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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin
Beschluss verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 17 Ta (Kost) 6080/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1
I. Die Kosten eines Privatgutachtens sind nur erstattungsfähig, wenn es im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war, das Gutachten einzuholen.

II. Kann der Arbeitgeber den Kündigungsvorwurf (Fertigung eines anonymen Schreibens durch den Arbeitnehmer) auch ohne das Privatgutachten darlegen, ist die Beauftragung des Sachverständigen nicht in dem genannten Sinne erforderlich. Es ist dabei ohne Belang, dass gegebenenfalls ein gleichartiges gerichtliches Gutachten eingeholt werden muss.


Landesarbeitsgericht Berlin Beschluss

17 Ta (Kost) 6080/06

In dem Beschwerdeverfahren

in dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat das Landesarbeitsgericht Berlin, 17. Kammer, durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht D. als Vorsitzenden

am 28. November 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Mai 2006 - 30 Ca 3032/05 - geändert:

Der Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten wird zurückgewiesen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Kostenfestsetzungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Klägers, die Kosten eines von der Beklagten in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachtens zu tragen.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1990 als Mitarbeiter im Verkauf gegen eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 1.815,00 EUR tätig. Die Beklagte verdächtigte den Kläger, Urheber eines anonymen Schreibens zu sein, in dem der Vorgesetzte des Klägers und ein Mitarbeiter verunglimpft worden waren. Sie holte deshalb eine gutachterliche Stellungnahme eines Sachverständigen für Forensische Schriftuntersuchung und Urkundenprüfung ein, der aufgrund eines Schriftstückvergleichs zu dem Ergebnis kam, dass der Kläger mit sehr großer Wahrscheinlichkeit Urheber des anonymen Schreibens war. Nachdem der Kläger dies abgestritten hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Januar 2005 zum 30. Juni 2005.

Mit seiner Kündigungsschutzklage vom 7. Februar 2005 hat sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gewandt und weiterhin in Abrede gestellt, Urheber des anonymen Schreibens zu sein. Eine Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht vom 14. März 2005 blieb erfolglos. Die Beklagte beauftragte daraufhin im Mai 2005 Prof. Dr. T. B., durch eine linguistische und kommunikationswissenschaftliche Untersuchung festzustellen, ob das anonyme Schreiben von dem Kläger stammt; in die Untersuchung wurde ein weiteres anonymes Schreiben einbezogen. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 31. Juli 2005 zu dem Ergebnis, dass die anonymen Schreiben und die von dem Kläger stammenden Vergleichsschreiben den gleichen Urheber haben. Das Gutachten lag dem Arbeitsgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 8. August 2005 vor. Dort erklärte der Kläger erneut, dass die anonymen Schreiben nicht von ihm verfasst worden seien; im Anschluss daran nahm er die Klage zurück.

Das Arbeitsgericht hat die Kosten des Rechtsstreits durch Beschluss vom 23. August 2005 dem Kläger auferlegt und durch Beschluss vom 15. Mai 2006 gegen den Kläger die Kosten des Gutachtens in Höhe von 10.109,80 EUR festgesetzt.

Gegen diesen ihm am 22. Mai 2006 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss richtet sich die am 6. Juni 2006 (Dienstag nach Pfingsten) eingelegte sofortige Beschwerde des Klägers. Es habe - so meint der Kläger - für die Beklagte keine Veranlassung bestanden, das Gutachten einzuholen; denn sie habe sich bereits aufgrund der vorprozessual eingeholten gutachterlichen Stellungnahme zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses entschieden. Das Gutachten sei für das Arbeitsgericht nicht von ausschlaggebender Bedeutung gewesen; so habe der Vorsitzende der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 8. August 2005 vor allem ein von ihm - dem Kläger - stammendes Schreiben vom 28. Juni 2005 für bedeutsam gehalten. Es sei Sache des Gerichts, ein Sachverständigengutachten einzuholen; die Kosten des eingeholten Privatgutachtens müsse die Beklagte selbst tragen.

Die Beklagte hält den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss für zutreffend. Die vorprozessual eingeholte Stellungnahme habe nicht ausgereicht, den Kläger zur Rücknahme der Klage zu bewegen. Auch habe das Arbeitsgericht in der Güteverhandlung vom 14. März 2005 zu erkennen gegeben, dass sie - die Beklagte - nachweisen müsse, dass das anonyme Schreiben vom Kläger stamme. Die vor Ausspruch der Kündigung eingeholte gutachterliche Stellungnahme sei hierfür unzureichend gewesen. So habe der Vorsitzende der Kammer des Arbeitsgerichts mit Schreiben vom 2. Juni 2005 angeregt, das Arbeitsverhältnis einvernehmlich gegen Zahlung einer Abfindung aufzuheben und auf diese Weise zu erkennen gegeben, dass er weiterhin nicht von der Wirksamkeit der Kündigung überzeugt sei. Erst das eingeholte Sachverständigengutachten habe dazu geführt, dass das Gericht dem Kläger die Klagerücknahme empfohlen habe.

Das Beschwerdegericht hat eine dienstliche Stellungnahme des Vorsitzenden der Kammer des Arbeitsgerichts zu der Frage eingeholt, ob und ggf. welche Auswirkungen das Privatgutachten auf den Gang der mündlichen Verhandlung vom 8. August hatte. Wegen des Inhalts der dienstlichen Stellungnahme wird auf Bl. 122- 124 d. A. verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist begründet.

Der Kläger ist nicht verpflichtet, die Kosten des von der Beklagten eingeholten Sachverständigengutachtens zu tragen. Der Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten war daher unter Änderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses zurückzuweisen.

1.

Es ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Kosten eines Sachverständigengutachtens, das von einer Partei vorprozessual oder während eines Rechtsstreits eingeholt wird, nicht ohne weiteres erstattungsfähig sind. Für eine Erstattungspflicht der unterlegenen Partei ist es vielmehr gemäß § 91 Abs. 1 ZPO erforderlich, dass die Beauftragung zur Erstellung eines derartigen Privatgutachtens zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei diese Kosten auslösende Maßnahme als sachdienlich ansehen durfte; die Partei darf dabei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 - VI ZB 56/02 - NJW 2003, 1398 ff. m.w.N.; Beschluss vom 23. Mai 2006 - VI ZB 7/05 - NJW 2006, 2415 f.). Wird das Gutachten während des Prozesses in Auftrag gegeben, kommt eine Kostenerstattung beispielsweise in Betracht, wenn die Partei wegen fehlender Sachkunde zu einem sachgerechten Vortrag selbst nicht in der Lage ist oder sie ein vom Gericht oder vom Prozessgegner eingeholtes Gutachten erschüttern oder widerlegen will (vgl. hierzu Stein/Jonas-Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, Rdnr. 81 m.w.N.). Auch kann die Einholung des Gutachtens geboten sein, weil es in Eilverfahren (Arrest oder einstweilige Verfügung) als präsentes Beweismittel benötigt wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13. April 1989 - IX ZR 148/88 - NJW 1990, 123 ff.). Eine Erstattungsfähigkeit der Kosten wird ferner für möglich gehalten, wenn durch das Privatgutachten ein gerichtliches Sachverständigengutachten überflüssig gemacht hat (LG Düsseldorf, Urteil vom 29. Oktober 1990 - 19 T 375/90 - VersR 1992, 472); teilweise soll es darauf ankommen, dass das Prozessergebnis durch das Privatgutachten (günstig) beeinflusst wurde (LAG Hamm, Beschluss vom 9. August 1984 - 8 Ta 193/84 - AP Nr. 33 zu § 91 ZPO; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Mai 1963 - 8 Ta 47/62 - AP Nr. 28 a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Dezember 1995 - 23 W 454/95 - NJW-RR 1996, 830; OLG Bamberg, Beschluss vom 6. August 1984 - 1 W 61/84 - JurBüro 1985, 617; a.A. Stein/Jonas-Bork, a.a.O, Rn. 80 m.w.N.).

2.

Es war im vorliegenden Fall für die Beklagte zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung gegen die Kündigungsschutzklage nicht notwendig, ein Privatgutachten zu der Frage einzuholen, ob die anonymen Schreiben vom Kläger stammen. Die Beklagte war auch ohne dieses Gutachten in der Lage, den Kündigungssachverhalt vorzutragen. Sie war nicht nur im Besitz der anonymen Schreiben und der vom Kläger stammenden Vergleichstexte, sondern sie hatte bereits vor Ausspruch der Kündigung die gutachterliche Stellungnahme zu der Urheberschaft des Klägers eingeholt. Dieses Gutachten enthielt bereits konkrete Tatsachen, die darauf hinwiesen, dass das untersuchte anonyme Schreiben mit sehr großer Wahrscheinlichkeit von dem Kläger verfasst wurde. Die Beklagte war daher nicht gezwungen, dies "ins Blaue hinein" zu behaupten, sondern sie konnte den Kündigungsvorwurf mit konkreten Darlegungen belegen. Ein substantiierter Sachvortrag des Klägers oder ein von ihm eingereichtes Privatgutachten, wonach die Schreiben nicht von dem Kläger stammten, lagen nicht vor; sie mussten daher auch nicht durch ein Privatgutachten der Beklagten widerlegt werden. Der Kläger hatte sich vielmehr darauf beschränkt, seine Urheberschaft zu bestreiten. Ein gerichtliches Gutachten, das die Berechtigung des Kündigungsvorwurfs entkräftete oder auch nur in Zweifel zog, war ebenfalls nicht erstellt worden. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, durch das Gutachten sei ein gerichtliches Sachverständigengutachten entbehrlich gewesen. Denn das Arbeitsgericht hätte ein weiteres Sachverständigengutachten einholen müssen, wenn der Kläger bei seinem Bestreiten geblieben wäre und die Klage nicht zurückgenommen hätte. Ein Privatgutachten ist kein Beweismittel, sondern ein urkundlich belegter Parteivortrag; es darf nur verwertet werden, wenn beide Parteien hierzu ihre Zustimmung geben (BGH, Urteil vom 29. September 1993 - VIII ZR 62/92 - NJW-RR 1994, 255 f.). Eine derartige Zustimmung hat der Kläger jedoch zu keiner Zeit erteilt oder auch nur in Aussicht gestellt. Sollte der Vorsitzende der Kammer des Arbeitsgerichts - wie von der Beklagten behauptet und nach der eingeholten dienstlichen Stellungnahme nicht ausgeschlossen - erklärt haben, das Gericht würde auf der Grundlage des Privatgutachtens entscheiden, wäre dies verfahrensfehlerhaft gewesen und könnte nicht zu einer Kostenhaftung des Klägers führen. Es ist schließlich ohne Belang, ob das Gutachten den Kläger zur Rücknahme seiner Klage bewogen hat. Denn die Frage der Erstattungsfähigkeit von Gutachterkosten ist nach den Verhältnissen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen bestanden (BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2002 und 23. Mai 2006, a.a.O.; Stein/Jonas-Bork, a.a.O.; MünchKomm-Belz, ZPO, 2. Aufl. 2000, § 91 Rn. 54 m.w.N.). Im Mai 2005 war jedoch in keiner Weise absehbar, wie sich der Kläger zu einem für ihn ungünstigen Privatgutachten der Beklagten verhalten würde. Auch das Arbeitsgericht hatte nicht zu erkennen gegeben, es erwarte die Erstellung eines Privatgutachtens durch die Beklagte. Dass es die Beklagte mit Schreiben vom 2. Juni 2005 aufforderte, zu einem Detail des klägerischen Schriftsatzes vom 1. Juni 2005 Stellung zu nehmen und im Übrigen eine vergleichsweise Beilegung des Rechtsstreits anregte, war für das bereits in Auftrag gegebene Gutachten nicht ursächlich. Auch hat das Arbeitsgericht lediglich zu erkennen gegeben, dass ein für den Kläger günstiger Ausgang des Rechtsstreits nicht ausgeschlossen ist. Dem konnte die Beklagte mit der Anregung begegnen, ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen, während die Einholung des Privatgutachtens - wie ausgeführt - nicht erforderlich war.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

4.

Die Rechtsbeschwerde wurde gemäß § 78 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Kosten eines Privatgutachtens nach § 91 Abs. 1 ZPO zu erstatten sind, hat grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu den in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen liegt - soweit ersichtlich - nicht vor.

Ende der Entscheidung

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