbst wenn dem so wäre, hätten die Tarifparteien in § 9 Abs. 4 JazTV eine Regelung getroffen, bis zu deren Grenze die Beklagte Einsätze variieren dürfte. Nach dieser Bestimmung soll ein Arbeitnehmer des Transportpersonals im Jahresabrechnungszeitraum grundsätzlich nicht mehr als 261 Schichten leisten. Der Kläger liegt in der Zeit Juni 2001 bis Mai 2002 mit 248 Schichten (davon 184 effektive Arbeitsschichten) deutlich darunter und hat dennoch die tariflich vorgesehene Jahresarbeitszeit von 1984 Arbeitsstunden übertroffen. Dass er damit in einer schlechteren Situation als seine "regulären" Kollegen wäre, ist nicht ersichtlich.

Sollte es so sein, dass die Beklagte den Kläger nicht nur an den fraglichen neun Tagen, für die er den Zeitzuschlag begehrt, sondern generell außerhalb der im "ÖZB-Dienstplan" vorgesehenen Zeitfenster einsetzt (bzw. diese Zeitfenster nur zufällig trifft) und ihm seinen Einsatz (außerhalb der festgelegten Ruhetage) generell erstmals durch die Dienständerungsblätter mitteilt, wäre er zwar in der Freiheit der Verplanung seiner Freizeit deutlich stärker eingeschränkt als ein "regulärer" Lokführer. Dieser Umstand rechtfertigt aber, für sich allein genommen, nicht die tariflich geregelten Zeitgutschriften. Ob diese Tarifregelung (§ 9 Abs. 8 JazTV), deren Vorläufer in der DDV einen Sinn gehabt haben mag, in das System einer Jahresarbeitszeit mit einer zahlenmäßigen Obergrenze von Arbeitsschichten (§ 9 Abs. 4 JazTV) überhaupt noch passt, erscheint zweifelhaft. Dies zu entscheiden, ist aber in erster Linie Sache der Tarifparteien selbst. Wenn sie die Notwendigkeit diesbezüglicher Verhandlungen noch so sehen wie im September 1999, wäre es begrüßenswert, damit in angemessener Zeit zum Abschluss zu kommen.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

3.

Die Revision wurde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Die Parteien haben angegeben, dass sie den vorliegenden Rechtsstreit als bundesweiten Musterrechtsstreit führen.

Ende der Entscheidung

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