Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Urteil verkündet am 28.01.2004
Aktenzeichen: 17 Sa 2255/03
Rechtsgebiete: GG, BGB


Vorschriften:

GG Art. 9 Abs. 3
BGB § 1004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landesarbeitsgericht Berlin Im Namen des Volkes Urteil

17 Sa 2255/03

Verkündet am 28.01.2004

In Sachen

pp

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 17. Kammer, auf die mündliche Verhandlung vom 28.01.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dreßler als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herrn Linnardi und Herrn Gloger

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. September 2003 - 63 Ca 34847/02 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision der Klägerin wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Unterlassung einer Werbemaßnahme in Anspruch.

Die Parteien sind konkurrierende Gewerkschaften. Die Klägerin organisiert Mitarbeiter im Bereich der P.; sie ist Mitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Der Beklagte organisiert als eingetragener Verein Mitarbeiter im Bereich der Bundesp.. Er ist u.a. Mitglied in der Deutschen P.gewerkschaft im Deutschen Beamtenbund (DBB).

Der Beklagte warb von September bis einschließlich Oktober 2002 mit Internetauftritten sowie mit Aushängen und Flugschriften in den Dienststellen der Bundesp. um neue Mitglieder, wobei sie für ein Jahr einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 1,00 € anbot. In dem zunächst veröffentlichten Internetauftritt heißt es unter anderem:

"2.000.000,- € aus Mitgliedsbeiträgen für Wahlkampfzwecke ?

Medienberichten zufolge investiert der DGB (Dachverband der GdP) 2.000.000,- EURO in den Wahlkampf 2002.

Der DPolG Fachverband Bundesp. lehnt Wahlaussagen für bestimmte Parteien oder die Regierung ab!

Darum wagt den Sprung... Jetzt zur DPolG

Wir bieten euch Sonderkonditionen zum Kennenlernen.

Für ein EURO im Monat ein Jahr lang Mitglied im DPolG Fachverband Bundesp. und das alles

"All inclusive"

Also: Beitrittserklärung auf der Rückseite schnellstmöglich ausfüllen und bei unseren Ansprechpartnern vor Ort abgeben.

...

Diese Aktion gilt bis zum 22. September 2002."

Der Beklagte verlängerte die Werbemaßnahme bis zum 31. Oktober 2002 mit einem weiteren Internetauftritt, in dem es u.a. heißt:

"Oktoberfest Weiter für 1 € zur DPolG

Ein großer Erfolg ist unser Angebot an die Beschäftigten in der P. des Bundes, Mitglied in der DPolG zu werden.

Wir verlängern deshalb unser Angebot.

Bis zum 31. Oktober feiern wir ein großes Oktoberfest!

Darum wagt den Sprung...

Jetzt zur DPolG

Wir bieten euch Sonderkonditionen zum Kennenlernen.

Für 1 € im Monat ein Jahr lang Mitglied im DPolG Fachverband

Bundesp. und das alles

"All inclusive"

Also: Beitrittserklärung auf der Rückseite schnellstmöglich ausfüllen und bei unseren Ansprechpartnern vor Ort abgeben.

...

Diese Aktion gilt bis zum 31. Oktober 2002."

Wegen der Aufmachung des Werbeauftritts des Beklagten wird auf Bl. 7 und 8 der Akten verwiesen.

Der Beklagte wandte sich bei der Werbemaßnahme auch an Mitglieder der Klägerin. Er nahm Kündigungen der Mitgliedschaften bei der Klägerin entgegen und leitete diese an die Klägerin weiter. Die Klägerin reagierte auf die Werbemaßnahme u.a. im Oktober 2002 mit einer "Basisinformation" (Kopie Bl. 263 d. A.). Sie versuchte ferner, Mitglieder des Beklagten zu einem Antrag zu bewegen, ebenfalls einen Mitgliedsbeitrag von lediglich 1,00 € zu zahlen.

Die monatlichen Mitgliedsbeiträge des Beklagten betrugen damals zwischen 1,53 € und 24,77 €.

Die Klägerin hat mit der Klage die Verurteilung des Beklagten verlangt, es zukünftig zu unterlassen, wie geschehen für einen Eintritt mit einem monatlichen Mitgliedsbeitrag von 1 € für Neumitglieder zu werben, sich gezielt mit diesem Angebot an ihre Mitglieder zu wenden und für Neumitglieder einen geringeren Mitgliedsbeitrag anzubieten als für Altmitglieder. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Von der weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sachverhalts wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen arbeitsgerichtlichen Urteils abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein am 18. September 2003 verkündetes Urteil abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Der Beklagte könne sich bei der Werbung von Mitgliedern auf Art. 9 Abs. 3 GG stützen. Ein Abwehrrecht der Klägerin setze ein rechtsmissbräuchliches Handeln des Beklagten voraus, das jedoch nicht vorliege. So sei es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte für einen begrenzten Zeitraum mit einem geringen Mitgliedsbeitrag werbe, zumal es sich bei dem Beklagten im Vergleich zur Klägerin um die deutlich kleinere Gewerkschaft handele. Die Klägerin könne auch nicht verlangen, dass ihre Mitglieder von dem Beklagten nicht in der erfolgten Weise umworben würden. Es sei unerheblich, ob der Beklagte mit der Ermäßigung des Beitrags für Neumitglieder die Rechte seiner Altmitglieder verletzt habe, weil dies allein das Innenverhältnis der Mitglieder der Beklagten, nicht aber die Rechtsstellung der Klägerin berühre. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen dieses ihr am 1. Oktober 2003 zugestellte Urteil richtet sich die am 30. Oktober 2003 eingelegte Berufung der Klägerin, die sie mit einem am 1. Dezember 2003 eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Die Klägerin hält die Klage unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiterhin für begründet. Die Werbemaßnahme des Beklagten sei insgesamt unzulässig und verletze ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG. Der Beklagte habe sich gezielt an ihre Mitglieder gewendet, um sie zu einem Austritt zu bewegen. Dies zeige sich nicht nur an den verwendeten vorformulierten Austrittsformularen und der organisierten Übersendung von Austrittserklärungen, sondern ergebe sich auch aus Äußerungen des stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Beklagten Herrn F. in einer elektronischen Nachricht vom 8. Oktober 2002 (Kopie Bl. 261 d. A.). Der Mitgliedsbeitrag von monatlich 1 € sei in keiner Weise kostendeckend. Er führe zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Altmitglieder des Beklagten und letztlich zu einer Schwächung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionen. Der ermäßigte Mitgliedsbeitrag sei zudem satzungswidrig von dem Vorstand des Beklagten beschlossen worden, was ebenfalls zur Unzulässigkeit der Werbemaßnahme führe. Es treffe schließlich nicht zu, dass der DGB 2.000.000,- € für Wahlkampfzwecke aufgewendet habe. Dass der Beklagte bei seiner Werbemaßnahme diese falsche Tatsachenangabe mit dem Angebot eines nicht kostendeckenden Mitgliedsbeitrag für Neumitglieder verbunden habe, verletze sie in besonderer Weise in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. September 2003 - 63 Ca 34847/02 - zu verurteilen, es bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollstrecken für den Beklagten an dessen Vorsitzenden, es zu unterlassen, künftig wörtlich oder sinngemäß

1. mit einem Mitgliedsbeitrag von 1,00 € pro Monat für Neumitglieder wie mit den Anlagen 1 und 2 zur Klageschrift geschehen für den Eintritt in den Beklagten zu werben,

2. sich gezielt an Mitglieder der Klägerin wie mit den Anlagen 1 und 2 zur Klageschrift geschehen zu wenden mit dem Angebot, im Falle eines Austritts für 1,00 € Mitglied bei dem Beklagten zu werben,

3. überhaupt für Neumitglieder einen geringeren Mitgliedsbeitrag anzubieten als für Altmitglieder.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die erfolgte Mitgliederwerbung, die zukünftig möglicherweise wiederholt werde, genieße - so meint der Beklagte - den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG und könne ihm daher nicht verboten werden. Die Werbemaßnahme habe sich vor allem an gewerkschaftlich noch nicht organisierte Mitarbeiter des B. gerichtet; sie habe nicht allein der Abwerbung von Mitgliedern der Klägerin gedient. Die Äußerung des Herrn F. in seiner elektronischen Nachricht vom 8. Oktober 2002 sei auf die "Basisinformation" der Klägerin vom Oktober 2002 hin erfolgt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 1. Dezember 2003, 10. Dezember 2003, 22. Dezember 2003 und 25. Januar 2004 nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 28. Januar 2004 und die dort überreichten Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§ 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gemäß §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG verlangen, dass er die mit der Klage geltend gemachten Handlungen zukünftig unterlässt.

1.

Die Klägerin kann als Koalition i.S.d. Art. 9 Abs. 3 GG allerdings grundsätzlich Eingriffe in ihre kollektive Koalitionsfreiheit mit Hilfe eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB abwehren. Diese Bestimmung dient auch der Abwehr von Eingriffen in die nach § 823 BGB geschützten Rechte, Lebensgüter und Interessen, zu denen auch der durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützte Bestand der Koalition sowie deren Recht auf koalitionsmäßige Betätigung gehört (vgl. hierzu nur BAG AP Nr. 89 zu Art. 9 GG m.w.N.). Die streitbefangene Werbe-maßnahme richtete sich zumindest auch an Mitglieder der Klägerin und berührte daher deren Bestand. Es ist jedoch im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der Beklagte sich bei seiner Werbemaßnahme ebenfalls auf Art. 9 Abs. 3 GG stützen konnte. Denn zu der verfassungsrechtlich gewährleisteten Betätigung der Koalitionen gehört auch die Werbung neuer Mitglieder, ohne die auf Dauer der Bestand der Koalition gefährdet wäre (vgl. hierzu nur BAG AP Nr. 14, 45 zu Art. 9 GG m.w.N.). Bei dieser Sachlage kann der erfolgte Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 9 Abs. 3 GG allein den geltend gemachten Unterlassungsantrag nicht tragen, weil eine ihm folgende gerichtliche Unterlassungsanordnung seinerseits die - gleichrangigen - Rechte des Beklagten berührte. Dies gilt umso mehr, als die verfassungsmäßige Ordnung einen Pluralismus von Koalitionen zulässt. So ist nach Art. 9 Abs. 3 GG für jedermann das Recht gewährleistet, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden und sich koalitionsmäßig zu betätigen, ohne dass dieses Recht von vornherein durch den Bestand und die Betätigung anderer Koalitionen eingeschränkt wäre. Ist jedoch jeder Koalition die Werbung von Mitgliedern erlaubt und kann eine Koalition auch in dem Betätigungsbereich einer anderen Koalition tätig werden, so ist damit zwangsläufig ein Wettbewerb dieser Koalitionen um ihre Mitglieder verbunden. Dieser ist verfassungsrechtlich grundsätzlich gewünscht und daher nicht wegen des mit ihm verbundenen Eingriffs in den Schutzbereich einer Koalition ohne weiteres verboten und zukünftig zu unterlassen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die Mitgliederwerbung einer Koalition im Verhältnis zu dem Bestandsschutz einer anderen Koalition als unzulässige Rechtsausübung i.S.d. § 242 BGB darstellt. Jede Rechtsausübung, auch wenn sie sich auf eine verfassungsrechtliche Grundlage stützen kann, unterliegt der inneren Schranke des Rechtsmissbrauchs. Dabei kann jedoch nur im jeweiligen Einzelfall entschieden werden, ob die Werbemaßnahme einer Koalition rechtsmissbräuchlich ist bzw. "die berechtigten Belange der anderen Koalition beeinträchtigt" (so BAG AP Nr. 14 zu Art. 9 GG). Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Werbemaßnahme darauf abzielt, die andere Koalition zu schädigen (§ 226 BGB) oder sie in unverhältnismäßiger Weise herabzuwürdigen; auch die Werbung mit unwahren Tatsachenbehauptungen kann sich als unzulässig erweisen. Jenseits der Grenzen des Rechtsmissbrauchs unterliegt die Werbung einer Koalition im Verhältnis zu anderen Koalitionen jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle. Es obliegt insoweit vielmehr der autonomen Entscheidung der Koalition, auf welche Weise sie um Mitglieder werben und so ihren Bestand sichern will.

2.

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweisen sich die Unterlassungsanträge der Klägerin als unbegründet.

a) Es kann dem Beklagten nicht untersagt werden, zukünftig wie mit den Anlagen 1 und 2 zur Klageschrift geschehen um Mitglieder zu werben.

Soweit sich die Klägerin dagegen wendet, dass der Beklagte mit einem monatlichen Mitgliedsbeitrag von 1,00 € für Neumitglieder wirbt, handelt es sich nicht um eine rechtsmissbräuchliche Werbung in dem oben genannten Sinne. Es ist grundsätzlich allein Sache des Beklagten, für welche Mitglieder er welchen Beitrag erhebt. Das Angebot eines geringen Mitgliedsbeitrags kann im Verhältnis zu der anderen Koalition allenfalls dann rechtsmissbräuchlich sein, wenn es dazu dienen soll, diese in ihrem Bestand zu gefährden. Ein bewusst zur Schädigung der Klägerin eingesetztes "Dumpingangebot" wäre dem Beklagten auch unter Berücksichtigung seiner Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht erlaubt. Ein derartiges Beitragsangebot hat der Beklagte jedoch nicht abgegeben. Es handelt sich vielmehr um ein zeitlich befristetes Werbeangebot, das nach Auffassung der Berufungskammer in keiner Weise zu beanstanden ist. Dabei kann ohne weiteres angenommen werden, dass ein Mitgliedsbeitrag von 1,00 € für sich genommen nicht ausreichen würde, die satzungsmäßig zugesagten Leistungen des Beklagten an seine Mitglieder sowie die sonstige koalitionsmäßige Betätigung des Beklagten zu finanzieren; dies zeigt bereits die Höhe der normalerweise von den Mitgliedern zu zahlenden Beiträge. Der verminderte Mitgliedsbeitrag gilt jedoch lediglich für ein Jahr; nach Ablauf dieser Zeit müssen die geworbenen Neumitglieder den jeweiligen Normalbeitrag zahlen. Auf längere Sicht kann der Beklagte die geworbenen Neumitglieder daher nur halten, wenn er sie durch seine gewerkschaftliche Tätigkeit überzeugt; der zunächst zugesagte geringe Mitgliedsbeitrag verliert im Vergleich dazu immer mehr an Bedeutung. Auch ist zu berücksichtigten, dass die Attraktivität einer Koalition für weitere potentielle Neumitglieder mit der Zahl der Mitglieder steigt. Der durch den geringeren Mitgliedsbeitrag erreichte Anreiz, dem Beklagten beizutreten, kann sich daher auch insoweit günstig auf den Bestand des Beklagten auswirken. Zieht man zudem in Betracht, dass der Beklagte auf weitere - ansonsten übliche - Prämien für Neumitglieder verzichtet hat, wird deutlich, dass es sich bei dem Beitragsangebot nicht um eine rechtsmissbräuchliche Werbung zu Lasten der Klägerin, sondern um ein legitimes Mittel zu Gewinnung neuer Mitglieder handelt. Die Klägerin kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, die Festsetzung des Beitrags von 1,00 € sei unter Verstoß gegen die Satzung des Beklagten erfolgt. Für den Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Werbemaßnahmen kommt es auf den Inhalt dieser Werbung an und nicht darauf, ob die geschehene Maßnahme ordnungsgemäß beschlossen wurde. Denn es kann nicht angenommen werden, der Beklagte werde - den behaupteten Satzungsverstoß einmal unterstellt - stets in gleicher Weise gegen die Satzung verstoßen. Auch begründet nicht jedes satzungswidrige Verhalten des Vorstandes auch den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs in dem oben genannten Sinne. Vor allem aber handelt es sich bei der Frage, ob der Beitrag für Neumitglieder der Satzung des Beklagten entsprechend festgelegt wurde, um eine ausschließlich interne Angelegenheit des Beklagten. Ob der Vorstand des Beklagten im Zusammenhang mit der beanstandeten Werbemaßnahme seine vereinsrechtlichen Befugnisse überschritten hat, können allein die von einem Satzungsverstoß betroffenen Organe des Beklagten, namentlich die Delegiertenversammlung (§ 10 der Satzung), nicht jedoch die außerhalb des Beklagten stehende Klägerin geltend machen.

Der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe bei seiner Werbemaßnahme in unzutreffender Weise auf Wahlkampfaufwendungen des DGB hingewiesen, vermag das Unterlassungsbegehren ebenfalls nicht zu stützen. Der Beklagte hat es allerdings als möglich dargestellt, dass der DGB 2.000.000,00 € aus Mitgliedsbeiträgen im Bundeswahlkampf 2002 für Wahlkampfzwecke aufgewendet hat. Auch hat er die Klägerin hiermit in Verbindung gebracht, indem ausdrücklich vermerkt wurde, bei dem DGB handele es sich um den Dachverband der Klägerin. Die Berufungskammer hält diese Art der Werbung jedoch noch für zulässig und daher nicht für rechtsmissbräuchlich in dem oben genannten Sinn. Der Beklagte hat vor allem deutlich machen wollen, dass er gewerkschaftliche Stellungnahmen im politischen Wahlkampf ablehnt. Er wollte sich damit bewusst gegen die Position des DGB stellen, der auch im Bundestagswahlkampf 2002 z. B. durch Plakataktionen aufgetreten ist. Die Tätigkeit des DGB im Wahlkampf und die Höhe der damit verbundenen Aufwendungen wurden von dem Beklagten auch nicht als sicher dargestellt, sondern durch die gewählte Frageform und den Hinweis auf Medienberichte relativiert. Die beanstandete Werbemaßnahme gewann zweifelsfrei an Aggressivität, indem der Beklagte als Aufhänger die in Wahlkampfzeiten stets diskutierte Frage wählte, inwieweit sich Gewerkschaften in eine politische Auseinandersetzung einmischen sollen. Die Grenze einer zulässigen Mitgliederwerbung sieht die Berufungskammer jedoch noch nicht als überschritten an. Auch ist es entgegen der Auffassung der Klägerin in diesem Zusammenhang nicht zu beanstanden, dass der Beklagte im Anschluss an die genannte Fragestellung mit dem Sonderbeitrag für Neumitglieder von 1,00 € warb. So wurde nicht behauptet, die Klägerin verlange von ihren Mitgliedern höhere Beiträge als der Beklagte, weil der DGB Wahlkampfmaßnahmen finanzieren müsse. Die normalerweise bei dem Beklagten zu zahlenden Beiträge wurden nicht genannt und deshalb keine Verknüpfung zwischen Beitragslast und Tätigkeit der Gewerkschaften im Wahlkampf hergestellt. Die erfolgte Werbung mit einem Mitgliedsbeitrag von 1,00 € für Neumitglieder erweist sich nach alledem als rechtlich zulässig.

b) Die Klägerin kann von dem Beklagten ferner nicht verlangen, dass er zukünftig eine Abwerbung ihrer Mitglieder in der erfolgten Art und Weise unterlässt. Der verfassungsrechtlich garantierte Bestandsschutz einer Koalition gebietet es anderen Koalitionen nicht, neue Mitglieder nur aus dem Kreis der Nichtorganisierten zu werben. Der Wettbewerb der Koalitionen darf sich vielmehr auch auf die Mitglieder anderer Koalitionen erstrecken. Dabei ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Wechsel zu der werbenden Koalition durch diese organisiert wird, indem Mitglieder anderer Koalitionen gezielt angesprochen sowie Austrittsformulare vorformuliert und gesammelt an die bisherige Koalition übersandt werden, solange es sich nicht inhaltlich um eine rechtsmissbräuchliche Werbung handelt; diese ist - wie ausgeführt - im vorliegenden Fall nicht gegeben. Etwas anderes würde nach Auffassung der Berufungskammer allenfalls gelten, wenn sich der Beklagte mit seinem Angebot, für ein Jahr lediglich einen Mitgliedsbeitrag von 1,00 € zu zahlen, ausschließlich an Mitglieder der Klägerin gewandt hätte, während alle weiteren Neumitglieder zur Zahlung des normalen Beitrags verpflichtet wären. Eine derartige Differenzierung der Beiträge könnte dafür sprechen, dass es dem Beklagten vor allem um die Schädigung der Klägerin gegangen wäre. Der Beklagte hat sich jedoch bei der streitbefangenen Werbemaßnahme nicht nur an Mitglieder der Klägerin, sondern auch an die gewerkschaftlich noch nicht oder anders organisierten Beschäftigten gewandt. Dies zeigt bereits die Durchführung der Werbung, die auch durch Internetauftritte und Aushänge in den Dienststellen erfolgte. Die Äußerung des Herrn F. in seiner elektronischen Nachricht vom 8. Oktober 2002, man solle allen Kollegen helfen, die Mitgliedschaft bei der Klägerin zu beenden, ist im Rahmen der Auseinandersetzung der Parteien um die Rechtmäßigkeit der Werbemaßnahme und der Gegenmaßnahmen der Klägerin erfolgt; sie deutet nicht auf eine Schädigungsabsicht des Beklagten in Bezug auf die Klägerin hin.

c) Aus den obigen Ausführungen folgt bereits, dass es der Beklagten schließlich nicht untersagt werden kann, von neuen Mitgliedern einen geringeren Mitgliedsbeitrag zu verlangen als von ihren bereits vorhandenen Mitgliedern. Der Beklagte darf vielmehr eine Werbemaßnahme der streitbefangenen Art auch zukünftig durchführen. Der Klageantrag zu 3) unterliegt daher ebenfalls der Abweisung.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

4.

Die Revision der Klägerin war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Den aufgeworfenen Rechtsfragen kommt nach Auffassung der Berufungskammer grundsätzliche Bedeutung zu. Das Bundesarbeitsgericht hat sich zu der Zulässigkeit von Werbemaßnahmen einer Gewerkschaft, durch die die Rechte einer anderen Gewerkschaft berührt sein können, soweit ersichtlich zuletzt im Jahr 1968 geäußert. Eine erneute höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob und ggf. welchen Beschränkungen Koalitionen bei ihrer Mitgliederwerbung unterliegen, erscheint daher geboten.

Ende der Entscheidung

Zurück